Einst gehörte die Suchoi Su-22 zu den Standard-Kampfjets des Warschauer Pakts, heute ist die "Fitter" eine aussterbende Spezies. In Europa fliegt sie nur noch in Polen – und das auch nur noch wenige Monate. Zeit für einen Ortsbesuch!
Es sprotzt und raucht aus allen Ritzen, wenn dieses Ungetüm zum Leben erwacht. Wie ein wütender Drache brüllt es auf, zerrt mit Macht an den Bremsklötzen vor seinen Rädern, die es an der Vorstartlinie im Zaum halten. Ein Ruck geht durch den Rumpf, eine kleine Ewigkeit lang läuft das Ljulka AL-21F-3-Turbojet-Triebwerk im Stand testweise auf Vollast. Schnaubend, fauchend scharrt die Su-22 auf dem Asphalt – als scheine sie voll Ungeduld auf ihren nächsten Start zu warten. Die Schwenkflügel fahren ein und aus, dann reckt der Techniker am Boden seine Faust. Alles passt, klar zum Last-Chance-Check! Der Furor scheint gebändigt, die Drehzahl nimmt ab. Versöhnlich säuselnd kommt der Jagdbomber zur Ruhe, lässt sich die Klötze von den Beinen nehmen, setzt sich energisch in Bewegung Richtung Runway.
Ein paar Minuten später prescht die Su-22 feuerspeiend über die Bahn. Schneller und schneller wird sie, reckt triumphierend die Nase in die Höhe – und erhebt sich, markerschütternd laut, in den abendblauen Frühlingshimmel über Miroslawiec, im Südosten der beschaulichen polnischen Woiwodschaft Westpommern.
110 Kilonewton Nachbrennerschub heben die Su-22 beim Start in den Abendhimmel über Miroslawiec.
"Fitter" hautnah
Noch lässt sich dieses Schauspiel hier unter der Woche mehrmals täglich bestaunen – zumindest aus der Ferne, denn der leicht abseits des Hauptorts gelegene Fliegerhorst von Miroslawiec, die letzte Zuflucht der Suchoi Su-22 in Europa, ist von außen weiträumig unnahbar. Dass wir, nach langem, hartnäckigem Vorlauf und diversen Absagen, tatsächlich heute mitten auf der Basis stehen und Europas letzte "Fitter" hautnah in Aktion erleben können, wiegt daher umso schwerer – erst recht, weil wir wissen, dass der "Spuk" der alten Suchois auch in Miroslawiec bald vorbei sein wird. Denn die polnischen Su-22 erleben ihre letzten Einsatztage. Man sieht es ihnen optisch nicht an, stehen sie doch voll im Saft, doch das Ende naht, dieses Mal unwiderruflich: In ein paar Monaten ist Schluss. Nach 40 Jahren Dienst, nachdem ihre Pensionierung immer wieder aufgeschoben wurde, hat die Su-22 auch in Polen endgültig ihre Schuldigkeit getan.
Betrachtet man die rege Aktivität auf der Flightline, so scheint ein baldiges Ende des Su-22-Betriebs schwer vorstellbar.
Polens Kalte Krieger
Die Lieferung der insgesamt 90 Su-22M-4 (Einsitzer) und 20 Su-22UM-3K (Doppelsitzer) an die polnische Luftwaffe begann im Jahr 1984. In ihren Glanzzeiten waren die "Fitter" auf den Stützpunkten Miroslawiec, Piła und Powidz stationiert. Nach einer Reorganisation der Luftstreitkräfte fanden sie eine neue Heimat bei der 6. und 7. ELT (Eskadra Lotnictwa Taktycznego) in Powidz, der 8. ELT in Miroslawiec sowie der 39. und 40. ELT in Swidwin. Im Zuge des NATO-Beitritts Polens erhielten einige Maschinen entsprechende Avionik wie ein IFF-Identifizierungssystem, neue Funkgeräte und ein GPS-System.
Posen für die Fotografen: Die Piloten der polnischen Su-22 lieben ihren "Sowjet-Klappdrachen".
Die modernsten Su-22
Mit der Einführung der F-16 Fighting Falcon konzentrierte Polen die ehemaligen Kalten Krieger schließlich auf der 21. Baza Lotnictwa Taktycznego (BLT) in Swidwin. Dort sollten sie eigentlich nur bis Ende 2012 im Einsatz bleiben. Doch die geplante Außerdienststellung rückte immer weiter nach hinten. Schließlich entschied sich die Luftwaffenführung im Jahr 2014, die Flotte lediglich von 32 auf 18 Exemplare zu verkleinern. Die verbliebenen Jets (zwölf Einsitzer und sechs Doppelsitzer) durchliefen anschließend in Bydgoszcz ein Programm zur Verlängerung ihrer Lebensdauer um rund zehn Jahre. Dabei erhielten sie auch ihren neuen, grauen Tarnanstrich.
Die polnischen Maschinen dürften seither zu den modernsten, aber auch letzten Vertretern ihrer Art zählen. Ansonsten findet sich der markante Schwenkflügler nur noch in Angola, dem Iran, dem Jemen, Libyen, Syrien und Vietnam im Arsenal. Ob und wie viele davon allerdings wirklich einsatzbereit sind, gilt als unklar.
Die Su-22 haben in Miroslawiec Zuflucht gefunden, während in ihrer Heimat Swidwin schon für die F-35A umgebaut wird.
Ausquartiert für die F-35A
In Polen wurde die Nachfolge der "Fitter" endgültig im September 2022 geregelt. Damals bestellte die Regierung in Warschau bei Korea Aerospace Industries (KAI) insgesamt 48 Exemplare des leichten südkoreanischen Kampfjets FA-50PL als Ersatz für die veralteten MiG-29 und Su-22. Die südkoreanischen Jets sollen in Minsk-Mazowiecki bei Warschau und auch in Swidwin fliegen. Dort bereitet man sich derzeit außerdem auf die Ankunft der ersten Lockheed Martin F-35A Lightning II vor – und hat für die notwendigen Bauarbeiten die Su-22 abermals nach Miroslawiec umquartiert. Dort werden die Jagdbomber aller Voraussicht nach bis zum bitteren Ende bleiben.
Start in den Sonnenuntergang: Das Ende der letzten "Fitter" in Europa naht mit großen Schritten.
Das Ende der "Klappdrachen"
In Miroslawiec teilen sich die Su-22 den Fliegerhorst der 12. Baza Bezzalogowych Statkow Powietrznych mit den aus der Türkei stammenden Drohnen des Typs Bayraktar TB2. Aber während die filigranen UCAVs ihren Dienst kaum hör- und sichtbar verrichten, zeigen die wuchtigen, kraftstrotzenden "Fitter" durch ihr bloßes Auftreten klar, wer auf dem Platz das Sagen hat. Zwar will vor Ort niemand verraten, wie viele Su-22 derzeit noch aktiv sind und wie viele Piloten den sowjetischen "Klappdrachen" noch fliegen dürfen. Dass am ersten Tag unseres Besuchs immerhin vier, am zweiten Tag sogar gleich sieben Maschinen auf der Flightline stehen, die bis auf eine auch tatsächlich alle fliegen, ist allerdings ein starkes Signal. "Die Su-22 ist ein großartiges Flugzeug", diktiert uns zum Abschluss einer der Soldaten in die Blöcke. "Die Piloten lieben sie, die Techniker lieben sie – wir werden sie alle sehr vermissen!"
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