Die NASA ist dringend auf neue Raumkapseln angewiesen, um ihre Astronauten ins All zu schicken. Die Entwicklung von Orion, CST-100 Starliner und Crew Dragon ist jedoch alles andere als im Zeitplan. Ob die beiden privaten Kapseln noch dieses Jahr zu ihren bemannten Erstflügenstarten können, steht in den Sternen.
Donnernd erhebt sich die Raketenstufe in die Luft. Die Erde erzittert, während sie sich langsam gen Himmel bewegt. Noch stellt dieses Szenario den Beginn eines Startabbruchtests dar. Demnächst sollen jedoch wieder Astronauten vonnordamerikanischem Boden zur ISS und zum Mond abheben, plant man bei der NASA.
Wege aus der Russland-Abhängigkeit
Als Startsystem sollen wieder amerikanische Raketen und Raumkapseln zum Einsatz kommen. Man möchte weg von den Russen, nicht wie seit 2011 auf Starts mit der Sojus angewiesen sein. Im Unterschied zu den früheren Space-Shuttle-Missionen kommen jedoch nicht ausschließlich Systeme der US-Raumfahrtbehörde NASA zum Einsatz, sondern erstmals auch Kapseln von privaten Firmen wie Boeing und SpaceX.
Der StarLiner von Boeing wurde für Landungen auf festem Grund entwickelt - trotzdem gehören Notwasserungen zum Erprobungsprogramm.
Pleiten, Pech und Pannen
Zurzeit läuft die Entwicklung jedoch alles andere als rund: Pleiten, Pech und Pannen gehören bei der Entwicklung neuer Systeme dazu, gefährden in diesem Fall jedoch den Zeitplan der NASA für ihre bemannten Flüge. Die Behörde ist auf eine pünktliche Fertigstellung der Kapseln angewiesen, da die Optionen zur Mitbenutzung der Sojus-Kapseln auslaufen. Im Mai dieses Jahres wurden Verträge für zwei zusätzliche Flüge Ende 2019 und Anfang 2020 vereinbart. Im schlimmsten Fall könnte die NASA danach vorübergehend keine eigenen Astronauten mehr zur ISS bringen. Der Plan sah vor, die beiden privaten Raumkapseln aus heimischer Entwicklung im Verlauf des Sommmers erstmals bemannt zu erproben und im laufenden Jahr durch die Zulassungsprozesse zu bringen. Doch nun ist die Hälfte des Jahres vorbei, und die verschiedenen Versuche ziehen sich länger hinals ursprünglich geplant. Ob vor diesem Hintergrunddiebemannten Testflüge überhaupt noch 2019 abheben können, wird von Experten mittlerweile als fraglich angesehen.
Die von der NASA entwickelte Orion flog unbemannt bereits am 5. Dezember 2014 zum ersten Mal. Die Kapsel soll nach Plänen der NASA langfristig für Flüge zu Mond und Mars zum Einsatz kommen.
NASA Orion – wichtige Tests bestanden
Dennoch gehen die Arbeiten auf dem Weg zur Zulassung der drei Raumkapseln voran: Orion, von der NASA entwickelt, absolvierte am 2. Juli erfolgreich einen Test des Startabbruchsystems in etwa zehn Kilometern Höhe. Im Falle einer Fehlfunktion während des Starts soll dieses System das sogenannte Crew Module mit bis zu vier Astronauten an Bord schnell von der Rakete wegbringen. Der Test gilt als „critical safety test“, der als Teil der Zulassung zu absolvieren ist. Wie wichtig die einwandfreie Funktion eines Notfallsystems ist, wurde im letzten Oktober deutlich, als eine Fehlfunktion der russischen Sojus-Rakete zum Startabbruch und zur Notlandung der zwei Astronauten in der Sojus-MS10-Kapsel führte.
Orion hat schon viele Tests bestanden - dazu zählten auch Testläufe der Triebwerke am Boden.
Seit Beginn des Jahres hat Orion weitere Prozeduren erfolgreich abgeschlossen. Dazu zählen unter anderem ein Probelauf der Triebwerke für das Startabbruchsystem im März und vergangenen Winter. Diese sollen das Crewmodul stabilisieren und für die Notlandung entsprechend ausrichten. Die Landung der Kapsel im Wasser kann ebenfalls vorab simuliert werden. So soll ein ebenfalls im März getestetes System aus fünf Airbags die Kapsel bei einer Wasserung kopfunter wieder in eine aufrechte Position bringen. Letzte Akustiktests des Europäischen Servicemoduls ESM liefen im Mai.
Bei ihrem ersten Testflug umkreiste Orion zweimal die Erde.
Boeing Starliner – Erstflug im September?
Neben der NASA entwickelt auch der US-Flugzeugbauer Boeing im Rahmen des von der NASA ausgeschriebenen kommerziellen Crew-Programms mit der CST-100 Starliner (Crew Space Transportation) eine eigene Raumkapsel. Ende Juni fanden zwei unterschiedliche Fallschirmtests in Zusammenarbeit mit der NASA statt, um Daten über die Sicherheit des Systems zu gewinnen und die Zertifizierung der Fallschirme abzuschließen. Dazu gehört auch ein simuliertes Versagen einzelner Komponenten. Im Unterschied zu den Kapseln der NASA und von SpaceX soll der Starliner auf festem Grund landen, abgefedert durch Airbags.
Auch der StarLiner von Boeing ist noch nicht für bemannte Starts gewappnet - der Erstflug musste mehrfach verschoben werden. Im September soll es aber endlich soweit sein.
Mit dem Abschluss einer Serie von Umwelt-Qualifikationstests im April ist das Team der Zulassung und damit dem ersten Flug ein Stück nähergekommen. Dabei wurden sowohl Akustik- als auch Temperaturtests durchgeführt, um die Startbedingungen und die Strahlungswärme im Weltall zu simulieren. Auch auf potenzielle elektromagnetische Interferenz wurde das System untersucht. Parallel dazu wurde die Struktur der Kapsel an einem speziell dafür gefertigten Modell auf Herz und Nieren getestet. Am 23. Mai konnte Boeing die Bodentests des Startabbruchsystems abschließen, bei dem im Juni 2018 noch Probleme aufgetreten waren.
Die wiederverwendbare Starliner-Kapsel kann bis zu sieben Passagiere in einen niedrigen Orbit bringen - oder vier Astronauten zur ISS.
Der erste unbemannte Testflug auf einer Altas-5-Rakete von United Launch Alliance ist nach NASA-Angaben zurzeit für September geplant. Die Rakete befindet sich bereits seit 2018 in Cape Canaveral. Am 5. Juni traf die zweite Atlas 5 ein, bestimmt für den nachfolgenden ersten bemannten Flug.
Akkustik- und Vibrationstests gehörten ebenfalls zum Erprobungsprogramm der CST-100. Diese Tests hat die Raumkapsel inzwischen gemeistert.
SpaceX Crew Dragon: Kapsel zerstört
Der Zeitplan von SpaceX wurde am 20. April gehörig durcheinandergewirbelt, als die im März beim ersten unbemannten Crew-Dragon-Testflug benutzte Kapsel bei Triebwerktests am Boden zerstört wurde. Diese SuperDraco genannten Antriebe sind Teil des Startabbruchsystems. Vorangegangene Tests hätten ohne Zwischenfälle geklappt, sagte die NASA Ende Mai. Von einem bemannten Flug im Juli, wie vor der Explosion geplant, ist nach dem von der NASA als Anomalie bezeichneten Vorfall nun keine Rede mehr.
Der Crew Dragon von SpaceX absolvierte bereits 2015 einen Startabbruchtest ohne Probleme.
Seit dem 15. Juli ist klar, dass eine chemische Reaktion an einem Titan-Rückschlagventil für die Zerstörung der Kapsel eine Zehntelsekunde vor Triebwerkszündung verantwortlich war, berichtet SpaceX. Der Oxidator Distickstofftetroxid (NTO) sei durch eine undichte Komponente in ein mit Helium gefülltes Rohr gelangt und mit hoher Geschwindigkeit auf das Rückschlagventil getroffen, nachdem das System vor der Zündung mit Druck beaufschlagt wurde. Das Ventil habe sich vermutlich aufgrund des hohen Drucks und daraus resultierender hoher Temperaturen entzündet, wie sich im Verlauf der Untersuchung zeigte. Die Triebwerke selbst seien intakt gefunden worden, führt SpaceX aus. Die chemische Reaktion zwischen Titan und NTO erfolgte dabei unerwartet, bislang galt der Einsatz als unproblematisch, heißt es. Anstelle des Ventils plant SpaceX zukünftig Berstscheiben zu verwenden, welche jedoch nach jedem Einsatz ersetzt werden müssen. Ein aktueller Startabbruchtest im Flug, wie der von Orion, steht folglich noch aus. Dafür sollte eigentlich die zerstörte Kapsel verwendet werden, nun ist der Einsatz der ursprünglich für den bemannten Flug vorgesehenen Kapsel geplant. Auch ein weiterer Zwischenfall im April trägt nicht dazu bei, den Zeitplan zu entspannen: Ein Fallschirmtest lief nicht wie geplant ab, sodass die verwendete Kapsel beim Aufschlag auf den Boden nach Angaben der gut informierten Nachrichtenseite „SpaceNews“ Schaden nahm. Ähnliche Tests waren demnach zuvor auch beim Boeing Starliner nicht nach Plan verlaufen.
Der erste unbemannte Testflug des Crew Dragon fand am 2. März 2019 statt. Die Kapsel wurde jedoch bei einem missglückten Test im April zerstört.
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