MTU-Chef Wagner: „Wir werden in Zukunft mehr Flugzeugklassen haben“

Deutscher Triebwerkshersteller
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MTU-Chef Wagner: „Wir werden in Zukunft mehr Flugzeugklassen haben“

© MTU Aero Engines

Lars Wagner ist seit Januar 2023 Vorstandsvorsitzender der MTU Aero Engines AG. Im Interview spricht der diplomierte Maschinenbauer, Luft- und Raumfahrtingenieur und Master of Business Administration über die aktuellen Probleme des Getriebefans und die Antriebe der Zukunft.

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Herr Wagner, woher kommt Ihre Faszination für Luftfahrt?

Schon als Kind saß ich zusammen mit meinem Vater in privaten Segel- und Motorflugzeugen. Ich habe eigentlich meine ganze Kindheit auf Sportflugplätzen verbracht. So entstand früh die Begeisterung für die Luftfahrt.

Sie sind seit mehr als einem Jahr Vorstandsvorsitzender der MTU. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?

Es war ein anspruchsvolles Jahr. Wir haben Anfang 2023 in der Prognose das erfolgreichste Jahr der MTU angekündigt und diese Prognose im Sommer noch einmal erhöht. Doch dann kam die Geschichte mit dem Pulvermetall und es begann eine sehr anstrengende Phase. Das war ein Spagat zwischen dem erfolgreichsten Jahr der Firmengeschichte nach bereinigten Zahlen, und dem ersten Minus nach 90 Jahren gemäß der berichteten Zahlen. Jetzt blicke ich nach vorne. Unsere Industrie schaut immer zehn, 15, 20 Jahre voraus. Der Getriebefan-Flottenmanagementplan läuft heute zufriedenstellend und wir werden den Prozess gemeinsam mit unserem Partner Pratt & Whitney weiter verbessern. Das Thema wird uns vor allem in den nächsten zwei, drei Jahren beschäftigen. Trotzdem arbeiten wir parallel weiter an neuen Technologien und deswegen blicke ich sehr beruhigt auf die nächste Dekade.

Zu diesen neuen Technologien gehört die fliegende Brennstoffzelle und ein weiterentwickelter Getriebefan mit Wasserdampfeinspritzung, das sogenannten WET-Konzept. Was ist vielversprechender?

Das ist kein direkter Wettkampf zwischen den beiden, denn diese Forschungsprojekte adressieren unterschiedliche Flugzeugklassen. Das Brot- und Buttergeschäft im Luftverkehr ist die Single-Aisle-Größenordnung, davon werden in den kommenden zwei Jahrzehnten zehntausende Flugzeuge verkauft werden. Von daher liegt der große Fokus auf der Weiterentwicklung der Gasturbine, der Befähigung für die WET-Technologie, aber auch für die Wasserstoffverbrennung. Eine fliegende Brennstoffzelle wird eher für kleinere Flugzeuge interessant sein. Wenn Sie mich nach der Klimawirkung fragen, ist es die Brennstoffzellen-Technologie, die uns näher in Richtung Emissionsfreiheit bringt.

Inwieweit kann denn der Getriebefan kurz- bis mittelfristig noch besser werden? Und was sind dabei die wichtigsten Hebel?

Über eine evolutionäre Verbesserung sind noch bis zu acht, neun, zehn Prozent möglich. Wir verändern das Nebenstromverhältnis, wir erhöhen die Drücke, wir verbessern den thermischen Kreisprozess, wir machen das Triebwerk leichter durch neue Materialien. Wir denken zusammen mit unserem Partner Pratt & Whitney auch über eine Hybridisierung nach.

Aktuell müssen Pratt & Whitney und die MTU aber erst einmal das Getriebefan-Inspektionsprogramm abarbeiten. Wie kann das Vertrauen bei den Airlines wiederhergestellt werden?

Das momentane Pulvermetallthema ist kein Designthema, sondern ein inzwischen gelöstes Fertigungsthema. Natürlich darf das in der Luftfahrt nicht passieren. Aber es ist nun mal passiert. An dieser Stelle nochmals in aller Deutlichkeit: Es bestand aus Sicht der Passagiere niemals ein Sicherheitsthema, es geht um eine Verkürzung der Wartungsintervalle für die Airlines. Bei der Abarbeitung dieser Shopvisits müssen wir jetzt Gas geben und die Durchlaufzeit weiter verkürzen. Ziel ist es, unter 100 Tage zu kommen.

Profitiert die MTU davon, dass nun A320 mit älteren Antrieben intensiver genutzt werden?

Es gibt mehrere Effekte, die nicht nur das V2500, sondern alle älteren Triebwerksgenerationen weiterhin in der Luft halten. Das ist nicht nur das Getriebefan-Thema, sondern auch der Umstand, dass die Auslieferung von neuen Flugzeugen nicht schnell genug gesteigert werden kann. Dazu kommt der ungemein große Bedarf an Passagierkilometern. Da kommen ältere Flugzeuge wieder ins Spiel. Für uns ist das in der Maintenance hoch profitabel, denn diese Triebwerksgeneration fliegt meistens noch unter sogenannten "Time and Material"-Verträgen.

Seit dem Beginn des Ukrainekriegs spielt auch die militärische Luftfahrt in der öffentlichen Diskussion eine größere Rolle. Merkt die MTU etwas von der zunehmenden Bedeutung?

Wir spüren, dass die MTU mit ihrem militärischen Programm wieder in der Mitte der Gesellschaft, in der Diskussion in der Politik angekommen ist. Gleichzeitig ist die Diskussion nach europäischer Souveränität heute auf der Tagesordnung. Mit Programmen wie FCAS, aber auch einem nächsten europäischen Hubschrauber, können wir einen großen Beitrag zur Wehrhaftigkeit Europas leisten. Nicht zu unterschätzen sind die Technologien, die aus solchen militärischen Großprogrammen kommen und in die zivile Gasturbine einfließen.

Könnten Sie Beispiele für solche Technologien nennen?

Blisks, sogenannte Blade Integrated Disks, bei denen Scheiben und Schaufeln aus einem Stück gefertigt werden. Diese haben wir für das Eurofighter-Triebwerk EJ200 entwickelt und zum ersten Mal eingebaut. Heute sind sie Standard im Hochdruck- und im Niederdruckverdichter des Geared Turbofan. Sie sind deutlich leichter als die herkömmlichen Modelle und halten höheren Temperaturen stand. Das ist ein etablierter Technologiekreislauf, über den Materialien und Verfahren immer wieder aus der militärischen Entwicklung in den zivilen Triebwerksbau einfließen.

Wenn Sie in der zivilen Luftfahrt in die Zukunft blicken – wie fliegen wir 2050?

Wir werden deutlich mehr Flugzeugklassen haben als heute. Angefangen mit sogenannten eVTOLs für kurze Distanzen mit zwei, vier, sechs Sitzen, die mit elektrischen Antrieben fliegen werden. Die Energiequelle wird sich noch zeigen. Wahrscheinlich werden sich Batterien weiterentwickeln, aber eben auch andere Optionen wie Wasserstoff-Brennstoffzellen. Bei den Regionalflugzeugen mit 20 bis 100 Sitzen sehe ich die Brennstoffzelle als die führende Technologie, weil sie emissionsfrei ist und alle Vorteile des Elektroantriebs bietet. Das Single-Aisle-Segment – mit 150 bis 300 Passagieren – wird noch von Gasturbinen angetrieben werden, aber mit deutlich anderen Kraftstoffen: künstlich hergestelltem Kerosin, also SAFs, aber auch Wasserstoff. Das wird davon abhängen, wie sich die Infrastruktur weiterentwickelt. Auch Interkontinentalflugzeuge werden mit Gasturbinen fliegen, die künstliche Kraftstoffe verbrennen.

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