Trip-Report: Mit der Gulfstream 650ER an den Comer See

Neuer Luxusjet für Europa
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Mit der Gulfstream 650ER an den Comer See

© Christof Brenner 14 Bilder

Fractional-Owner-Betreiber Flexjet erweitert seine Europa-Flotte um seinen ersten Ultra-Langstrecken-Jet. Ein Ausflug in der Gulfstream 650 von München an den Comer See zeigt, was der Jet auf kurzen Trips kann.

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Als die Cessna genug Fahrt hat, lösen sich ihre Schwimmer sanft von der Wasseroberfläche. Ein bisschen mühsam gewinnt das Seaplane an Höhe und verschwindet hinter dem Bergkamm. Vom anderen Uferende brabbelt dumpf der Achtzylinder eines Sportboots.

Die Villa d’Este, von deren Terrasse im ersten Stock sich dieser Anblieck bietet, zählt zu den feinsten Adressen am Lago di Como. Gebaut im 16. Jahrhundert als Sommerresidenz von Kardinal Tolomeo Gallio, ist sie heute Luxusresort für Prominente und andere, die es sich leisten können. Für die Zimmerpreise der Kardinalsuite bittet das exklusive Resort auf seiner Seite um Anfrage. Alfred Hitchcock drehte bereits 1925 auf dem Anwesen, zu den prominenten Gästen zählen Lady Gaga und Ex-US-Präsident Barack Obama. Zuletzt soll George Clooney hier gefeiert haben.

© Christof Brenner

Separat gelegen bietet der Queen' Pavillion der Villa d'Este 27 Zimmer.

Vom Nebel in die Sonne

Unser Italien-Kurztrip beginnt wenige Stunden zuvor in München. Dichter Nebel hat sich über das Erdinger Moos gelegt, doch die Gulfstream 650 steht bereits aus dem Vorfeld bereit, als wir am Flughafen München eintreffen. Tags zuvor war sie aus dem britischen Farnborough angekommen. Drei Minuten dauert die Taxifahrt von der S-Bahn-Haltestelle im Zentralbereich des Flughafens zum Terminal für die Allgemeine Luftfahrt. Beim Fahrer, der zuvor stundenlang in der Warteschlange ausharrte, macht man sich mit dem Kurztrip keinen Freund. Sein Glück, dass die wenigsten Passagiere, die einen Business Jet als Reisegerät wählen, seine Dienste in Anspruch nehmen.

Zwei Mittdreißiger sind die einzigen Reisenden im GAT (General Aviation Terminal), die kurz vor uns durch die Sicherheitsschleuse und zu ihrem Jet begleitet werden – die Betriebsamkeit im Terminal ist übersichtlich, obwohl seit der Corona-Pandemie die Branche der Geschäftsfliegerei boomt wie seit Jahren nicht mehr. Um bis zu 25 Prozent zum Vorjahr haben die Verkehrszahlen zuletzt zugelegt, der Flugzeugmarkt für Gebraucht- und Neumaschinen ist praktisch leergefegt.

Das Reisen im Business Jet hat seine Annehmlichkeiten. Hinter getönten Scheiben geht es im, auf Luxuslimousine getrimmten, VW-Bus vom Terminal zum Flugzeug. Der Fahrdienst endet direkt an der Flugzeugtreppe. Neun Stufen, dann steht man in der Kabine. Dort regieren helles Wurzelholz, bronzefarbene Zierleisten und viel Leder. "Capri" nennt Gulfstream die Innenausstattung, Flexjet wirbt mit der individuellen Ausstattung seiner Flugzeuge: Über 40 verschiedene gibt es in der Flotte des Betreibers. In der Kabine ist Beinfreiheit kein Thema: Maximal Zwölf Passagiere haben in der Gulfstream Platz, Regionalflieger der Größenordnung einer G650 befördern gern mal knapp 100 Personen. Üblicherweise, so Flexjet, sind in dem Business Jet selten mehr als sechs Passagiere an Bord. Für sie ist der Passagierraum in vier Zonen eingeteilt. Sitzgruppe zur Unterhaltung, Essbereich, Lounge mit Sofa und 42-Zoll-Fernseher. Dank Internetverbindung an Bord lassen sich an dem sogar Filme streamen.

© Flexjet

Flexjet betreibt eine Flotte von rund 250 Flugzeugen und Hubschraubern.

Flotte umfasst 250 Maschinen

Die Gulfstream 650 ist der erste Langstreckenjet, den Flexjet auf seinem maltesischen Luftfahrtunternehmen registriert hat. Das Unternehmen zählt zu den größten Fractional-Ownership-Anbietern von Geschäftsreiseflugzeugen, rangiert mit 36 Prozent Marktanteil gleich hinter Branchenführer Netjets. 1995 als Tochter des kanadischen Flugzeugbauer Bombardier gegründet, gehört Flexjet mittlerweile der Muttergesellschaft Directional Aviation. Über 3.100 Mitarbeiter und 1.000 Piloten arbeiten weltweit für Flexjet, die Flotte umfasst mehr als 250 Flugzeuge und Helikopter. Bald soll durch eine Fusion mit der Mantelgesellschaft Horizon Aquisition Corporation II der Börsengang an der New York Stock Exchange perfekt gemacht werden. Die Börsennotierung soll dem US-Unternehmen 300 Millionen Dollar in die Kasse spülen.

Abo-Programm fürs Fliegen

Wer in Flexjets Gulfstream reisen will, muss über eine der beiden angebotenen Optionen entweder ein Abonnement für ein Leasing-Programm des Anbieters abschließen, oder wahlweise gleich einen Anteil des Flugzeugs erwerben. Über die Höhe der Kosten dabei spricht man bei Flexjet nur mit ernstzunehmenden Kunden. Übliche Charterpreise für ein Flugzeug der Größe bewegen sich je nach Anbieter und Strecke gern im fünfstelligen Bereich pro Flugstunde. Die beiden Programme, zwischen denen sich der Kunde entscheiden kann, seien für eine Nutzung von 50 bis 100 Stunden jährlich zugeschnitten, so Flexjet.

Mehr als ein Drittel der weltweit mehr als 10.000 Kunden ist Flexjet seit mehr als zehn Jahren treu. Seit 2021 expandiert das US-Unternehmen dank maltesischer Betreiberlizenz auch auf dem innereuropäischen Markt, zunächst mit Embraer Praetor 600 und Legacy 500. Und jetzt eben auch auf mit dem Ultra-Langstreckenjet Gulfstream 650.

Gulfstream G650ER - Landeanflug aus dem Cockpit 1:43 Min.

Reichweite fast 14.000 Kilometer

Die Maschine mit der Registrierung 9H-649FX ist Gufstreams ER-Version – die Abkürzung steht für "Extended Range", erweiterte Reichweite. Mit 1,8 Tonnen mehr Kraftstoff an Bord kommt die G650ER damit 500 Nautische Meilen weiter als die Standardversion, die maximale Reichweite beträgt 7.500 Nautische Meilen (13.890 Kilometer). Nach Mailand sind es gerade mal gut 200 Nautische Meilen. Selbst unser Abstecher nach Zürich, wo wir noch weitere Mitflieger abholen, vergrößert die Reisestrecke nur unwesentlich. Nicht annähernd vollgetankt ist das Erlebnis beim Start dementsprechend: Kapitän Scott setzt Startleistung, rotiert, und als die G650ER in den Steigflug übergeht, ist schnell klar: Der beim Boarding bereitgestellte Willkommensdrink sollte bis jetzt geleert – oder das Glas festgehalten sein, um ein Missgeschick beim Start zu verhindern. Nur der schlanke Fuß der Champagnerflöten lässt sich übrigens in den Glashaltern wenige Zentimeter nach außen schieben und so festklemmen.

Die beiden Rolls-Royce BR-700-Motoren produzieren bis zu 71,6 Kilonewton Schub. Weil sie jedoch am Heck montiert sind, lassen sich die Gespräche an Bord in nahezu unveränderter Lautstärke weiterführen. Gulfstream bezeichnet sich außerdem als führend, was die Schallisolierung der Kabine angeht.

Markenzeichen: Ovale Fenster

Nicht mal zwei Minuten nach dem Start strahlt die Sonne, und wir blicken hinab auf den Münchner Nebel, den wir unter uns gelassen haben. 16 bullaugenförmige Fenster bieten beinahe Panoramablick aus der Kabine. Jedes einzelne ist 71 Zentimeter lang. Ihre Ellipsenform ist ein Marketing-Schachzug, der seinesgleichen sucht. Der Hersteller aus Savannah, Georgia, verwendet sie an jedem seiner Jets. Auch wenig versierte Flugzeugliebhaber erkennen anhand dieser Bullaugen eine Gulfstream auf dem Vorfeld.

© Christof Brenner

Gut zwei Stunden später setzt unsere Gulfstream mit dem Kennzeichen 9H-649FX auf Runway 35R des Flughafens Mailand-Malpensa auf. Mit dem Auto wären wir noch nicht mal in Zürich, wo bei einer Zwischenlandung noch Mitreisende zugestiegen sind. Doch so sind wir rechtzeitig zum Mittagessen am Comer See, bei strahlendem Sonnenschein statt trüben Münchner Nebelwetters.

© Christof Brenner

Den Nachmittag schließen wir mit einer Bootsfahrt ab. Der Hersteller Riva ist der Rolls-Royce unter den Sportboothersteller, seine Produkte zählen zum guten Stil, nicht nur hier am Lago di Como. Auf dem Deck ist Kunststoff tabu, stattdessen dominiert Mahagoniholz mit hochglänzendem Finish. Zwei Jahre beträgt die Wartezeit für die handgefertigten Schmuckstücke.

Wir genießen die Fahrt deshalb länger als geplant und treffen zum Rückflug eine gute Dreiviertelstunde später am Flughafen ein. Einen Linienflug hätten wir längst verpasst, die Crew der Gulfstream dagegen empfängt uns bereits am Terminaleingang – einer der Vorteile, im Business Jet zu reisen. Für die Crew ist heute erst nach einem weiteren Leg Feierabend: Mit einem Positionierungsflug bringt sie die Gulfstream nach Oberpfaffenhofen bei München. Dort erwartet sie am kommenden Morgen den nächsten Flexjet-Kunden. Die Destniation an diesem Tag ist nicht weniger verlockend: Palma de Mallorca.

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