Transall-Abschied in Hohn: Mach's gut, Legende!

Transall-Abschied in Hohn
:
Mach's gut, Legende!

© Patrick Zwerger 37 Bilder

53 Jahre prägte die Transall C-160 das Gesicht der Luftwaffe im In- und Ausland mit. Nun gehen die "Engel der Lüfte" in Pension. Zum Abschied bleibt kaum ein Auge trocken – und das liegt nicht nur am Regen, der auf dem Fliegerhorst Hohn waagerecht ins Gesicht peitscht.

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Kein Halten mehr. Alle Schleusen offen: Als am Nachmittag des 23. September 2021 die letzten sechs Transalls des Lufttransportgeschwaders 63 am Fliegerhorst Hohn vereint von der Runway zurück zu ihrer Parkposition rollen, kann auch der Himmel seine Tränen nicht länger zurückhalten. Mit einem eindrücklich massiven Regenguss – nicht dem ersten, der an diesem Tag über Hohn herniedergeht – zeigt der Wettergott, was er persönlich vom Ende der legendären "Brummel" bei der Bundeswehr hält. Denn hier und heute findet die Geschichte der Transall C-160 in Deutschland ihren offiziellen Schlusspunkt. Die "Engel der Lüfte" treten ab – nach mehr als 53 Jahren Dienstzeit. Mit ihnen verliert die Bundeswehr auch ein weiteres Geschwader: Das LTG 63 wird aufgelöst, so wie vier Jahre zuvor schon das LTG 61 in Landsberg am Lech. Viele Geschichten enden hier. Und der Wettergott ist mit seinen Tränen nicht allein.

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Regen, Tyne-Sound, Gänsehaut: Das Einrollen der sechs letzten Transalls von Hohn ist ein ganz besonderer Moment.

Mehr als ein Flugzeug

An die 2.000 Menschen haben sich an diesem 23. September am und um den Fliegerhorst Hohn versammelt. Manche als geladene, andere als zahlende Gäste. Wieder andere schauen von draußen über den Zaun. Sie alle wollen einen letzten Blick auf die Transall werfen, möchten dabei sein, wenn die fliegende Legende von der Bühne tritt. Den Kloß im Hals unter dem nassen Hemd werden am Nachmittag die meisten spüren. Denn es ist hier kein Geheimnis: Die Transall ist weit mehr als nur ein Flugzeug. Sie ist aus der Geschichte der Bundeswehr nicht wegzudenken, hat Schicksale mitbestimmt, Biographien geprägt. Generationen von Soldaten sind mit ihr durch dick und dünn gegangen, waren mit ihr im Kampfeinsatz, halfen Hungernden in aller Welt, sind aus ihr abgesprungen, ließen sich beschießen. Jedes Kind kennt ihre Silhouette, kennt das unverkennbar tiefe Brummen ihrer beiden Rolls-Royce-Tyne-Triebwerke, das selbst kilometerweit entfernt die Menschen aus den Häusern treibt und in den Himmel starren lässt – in freudiger Erwartung, am Horizont das Antlitz einer Transall auszumachen.

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Die Transall flog erstmals 1963. Seit April 1968 stand sie bei der Luftwaffe im Dienst - und damit länger als jedes andere Luftfahrzeug bisher.

Echte Handarbeit

Ja, keiner brummelt so schön wie die "Brummelbiene". Und kaum ein Militärflugzeug hat sich auch außerhalb seiner Sphären, unter den Zivilisten, einen so hohen Beliebtheitsgrad erworben. Wer einmal näher mit ihr zu tun hatte, liebt sie sowieso. Auf die Transall war stets Verlass, ob im Steilanflug auf Sarajewo, beim Hilfseinsatz in Afrika oder in den heißen Höhen des Hindukusch, die den unverwüstlichen Transporter an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit brachten. Im Cockpit der Transall wird noch geschwitzt und gekurbelt. Hier ist Fliegen noch echte Handarbeit: Seilzüge statt Fly-by-wire, Uhrenladen statt Glascockpit, Mechanik statt Computer. Ein Bordingenieur wacht während des Fluges über die Maschine – so wie in den alten Tagen, als Drei- und Mehrmann-Cockpits noch Standard waren. Ein stilles Zeugnis, dass die Transall schon seit Jahren mehr Vergangenheit erlebt als Zukunft vor sich hatte. Dass das Ende nahte, war lange klar. Schmerzen tut es dennoch.

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Vergangenheit und Zukunft

Zum offiziellen "Fly Out" am 23. September lassen es sich deshalb auch viele fliegende Gäste nicht nehmen, der Transall und dem LTG 63 "Adieu" zu sagen. Das Wetter und technische Probleme führen zwar am Tag der Tage zu manch kurzfristiger Absage. Mit zwei Eurofightern, zwei Tornados, einer A319 und einem Cougar von der Flugbereitschaft, einem Super Lynx der Marine und einer CH-53 ist das Flugfeld dennoch gut gefüllt. Auch der Inspekteur der Luftwaffe Ingo Gerhartz gibt sich die Ehre. Ein Airbus A400M aus Wunstorf schaut ebenfalls vorbei – das Nachfolgemuster darf auf dem Abschiedsball der "Trall" nicht fehlen. Selbiges trifft auch auf eine besonders alte Dame zu: Die weltweit einzige noch fliegende Nord Noratlas hat aus Marseille den Weg in den hohen deutschen Norden auf sich genommen. Einst ließ sich die "Nora" bei der Luftwaffe von der Transall ablösen, nun erweist sie, mehr als 50 Jahre später, ihrer Erbin bei deren Zapfenstreich die letzte Ehre.

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Die Vorgängerin der Transall, die letzte noch flugfähige Noratlas der Welt, konnte wegen der tiefhängenden Wolken zwar nicht fliegen, absolvierte aber immerhin einen kleinen "Spaziergang" über den Taxiway.

Sturm, Regen, bange Fragen

Der Himmel ist in Wallung. Den ganzen Tag über marschieren die tiefgrauen Wolken im Eilschritt über den Fliegerhorst hinweg. Bis kurz vor Mittag bleibt es trocken, dann ergießen sich die ersten Schauer über Hohn. Am Boden werden eilig die Regencapes übergezogen, doch der Wind drückt die Tropfen durch jede Ritze. Macht nichts, die Bratwurst schmeckt trotzdem. Nur eine bange Frage steht im Raum: Das LTG 63 hat tagelang für das Fly Out trainiert – und möchte der historischen Kulisse am Nachmittag mit einem gemeinsamen Überflug der letzten sechs aktiven Transalls die Krone aufsetzen. Wird das bei Sturmböen um die 80 km/h überhaupt möglich sein?

Um kurz nach 14 Uhr beginnt der Showdown: In sechs weißen Bundeswehr-Vans werden die Flight Crews der Transalls zeitgleich zu ihren Maschinen gefahren, die vis-à-vis zu den hinter Absperrband wartenden Flugzeugfans parken. Mit militärischem Gruß melden die Techniker alle sechs Flugzeuge einsatzklar. Die Besatzungen klettern in die Cockpits, fahren die Stromversorgung hoch, lassen die Motoren an – perfekt synchron, erst den rechten, dann den linken. Als alle zwölf Triebwerke laufen, die Propeller aus der Segel- in die Startstellung gebracht sind, ist die Gänsehaut endgültig bei allen unter den Rock gekrochen. In symphonischem Einklang, ohrenbetäubend, unwiderstehlich, schreien die sechs Fast-Rentnerinnen mit ihren Tyne-Turboprops gegen den nahenden Abschied an. Die Luft vibriert, bis in die Zehenspitzen kribbelt es, als das Sextett mit einem Mal aus der Parkposition rollt, nach rechts abdreht und schließlich im Pulk auf der Runway Aufstellung nimmt. In schneller Folge jagt kurz darauf eine Transall nach der anderen gischtspritzend über die regennasse Startbahn, schwingt sich energisch empor, erklimmt den grauen Himmel. Dann wird es still.

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Aufgereiht wie Perlen auf der Schnur machen sich die sechs Transalls am Nachmittag auf den Weg zu ihrem historischen, letzten Überflug in Formation.

Es ist vollbracht

Eine gefühlte Ewigkeit passiert gar nichts. Die Transalls sind in den Wolken verschwunden. Dann tauchen sie plötzlich wieder auf: sechs kleine Punkte, schwarz auf Grau, die sich, quer zur Startbahn, von Süden her nähern, rasch größer werden und mit sattem Brummen über den Fliegerhorst hinwegziehen – mitten über den großen Wartungshangar, in dem Geschwaderangehörige und Ehrengäste gerade ihre Feierstunde zelebrieren. Stolz blicken sie den Fliegern hinterher: Der Überflug in Formation ist tatsächlich geglückt. Es bleibt der einzige, doch der hat Symbolkraft: einmal mehr haben Flugzeuge und Besatzungen des LTG 63 den Umständen getrotzt und ihre Mission erfüllt.

Aufgereiht wie eine Entenfamilie rollen die sechs Transalls, im strömenden Regen, nach ihrer Landung zum Parkplatz zurück. Zuschauer reißen die Arme hoch, schließen die Augen, das Gesicht gen Himmel, dem Wolkenbruch entgegen. Andere filmen bis zur letzten Sekunde mit ihren tropfenden Smartphones, wollen den Schlussakkord um jeden Preis auf Video verewigt sehen.

Ein letztes Mal brüllen die zwölf Tynes ihre Wut in den Äther. Dann werden sie plötzlich leiser, die Propellerscheiben verwandeln sich zurück in einzelne Blätter, die sich langsamer und langsamer drehen – bis sie schließlich ganz erstarren. Das war's. Es ist vollbracht. Nur der Regen prasselt beständig weiter auf die Jacken – um nicht ganz eine Stunde später doch noch kurz der Sonne Platz zu machen. Zum ersten Mal an diesem Tag.

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