Der größte Bläser, die höchste Schubkraft, das stärkste Getriebe: Bei den Triebwerks- giganten liefern sich GE Aviation und Rolls-Royce einen erbitterten Wettstreit.
Das größte Triebwerk der Welt muss momentan noch am Boden bleiben. Das GE9X des amerikanischen Herstellers GE Aviation – Fandurchmesser 3,4 Meter – plagen erneut technische Probleme, die den Erstflug von Boeings überarbeitetem Zweistrahler 777X um Monate verzögern. Ursprünglich für März 2019 geplant, kann er nun erst im nächsten Jahr stattfinden. Bis dahin will GE die bei einem Lebensdauertest entdeckten Schwächen in den Leitschaufeln der zweiten Stufe des Hochdruckverdichters ausmerzen. Im vergangenen Jahr hatte es bereits ein Designproblem gegeben, das die Hebelarme der variablen Leitschaufeln des elfstufigen Hochdruckverdichters betraf.
General Electric bleibt Nummer 1
Die Probleme und Verzögerungen sind zwar ärgerlich, aber bei Triebwerksprogrammen nicht ungewöhnlich. GEs unangefochtene Rolle als Branchenprimus im Segment der Widebody-Antriebe (der Marktanteil 2018 wird von Branchenkennern auf 51 Prozent geschätzt) gefährden sie dabei keineswegs. Der Erfolg gründet zu großen Teilen auf der Turbofan-Baureihe CF6. 1971 gingen die ersten CF6-6 an der McDonnell Douglas DC-10 in Dienst, die jüngste Ausführung, CF6-80E1, treibt bis heute als eine von drei Optionen den Airbus A330-200 und -300 an. Zusammengenommen haben die Triebwerke dieser Familie nach Angaben von GE mehr als 430 Millionen Flugstunden auf dem Buckel.
GE Aviation CF6-80E1: Der Grundentwurf stammt aus den 1960er-Jahren, doch die neueste Ausführung hat einen größeren Fan und ein höheres Druckverhältnis.
Dick im Geschäft
Das CF6 bekam dabei immer auch Konkurrenz durch Antriebe von Pratt & Whitney, dem zweiten US-Hersteller, sowie aus Großbritannien durch Rolls-Royce zu spüren. Im Gegensatz dazu konnte sich GE bei den aktuellen Boeing-777-Varianten (-200LR, -300ER und 777F) mit dem GE90-115B – dem aktuell schubstärksten Turbofan der Welt – als alleiniger Triebwerkslieferant durchsetzen. Auch die überarbeiteten Boeing-Großraumjets 747-8 (GEnx-2B) und 777X (GE9X) werden ausschließlich von GE angetrieben. Solche Sole-Source-Deals bringen nicht nur höhere Triebwerkspreise, sondern sorgen auch für ein gutes Geschäft mit der Wartung, Reparatur und Überholung.
Rolls-Royce will aufholen
Während Pratt & Whitney sich derzeit vor allem auf seinen Getriebefan für Standardrumpfflugzeuge konzentriert und zumindest offiziell kein neues Großtriebwerk entwickelt, arbeitet Rolls-Royce daran, den Abstand zu GE im Widebody-Markt zu verkürzen. Nach eigenen Angaben haben die Briten aktuell 36 Prozent Marktanteil, der bis Anfang des nächsten Jahrzehnts auf 50 Prozent ausgebaut werden soll. Dazu beitragen sollen die beiden Sole-Source-Antriebe Trent XWB (Airbus A350 XWB) und Trent 7000 (A330neo).
Auch die Briten haben Probleme
Allerdings blickt das britische Traditionsunternehmen auf ein katastrophales Geschäftsjahr 2018 zurück, das wohl noch eine Weile nachwirken wird. Wegen Schwierigkeiten beim Produktionshochlauf konnte Rolls-Royce nicht die geplante Zahl an Trent 7000 an Airbus liefern. Noch schlimmer: Qualitätsprobleme mit dem Trent 1000 sorgen dafür, dass immer noch zahlreiche Boeing 787 am Boden bleiben müssen. Das kostet den Triebwerkshersteller nicht nur Vertrauen, sondern auch mindestens 650 Millionen Pfund.
Trent 1000 bereitet Sorgen
Bereits seit 2016 kämpft Rolls-Royce mit vorzeitiger Korrosion der Schaufeln in der Mittel- und Hochdruckturbine sowie mit Rissen in den Laufschaufeln des Mitteldruckverdichters des Trent 1000. Zunächst betraf das nur die Variante Package B, dann Package C und schließlich auch die neuesten Trent 1000-TEN. Die Ingenieure überarbeiten die betroffenen Teile. Die ersten redesignten Verdichterschaufeln für die Package-C-Variante wurden im Dezember 2018 von der FAA und der EASA, der US- und der europäischen Luftfahrtbehörde, zugelassen. Doch bis alle betroffenen Triebwerke modifiziert oder ausgetauscht sind, wird es noch einige Monate dauern.
Rolls-Royce Trent XWB-97: Für die A350-1000 wurden die Leistungen des Trent noch einmal um 50 Kilonewton angehoben.
UltraFan als Hoffnungsträger
Positiver in die Zukunft blickt Rolls-Royce mit seiner Neuentwicklung UltraFan. Er soll ein Viertel weniger Treibstoff verbrauchen als die ersten Trent-Triebwerke. Wie bei der PW1000G-Triebwerksfamilie von Pratt & Whitney sitzt ein Getriebe zwischen Niederdruckturbine und Bläser. Der UltraFan von Rolls-Royce soll frühestens 2025 verfügbar sein. Noch gibt es kein Flugzeug, an dem er zum Einsatz kommen könnte. Rolls-Royce hatte Ende Februar bekannt gegeben, nicht am Wettbewerb um Boeings mögliches New Midsize Airplane (NMA) teilzunehmen. Laut einem Medienbericht sollen Rolls-Royce und Airbus jedoch bereits an Plänen für eine A350neo arbeiten.
Technologie aus Deutschland
Wichtige Bauteile wie das UltraFan-Planetengetriebe – es ist für die Übertragung von 100000 PS ausgelegt – werden bei Rolls-Royce Deutschland in Dahlewitz entwickelt und untersucht. Im englischen Derby finden derweil Tests weiterer Schlüsseltechnologien statt, beispielsweise von Fanschaufeln und Bläsergehäuse aus leichten Kohlefaserverbundwerkstoffen und einer Brennkammer zur Magerverbrennung mit niedrigeren Emissionen. Aber auch neue, im Vergleich zu den üblichen Metalllegierungen leichtere Materialien wie keramische Faserverbundstoffe (CMC, Ceramic Matrix Composite) sollen die thermische Effizienz steigern, indem sie höhere Temperaturen ermöglichen.
Neue Werkstoffe und 3D-Druck
In Sachen CMC ist die Konkurrenz auf der anderen Seite des Atlantiks schon etwas weiter und sammelt bereits Erfahrungen im Serieneinsatz. GE Aviation hat nach eigenen Angaben in den vergangenen 30 Jahren rund 1,5 Milliarden US-Dollar in die Materialentwicklung und Produktionsprozesse investiert.
Pratt & Whitney PW4000: Varianten des in den 1980er Jahren entwickelten PW4000 fliegen an diversen Airbus- und Boeing-Mustern.
Einspritzdüsen aus dem Drucker
Schon das LEAP-Triebwerk, das GE zusammen mit Safran Aircraft Engines verantwortet, beinhaltet CMC. Im GE9X soll der Anteil noch einmal erhöht werden. Die Brennkammerverkleidung sowie Teile der Hochdruckturbine (u. a. Leitschaufeln der ersten und zweiten Stufe, das Deckband der ersten Stufe) sollen aus dem vielversprechenden Material bestehen. Potenzial, unter anderem zur Gewichtseinsparung, sehen GE Aviation und Rolls-Royce auch in der additiven Fertigung metallischer Bauteile. Auch hier ist GE schon einige Schritte weiter: Die Einspritzdüsen des LEAP werden schon 3D-gedruckt, und die Turbinenschaufeln des GE9X könnten es in Zukunft ebenso sein.
Konkurrenz aus Russland und Fernost?
Der transatlantische Wettstreit um Widebody-Triebwerke zieht sich übrigens bis nach China: Für den geplanten russisch-chinesischen Großraumjet CR929 sind noch das GEnx von GE Aviation und das Trent 7000 von Rolls-Royce im Rennen. Die Vereinigte Triebwerksbaugesellschaft (ODK) aus Russland und das chinesische Staatsunternehmen AECC Commercial Aircraft Engine erhoffen sich ebenfalls noch Chancen. Die beiden Hersteller kooperieren bei der Entwicklung des PD-35 (FR 10/2018), das gegen Ende des nächsten Jahrzehnts auf den Markt kommen soll.
Rolls-Royce wird eine ausrangierte Boeing 747-400 der australischen Qantas zum fliegenden Teststand umbauen.
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