Tornado-Nachfolger: Beschaffungsprozess mit Streitgarantie

Tornado-Nachfolge
:
Beschaffungsprozess mit Streitgarantie

© Luftwaffe - Ingo Tesche 16 Bilder

Die Luftwaffe will ihre Tornados durch neue Eurofighter sowie Boeing F/A-18F und EA-18G ersetzen. Der Beschaffungsprozess steht aber erst am Anfang, und weiterer politischer Streit ist programmiert.

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Insgesamt 357 Tornado-Mehrzweckkampfflugzeuge hat die Bundeswehr (Luftwaffe und Marine) zu Zeiten des Kalten Kriegs erhalten, doch nach nun über 40 Jahren Dienstzeit "gibt es immer wieder technische und finanzielle Risiken in der Instandhaltung und dem Weiterbetrieb. Das Obsoleszenzmanagement ist damit enorm aufwendig und kostenintensiv. Die entsprechenden Risiken und Wirtschaftlichkeitserwägungen sprechen daher gegen einen Weiterbetrieb über 2030 hinaus", so das Verteidigungsministerium.

© Bundeswehr - Johannes Heyn

Die Bundeswehr fliegt derzeit noch 85 Tornados.

Suche nach einem Nachfolger

Deshalb läuft bereits seit mehreren Jahren die Suche nach einem Nachfolger – ein besonders schwieriges Unterfangen, denn es müssen noch mehr widerstreitende Anforderungen als bei Kampfflugzeugkäufen ohnehin unter einen Hut gebracht werden.

  • Die Luftwaffe will nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte endlich wieder ein Flugzeug, das pünktlich geliefert wird und von Beginn an funktioniert
  • Die deutsche Rüstungsindustrie will – unterstützt von den Gewerkschaften –, dass angesichts der momentanen schweren Krise im Zivilluftfahrtbereich Arbeit und spezielles Know-how im Lande bleiben, auch als Basis für die Entwicklung des Future Combat Air System (FCAS)
  • Die Franzosen als FCAS-Partner wollen, dass kein US-System gekauft wird, insbesondere nicht die F-35 Lightning II als Kampfjet der fünften Generation, wie sie vom vorherigen Luftwaffeninspekteur, Generalleutnant Karl Müllner, favorisiert wurde
  • Die Amerikaner, welche die deutschen Verteidigungsausgaben in Bezug auf das NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als deutlich zu gering erachten, wollen, dass ein US-System gekauft wird

Anfangs vier Kandidaten

Es allen recht zu machen, ist somit eine Kunst, die keine Verteidigungsministerin beherrscht – egal ob sie Ursula von der Leyen oder Annegret Kramp-Karrenbauer heißt. Erstere startete im Oktober 2017 mit Informationsanfragen zu den Mustern Boeing F-15 und F/A-18, Lockheed Martin F-35 und Eurofighter die Untersuchungen formal und brachte sie am 31. Januar 2019 immerhin bis zu einem "Richtungsentscheid": Nur noch der Eurofighter und die F/A-18 blieben als "Lösungsoptionen" im Rennen. Als wesentliche Kriterien wurden dabei explizit die "Harmonisierung zum binationalen Zukunftsprojekt Next Generation Weapon System/Future Combat Air System" mit Frankreich sowie "der bruchfreie Fähigkeitserhalt einschließlich der Sonderrolle nukleare Teilhabe" genannt.

Mischkalkulation

Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer hat nun mit mehreren Monaten Verzug am 22. April ihren Beschaffungsvorschlag offiziell dem Verteidigungsausschuss des Bundestags präsentiert. Das Ministerium setzt auf eine "Mischkalkulation". Einerseits soll in die "Fähigkeitsentwicklung der deutschen, aber auch europäischen Rüstungsindustrie" investiert werden, um "eigenes technisches und industrielles Know-how zu erhalten und zu fördern." Andererseits sollen US-Kampfjets gekauft werden, die bereits fertig entwickelt und am Rüstungsmarkt verfügbar sind. Erste Gespräche mit der US-Administration wurden bereits geführt. Auch die Partnernationen Frankreich und Großbritannien wurden in die Planungen einbezogen, so das Verteidigungsministerium.

Konkret geplant ist die Beschaffung von:

30 Boeing F/A-18F Super Hornet des künftigen Standards Block III, auf den die US Navy ihre Flugzeuge aufrüsten lässt. Die Maschinen sind vor allem als Träger für die auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel gelagerten etwa 20 Atombomben des Typs B61 vorgesehen. Durch diese "nukleare Teilhabe" hat Deutschland im NATO-Rahmen ein Mitspracherecht bei möglichen Einsatzplanungen im Konfliktfall. Deshalb hält die Regierung (Verteidigungs- und SPD-geführtes Außenministerium) entgegen aller immer wieder aufbrandenden Kritik strikt daran fest.

© US Navy

Die US Navy wird die Super Hornet neben der F-35 noch sehr lange betreiben.

Militärisch lässt sich über die Sinnhaftigkeit von Freifall-Nuklearbomben trefflich streiten, doch die USA sind gerade dabei, für sechs Milliarden Dollar (5,5 Mrd. Euro) die neue B61-12-Variante zu entwickeln. Die Super Hornet muss dafür noch als Träger zertifiziert werden, was jedoch nach allgemeiner Einschätzung deutlich schneller gehen und billiger sein dürfte, als den Eurofighter anzupassen (was technisch natürlich möglich wäre, wenn man den Amerikanern die notwendigen, recht umfassenden Einblicke in die Flugzeugsysteme gewähren würde).

15 Boeing EA-18G Growler für den "luftgestützten elektronischen Kampf" – eine Fähigkeit, deren Bereitstellung Deutschland der NATO zugesagt hat. Der Growler kommt dabei die Rolle des Begleitstörers (Escort Jammer) zu, sie kann aber wie der Tornado auch Luftabwehrstellungen mit Lenkwaffen (HARM) bekämpfen. In den USA läuft gerade die teure Entwicklung neuer Störbehälter (Next Generation Jammer Low Band von Raytheon) für die EA-18G; auch eine neue, weitreichende Lenkwaffe gegen Radarstellungen (AARGM-ER = Advanced Anti-Radiation Guided Missile-Extended Range) ist in Arbeit.

© US Navy

Für die elektronische Kampfführung sind 15 Boeing EA-18G Growler vorgesehen.

Die Growler wäre ein Element des Vorhabens LuWeS (Luftgestützte Wirkung im elektromagnetischen Spektrum). Zu diesem zählen konzeptionell auch ein Abstandsstörer (Stand-off Jammer), zum Beispiel auf Basis eines Geschäftsreisejets, und Täuschflugkörper, die von Kampfjets im Zielgebiet gestartet würden. Das Unternehmen MBDA schlägt diesbezüglich eine EloKa-Variante von Spear (Spear-EW) vor.

40 Eurofighter, die den Tornado in der Rolle als Jagdbomber ablösen. Wie deren "erweiterte Fähigkeiten" genau aussehen, ist öffentlich bisher nicht bekannt. Es gibt aber sicher einiges an Entwicklungsarbeit zu leisten, denn bisher können die Eurofighter der Luftwaffe neben Luft-Luft-Lenkwaffen (Iris-T, AIM-120 AMRAAM und Meteor) gerade einmal GBU-48-Bomben verwenden. Die Integration von GBU-54 (Laser Guided JDAM) und Dual Mode Brimstone ist geplant, doch dazu müssten auf jeden Fall auch die Abstandsflugkörper Taurus des Tornados kommen.

© Luftwaffe - Ingo Tesche

Verbesserte Eurofighter sollen die Jagdbomberrolle vom Tornado übernehmen.

15 Eurofighter als Option, die für den elektronischen Kampf ausgerüstet werden. Deren Entwicklung steht allerdings noch ganz am Anfang. Erst im vergangenen November stellte der Hersteller seinen sogenannten Eurofighter ECR erstmals öffentlich vor. Beworben werden auf Basis eines Doppelsitzers mit "multifunktionalem Panoramic-Touch-Display und einem Missionscockpit für den hinteren Sitz" drei Außenlastkonfigurationen. Electronic Attack mit zwei Störbehältern und sechs Spear-EW, Electronic Attack mit zwei Störbehältern und zwei Anti-Radar-Lenkwaffen sowie Suppression of Enemy Air Defence/Destruction of Enemy Air Defence (SEAD/DEAD) mit sechs Spear und zwei HARM, aber ohne Störbehälter.

Eurofighter ersetzt Eurofighter

Mit der ECR-Entwicklung sollen laut Airbus "diese Fähigkeit im Rahmen nationaler Souveränität" abgebildet und "militärische Schlüsseltechnologie in Deutschland" gesichert werden. Beteiligt am Konzept sind insbesondere MBDA und Hensoldt. Der Elektronikspezialist aus Ulm ist für das modulare elektronische Kampfsystem unter dem Namen "Kalaetron Attack" zuständig. Es verwendet voll digitalisierte Hardware und künstliche Intelligenz, um "radargesteuerte Bedrohungen … in Rekordzeit zu erkennen und mit zielgerichteten elektronischen Gegenmaßnahmen unwirksam zu machen". Laut Airbus wäre bei zügiger Beauftragung eine nicht näher spezifizierte "Erstbefähigung des Eurofighter ECR für das Jahr 2026 zu erwarten".

AESA-Radar und Luft-Boden-Bewaffnung

Während die bisher genannten Stückzahlen speziell für den Ersatz der noch 85 Tornados in Jagel und Büchel gedacht sind (erstmals seit 30 Jahren keine Reduzierung, freut sich die Luftwaffe), geht es bei der geplanten Beschaffung von bis zu 38 weiteren Eurofightern (darunter sieben Doppelsitzer) um den Ersatz von 33 Maschinen der Tranche 1. Letztere entsprechen einem Standard, der eine Aufrüstung mit AESA-Radar und Luft-Boden-Bewaffnung extrem teuer macht. Während Länder wie Großbritannien und Spanien ihre Tranche-1-Eurofighter für die Luft-Luft-Rolle leicht anpassen und weiter nutzen, soll die Luftwaffe im Projekt "Quadriga" neu gebaute Flugzeuge der Tranche 4 inklusive des für eine Milliarde Euro entwickelten Captor-E-Radars erhalten.

© Airbus, Andreas Zeitler

Eurofighter-Endmontage in Manching.

Endmontagelinie in Manching steht still

Nachdem am 17. Dezember 2019 der letzte von 148 bestellten Eurofightern an die Luftwaffe ausgeliefert wurde, steht die Endmontagelinie in Manching still und Airbus musste das Personal in andere Bereiche umsetzen. "Entscheidend für die Kontinuität der Ingenieurleistungen und Lieferketten in Deutschland ist die zeitnahe Beauftragung der EF-Anteile (an den Beschaffungsplänen) noch in dieser Legislaturperiode",fordert der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). "Das umfasst einerseits die Beschaffung neuer Eurofighter der Tranche 4 im Rahmen des Quadriga-Programms sowie die Definition des Leistungsumfangs des vom Verteidigungsministerium in Aussicht gestellten Langzeitentwicklungsprogramms (LTE = Long Term Evolution) für eine Tranche 5 des Eurofighters."

Lieferung frühestens in 40 Monaten

Die "nachhaltige" Sicherung von Arbeitsplätzen und Know-how in Entwicklung und Fertigung sei "ein gerade in diesen Zeiten sinnvolles Investment", betonte Michael Schreyögg, BDLI-Vizepräsident Verteidigung und Sicherheit, am 28. April. Falls ein Vertrag für die 38 Flugzeuge noch 2020 zustände käme, könnten die Lieferungen etwa im Frühjahr 2024 (40 Monate nach Bestellung) beginnen.

Am Anfang einer noch Jahre dauernden Beschaffung

Dieser Zeitrahmen gilt wie gesagt nur für die "Quadriga"-Eurofighter. Für den Tornado-Ersatz gelten andere Zeitlinien. Die "Detailplanungen" sollen "dem Parlament in der nächsten Legislaturperiode vorgestellt werden – also frühestens 2022, voraussichtlich eher 2023. ... In Kenntnis der feststehenden, auch parlamentarischen, Prozesse stehen wir erst am Anfang einer noch Jahre dauernden Beschaffung", so das Verteidigungsministerium am 22. April. Viel Zeit also noch für politische Diskussionen um die "nukleare Teilhabe" und die Milliardenkosten, zu denen öffentlich noch überhaupt nichts Konkretes gesagt wurde. Die Luftwaffe muss weiter die Daumen drücken für "eine robuste Eurofighter-Flotte plus Growler als einzigartige Fähigkeit in Europa – mit FCAS als Projekt der Zukunft".

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