A350-Rumpfschalen aus Augsburg

Airbus-Zulieferer
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A350-Rumpfschalen aus Augsburg

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Das A350-Programm wird schneller realisiert als das vergleichbarer moderner Verkehrsflugzeuge. Wir haben uns bei Premium AEROTEC in Augsburg erklären lassen, welche Herausforderungen das an einen Zulieferer stellt.

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A350-Rumpfschalen aus Augsburg

Das Werk I in Augsburg-Göggingen ist die jüngste der vier Produktionsstätten von Premium AEROTEC an diesem Standort – eine riesige Halle, die mit einem Investitionsvolumen von mehr als 180 Millionen Euro ausschließlich für die Produktion von A350-Rumpfschalen errichtet worden ist. Schon als es von der A350 nur Präsentationen gab, wurde hier bereits an der Entwicklung der Montagelinie gearbeitet, dann entstanden die Halle und im September 2010 der Stahlbau für die Vorrichtungen. Am 3. Juni 2011 konnte mit der Herstellung der ersten Schale begonnen werden.

Auf 14 600 Quadratmetern arbeiten heute im Drei-Schicht-System 50 direkte (Facharbeiter) und 16 indirekte (Ingenieure) Experten an der sogenannten Panel Line, wo die CFK-Rumpfschalen entstehen; weitere 120 beziehungsweise 27 Mitarbeiter sind mit der Ausrüstung an der Shell Line beschäftigt. Ihnen stehen noch einmal 8400 Quadratmeter Produktionsfläche zur Verfügung.

So eindrucksvoll diese Zahlen bereits sind, so beeindruckend sind erst recht die Abläufe im Innern des riesigen Komplexes. In einem klimatisierten Bereich mit 21 Grad Temperatur, definierter Luftfeuchtigkeit und Partikelüberwachung stehen zwei riesige Werkzeuge, eine mit nach oben gewölbter Form und eine zweite, die nach innen „ausgehöhlt“ ist. „Die erste ist etwas älter und stellt den Standard dar, der sich damals in der Industrie bewährt hatte“, erläutert Kai Schulte, der Leiter dieses Bereiches. Hier wird zuerst eine Folie per Hand aufgelegt, weil das CFK-Material nicht gut am Stahl des Werkzeugs haftet, und dann legt ein Roboter los. Ein automatischer Legekopf wird von 32 Spulen mit jeweils 6,35 Millimeter breiten und nur 0,15 Millimeter dicken, gekühlten CFK-Streifen beschickt.

Erst direkt vor dem Auftragen werden diese erhitzt, damit das enthaltene Harz klebrig wird. Die Kohlenstofffasern sind etwa achtmal dünner als ein menschliches Haar; bis zu 24 000 dieser sogenannten Filamente werden zu einem Bündel zusammengefasst, aus dem dann das Rohmaterial für die Panelherstellung entsteht. Mit einem Harzgehalt von 34 Prozent wiegt ein Quadratmeter zwischen 203 und 294 Gramm und kostet 150 Dollar pro Kilo. Mit dem Material muss also äußerst sorgsam umgegangen werden.

„411 Einzellagen werden hier auf einem linken Panel aufgebracht, maximal sind es 94 übereinander auf einer Fläche von 2881 Quadratmetern“, erklärt Kai Schulte den automatisierten Ablauf, „das ist ein bisschen wie Tapezieren. Die Dicken variieren zwischen 1,95 Millimetern an der normalen Hautfläche und 11,9 Millimetern rund um Fenster- und Türöffnungen.“ Während er die Arbeit an der Station beschreibt, ist ein leichtes Rattern am Roboterkopf zu hören, doch das stört den Kollegen, der die Arbeit an zahlreichen Monitoren überwacht, nicht im Geringsten. Jetzt werden nämlich einzeln, so wie sie in der Diagonale den Rand der Form erreichen, die Streifen abgeschnitten, bevor sich der Roboter dreht und die nächste Lage aufbringt.

Bei einem rechten Panel sind das sogar 570 insgesamt, wobei bis zu 190 direkt übereinander liegen können. Das hängt damit zusammen, dass in diesem Bauteil später das Frachttor installiert wird, weshalb die maximale Dicke zur Türversteifung sogar 24,05 Millimeter beträgt. So werden 3078 Quadratmeter Material verarbeitet, und zum Schluss wiegt dieses Panel 625 Kilogramm, gegenüber „nur“ 585 Kilo, die ein linkes Panel auf die Waage bringt. Bei beiden wird als letzte Lage noch ein feines Netz aus Bronzedrähten als Blitzschutz eingebracht. „Das ist tatsächlich Bronze“, sagt Matthias Spengler, der die Verantwortung für die A350-Produktion in Augsburg und am Standort Nordenham trägt, „auch wenn sich im Sprachgebrauch der Begriff ‚copper mesh‘, also Kupfernetz, eingebürgert hat. Insgesamt sind wir sehr stolz darauf, dass wir derzeit mehr als sieben Kilogramm CFK-Material stündlich vearbeiten, denn anfangs hatten wir nur mit 3,5 Kilo gerechnet.“

Pro Monat können 13 Shipsets entstehen

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Derzeit ist das Werk mit dem Serienhochlauf befasst und steigert sich von drei auf fünf Shipsets im Monat. Die gesamte Halle ist allerdings auf eine Rate von 13 ausgelegt, so dass noch viel Luft nach oben besteht. Bislang lief hier die Produktion für die 900er Version der A350, und eben begann auch die Fertigung für die etwa drei Meter längeren Schalen der 1000er. „Ob und wann es eine 800er geben wird, wissen wir nicht, aber wenn es weitere Versionen gibt, dann wird das für uns auch kein Problem sein.“ Indessen wird die zweite, neuere Maschine für die Herstellung eines Panels vorbereitet. Auch hier kommt zuerst eine Folie ins Werkzeug und dann zunächst das Bronzenetz. Ansonsten sind die Arbeitsgänge die gleichen.

Zur Überwachung braucht man NC-Anlagenbediener oder Fluggerätemechaniker mit Spezialisierung auf die Arbeit mit dem schwarzen Werkstoff. Alle werden von Premium AERTOEC selbst ausgebildet und sind sich ihrer Verantwortung bewusst, denn wenn diese Maschinen stehenbleiben, steht die ganze Fertigung. Zum Glück müssen sie aber nur sehr selten eingreifen.

An der nächsten Station, dem „Stringer Placement Tool“, werden die von einem Hersteller in den USA bezogenen Stringer eingelegt, die ebenfalls aus CFK bestehen. Nach dem Entfernen einer Schutzschicht wird ein Klebefilm aufgebracht und erwärmt. Dann wird in jeden der sogenannten Omega-Stringer noch ein spezieller Folienschlauch eingelegt, welcher später den Druck im Autoklaven gleichmäßig bis in den letzten Winkel verteilt. Nur so wird erreicht, dass die Stringer auch wirklich fest an der Haut kleben. Deshalb ist das Material sogar mit feinen Metallplättchen versetzt, und Magnete im Setzwerkzeug halten die Teile fest zusammen. Beim Einlegen der empfindlichen Schläuche ist größte Sorgfalt vonnöten, denn sie müssen nach dem „Backen“ im Autoklaven rückstandslos wieder herausgezogen werden können – ein „Ankoppeln“ darf nicht geschehen.

Die Schläuche dürfen nicht gerollt oder geknickt werden, denn sie reagieren sehr empfindlich auf mechanische Veränderungen. Wäre nämlich nur einer undicht, bedeutete das Ausschuss, und zwar für das ganze Panel, doch das kommt zum Glück nur ganz selten vor.

Wenn die Stringer eingelegt sind, wird das Tool angehoben, und das Panel von der ersten Station kann mit einem Flurförderfahrzeug daruntergefahren werden. Über Referenzpunkte geschieht das äußerst passgenau; Abweichungen sind nur im Millimeterbereich zugelassen. Ein gewisses Aufmaß muss auch noch berücksichtigt werden, weil alle Teile im Autoklaven schrumpfen. „Das haben wir theoretisch ermittelt und in der Praxis verifiziert“, sagt Kai Schulte. „Zu guter Letzt wandern die Stringer beim Backen. Auch das muss bereits beim Setzen der Teile berücksichtigt werden.“

Nach einem fünf Stunden dauernden Dichtigkeitstest für die Omega-Schläuche wird nun der Vakuumaufbau realisiert, wieder mit einer strapazierfähigen Folie, die anfangs noch sehr wellig aussieht, sich im Vakuum jedoch lückenlos an das Bauteil anpasst. Die bereits ausgehärteten Stringer werden also praktisch noch einmal gebacken, „aber nachdem sie den Prozess einmal durchgemacht haben, sind sie ausgehärtet und somit unempfindlich für die hohen Temperaturen“, sagt Kai Schulte.

Wenn die Panels ausgehärtet sind, sollen aus ihnen Schalen werden, und dafür ist Michael May zuständig: „Nachdem das Teil entformt wurde, ist es noch relativ weich. Mit Hilfe von Vakuumgreifern gelangt es zuerst auf eine Ultraschallanlage zur Prüfung. Porosität, Delaminationen, die Klebung – alles muss tipptopp sein. Um ein Ablaufen des Wassers zu gewährleisten, das für die Funktion des Ultraschall-Prüfkopfes gebraucht wird, ist anschließend eine Drehung der Schale erforderlich.“

Ist alles in Ordnung, werden die Türöffnungen ausgefräst und die Panels mit Lasertrackern exakt vermessen. Jetzt werden Positionen für Halteelemente angezeichnet und die Panels noch einmal
visuell begutachtet. Schließlich wird mit Dichtungsmasse die galvanische Entkopplung zwischen Aluminium- und Kohlefaser-Bauteilen hergestellt. Dem folgt das Auftragen eines Speziallacks, des sogenannten Glossy Primer. Mit Hilfe dieser hochglänzenden Schicht können mechanische Beschädigungen, wie Beulen oder Kratzer, schnell entdeckt werden.

Jetzt wird das Panel an die Montage übergeben, wo es über den vorher eingepassten Türrahmen und Spanten präzise abgelegt wird. „Bei der 900er Serie der A350 bestehen die Rahmen noch aus Titan, während sie ab der 1000er ebenfalls aus CFK gefertigt werden“, sagt Michael May. An den vorgezeichneten Stellen werden Clips angeklebt, später gebohrt und geheftet, doch ist das alles viel komplizierter, als man es hier beschreiben kann, denn man muss nicht nur auf Passgenauigkeit achten, sondern beim gleichzeitigen Bohren von Metall- und CFK-Material in einem Arbeitsgang und mit dem gleichen Werkzeug viele Besonderheiten berücksichtigen. Für die Montage zweier Schalen braucht man insgesamt 30 267 Bohrungen.

Die hier arbeitenden Fachkräfte müssen sich ständig auf Änderungen der Zeichnungen einlassen, die sich aus den Erfahrungen des Flugbetriebs ergeben. Sie lernen also nie aus, und das gilt auch für die Ingenieure – ein Traum! Zu guter Letzt werden die bisher gehefteten Teile mittels einer automatischen Hautfeldnietanlage vernietet – oder besser „verbolzt“, denn in diesen Schalen stecken keine Standardniete. Nach letzten Prüfungen sind sie bereit für die Auslieferung, mit dem Prädikat „Quality made by Premium AEROTEC!“

Interview mit dem Programmleiter Joachim Nägele

Joachim Nägele ist für die Programme und den Vetrieb bei Premium AEROTEC verantwortlich. Foto und Copyright: Premium AEROTEC

Haben Sie die neue Technologie bereits voll im Griff?

Diese Frage kann ich eindeutig mit Ja beantworten. Wir testen zwar weiter das System und haben den Gipfel der Lernkurve noch nicht erreicht, sind aber bei den meisten Anlagen bereits voll einsatzbereit. Bei der Fertigung der ersten Teile gab es erstaunlich wenige Probleme.

Wie erklären Sie das?

Wir hatten natürlich einen hohen Anteil an rechnerischer und simula­torischer Vorbereitung, aber auch an praktischer Erfahrung. Unser Lehrgeld haben wir bereits viel früher gezahlt, als wir meinten, wir könnten mit günstigen Werkzeugen Topqualität erzielen. Bei einem früheren Programm mussten wir deshalb billige Werkzeuge durch qualitativ hoch­wertige ersetzen. Diese Fehler haben wir bei der A350 von Anfang an vermieden.

Wie ist die Qualitätskontrolle organisiert?

Wir haben mit einem sehr hohen Prozentsatz klassischer Qualitätskontrolle begonnen, also mit klassischen Prüfern, diese aber sukzessive an die Fertigung abgegeben. Mehr und mehr sind nun die Kollegen nicht nur Hersteller, sondern auch Prüfer und tragen damit eine sehr große Verantwortung für ihr Produkt.

Gibt es eigentlich noch Audits vom Hauptauftraggeber?

Anfangs gab es sehr viele, weil der OEM natürlich wissen wollte, ob wir überhaupt in der Lage sind, die Aufgaben zu erfüllen. Wir waren also ein scharf überwachter Zulieferer, aber mit den Jahren wird das immer weniger. Mittlerweile verkehren wir miteinander auf sehr kollegialer, vertrauens­voller Ebene.

Kommen Sie mit Ihren Arbeitskräften aus oder müssen Sie noch zusätzliche einstellen?

Wir bilden nach wie vor selbst aus und geben den Facharbeitern in der Regel eine Übernahmegarantie. Deswegen stellen wir keine neuen Mitarbeiter ein, sondern ziehen uns diese selbst heran. Das hat aber auch andere Auswirkungen: Auch wenn wir hier vorwiegend mit CFK-Material arbeiten, gilt der jüngst erzielte Tarifabschluss für die Metallindustrie auch für uns, und wir müssen die höheren Löhne praktisch mit Qualitätssteigerungen und Kostensenkungen amortisieren.

FLUG REVUE Ausgabe 05/2015

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