Urlaub in Afghanistan: Meine Flugreise ins Land der Taliban

Urlaub in Afghanistan
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Meine Flugreise ins Land der Taliban

© Ralf Plechinger 26 Bilder

Das von jahrzehntelangem Krieg gezeichnete Afghanistan wird seit 2021 wieder von den Taliban regiert. Touristen sieht das Land nur wenige, erst recht nicht aus dem Westen. Unser Autor hat die Reise gewagt – und bereut seine Entscheidung nicht.

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Um kurz vor 2 Uhr in der Nacht beschleunigen die vier CFM56-5C-Triebwerke unseren Airbus A340-300 auf der Startbahn 36 in Istanbul. Wenige Momente später verschwindet Kam Air-Flug RQ 9012 in der Dunkelheit über dem Schwarzen Meer. Etwas mulmig ist mir schon, steht die Airline Kam Air doch auf der schwarzen Liste der EU. Aber schon kurz nach dem Steigflug beweist das Kabinenpersonal, dass Kam Air sicher schnell von der schwarzen Liste runter wäre – wenn sie nicht aus Afghanistan käme. Der Service ist professionell und steht dem mancher EU-Airlines in nichts nach. Lediglich das viele Plastik beim Essen zeigt, dass das Thema Umweltschutz in Afghanistan noch nicht angekommen ist.

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In Masar-e Scharif wird direkt vor dem Terminal geparkt. Fluggasttreppen gibt es keine.

Halbleer nach Masar-e Scharif

Die Maschine selbst ist schon etwas betagt. Ihre 23 Jahre sieht man der A340 deutlich an. Von 2001 bis 2013 stand sie in den Diensten von Iberia, danach bei Philippine Airlines, bevor sie 2018 ins Register von Kam Air wechselte. Die 2003 gegründete Fluggesellschaft besitzt insgesamt elf Flugzeuge, darunter vier A340-300 und sieben Boeing 737-300/500. Die Auslastung heute ist gering. Nicht einmal die Hälfte der Sitzplätze ist belegt. Die Crew besteht hauptsächlich aus männlichem Personal, doch auch zwei Frauen kümmern sich um das Wohl der Gäste. Die Kabine darf ich fotografieren, die Crew jedoch nicht.

Viel Zeit zum Schlafen bleibt auch nicht, denn schon nach dreieinhalb Stunden dreht die A340 in den Anflug auf Masar-e Scharif im Norden Afghanistans. Heute wird direkt auf die Landebahn 06 angeflogen, keine Sightseeing-Runde um die Stadt wie sonst oft üblich. Um 7:22 Uhr setzen die Räder auf der gepflegten Piste auf. Ich bin in Afghanistan angekommen.

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Beim Essen an Bord von Kam Air findet man noch viel Plastik vor. Die Qualität des Angebots kann sich aber sehen lassen.

"Welcome to Afghanistan!"

Die Maschine parkt mitten auf dem Vorfeld vor dem Terminal. Ein alter Stadtbus mit deutschen Beschriftungen bringt mich ins Terminal. Hier in Masar-e Scharif muss ich einreisen. Das nötige Touristenvisum hatte ich mir beim Konsulat in München besorgt. Nur dieses Konsulat darf aktuell in Deutschland Visa ausstellen. Die Taliban an der Grenzkontrolle sind freundlich und hilfsbereit: Stempel in den Reisepass und "welcome to Afghanistan!". Anschließend muss ich mich als Ausländer noch an einem anderen Schalter registrieren. Ich bin der einzige westliche Tourist. Sonst waren lediglich fünf Türken mit an Bord. Die Registrierung gestaltet sich dann etwas schwierig, da der Beamte wissen will, in welchem Hotel ich gebucht habe. Das hat aber alles mein Guide für mich gemacht, ich selbst habe keine Ahnung. Aber das Einladungsschreiben mit den Daten des Guides und seinen Kontaktdaten reicht letztendlich.

Da die A340 als Inlandsflug weiter nach Kabul geht, muss ich meinen Koffer in Empfang nehmen, neu einchecken und durch die Sicherheitskontrolle wieder zum Boardinggate gehen. Das geht aber alles innerhalb von zehn Minuten. Dann bringt mich der Bus mit weiteren Gästen zurück zu dem Airbus, dem ich kurz davor entstiegen bin – und der Masar-e Scharif wenig später über die Startbahn 24 wieder verlässt.

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Von Masar-e Scharif nach Kabul überfliegt die A340 die Berge des Hindukusch.

Weiter geht's nach Kabul

Um die Stadt nicht zu überfliegen, folgt gleich nach dem Start eine schärfere Kurve nach rechts. Mit Südostkurs geht es nun über die kargen Berge des Hindukusch. Es gibt kaum ebene Flächen hier. Die erste wirklich nennenswerte sehen wir erst im Anflug auf Kabul. Die Stadt liegt nämlich in einem Talkessel, umgeben von vielen hohen Bergen. Über einen Talausläufer im Osten dreht die A340 in den langen Endanflug auf Landebahn 29. Nach 42 Minuten Flugzeit setzen die Räder auf dem afghanischen Hauptstadtflughafen auf.

Ich bin tatsächlich in Kabul gelandet! Dem Flughafen, von dem man noch die vielen emotionalen Bilder und Videos von 2021 vor Augen hat, als die Taliban das Land wieder übernommen und tausende Afghanen versucht haben, das Land auf dem Luftweg zu verlassen. Neben Kam Air bietet noch die zweite afghanische Airline Ariana Afghan Airlines Flüge ins In- und Ausland an. Sonst kommen momentan nur Turkish Airlines, FlyDubai und Air Arabia hierher.

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Die Auslastung auf dem Kam Air-Flug von Istanbul über Masar-e Scharif nach Kabul ist nur gering.

Erstmal ordentlich einkleiden

Dass Kabul der wohl am besten gesicherte Flughafen der Welt ist, wird mir beim Verlassen des Terminals klar. Ich muss draußen im Freien 300 Meter über verwinkelte Wege zu Fuß gehen, bevor ich den Abholerbereich erreiche. Hier treffe ich meinen Guide Ali. Er wird mir die nächsten drei Tage sein Land zeigen. Doch zunächst müssen wir weitere 700 Meter gehen, denn Autos mit LPG-Tanks wie das unseres Fahrers dürfen nicht näher ans Terminal heranfahren.

Am Auto angelangt, kleide ich mich als erstes landestypisch ein. Denn mit einheimischem Gewand falle ich als Tourist nicht so schnell auf und außerdem sehe ich das als eine Art von Respekt gegenüber den Menschen hier. Dann geht es raus aus Kabul. Der Verkehr ist chaotisch, es gibt kaum Verkehrsregeln. Man fährt, wie es am besten passt. Den Führerschein bekommt man hier, wenn man ein Gebet aus dem Koran aufsagen kann, erzählt Ali.

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Auf den Fahrten durchs Land trifft man auf freundliche Einheimische - zum Beispiel diese Einwohner von Bamyan.

Zartes Pflänzchen Tourismus

Auf der Landstraße fahren wir Richtung Bamyan. Unterwegs immer wieder Straßenkontrollen durch die Taliban. Meist darf man ungehindert passieren, wenn sie "Tourist" oder "Deutscher" hören. Ab und an muss uns Ali auch in einem Buch registrieren. Die Taliban sind allgegenwärtig. Aber die Atmosphäre ist entspannt. Es läuft alles seinen Gang und die Menschen haben sich damit arrangiert. Auch Touristen sehen die Afghanen immer häufiger. Besuchten 2021 noch lediglich 691 Touristen das Land, waren es 2022 schon 2300 und 2023 bereits rund 7000.

Die Straße wird nun richtig schlecht. Ein Schlagloch nach dem anderen. Hier sieht man noch deutlich die Spuren der harten Kämpfe der letzten Jahrzehnte. Als die Amerikaner hier waren, war diese Straße aufgrund der hohen Taliban-Präsenz unsicher und die Afghanen nutzten eine weiter entfernte Verbindung nach Bamyan oder sogar das Flugzeug, was die sicherste Anreise war. Heute ist die Straße wieder die sicherste. Der Flugbetrieb nach Bamyan wurde eingestellt.

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Auf den Lkw, denen wir unterwegs begegnen, findet (fast) alles Platz. 

Mitten durchs Gebirge

Der Hindukusch zeigt sich auch hier von seiner bergigen Seite. Wir fahren den Hajigak-Pass hinauf. Die Lkws haben Mühe und kriechen mit Schrittgeschwindigkeit auf die Passhöhe von 3700 Meter hinauf. Jeder zweite Lkw ist ein Mercedes-Benz – wohl eine Art Statussymbol: Ein Benz muss es sein und der wird aufwändig und bunt bemalt. Immer wieder sieht man deutsche Kennzeichen, meist Ausfuhrkennzeichen, an Lkw und Pkw. Einige Lastwägen stammen von längst verschwundenen deutschen Firmen, andere gibt es noch. Afghanistan ist ein guter Abnahmemarkt für gebrauchte deutsche Fahrzeuge.

Kurz vor Bamyan zeigt mir Ali die archäologische Stätte Shar-e-Zohak. In dieser "Roten Stadt", wie sie früher genannt wurde, lebten im Jahr 500 bis 600 um die 3000 Menschen. Dann kommen wir gegen Abend in Bamyan an. In dieser auf 2550 Meter gelegenen Stadt leben 70.000 Afghanen. Und ich muss kurz schlucken: Im Mai 2024 wurden hier sieben europäische Touristen auf offener Straße erschossen. Die Hintergründe sind bis heute unklar. Es werden der IS oder Anti-Taliban-Gruppen hinter dem Anschlag vermutet. Ali zeigt mir die Stelle des Attentats. Da überkommt einen schon ein etwas mulmiges Gefühl... Schließlich beziehen wir im Bamyan Royal Hotel unser Quartier. Die Qualität ist gut, man bekommt alles, was man braucht.

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Der Band-e Amir ist der erste Nationalpark Afghanistans. Er bietet glasklares Wasser in mehreren zusammenhängenden Seen.

Besuch im Nationalpark

Am nächsten Morgen brechen wir bereits in der Dämmerung auf. Wir wollen möglichst früh im schönen Morgenlicht am ersten Nationalpark Afghanistans ankommen. Der Band-e Amir Nationalpark wurde 2009 offiziell als solcher ins Register eingetragen. Die Autofahrt dorthin dauert gut eineinhalb Stunden. Das letzte Stück ist Schotterpiste. Das Herzstück des Nationalparks bilden sechs zusammenhängende Seen mit tiefblauem Wasser. Ein beeindruckender Anblick! Hier treffen wir auch andere afghanische Touristen. Und sogar eine einzelne europäische Touristin mit ihrem Guide. Sonst bin ich immer der einzige ausländische Reisende. 2023 zählte der Nationalpark insgesamt über 100.000 Besucher.

Nach einem Frühstück in einem der lokalen Straßencafés fahren wir zurück nach Bamyan. Dort wollen wir uns die Überreste der berühmten Buddhastatuen anschauen, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Unterwegs sehen wir viele Schulkinder, Mädchen wie Jungen. Viele von ihnen tragen einen blauen Unicef-Rucksack. Die Hilfsorganisation hatte vor der Machtübernahme der Taliban gute Dienste geleistet.

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Unterwegs sehen wir viele Schulkinder, Mädchen wie Jungen. Mädchen müssen die Schule allerdings nach der vierten Klasse verlassen.

Taliban auf Annäherungskurs

In Bamyan bin ich dann wieder der einzige Besucher. In einer 38, respektive 55 Meter hohen Aushöhlung im Fels konnte man hier bis März 2001 die zwei größten stehenden Buddhastatuen der Welt bewundern. Leider wurden diese von den Taliban aus Protest gegen das Heiligtum der Buddhisten 2001 gesprengt und zerstört. Die Teile der im 6. Jahrhundert geschaffenen Statuen wurden mittlerweile geborgen und sorgfältig unter Dächern aufbewahrt. Es gibt seitens der Taliban Bestrebungen, die Statuen wieder aufzubauen – doch bislang ohne konkrete Ansätze. Trotzdem zeigt dieses Beispiel den aktuellen Kurs der Taliban: Sie wollen das Land wieder aufbauen und sich der übrigen Welt annähern.

Da es bereits nach Mittag ist, fahren wir zurück nach Kabul. Die Fahrt dauert mehrere Stunden. Durch die Autoabgase und den Staub auf den Straßen tränen mir die Augen, mein Hals schmerzt und meine Nase läuft ununterbrochen. Am Abend haben wir es geschafft, wir sind zurück in Afghanistans Hauptstadt. Im Golden Star Hotel verbringen wir die Nacht.

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Der Sakhi-Schrein ist die wohl schönste Sehenswürdigkeit Kabuls.

Letzter Tag in Kabul

Am letzten Tag meines Besuchs in Afghanistan besuchen wir den Berg Wazir Akbar Khan mitten in der Stadt, auf dem die größte Talibanflagge des Landes weht und man einen großartigen Ausblick auf die Stadt hat. Von hier aus sieht man auch die ehemalige US-Botschaft. Diese ist so groß wie eine Kleinstadt.

Das Highlight eines jeden Besuchs in Kabul ist sicherlich der Sakhi-Schrein. In einer gepflegten Anlage erwartet den Besucher eine wunderschöne Moschee mit blauen, glasierten Fliesen im neo-safawidischen, persischen Stil. Die Anlage ist auch ein beliebter Ort für Familienausflüge und Treffpunkt für junge Afghanen.

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Diese ausrangierte Kam Air-MD-80 dient in Kabul als Speisesaal eines Restaurants. 

Speisen in der MD-80

Auf der anschließenden Weiterfahrt zum Darul Aman-Palast entdecke ich sogar ein Flugzeugrestaurant. Eine alte MD-80 in Kam Air-Lackierung wurde aufs Dach eines Gebäudes gehievt und dient nun als Speiseraum. Vom kürzlich restaurierten, klassizistischen Palast, welcher 1920 unter König Amanullah Khan erbaut wurde, hat man auch einen guten Blick auf die National Assembly. Hier war bis zur Übernahme der Taliban der Regierungssitz des Landes. 800 Meter entfernt und mit einem unterirdischen Tunnel verbunden thront der Tajbeg-Palast, welcher ebenfalls 1920 im Stil eines europäischen Herrenhauses errichtet wurde und einst als Wohnhaus der Königin diente.

Dann ist es eigentlich auch schon Zeit, zurück zum Flughafen zu fahren. Heute ist zwar Freitag, also unser deutscher Sonntag, aber dennoch ist der Verkehr unberechenbar. Da möchte ich nicht zu spät kommen. Auf dem Weg zum Flughafen liegt der Vogelmarkt. Den nehmen wir noch schnell mit. Zu Fuß schlagen wir uns ins Getümmel des Basars. Es gibt dort alles, was das Herz begehrt. Von Kleidung über Maschinen bis hin zu Kampfhähnen.

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In der National Assembly tagte früher die Regierung Afghanistans. Heute steht das Gebäude weitgehend leer.

Abschied von einem Freund

Dann aber müssen wir wirklich zum Flughafen. Etwa einen Kilometer vor dem Terminal muss uns unser Fahrer aussteigen lassen. Zu Fuß muss ich mit Ali zwei Security-Checks passieren, bevor wir den Abholerbereich erreichen, wo wir uns verabschieden. Der Abschied fällt mir fast etwas schwer. Ali war ein großartiger Fremdenführer und ich habe ihn in der kurzen Zeit als Freund ins Herz geschlossen. Wieder 300 Meter weiter erreiche ich allein das internationale Abflugterminal. Am Eingang wieder ein Security-Check mit Durchleuchtung des Gepäcks und Leibesvisitation. Ein viertes – und letztes – Mal lasse ich eine solche "Behandlung" schließlich nach dem Check-in und der Passkontrolle über mich ergehen. Dann bin ich endlich am Gate für meinen Abflug aus Afghanistan.

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Abflug mit der Boeing 737-300 von Kam Air aus dem Talkessel von Kabul nach Islamabad.

Reisen ist das Gegenteil von Krieg

Diesmal fliege ich mit einer 28 Jahre alten Boeing 737-300 von Kam Air. Die YA-KML stand bis 2019 in Diensten von Southwest in den USA. Heute bringt sie mich nach Islamabad in Pakistan. Auch dieser Maschine sieht man ihr Alter deutlich an. Um 15:22 Uhr starten wir auf der Runway 11. Für die kurzen 45 Minuten Flugzeit braucht die 737 relativ viel Rollstrecke. Das ist aber bei 30 Grad Celsius Außentemperatur und einer Platzhöhe von 1791 Meter auch kein Wunder.

Am Ende des Talkessels von Kabul drehen wir nach Süden ab und bauen weiter Höhe auf, um die Berge des Hindukusch überfliegen zu können. Es dauert nicht lange, dann gehen wir auch schon wieder in den Sinkflug auf Islamabad über. Nach 42 Minuten landet Flug RQ927 in der Hauptstadt Pakistans. Mein kurzer Urlaub in Afghanistan ist zu Ende. Es waren beeindruckende drei Tage mit bleibenden Eindrücken. Ich habe das Land und die Menschen dort ehrlich schätzen gelernt. Bleibt zu hoffen, dass das Land international Anschluss findet. Der Tourismus ist vielleicht der erste Weg dorthin, denn wie heißt es so schön: Reisen ist das Gegenteil von Krieg.

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