Noch immer ist die Antonow An-2 in Russlands entlegenen Regionen ein unverzichtbares Arbeitstier. Doch die alten Sternmotor-Doppeledecker sind längst nicht mehr zeitgemäß. Das soll sich aber ändern: schon bald könnten An-2 im großen Stil mit PT6-Turbinen fliegen.
Das PT6 von Pratt & Whitney Canada ist so etwas wie der Inbegriff der Propellerturbine. Mehr als 50.000 Exemplare des Turbopropantriebs für Flugzeuge und Hubschrauber verließen seit Anfang der 60er-Jahre die Endmontagelinie, und bis heute gilt das PT6 als "Goldstandard" in seiner Klasse. Eine russische Firma möchte den Evergreen aus Kanada daher nun verwenden, um einem Klassiker aus dem Osten neues Leben einzuhauchen: Nimbus Aerospace will mit dem PT6A die Antonow An-2 aufrüsten – und zwar im großen Stil, denn nach wie vor ist der robuste Doppeldecker mit seinem ASch-62-Neunzylinder in Russlands Provinzen ein alltäglicher Anblick. Mehr als 100 An-2 sollen in den kommenden Jahren auf PT6A umgebaut werden, schreibt Pratt & Whitney Canada. Außerdem sei angedacht, im kommenden Jahr eine neue, stark modernisierte Generation der An-2 an den Start zu bringen. Ihr Name: Legenda 550 und 570.
Die "Legenda 570" soll bald mit dem PT6A von Pratt & Whitney Canada in Serie gehen.
"Offroad-Vehikel" zum günstigen Preis
Einen Markt für den neu gestalteten Turboprop-Doppeldecker sehen die beiden Partner nicht nur in Russland, sondern auch im Nahen Osten sowie in Südostasien. Allerdings ist noch etwas nebulös, wer oder was hinter "Nimbus Aerospace" überhaupt steckt. Das Projekt Legenda 570 wurde bislang vom Unternehmen SibAerocraft aus Tomsk in Sibirien vorangetrieben. Der Name Nimbus Aerospace taucht in diesem Zusammenhang zum ersten Mal auf. Der von Pratt & Whitney Canada zitierte Nimbus-Manager Oleg Parfentyev trat vormals als Vorstandsmitglied des russischen Forschungsinstituts SibNIA in Erscheinung. SibAerocraft preist die Legenda derweil auf seiner Website als vielseitig verwendbares, fliegendes "Offroad-Vehikel" mit beeindruckender Leistungsfähigkeit – zu einem attraktiven Preis. Das "spartanische und solide Design" garantiere besonders günstige Betriebskosten. Die Reichweite der Legenda 570 soll bei 2.100 Kilometern liegen, die Höchstgeschwindigkeit gibt SibAerocraft mit 310 km/h an. Bis zu zwölf Passagiere, bzw. 1.700 Kilogramm Nutzlast sollen in der Einmot Platz finden – die laut SibAerocraft mit einer Startstrecke von nur 50 und einer Landestrecke von 80 Metern auskommt.
Das Projekt TWS-2DTS, ein Kohlefaser-Flugzeug im An-2-Design, wurde mangels Rohstoffversorgung eingestellt.
Die lange Reihe der An-2-Nachfolger
SibAerocraft – oder Nimbus Aerospace – ist mit dem Bestreben, einen Turboprop-Nachfolger für die An-2 zu bauen, nicht allein. Schon 1980 flog in der Ukraine die auf Turbine umgerüstete Antonow An-3, die sich allerdings nicht nachhaltig etablieren konnte. 2015 stellte das Forschungsinstitut SibNIA die TWS-2MS vor – eine An-2 mit TPE331-Propellerturbine von Honeywell. 22 Exemplare davon existieren gegenwärtig laut SibNIA in Russland. Unter anderem setzt die regionale Fluggesellschaft Aeroservice die TWS-2MS für Passagierflüge in der Baikal-Region ein. Eine "Partizan" genannte Variante der TWS-2MS mit Turbine und zusätzlich acht Elektromotoren sorgte im Sommer auf dem Aviasalon MAKS für Furore. SibNIA entwickelte mit der TWS-2DTS auch eine komplett aus Verbundwerkstoffen gebaute Turboprop-Einmot, die mit der An-2 nur noch die Silhouette gemeinsam hat. Das Projekt sollte eigentlich in Serie gehen, wurde allerdings 2019 gestrichen – weil ausreichender Nachschub mit Kohlefaser im Zuge geltender Sanktionen nicht gewährleistet war. Die russische Regierung konzentriert sich seither für die An-2-Nachfolge auf ein komplett neu entwickeltes Muster: den Schulterdecker LMS-901, auch bekannt als "Baikal-Flugzeug." Es soll 2022 erstmals fliegen.
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