Messerschmitt Bf 110
Der Alleskönner aus Augsburg

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Die Messerschmitt Bf 110 flog im Mai 1936 zum ersten Mal. Kaum jemand ahnte damals, dass die schlanke Zweimot bis 1945 eines der wichtigsten Flugzeuge der Luftwaffe bleiben würde. Doch sie bewährte sich in vielen Rollen. Wirklichen Ersatz gab es nicht.

Der Alleskönner aus Augsburg
Foto: KL-Dokumentation

Augsburg-Haunstetten, 12. Mai 1936: Testpilot Dr. Hermann Wurster rollt auf dem Werksflugplatz der Bayerischen Flugzeugwerke mit einem brandneuen Flugzeug an den Start. Die Bf 110 V1 (D-AHOA), konzipiert als zweimotoriger Zerstörer, kommt zum ersten Mal in die Luft. Das Flugzeug unterscheidet sich äußerlich noch an einigen Stellen von den späteren Serienversionen: Die doppelten Seitenleitwerke sind relativ eckig geformt, die Rumpfnase ist stumpfer, und als Antrieb dienen noch zwei Jumo 210 mit Zweiblattpropellern.

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Zum Zeitpunkt ihres Erstflugs ist noch nicht ausgemacht, dass die Bf 110 als Sieger aus dem Wettbewerb um ein als Zerstörer bezeichnetes neues Kampfflugzeug hervorgehen wird. Als stark bewaffneter Langstreckenjäger soll es die Bomberverbände schützen. Hermann Göring, der Reichsminister für Luftfahrt, favorisierte schon seit 1934 diese Idee. Fachleute standen ihr eher skeptisch gegenüber. Würde ein solch relativ großes Flugzeug im Luftkampf gegenüber wendigeren, leichten Abfangjägern bestehen können?

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Diese Aufnahme dürfte eine der sieben Bf 110 A-0 zeigen, erkennbar an den voluminösen Motorgondeln für den zunächst verwendeten Junkers Jumo 210. Foto und Copyright: KL-Dokumentation

Sieger im Zerstörer-Wettstreit

Schließlich wurden Focke-Wulf, Henschel und Messerschmitt ins Rennen um das neue Kampfflugzeug geschickt. Focke-Wulf entwickelte die Fw 57, das erste Ganzmetallflugzeug der Bremer. Mit 25 Metern Spannweite größer noch als der Bomber He 111 und mit fast sieben Tonnen Leermasse geriet sie viel zu schwer. Nach dem Erstflug im Juni 1936 stellte sich heraus, dass auch die Flugeigenschaften nicht befriedigten. Bald danach wurde die Entwicklung der Fw 57 eingestellt. Auch Henschels Hs 124, die ebenfalls im Sommer 1936 erstmals in die Luft kam, konnte nicht überzeugen. Damit war nun klar, dass die Bf 110 der Hoffnungsträger für den neuen schweren Jäger sein würde.

Die Bf 110 ist ein Messerschmitt-typischer Leichtbau. Projektleiter Robert Lusser und sein Team griffen dabei auf Leichtbaumethoden zurück, die sich bereits bei der Bf 109 bewährt hatten. Der Rumpf mit ovalem Querschnitt ist prinzipiell ähnlich aufgebaut wie der des Jägers. Er ist aus zwei senkrecht zusammengefügten Halbschalen gebaut. Die vorgeformten Beplankungssegmente wurden auf ein Gerüst von Längsstringern und Ringspanten genietet. Der zweiteilige, einholmige Flügel leitet seine Kräfte über Anschlüsse am Hauptholm und an der Flügelnase in den Rumpf ein. Wie die Bf 109 besitzt auch die Bf 110 automatisch ausfahrende Vorflügel, um die Langsamflugeigenschaften zu verbessern. Sie reichen, wie auch die Querruder, über rund 40 Prozent der Spannweite. Innen liegen Schlitzklappen, die auch kurze, steile Anflüge ermöglichen sollen. Die Motoren sind zwischen Längsträgern aufgehängt, die sich am Hauptholm abstützen. Zugunsten hoher Wirksamkeit verwendet die Bf 110 doppelte Endscheiben-Seitenleitwerke, die von den Luftschrauben angestrahlt werden. Die Hauptfahrwerke fahren nach hinten in die Motorgondeln ein. Das Spornrad ist bei den meisten Versionen nicht einziehbar. Pilot und Beobachter sitzen im gepanzerten Tandemcockpit hintereinander. Zwischen den beiden Abteilungen ist ein Teil der Bewaffnung unter dem Rumpf montiert. Der Bordschütze verfügt noch über ein nach hinten gerichtetes MG auf einer drehbaren Lafette. Weitere starre MGs oder Bordkanonen befinden sich unter einer Abdeckung in der Rumpfnase. Unter Rumpf und Flügel befinden sich Bombenaufhängungen oder auch Anschlusspunkte für abwerfbare Zusatztanks.

Messerschmitts Bf 110 blieb bis zum Kriegsende unverzichtbar. Es gab keinen leistungsfähigeren Nachfolger für das vielseitig einsetzbare Muster. Foto und Copyright: KL-Dokumentation


Erste Serie mit Junkers-Motor

Mit dem schon im Juli 1936 erteilten Auftrag zum Bau einer Nullserie im Rücken trieb BFW die Entwicklung der Bf 110 voran. Am 24. Oktober flog erstmals die V2 (D-AQYE), genau zwei Monate später, am Weichnachtstag 1936, kam die V3 (D-ATII) in die Luft. Sie wurde bereits von einem Daimler-Benz DB 600 angetrieben. Bei den Tests in Augsburg und später auch in Rechlin befriedigten allerdings die Flugeigenschaften der Bf 110 zunächst nicht. Ausbrechtendenzen bei Start und Landung wurden kritisiert, konnten aber nach Fahrwerksänderungen gemildert werden. Noch lange nicht ausreichend war die Höchstgeschwindigkeit. Ein zentraler Punkt war die geringe Verfügbarkeit leistungsstarker und dabei zuverlässiger Motoren zu diesem Zeitpunkt. Der DB 600 machte Probleme, seine Einspritzvariante, der DB 601, war noch nicht einsatzbereit.

Für die sieben Flugzeuge der A-0-Serie griff Messerschmitt deshalb noch einmal auf den Junkers Jumo 210 zurück, mit dem die Bf 110 knapp 400 km/h erreichte. Zu wenig, um die angepeilten Aufgaben zu erfüllen. Mitte April 1938 ging die B-Serie an den Start. Da der DB 601 noch immer nicht verfügbar war, wurde der leistungsgesteigerte Jumo 210 G-1 mit 730 PS Leistung verwendet. Damit erreichte die Bf 110 bereits 480 km/h, bei einer angegebenen Reichweite von 1200 bis 1400 Kilometern. Äußerlich unterschieden sich die Flugzeuge der B-Serie vor allem durch ihre aerodynamisch günstigere, spitzere Rumpfnase. Außerdem waren sie mit zwei 20-mm-Kanonen vom Typ MG FF und vier MG 17 bewaffnet.

Mehr Leistung, mehr Topspeed

Ab Ende 1939 stand endlich der DB 601A mit 1175 PS Leistung zur Verfügung. Mit dem neuen Motor kam die Bf 110 nun im Horizontalflug auf 530 km/h. Das Leistungsplus wurde jedoch mit einem höheren Treibstoffverbrauch erkauft. Die Reichweite sank damit auf 800 Kilometer.

Die mit dem DB 601A motorisierte C-Serie war die erste in sehr großer Stückzahl produzierte Version der Bf 110. Insgesamt wurden 860 Flugzeuge in sechs Varianten gefertigt. Neben dem stärkeren Motor zeigte die C-Version auch aerodynamische Verbesserungen. Die Flügelrandbögen waren eckiger, die Spannweite um 60 Zentimeter reduziert und die Kühler nun flach unter dem Flügel positioniert. Bei Kriegsausbruch konnte die Luftwaffe 95 Bf 110 B und C in ihren Zerstörerverbänden einsetzen. Die verschiedenen Varianten der C-Serie unterschieden sich vor allem in ihrer Bewaffnung. Mit der C-5 gab es 1940 eine erste Aufklärerversion mit einer Reihenbildkamera Rb 50/30, die im Raum zwischen den beiden Besatzungsmitgliedern eingebaut war. Als letzte Variante der C-Serie entstand die C-7, die als Jagdbomber diente und an zwei ETC 500 bis zu 1000 kg Bombenlast aufnehmen konnte.

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Im Luftkampf unterlegen

Mit der D-Version, die ab März 1940 teilweise parallel zur Bf 110 C gebaut wurde sollte deren Reichweitendefizit wieder ausgleichen. Versuche mit einem "Dackelbauch" genannten 1050 Liter fassenden Zusatztank unter dem Rumpf erwiesen sich als nicht besonders erfolgreich. Dennoch flossen Aufnahmen für den Tank zunächst einmal in die Serie ein. Erfolgreicher war die als Langstreckenjagdbomber ausgelegte D-2, die an zwei ETC-Trägern unter dem Rumpf 2000 Kilogramm Bombenlast aufnehmen und unter den Flügeln zwei Zusatztanks mit jeweils 300 Litern Inhalt mitführen konnte.

In kurzer Folge entwickelte Messerschmitt immer neue Versionen und Bewaffnungsvarianten der Bf 110, um den vielfältigen, immer neuen Forderungen der Luftwaffe gerecht zu werden. Manche, wie zum Beispiel der Aufklärer D-4, wurden nur in kleinen Stückzahlen geliefert. Mit der E-Version, von der 660 Exemplare produziert wurden, hielt teilweise der hochverdichtete DB 601N mit 1275 PS Leistung in die Serie Einzug.
Doch trotz aller Mühen: Schon im Spätsommer 1940 bestätigten sich während der Luftschlacht um England schon früher mancherorts geäußerte Befürchtungen. Im Luftkampf mit Spitfire und Hurricane hatte die Bf 110 schlechte Karten. Für Luftkämpfe mit den leichteren Jägern war sie weder schnell noch wendig genug. Die Verluste sprachen eine deutliche Sprache. Abhilfe sollte die neue Me 210 bringen. Deshalb plante das Reichsluftfahrtministerium (RLM), die Produktion der Bf 110 zum Herbst 1941 auslaufen zu lassen. Doch nachdem sich die Me 210 als Fehlschlag erwies, wurde die Fertigung der Bf 110 wieder hochgefahren.

Mit der Bf 110 F-2 kam im Dezember 1941 die neue, auf 1350 PS leistungsgesteigerte F-Version des DB 601 zum Einbau. Einen deutlicheren Leistungssprung versprachen sich die Ingenieure aber von der Verwendung des DB 605B (1475 PS), der für die G-Baureihe vorgesehen war. Von Juli bis Dezember 1942 wurden sechs Vorserienflugzeuge, die bei Gotha gebaut worden waren, zunächst in Augsburg und dann in Rechlin erprobt. Das Leistungsplus mit dem neuen Motor war nicht so groß wie erhofft, doch mangels besserer Alternativen lief im Januar mit der G-2 die Serienfertigung an. Ihre Bewaffnung bestand wie üblich aus vier starren MG 17 in der Rumpfnase. Hinter dem Piloten wurden nun allerdings meist zwei MG 151 eingebaut. Das bewegliche MG 15 des Bordschützen wurde durch ein feuerstärkeres Zwillings-MG 81Z ersetzt. Für ihre Rolle als Jagdbomber und Zerstörer konnte die G-2 1200 Kilogramm Bomben und außerdem zwei 300-Liter-Zusatztanks unter den Außenflügeln aufnehmen. Eine Version als schwerer Jäger flog mit der Bezeichnung G-2/R2.

Mit der C-Version begann die Massenproduktion der Bf 110. Foto und Copyright: KL-Dokumentation

Nachtjagdvarianten der Bf 110

Die G-Baureihe war die letzte, die zunächst noch für Einsätze bei Tag vorgesehen war. Mehr und mehr waren Bf 110 schon seit dem Sommer 1942 für Nachtjagdeinsätze verwendet worden. Zunächst handelte es sich lediglich um mit Auspuff-Flammendämpfern nachgerüstete Bf 110 C, D und E. Erst ab dem Frühjahr 1942 wurden verschiedene Bf 110 mit dem Telefunken-Radar FuG 202 Lichtenstein BC nachgerüstet. Mit der G-4/R3 erhielten Anfang 1944 die Nachtjagdverbände die erste reine Nachtjägervariante der Bf 110. Ihr neues FuG 220b Lichtenstein SN2 konnte Flugzeuge in bis zu 4000 Metern Entfernung und in einem Winkel von 120 Grad horizontal und in einem Winkel von 100 Grad vertikal erfassen. Gegen Kriegsende wurde die Funkmessanlage noch um ein passives FuG 227/1 erweitert. Mit dem "Hirschgeweih" der Antennenanlagen wuchs der schädliche Widerstand der Bf 110 erheblich. Trotz einiger aerodynamischer Verfeinerungen der Antennen gab es erhebliche Einbußen bei der Geschwindigkeit. Auch litt die Flugstabilität um die Hochachse. Größere Seitenleitwerke sollten dies kompensieren.

Eine besondere Nachtjagdvariante war noch die G-4/R8 mit zwei nach schräg oben feuernden MG FF/M im hinteren Cockpit. Die so genannte "schräge Musik" war schon ab Juli 1943 bei der II./NJG 5 erfolgreich erprobt worden. In Parchim wurde deshalb eine ganze Reihe Bf 110 entsprechend ausgerüstet. Ihre Anpassungsfähigkeit an viele Rollen – vom Zerstörer über Jäger, Jagdbomber, Nachtjäger bis hin zum Aufklärer – war die eigentliche Stärke der Bf 110. Ersatz für sie boten weder die Me 210 noch die Me 410. Deshalb wurden erst im Februar 1945 die letzten 17 Exemplare montiert. Neben Messerschmitt in Augsburg (ehemals BFW) fertigten auch Focke-Wulf in Bremen, die Gothaer Waggonfabrik und die MIAG in Braunschweig (ab 1941 Luther & Jordan) die Bf 110. Die Gesamtzahl aller Bf 110 lässt sich nicht mehr exakt ermitteln. Offenbar wurden 6043 Werknummern vergeben. Die Listen der Bauaufsicht, BAL, führen 5930 Flugzeuge. Andere Statistiken ergeben 6031 Bf 110. Danach war mit 3268 Exemplaren die G-Serie die meistgebaute Version.

Technische Daten

Messerschmitt Bf 110 G-4/R3

Verwendung: Nachtjäger
Besatzung: 2
Motor: DB 605B-1
Startleistung: 1475 PS/1084 kW
Dauerleistung: 1255 PS/922 kW
Länge: 13,05 m
Höhe: 4,18 m
Spannweite: 16,28 m
Flügelfläche: 38,4 m2
Leermasse: 5094 kg
Kraftstoff: 1270 l plus Zusatztanks
max. Startmasse: 9370 kg
Höchstgeschwindigkeit: 550 km/h in 6980 m
Gipfelhöhe: 11000 m
Reichweite: 880 km
Bewaffnung: 2 x MG 151/20 im Bug, 2 x MG 151/20 im Rumpf, 1 x MG 81Z auf beweglicher Lafette

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