Air Greenland ist die profitable Lebensader Grönlands, steht aber vor großen Veränderungen.
Der Wind rüttelt an den Fenstern der Einsatzzentrale von Air Greenland in Nuuk. Ein Gemisch aus Schnee und Regen peitscht an die Scheiben. Vor ihren Bildschirmen verfolgen die Mitarbeiter entspannt die Aktivitäten der Flotte in Echtzeit. Draußen landet gerade eine knallrote Dash 8-200, die Turboprops bilden das Rückgrat der Air-Greenland-Flotte. Der Flug ist trotz der widrigen Bedingungen fast pünktlich. Das Wetter dominiert das Leben in Grönland.
Früher hieß Air Greenland deshalb im Volksmund auch „Imaqaa Airways“, „Vielleicht-Air“, weil sie so unzuverlässig war. „Wir sind heute viel proaktiver bei Verzögerungen“, sagt Air-Greenland-CEO Michael Højgaard im Gespräch mit der FLUG REVUE in Nuuk. Andere Mitarbeiter wollen das gar nicht mehr hören: „Das war vor vielen Jahren“, sagt Flugplaner Jakob Petersen. „Damals hatten wir viel mehr Hubschrauber, und die waren bei schlechtem Wetter sehr viel eingeschränkter in ihrem Aktionsradius.“ Der Wind ist aber ein großes Problem geblieben, und das ausgerechnet am Hauptstadt-Flughafen. In Nuuk, der einzigen Stadt Grönlands, die diesen Namen verdient, lebt etwa ein Viertel der Bevölkerung, fast die Hälfte aller Air-Greenland-Passagiere fliegt hierher. „Unser maximales Windlimit sind 40 Knoten beim Start und 35 zur Landung – erst vorgestern blies es hier aber mit 50 Knoten“, so Petersen. Dutzende Flüge wurden gestrichen. Grönländer kennen das.
Bei extremem Wetter landet man im Hotel
„Es kann in Grönland zu allen Jahreszeiten Wetterprobleme geben, Nebel und Sturm auch im Sommer; Schnee, Blizzards und Vereisung im Winter, und Nuuk gehört leider zu den am stärksten betroffenen Zielen“, sagt Petersen. Vor Jahren, als in Grönland noch die damals weltgrößte zivile Flotte von bis zu acht Sikorsky-S-61N-Hubschraubern im Passagierverkehr unterwegs war, gab es viel mehr Ausfälle: „Etwa 30 Prozent unserer Hubschrauber-Verbindungen waren im Schnitt vom Wetter behindert, Frühjahr und Herbst sind am schwierigsten, im Winter sind die Verhältnisse stabiler“, so Petersen.
Vereisung von Flugzeugen, Start- und Landebahnen ist dann das größte Problem, weil es aus Kostengründen nur an vier großen Flughäfen entsprechende Enteisungsfahrzeuge gibt. „Unsere Top-3-Flughäfen mit Wetterproblemen sind Nuuk sowie Sisimiut hier an der Westküste und Kulusuk an der Ostküste“, verrät der Flugplaner. Im Gegensatz zu früher, wo Passagiere bei wetterbedingten Ausfällen auf sich allein gestellt waren, kümmert sich Air Greenland heute bei Störungen um Unterbringung und Verpflegung gestrandeter Gäste. Im Herbst 2015 war das Wetter selbst für arktische Verhältnisse so schlecht und die Folgekosten der entstehenden Unregelmäßigkeiten so hoch, dass das sogar Eingang in den aktuellen Geschäftsbericht fand.
Seit 2012 fliegen die großen S-61-Hubschrauber nicht mehr im Liniendienst, sie waren einfach zu unwirtschaftlich und aufwendig in der Wartung. „Ihr Betrieb ist heute siebenmal teurer als bei Flächenflugzeugen“, sagt Toke Brødsgaard, Hubschrauberpilot, der auch die S-61 fliegt. Zwei der Großhelikopter mit bis zu 25 Sitzen betreibt Air Greenland immer noch, wenn auch nur für Spezialmissionen wie Touristenflüge, Rettungseinsätze oder Transporte zum jährlichen Hundeschlittenrennen in der Diskobucht. Dann kann eine S-61 bis zu fünf Schlitten, deren Fahrer plus maximal 76 Hunde auf einmal an Bord nehmen.
Die noch aktiven S-61 sind beide aus dem Baujahr 1965, „aber keine hat mehr als 43 000 Flugstunden, 100 000 wären möglich“, sagt Chefmechaniker Peter Berthelsen. Er arbeitet im firmeneigenen Wartungshangar in Nuuk. Die Hubschrauberflotte, zu der auch neun Eurocopter AS350B3 sowie acht Bell 212 mit jeweils bis zu 13 Sitzen gehören, werden alle in Eigenregie überholt. Die Dash 8 dagegen erhalten die größeren C- und D-Checks neuerdings bei Flybe im englischen Exeter. „Es gibt hier kaum Feuchtigkeit, das Klima ist sehr trocken, Probleme mit Korrosion haben wir kaum“, so Berthelsen, auch wenn es an diesem Tag regnet. Zuletzt stand eine weitere S-61 im Hangar und wurde gründlich neu aufgebaut. „Sie stammt von 1979, flog als Rettungshubschrauber in England, war ein Jahr abgestellt und wird nach einer umfassenden Modernisierung nun von Air Greenland im Regierungsauftrag für Such- und Rettungsaufgaben betrieben“, erklärt Berthelsen.
Grönland ist mit knapp 2,2 Millionen Quadratkilometern die größte Insel der Welt und gehört politisch zu Dänemark, geografisch zu Nordamerika. Von Nord nach Süd beträgt die größte Distanz 2670 Kilometer. Die Oberfläche ist zu 82 Prozent vom dauerhaften Panzer des bis zu 3000 Meter dicken Inlandeises bedeckt, nur an der Westküste gibt es eisfreie Stellen. Hier leben auch die meisten der insgesamt 55 000 Einwohner Grönlands, gerade mal so viele wie in Baden-Baden wohnen. Straßen zwischen zwei Orten gibt es in Grönland keine, aber Air Greenland fliegt mit ihren sieben Turboprops und 17 kommerziell betriebenen Hubschraubern planmäßig 13 Flughäfen im Inland an. Dazu kommen neun permanent betriebene Heliports sowie 39 weitere Landeplätze. Versorgungsflüge gibt es sogar zu über 100 Siedlungen, manche davon mit nur 40 Einwohnern – ohne die Hilfe aus der Luft könnten die Menschen unter diesen harten Bedingungen nicht existieren.
Air Greenland hat gerade eine wichtige Flottenerneuerung abgeschlossen: Im Oktober 2015 erst schied die letzte DHC Dash 7 aus, die von 1979 an das Rückgrat der Inlandsflotte gebildet hatte. Ersetzt werden sie durch sieben schon recht betagte Dash 8-200, die alle gebraucht erworben wurden und im Durchschnitt bereits 19,4 Jahre alt sind. „Die Dash 7 wurde ausgemustert, weil immer weniger Airlines diesen Typ betreiben, was es immer schwieriger machte, die Lieferung von Ersatzteilen und das Simulator-Training für die Piloten sicherzustellen“, sagt der CEO. „Die Umstellung begann 2010, sie dauerte fünf Jahre. Über 190 Angestellte, Piloten und Mechaniker, mussten trainiert werden“, so Michael Højgaard.
„Aber jetzt profitieren wir von der höheren Reisegeschwindigkeit der Dash 8, ihren günstigeren Betriebskosten und der Tatsache, dass sie mit 37 Sitzen kleiner sind als die bis zu 50-sitzigen Dash 7.“ Vor allem hilft das der Auslastung: „Das Angebot ist jetzt meist näher an der Nachfrage, unsere Auslastung ist 2015 auf 80 Prozent gestiegen, das ist sehr hoch.“ Zwei der Dash 8 haben eine erhöhte Reichweite und daher nur 29 Sitze, können dafür aber auch Orte wie Qanaaq im Norden Grönlands erreichen.
Bevölkerung schrumpft, Passagierzahl steigt
Wirtschaftlich steht Air Greenland sehr gut da, beinahe überraschend unter diesen Bedingungen. „Im letzten Jahr sind erstmals seit Langem sowohl Umsatz als auch Passagierzahlen gestiegen, obwohl Grönlands Bevölkerungszahl sinkt“, freut sich Højgaard. „Wir haben uns auf viele neue Märkte für Tourismus fokussiert, vor allem in Deutschland, und wir haben in den letzten Jahren durch Kostensenkungen und höhere Effizienz auch eine Absenkung der Flugpreise auf unserer Kopenhagen-Route von 15 Prozent erreicht, was wiederum die Passagierzahlen um 15 Prozent gesteigert hat.“ Stolz verkündet Højgaard: „Wir sind seit 2003 anhaltend sehr profitabel.“ 2015 erzielte Air Greenland einen Profit nach Steuern von acht Millionen Euro.
Bis dahin war es ein langer Prozess: „Zwei Dinge haben diese Firma wirklich verändert, zum einen die Stilllegung der S-61, vor allem aber die Tatsache, dass Air Greenland den Wettbewerb über den Atlantik gewonnen hat.“ Viele Jahre hatte SAS ein Monopol von Kopenhagen, 1998 dann begann Air Greenland, damals noch Greenlandair, mit einer Boeing 757 den Wettbewerb mit der mächtigen SAS, die immer noch mehr als ein Drittel der Anteile besitzt.
„Vier Jahre sind beide Firmen gegeneinander geflogen, aber das war einfach zu viel Kapazität, 2002 hat SAS die Strecke dann aufgegeben, und wir haben unseren Airbus A330 angeschafft“, sagt Michael Højgaard. Der bis heute innen nicht modernisierte Airbus A330-200, 2002 nach der Pleite von Sabena übernommen, verfügt über 278 Sitze, davon 30 in der Business Class. „Wir wissen, dass die Kabine nicht mehr taufrisch aussieht, eigentlich wollten wir längst eine neuere A330 beschaffen“, erklärt der CEO. Bis zu zwei Flüge täglich auf der Kopenhagen-Strecke, plus im Winter wöchentliche Charterflüge von dort nach Gran Canaria, haben ihre Spuren hinterlassen.
Doch seit Kurzem herrscht Unsicherheit über die künftige Strategie. „Tatsache ist, dass niemand unserer Passagiere nach Kangerlussuaq will“, räumt der Airline-Chef ein. Und doch ist die ehemalige US-Militärbasis im Westen der bisher einzige Zivilflughafen Grönlands, der große Jets aufnehmen kann. Von hier wird der Verkehr mit Dash-8-Flügen verteilt, wobei neben der Hälfte der zuletzt insgesamt 395 000 Passagiere, die nach Nuuk wollen, rund ein Viertel in die Touristenhochburg Ilulissat in der Diskobucht an der Westküste reist.
Heute sind die Pisten in Nuuk und Ilulissat 950 bzw. 845 Meter lang, in der politischen Diskussion ist ihre Verlängerung auf jeweils 2200 Meter, um Direktflüge aus Kopenhagen aufnehmen zu können. „Dann wäre die A330 das falsche Flugzeug für uns, wir bräuchten dann A320 oder Boeing 737, und wir müssten überlegen, ob wir die selbst betreiben oder von einem Partner betreiben lassen“, sagt Michael Højgaard. „Wir bräuchten mindestens 1800 Meter Pistenlänge, und auch damit wären die Möglichkeiten eingeschränkt.
Mindestens jeweils ein Kilometer Erweiterung sind unter den schwierigen Bedingungen an beiden Plätzen riesige Investitionen.“ Außerdem müsste die bisher begrenzte Infrastruktur an beiden Orten massiv erweitert werden, wenn Jets aus Dänemark dort landen würden. „Wir müssen uns mit dem arrangieren, was die Politiker entscheiden“, sagt Michael Højgaard mit einem leichten Schulterzucken. Wirklich an die Ausbauprojekte glaubt kaum jemand in Grönland. Wichtiger ist dem CEO, dass er 2016 weiter steigende Umsätze erwartet: „Allerdings werden wir die Gewinne nicht steigern können, weil wir die Flugpreise weiter senken, um längerfristig auch in möglichem Wettbewerb bestehen zu können.“
Air Greenland Daten und Fakten
IATA Code: GL
ICAO Code: GRL
Eigentümer: Regierung Grönland (37,5 %), SAS Group (37,5 %), Regierung Dänemark (25 %)
Betriebsaufnahme: 1. Mai 1962
Mitarbeiter: 634
Passagiere: 2015 – 395 000, 2014 – 381 000, 2013 – 384 000
Flotte: ein Airbus A330-200, sieben Dash 8-200, eine Beechcraft Super King Air 200, zwei Sikorsky S-61N, acht Bell 212, neun Eurocopter AS 350B3
Drehkreuze: Nuuk, Kangerlussuaq
Streckennetz: Linienverkehr zu 22 Orten in Grönland, außerdem Kopenhagen sowie saisonal Keflavik
Gewinn: 2015: acht Mio. Euro, 2014: sieben Mio. Euro, 2013: 5,5 Mio. Euro.
www.airgreenland.com
FLUG REVUE Ausgabe 11/2016
Dieser Artikel kann Links zu Anbietern enthalten, von denen FLUG REVUE eine Provision erhalten kann (sog. „Affiliate-Links“). Weiterführende Informationen hier.