Entgegen aller Unkenrufe wollen China und Russland nun wohl doch an ihrem gemeinsamen Widebody-Projekt CR929 festhalten. Die Arbeiten an dem Langstreckenjet laufen weiter, doch der Zeitplan dehnt sich wie Kaugummi: Vor 2030 wird es nichts mit einem Jungfernflug
Eigentlich wollten Russen und Chinesen mit der CRAIC CR929 den Platzhirschen Boeing und Airbus Konkurrenz machen. Die Projektpartner, Comac aus China und die United Aircraft Corporation aus Russland, verstanden ihren geplanten Langstrecken-Zweistrahler von Beginn an als Gegenstück zu den modernen Verbundwerkstoffjets A350 und 787. Daran hat sich nichts geändert – doch wenn die CR929 irgendwann tatsächlich zum Erstflug abhebt, werden ihre westlichen Rivalen bereits anderthalb, bzw. zwei Jahrzehnte Dienstzeit hinter sich haben. Was im Umkehrschluss dann heißen könnte, dass die CR929 bei ihrem Erscheinen technisch bereits wieder von gestern ist.
Im Windkanal testeten russische Ingenieure bereits vor Jahren das geplante Design der CR929.
Umsetzung "in der einen oder anderen Form"
Ob das so kommt, oder ob China und Russland ihren Entwurf doch stärker Richtung Zukunft ausrichten können, wird sich zeigen. Zumindest an der Tatsache, dass die CR929 eines Tages fliegen soll, wollen beide Partner allerdings festhalten. "Niemand hat unser gemeinsames Projekt mit China zur Entwicklung eines Großraumflugzeugs abgebrochen", unterstrich Denis Manturow, seit Juli 2022 Vize-Premierminister in Russland, jüngst in einem Interview mit der russischen Tageszeitung Moskowski Komsomolez. Noch Ende Juni hatten russische Politiker Spekulationen angeheizt, wonach Russland aus dem gemeinsamen Vorhaben aussteigen könnte. Die Dinge liefen "nicht in die richtige Richtung", erklärte etwa Manturows Amtsvorgänger Juri Borissow damals. Nun hat man sich mit den Chinesen aber offenbar arrangiert. Das Projekt CR929 werde "in der einen oder anderen Form umgesetzt", so Manturow weiter. "Wir tun jetzt alles dafür, dass die Tests bis 2030 beginnen."
So soll die Kabine der CR929 einmal aussehen. Ob der Jet wohl jemals abheben wird?
Projekt in Turbulenzen
Abgesehen davon, dass ein für 2030 angesetzter Jungfernflug bedeutet, dass das Programm inzwischen neun Jahre hinter seinem ursprünglichen Zeitplan liegt, stellt sich die Frage, was sich in den vergangenen Wochen und Monaten hinter den Kulissen beider Partner getan hat. Im Zuge der gegen Russland gerichteten Sanktionen hatte die russische Seite gefordert, die CR929 neu aufzustellen und bereits ausgewählte westliche Zulieferer gegen russische und chinesische Pendants zu tauschen.
China war diesem Standpunkt dem Vernehmen nach ablehnend gegenübergestanden, weil es fürchtete, dass die CR929 auf die Weise womöglich keine Zulassung westlicher Luftfahrtbehörden erhielte. Ob man in Peking diesen Standpunkt zwischenzeitlich überdacht hat, ist offiziell nicht bekannt. Die Verschiebung des Erstflugs auf 2030 würde aber zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das in Russland entwickelte Triebwerk PD-35 bis dahin verfügbar wäre – und eine ursprünglich angedachte CR929-Version mit Turbofans von Rolls-Royce damit tatsächlich vom Tisch ist.
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Unklare Lage
Auf einer Wirtschaftskonferenz in Shanghai äußerte sich der chinesische Chefkonstrukteur der CR929, Wu Guanghui, in der vergangenen Woche ebenfalls nicht konkret zu den im Raum stehenden Fragen. Er sprach lediglich davon, dass "der technische Gesamtplan des Flugzeugs" festgelegt worden sei, man die Lieferanten für Rumpf- und Leitwerkskomponenten ausgewählt habe und sich der Entwurf nun in der Vorkonstruktion befinde. Wu Guanghui führte ferner aus, dass die CR929 zu 51 Prozent aus Verbundwerkstoffen bestehen werde. An den Rahmendaten des Projekts – zwei Triebwerke, Platz für 280 Passagiere in Drei-Klassen-Auslegung und bis zu 12.000 Kilometer Reichweite – halten China und Russland weiter fest.
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