Immer mehr Flughäfen werden nicht vom lokalen Tower aus betreut, stattdessen sitzen die Lotsen hunderte Kilometer entfernt. Auch die Deutsche Flugsicherung (DFS) will künftig drei Regionalflughäfen aus der Ferne überwachen.
Towerlotsen haben Flugbewegungen auf Vorfeld, Start- und Landebahnen sowie im An- und Abflug durch große Panoramafenster immer im Blick. Der unmittelbare Sichtkontakt wird jedoch zunehmend durch Technik ersetzt, für den Flughafenkontrolldienst müssen Lotsen nicht einmal mehr direkt vor Ort sein. Remote Tower Control, die Fernüberwachung von Flughäfen per Kamera, ist einer der Trends der Air-Traffic-Management-Industrie – und auch die Deutsche Flugsicherung (DFS) plant die Kontrolle von Regionalflughäfen damit. Den Anfang soll der Flughafen Saarbrücken machen.
Bereits im Juni 2015 wurde Saarbrücken mit der Remote-Tower-Technologie „smartVISION“ ausgerüstet, die vom österreichischen Systemlieferanten Frequentis und Rheinmetall Defence Electronics entwickelt wurde. „Wir sind momentan in der Validierungsphase des Systems“, sagt DFS-Pressereferentin Nanda Geelvink. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Kamerasystem und dem Außensichtersatz. Erst wenn alle Anforderungen und Sicherheitsstandards erfüllt seien, soll der Regelbetrieb 2017 aufgenommen werden. Am rund 450 Kilometer entfernten Flughafen Leipzig entsteht in der DFS-Tower-Niederlassung bis dahin ein Remote Tower Center (RTC), von dem aus Lotsen den Betrieb in Saarbrücken überwachen werden.
Das System von Frequentis besteht aus einem Panoramakamera-Verbund mit Farbvideokameras und einer rotierenden 360°-Infrarotkamera für Schlechtwetter und Nachtsicht. „Das Besondere an diesen Kameras ist, dass sie mit speziellen Wetterschutzsystemen und Reinigungskonzepten ausgestattet sind“, erklärt Thomas Fränzl, Business Development Tower Automation Systems bei Frequentis. Über Schwenk-Neige-Zoomkameras können die Lotsen Bilder näher heranholen und den Blickwinkel verändern. Redundante visuelle Kameras und eine Infrarotkamera dienen der Überprüfung der Detailsicht. „Der Lotse hat damit ein nahtloses 180-Grad-Echtzeit-Panoramabild – visuell und Infrarot – vor sich, das auf zwei Reihen zu je drei hochauflösenden 4k-Monitoren dargestellt wird“, sagt Fränzl.
Die Benutzerschnittstelle vor dem Lotsen dient der Steuerung der Kameras, dort wird auch zur besseren Übersicht ein 360-Grad-Bild des Flughafens dargestellt. In den Arbeitsplatz können alle verfügbaren Air-Traffic-Control-Systeme wie Radar, Flugdaten, Meteorologie und Sprachkommunikation integriert werden. Wie bei einem Head-up-Display können wichtige Daten, beispielsweise die Lagedarstellung von Boden- und Luftfahrzeugen sowie Wetterinformationen, direkt am Panoramabild angezeigt werden – ein Vorteil gegenüber konventionellen Kontrolltürmen. In den vergangenen drei Jahren hat Frequentis bereits am Flughafen Dresden und in der Hinterstoisser Air Base im österreichischen Zeltweg Tests durchgeführt. Die dabei gewonnenen Erfahrungen führten unter anderem zu Verbesserungen bei Bedienkonzepten und Arbeitsplatzgestaltung.
Während in Saarbrücken noch getestet wird, ist in Schweden mit dem Örnsköldsvik Airport der weltweit erste fernüberwachte Flughafen bereits seit fast einem Jahr im Livebetrieb. Betreut wird er seit dem 21. April 2015 vom rund 160 Kilometer entfernten RTC in Sundsvall. Das schwedische Flugsicherungsunternehmen LFV setzt dabei auf Technologie von Saab. An einem Mast am Örnsköldsvik Airport befestigt, liefern 14 HD-Kameras und eine Schwenk-Neige-Zoomkamera einen Panoramaüberblick auf eine im Halbkreis angeordnete Monitorwand vor den Lotsen. „An größeren Flughäfen können separate rollenbasierte Kameraansichten für Luft- und Bodenverkehr eingesetzt werden“, erklärt Anders Carp, Leiter der Abteilung Traffic Management bei Saab.
Erik Bäckman, der das RTC Sundsvall leitet, ist zufrieden mit den Erfahrungen aus dem bisherigen Betrieb. „Das System ist zuverlässig und arbeitet perfekt. Wir können vom RTC aus den gleichen Service anbieten wie vom Stand-alone-Tower am Airport“, sagt er. Man sehe bei fernüberwachten Flughäfen auch keine Beschränkung, was die Anzahl der Flugbewegungen angehe. Demnächst wird das RTC Sundsvall zusätzlich zu Örnsköldsvik den lokalen Tower des Flughafens Sundsvall sowie von 2017 an den City Airport Linköping betreuen.
In Deutschland soll die Remote-Tower-Technologie nach dem Start des Regelbetriebs in Saarbrücken auch an den Flughäfen Erfurt und Dresden eingesetzt werden. Wann genau, darüber will die DFS noch keine Angaben machen. Eine zukünftige Ausweitung der Fernüberwachung auf die Flughäfen Bremen, Münster und Osnabrück sei denkbar. „Größere Flughäfen sind aber bisher nicht geplant“, sagt Nanda Geelvink.
Von der Einführung der auf Thermo-Infrarot-Kameratechnologie basierten RTC-Lösung verspricht sich die DFS nicht nur in Sachen Sicherheit einen Vorteil. „Langfristig sind mehr Effizienz bei der Erbringung von Flugplatzkon-trolldiensten und damit verbundene Kosteneinsparungen zu erwarten“, sagt Klaus-Dieter Scheuerle, Vorsitzender der DFS-Geschäftsführung. Stellen sollen durch die Einführung der neuen Technologie nicht abgebaut werden, heißt es bei der DFS. Lotsen werden aber künftig für mehr als einen Flughafen geschult und sind so flexibler einsetzbar. Das soll auch dazu beitragen, das Leistungsniveau besser zu erhalten. Gerade bei Lotsen an kleineren und mittelgroßen Flughäfen mit wenig Verkehrsbewegungen ist das nach Angaben der DFS oft eine Herausforderung.
Weitere Flughäfen, die Remote Twoer Control planen
Land | Flughafen | RTC | Hersteller |
Irland | Cork und Shannon | Dublin | Saab |
Norwegen | 15 noch nicht benannte Flughäfen | Bodø | Kongsberg Defense Systems |
Ungarn | Budapest International Airport | vor Ort | INDRA Navia AS, SeaRidge Technologies |
USA | Leesburg Executive Airport (Virginia) | vor Ort | Saab, Virginia SATSLab |
Australien | Alice Springs | Adelaide | Saab |
FLUG REVUE Ausgabe 03/2016
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