Die Pandemie hat die Luftfahrtbranche zu vielen Ideen inspiriert, wie der Infektionsschutz an Bord verbessert werden kann. Was ist davon bisher wirklich im Einsatz?
Neue Sitzkonzepte, Trennelemente, berührungslose Waschräume: Schon kurz nach Beginn der weltweiten Corona-Pandemie im vergangenen Jahr gab es zig neue Ideen für eine hygienische Flugzeugkabine. Mehr als ein Jahr später stellt sich die Frage, was sich davon durchsetzen konnte. Wir geben einen Überblick, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Vor der Pandemie besaßen Themen wie Sauberkeit an Bord oder Gesundheitsschutz nicht die höchste Priorität bei Passagieren. "Wir sehen eine gewaltige Verschiebung: Jetzt dreht sich alles um Sicherheit und Hygienemaßnahmen", sagt Jim Currier, President von Honeywell Aerospace Europe, im Gespräch mit der FLUG REVUE. Bei einer anonymen Online-Umfrage des US-Technologiekonzern mit 900 Teilnehmern aus Europa, der Türkei und dem Mittleren Osten gaben immerhin 49 Prozent der Befragten an, dass sie sich Gewissheit wünschen über Sauberkeit am Flughafen und in der Flugzeugkabine, die verpflichtende Nutzung von persönlicher Schutzausrüstung (Masken, Handschuhe) und die Möglichkeit zum Abstandhalten.
Entkeimen mit UV-Licht
Technologien zur Unterstützung von Hygiene spielen laut Currier eine wichtige Rolle für das Empfinden der Fluggäste. Honeywell Aerospace selbst hat zu Beginn der Pandemie gemeinsam mit dem US-Unternehmen Dimer UVC Innovations ein mobiles System zur Entkeimung von Flugzeugkabinen mithilfe von UV-C-Licht auf den Markt gebracht. Damit kann ein Flugzeug in der Größe eines Airbus A320 in rund zehn Minuten von Pathogenen befreit werden, so Honeywell. Qatar Airways und JetBlue gehören zu den Nutzern des Systems, das manuell durch die Kabine geschoben wird. Die zweite Generation des Geräts, das so groß ist wie Getränke-Trolley, umfasst auch einen tragbaren UV-Licht-Stab, mit dem beispielsweise das Cockpit, Toiletten und Galleys entkeimt werden können. Currier sieht die UV-C-Licht-Sterilisation aber nicht als Ersatz für die normale Reinigung mit chemischen Mitteln. "Es ist eine zusätzliche Maßnahme, um die Hygiene zu verbessern."
Mit einem mobilen UV-C-Stab lassen sich auch schwer zugängliche Stellen, beispielsweise in der Bordküche, entkeimen.
Eine weitere Maßnahme ist der Einbau von HEPA-Filtern (High Efficiency Particulate Air Filter). Sie filtern mit einer Wirksamkeit von 99,97 Prozent Staub, Allergene, Bakterien, Viren und andere Partikel aus der Kabinenluft. Die meisten Flugzeuge sind bereits ab Werk damit ausgestattet, ältere Flugzeuge lassen sie sich nachrüsten. Der brasilianische Flugzeughersteller Embraer hat beispielsweise im Lauf der Pandemie ein HEPA-Filter-Kit für die ERJ 145 entwickelt, Collins Aerospace hat eine Lösung für die Bombardier Dash-8 bereitgestellt. Jüngst hat beispielsweise Finnair angekündigt, auch in seiner komplette ATR-Turboprop-Flotte solche Luftfilter zu installieren.
Berührungslose Bordtoiletten
Das persönliche Hygienegefühl auf Flugreisen lässt sich auch dadurch steigern, dass man als Passagier so wenig wie möglich anfassen muss – vor allem auf der Bordtoilette. Die japanische ANA hat zusammen mit dem Kabinenausstatter Jamco eine "handfreie" Tür für Waschräume entwickelt. Sie ist mit einem großen Verriegelungsknopf und einem zusätzlichen Griff ausgestattet. So sollen Fluggäste die Toilettentür mit dem Ellbogen ver- und entriegeln können. Die Türen sollen nun in elf Boeing 787-8, zwei 787-9 und acht Boeing 777-200 installiert werden, die innerjapanische Routen bedienen.
Mit dem Arm lassen sich die neuen Toilettentüren von ANA und Jamco öffnen und schließen.
Nahezu berührungslos sind auch die Waschräume der neuen Airspace-Kabine für Airbus-Standardrumpfflugzeuge: mit sensorgesteuerten Wasserhähnen, berührungslosen Toilettendeckeln und Müllklappen sowie antimikrobiellen Oberflächen. Die Lavatories stammen vom deutschen Luftfahrtzulieferer Diehl Aviation. Kürzlich wurde die erste A321LR mit Airspace-Kabine an die US-Niedrigpreisairline JetBlue ausgeliefert.
Eine andere Lösung für die Bordtoilette hat Delta Air Lines: antimikrobielles LED-Licht oberhalb des Waschbeckens und der angrenzenden Oberflächen. Diese Beleuchtung mit dem Markennamen Vyv ist nach Angaben von Delta kein UV-Licht, soll aber dennoch das Wachstum von Bakterien hemmen und in Kombination mit elektrostatischen Sprühern und regelmäßiger Reinigung für mehr Sauberkeit sorgen. Seit Mitte November wird Vyv in den Boeing 757-200 der US-Airline getestet.
Physische Trennung in der Kabine
Was die Sitze und das Kabinenlayout angeht, hat sich durch die Pandemie nicht viel verändert. Das dürfte zum einen an den Zulassungshürden liegen, zum anderen aber auch an den Kosten einer Nach- oder Umrüstung. Nur wenige Airlines haben zusätzliche physische Schutzvorrichtungen gegen COVID-19 eingeführt. Die deutsche Regionalcharter-Fluggesellschaft Private Wings hat seit September 2020 sogenannte "Personal Protection Windows" in ihren Dornier 328 installiert. Es handelt sich dabei um Plexiglasscheiben zwischen den Sitzen, die vom serbischen Zulieferer Autostop Aviation entwickelt und hergestellt werden. "Insbesondere in der kurzen Zeit, in der zur eigenen Verpflegung keine Maske getragen werden kann, werden die Personal Protection Windows den Passagieren zusätzlichen Schutz bieten", hieß es in einer Pressemitteilung Ende August.
Im November 2020 stellte die Niedrigpreisairline Tigerair Taiwan eine schnell ein- und ausbaubare Trennwand für den Mittelsitz vor. Das Produkt namens "Tiger Plus" sollte während der Pandemie in der gesamten A320-Flotte eingesetzt werden und dafür sorgen, dass die Passagiere mehr Abstand halten können. Nach der Pandemie soll die Trennwand als Extra für die ersten zwei Reihen erhalten bleiben und gegen Aufpreis gebucht werden können.
"Die Erholung [der Luftfahrt; d. Red.] wird schwierig und es wird dauern, bis wir wieder Fluggastzahlen auf dem Niveau von vor der Pandemie sehen. Aber der Passagierverkehr wird schließlich zurückkehren", so Jim Currier. Bis dahin sei es wichtig, dass die Branche die Öffentlichkeit darüber informiere, was sie alles tue, um einen hohen Hygienestandard an Bord zu gewährleisten.
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