Chaos-Sommer 2.0? Deutschlands Flughäfen rüsten sich

Flughäfen rüsten sich
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Droht Deutschlands Airports ein Chaos-Sommer 2.0?

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Nach den teilweise chaotischen Zuständen 2022 wollen die deutschen Verkehrsflughäfen die Abfertigung in diesem Sommer deutlich verbessern. Dabei spielen neue Zuständigkeiten bei den Sicherheitskontrollen eine wichtige Rolle.

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Die abgefertigte Passagierzahl an den deutschen Verkehrsflughäfen habe sich im Jahr 2022 mehr als verdoppelt, berichtete Jost Lammers, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) und Chef des Flughafens München, bei einer digitalen BDL-Pressekonferenz am 8. Februar. Besonders zwischen dem 1. und 2. Quartal 2022 habe es eine sprunghafte Zunahme gegeben. An den deutschen Verkehrsflughäfen habe die Zahl der Reisenden 2022 mit 164,7 Millionen Passagieren somit immerhin 66 Prozent des Niveaus vom Vor-Corona-Jahr 2019 erreicht. In der Luftfracht ging das Volumen der an deutschen Flughäfen verladenen Güter 2022 gegenüber dem Vorjahr um sieben Prozent auf 5,1 Millionen Tonnen leicht zurück. Damit endet die Ausnahmenachfrage während der Coronapandemie und Logistikkrise.

Langsame Erholung

Unter den Verkehrsflughäfen profitieren die großen Drehkreuze Frankfurt und München vom starken Wachstum des Europaverkehrs und den wieder zunehmenden Interkontinentalflügen. Hier ist das Aufkommen wieder auf 58 Prozent des Niveaus von 2019 gewachsen. Sehr viel langsamer erholt sich dagegen der sogenannte dezentrale Verkehr, also Kurz- und Mittelstrecken abseits der Drehkreuzzubringer. So hat die einst meist beflogene innerdeutsche Rennstrecke Köln–Berlin erst wieder 54 Prozent ihres Vor-Corona-Aufkommens erreicht. Die Gründe mögen vielfältig sein: Weniger Bonn–Berlin-Pendler, mehr Videokonferenzen, ein stärkeres Umweltbewusstsein bei Arbeitgebern und -nehmern, aber auch der aus Tegel vor die Stadtgrenze verlegte Flughafen BER, dessen Eisenbahnanbindung noch nicht die einst versprochene Schnelligkeit erreicht.

© Flughafen München

Die Verkehrssegmente im deutschen Luftverkehr erholen sich unterschiedlich schnell.

Standortnachteile

Deutschlandweit gab es 2022 vielerorts chaotische Abfertigungszustände, bei weniger Angebot und Wettbewerb unter den Airlines, was zu höheren Ticketpreisen führte. Der BDL hat aber auch staatlich verursachte Standortnachteile in Deutschland ausgemacht: So lägen die eigentlichen Abfertigungsentgelte an Europas Flughäfen zwar auf vergleichbarer Höhe, nicht aber die deutschen Sicherheitsgebühren ("im oberen Drittel"), Flugsicherungskosten ("top oben") und die Luftverkehrssteuer ("die höchste"). Diese Kosten verteuerten einen deutschen Flug im Vergleich zu einem Flug im restlichen Europa um jeweils etwa 3000 Euro, eine Ungleichbehandlung und hausgemachte Benachteiligung deutscher Standorte, mahnte der BDL. Wenn sich deutscher Luftverkehr wegen hoher Standortkosten einfach nur ins Ausland zu niedrigeren Standards und Kosten verlagere, sei auch einem etwaigen Umweltschutzanspruch nicht gedient, bemängelte der Verband. Die Airlines wanderten dorthin ab, wo sie anteilig mehr von ihren Einnahmen behalten dürften und höhere Gewinne machten.

Die Lehren von 2022

Die Kapazitätsprobleme im Sommer 2022 hatten zu einer weitreichenden Manöverkritik geführt, dabei rückten vor allem die Fluggast-Sicherheitskontrollen in den Blickpunkt, die vielerorts wegen zu geringer Kapazität zu stunden-, teilweise sogar nächtelangen Wartezeiten, verpassten Flügen, Kofferchaos und sogar tumultartigen Szenen geführt hatten.

"Ob die Kontrollen staatlich oder privat durchgeführt werden, ist eigentlich egal. Entscheidend ist, dass die Organisationsverantwortung vor Ort liegt", sagte BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow auf der gleichen Veranstaltung. Dabei klang durchaus Verständnis für die Kontrolleure an: Die Bundespolizei unterliege komplizierten Meldewegen, die von den Flughäfen zum Bundespolizeipräsidium nach Potsdam und zum Bundesinnenministerium führten. Beschaffungen liefen sogar über ein separates Beschaffungsamt, so dass die lange Reaktionszeit nachvollziehbar sei. Nach dem "Frankfurter Modell" habe Fraport seit diesem Jahr deshalb die praktische Organisation der Sicherheitskontrollen, die rechtlich weiterhin unter der Hoheit der Bundespolizei blieben, unter eigene Fittiche genommen.

Neue Technik

Wie zuvor vereinzelt schon in München gibt es nun auch in Frankfurt erste Computertomografen für die Handgepäckkontrollen. In diesen Spuren braucht man keine Flüssigkeiten mehr aus dem Handgepäck auszupacken. Die Geräte durchleuchten das Gepäck aus allen Richtungen. Die bekannten Flüssigkeitslimits und Handgepäckvorschriften bleiben aber unverändert für alle Passagiere bestehen, während die neue Technik an einzelnen Kontrollspuren schrittweise eingeführt wird.

© Fraport

Die neuste Kontrollspur in Frankfurt nutzt Computertomografen, um die Prozesse zu beschleunigen.

Personalmangel

Neben den Zuständigkeiten war auch die reine Personalmenge 2022 ein Problem. Mehr Personal kurzerhand aus dem Ausland auszuleihen, etwa angelernte Bodendienstmitarbeiter aus der Türkei, erwies sich aber, wie zu befürchten war, wegen der nötigen Sicherheitsüberprüfungen als zu langwierig, um noch rechtzeitig in den Sommerferien 2022 eine positive Kehrtwende bewirken zu können. Denn selbst wenn alle Seiten auf die Tube drücken, dauert eine Sicherheitsüberprüfung mehrere Wochen. Dafür schlug der BDL vor, die unter Mühen gewonnenen Saisonkräfte, es waren 50 bis 60 Helfer in München, aber auch einige in Nürnberg, anschließend länger beschäftigen zu dürfen. Die Verstärkungskräfte hätten sich bewährt, seien oft aktiv an einer Weiterarbeit interessiert, dürften aber nach den Sonderregeln nur sechs Monate bleiben. Da es in Deutschland weiterhin Bedarf gebe, sei eine gesetzliche Verlängerung der erlaubten Aufenthaltsdauer auf acht Monate mit Übernahmeoption geboten, schlägt der BDL vor. Damit blieben immer noch genug offene Stellen für deutsche Bewerber übrig.

Beobachtung Sommer 2023

Für den Sommerflugplan 2023 beobachtet der Branchenverband eine dreigeteilte deutsche Flughafenlandschaft:

1. Die großen Drehkreuze profitieren vom Wiederanstieg des Interkontinentalverkehrs, wo nun wieder erwachende Reiselust und Nachholbedarf auf Asiens Öffnung treffen. Außerdem hat das Aufkommen in absoluten Zahlen hier eine gesunde wirtschaftliche Größe erreicht.

2. Die mittelgroßen Flughäfen, wie zum Beispiel Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart oder Berlin, kämpfen noch am stärksten mit der für sie unzureichenden Erholung. Seit der Krise machen sich hier ein generell ausgedünnter Flugplan und der teilweise Rückzug von Niedrigpreisairlines aus Deutschland, darunter easyJet und Ryanair, besonders schmerzhaft bemerkbar, der die deutschen Airports viele Städteverbindungen kostete.

3. Dagegen profitierten Flughafenstandorte, die sich mit maßgeschneiderten Angeboten gezielt dem Niedrigpreissektor öffneten, von besonders hohen Zuwächsen.

© LL

Im innerdeutschen Flugverkehr ist die Nachfrage stark eingebrochen.

Die Hoffnung bleibt

Für den Sommer 2023 hofft der BDL gegenüber dem Vorjahr auf wieder deutlich angenehmere Zustände an den Airports. Bei der schnelleren Abfertigung sollen biometrisch erfasste Daten helfen, mit denen man die Passagiere zweifelsfrei am Gate identifizieren kann. Dazu laufen bereits Pilotprojekte an den Flughäfen Frankfurt, München und Hamburg, die, so der BDL, mittlerweile auch in die Digitalstrategie der Bundesregierung eingebunden worden seien. Generell seien Bundespolizei und Bundesinnenministerium zur weiteren Installation von CT-Scannern auch an anderen Standorten bereit. Deren Beschaffung sei aber teuer und langwierig und unter den gegebenen Rahmenbedingungen vor diesem Sommer nicht mehr umzusetzen. Außerdem bereite die Deutsche Flugsicherung neue Systeme zur Kapazitätssteigerung vor, was aber in der Umstellungsphase übergangsweise zunächst eine niedrigere Kapazität im Luftraum bewirken könne. Der BDL empfehle den Passagieren für den Sommer 2023, möglichst nicht mehr als ein Stück Handgepäck an die Sicherheitsschleusen mitzubringen und überzählige Stücke aufzugeben.

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