Aeroflot will bis 2030 über 100 MS-21 fliegen: Kann Russland das stemmen?

Kann Russland das packen?
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Aeroflot will bis 2030 über 100 MS-21 fliegen

© UAC (OAK) 11 Bilder

Die große Hoffnung für Russlands Zivilluftfahrt heißt Jakowlew MS-21. Der Zweistrahler in A320-Größe entsteht ohne westliche Teile. Die Aeroflot-Gruppe setzt massiv auf den neuen Jet. Es gibt nur einen Haken: Die "russifizierte" MS-21 ist noch gar nicht fertig.

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Aeroflot-Chef Sergej Alexandrowski, seit März 2022 im Amt, scheint ein großer Optimist zu sein. Ob aus Überzeugung oder notgedrungen, bleibt im Dunkeln – auf jeden Fall aber rechnet der Generaldirektor der größten Airline-Gruppe Russlands weiter damit, bald eine große Flotte an Flugzeugen russischer Bauart zu betreiben. Wichtigster Baustein in diesem Luftfahrt-Mosaik: Die Jakowlew MS-21, die aktuell in der Flugzeugfabrik Irkutsk komplett auf einheimische Komponenten umgerüstet wird. "Unser Ziel ist es, unsere Flotte um eine Gruppe neuer inländischer MS-21-Flugzeuge zu erweitern", unterstrich Alexandrowski dieser Tage im Interview mit dem Fernsehsender Rossija 24. "Bis 2030 planen wir, mehr als 100 Flugzeuge zu erhalten – die Betriebsvorbereitungen sind bereits im Gange." So nutze Aeroflot bereits einen MS-21-Simulator fürs Pilotentraining, auch Wartungstechniker würden schon auf das neue Flugzeug umgeschult.

Aeroflot hat im September 2022 eine Absichtserklärung für sage und schreibe 339 neue russische Flugzeuge unterschrieben – verteilt auf 210 MS-21, 89 Superjet SJ-100 und 40 Tupolew Tu-214. Die ersten sechs MS-21 und sieben Tu-214 hätten 2024 ausgeliefert werden sollen, die ersten Superjets gar schon 2023. Genau hier aber beginnt das Problem, denn natürlich hat sich keine dieser Auslieferungen ereignet und auch im laufenden Jahr sieht es damit eher mau aus.

MS-21: Russischer Flügel wird angedockt 19 Sek.

Neue MS-21 fliegt noch nicht

Der ebenfalls "russifizierte" Superjet SJ-100 durchläuft immerhin bereits die Flugerprobung, die Tu-214 sieht Aeroflot sowieso nur als Notnagel an – aber die MS-21 existiert in ihrer zukünftig rein russischen Gestalt noch überhaupt nicht. Zumindest nicht als fertiges, flugbereites Flugzeug. Lediglich ein teilweise importsubstituierter Prototyp hob Ende April zu seinem ersten Flug ab und wurde im Mai zur weiteren Erprobung von Irkutsk nach Schukowski überführt. Die Vollversion des auf links gekrempelten Zweistrahlers, dessen Ursprungsausführung mit US-Getriebefans und zahlreichen westlichen Komponenten bereits 2017 abhob, soll in diesem Sommer folgen. Etwa 60 Komponenten, von der Flugsteuerung bis zum Kabineninterieur, müssen die Russen bei der MS-21 ersetzen. Am Ende der Entwicklung steht damit ein weitgehend neues Flugzeug – dessen Flugerprobung möglichst im Herbst 2026 mit der Zulassung enden und in die Übergabe erster Serienflugzeuge an Aeroflot-Tochter Rossija münden soll.

© Jakowlew / Flugzeugwerk Irkutsk
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100 MS-21: realistischer Plan?

Doch selbst wenn dieser ehrgeizige Fahrplan, der dem ursprünglichen Ziel um Jahre hinterherhinkt, ohne weitere Verzögerung umgesetzt werden kann: Wie realistisch ist es, dass die Aeroflot-Gruppe bis 2030 tatsächlich über 100 MS-21 erhält? Schließlich glänzte Russlands ziviler Flugzeugbau in den vergangenen Jahrzehnten nicht gerade mit üppigen Produktionsraten. Für die Herstellung von rund 230 Superjets der alten, international angelegten Baureihe benötigten die Russen beispielsweise über 15 Jahre. Dazu kommt, dass Russland – gewissermaßen nebenbei – eine breit aufgestellte Zulieferindustrie für die nunmehr im eigenen Land zu produzierenden Komponenten und Systeme etablieren muss, die wiederum nicht nur das MS-21-Programm, sondern auch andere Leuchtturmprojekte wie den Superjet oder den Regional-Turboprop Iljuschin Il-114-300 bedienen soll. Zwar arbeiten die entsprechenden Werke seit geraumer Zeit auf Hochtouren an diesem Unterfangen, stellen massenhaft Mitarbeiter ein und modernisieren ihre Produktionsanlagen. Dennoch stehen die ambitionierten, vom Kreml formulierten Lieferziele für russische Airliner – die MS-21 eingeschlossen – auf eher wackeligen Beinen.

Mit Optimismus allein werden sich die Drehkreuze der Aeroflot-Gruppe bis 2030 jedenfalls nicht mit über neuen 100 MS-21 füllen. Objektiv betrachtet wäre selbst die Hälfte davon bemerkenswert.

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