Schwerste Lasten und schlechteste Pisten? Wenn es beim eiligen Frachttransport in Krisengebiete ums Ganze geht, springen Spezialairlines aus der Ukraine und Russland mit ihren Antonow-Frachtern ein. Die bringt so schnell nichts aus der Fassung.
Der Himmel über der staubigen Piste des Flughafens von Gao in Mali füllt sich mit einem tiefen Brummen, noch bevor man die Antonow An-22A sieht. Erst dann erkennt man im Hitzeflimmern den anfliegenden Frachter an seinen vier Landescheinwerfern in den Fahrwerkswülsten und in den Flügelvorderkanten. Sanft setzt der viermotorige Riese, der über eine maximale Startmasse von 250 Tonnen verfügt, mit seinen acht gegenläufigen Propellern auf dem Sandboden nahe des Flusses Niger auf und wirbelt hinter sich eine turmhohe, rötliche Staubwand auf. Wie ein gewaltiger Jeep rollt das größte Turbopropflugzeug der Welt hochbeinig auf der afrikanischen Buckelpiste aus. Springend, nickend und mit imposant federndem Fahrwerk pariert der nun ohne den aerodynamischen Auftrieb seiner Flügel immer träger werdende Gigant Bodenwellen und Erdlöcher und kommt schließlich am Wendekopf der Behelfslandebahn zum Stehen. Mit einseitigem Schub auf dem rechten Triebwerk Nummer vier wendet der 42 Jahre alte Oldie auf seinen 14 Rädern mit tiefem Dröhnen und schrillem Triebwerkspeiffen, bevor ihn das enge Rollmanöver bald in seine eigenen Staubwolke einhüllt. Willkommen in Gao!
Alleine am Gao International Airport landete das größte Propellerflugzeug der Welt, die Antonow An-22A Antei, seit Dezember sieben Mal. Bei Hilfsflügen aus Europa für die UN-Stabilisierungsmission MINUSMA und bei unterstützenden Flügen wurden mit der Ukrainerin UR 09307 von Antonov Airlines bei insgesamt 39 Flügen und in 141 Flugstunden 246 Tonnen Fracht nach Mali gebracht, mehrfach – wie heute beim Flug aus Leipzig – mit Tankstopp in Algier. Die Antonow An-22A ist, wie nur wenige Flugzeugmuster, für die extrem rauen Bedingungen Malis geeignet, denn Staub und aufgewirbelte Erdbrocken werden den meisten Jets und auch modernen Turboprops mit weniger Bodenfreiheit leicht gefährlich. Bei Antonow spottet man, gegen den robusten Sowjet-Oldie seien westliche Transporter nur „Paketfrachter“. In der Tat mieden französische und deutsche Airbus A400M nach ersten Probeflügen wegen der Gefahr von Propellerbeschädigungen Gaos holprige Staubpiste. Laut Antonow könnte keine An-12, C-130 oder Il-76 auf Landepisten dieser Qualität mehr Fracht auf einmal anliefern.
Antonow reaktivierte seine abgestellte An-22A
Für die harte Arbeit in Westafrika mottete Flugzeughersteller Antonow deshalb eigens seinen werkseigenen Oldie An-22A aus, um ihn nach achtjähriger Betriebspause und einer aufwendigen Grundüberholung samt Neulackierung ab Sommer 2016 wieder bei der unternehmenseigenen Spezialfracht-Airline Antonov Airlines einzusetzen.
Insgesamt 68 der 57,80 Meter langen Schwertransporter mit den auch aus dem Bomber Tupolew Tu-95 bekannten, jeweils 11 200 Kilowatt starken Kusnetzow-NK12MA-Triebwerken, wurden bis 1976 in Kiew und Taschkent für das Militär der Sowjetunion und für Aeroflot gebaut. Bis heute ist die An-22, die 1965 zum ersten Mal abhob, das größte (Land-)Propellerflugzeug der Welt. Ihr gewaltiger Frachtraum ist 33 Meter lang und 4,40 Meter breit und hoch. Bordeigene Deckenkräne hieven das mitgeführte Ladegut nach der Landung ohne weitere Infrastruktur am Boden bequem zum Weitertransport auf Lastwagen oder Tieflader. Im Cockpit, das hier noch eine echte Kanzel ist, arbeiten zwei Piloten sowie Bordingenieure, Navigator und Funker. Die mitfliegenden Lademeister haben innerhalb der gewaltigen Fahrwerkswülste auf beiden Seiten des Laderaums eigene „Büros“.
Das Fliegen ist für die Piloten hier noch richtige Arbeit. Man sieht es schon an ihrer ungewöhnlich aufrechten Sitzposition, aus der sie, weit vorgebeugt und beide zugleich, die massiven Steuerhörner in der Größe von Motorradlenkern am kraftvollsten umfassen können. Der Bordingenieur übernimmt, wie in der östlichen Luftfahrt üblich, beim Landeanflug die Bedienung der Triebwerkshebel in der Mitte. Bis zu 100 Tonnen Nutzlast nimmt die An-22A auf.
Selbst wenn es noch deutlich mehr zu transportieren gibt, hat Antonow das passende Produkt: die Antonow An-124 Ruslan, die sowjetische Antwort auf die Lockheed C-5A Galaxy. Der vierstrahlige Transporter ist zwar fünf Meter kürzer als die Amerikanerin, schafft aber dafür bis zu 150 Tonnen Nutzlast. 56 der mit je vier D-18T-Turbofans von Progress ausgestatteten Großraumjets wurden zu Sowjetzeiten gebaut. Sieben Flugzeuge betreiben die russischen Luftstreitkräfte noch heute, sieben weitere sind zivil bei Antonov Airlines aus der Ukraine und zehn bei der russischen Volga-Dnepr Airlines im Einsatz, ein Exemplar fliegt in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Die An-124 hat sich weltweit als Spezialfrachter einen eigenen Markt geschaffen. Ob klobige Mantelstromtriebwerke oder unzerlegte Hubschrauber, komplette Flugsimulatorkabinen, schwere Maschinenteile, Panzer oder ganze Lokomotiven – für die An-124 ist nichts zu schwer oder zu sperrig.
Drehkreuz Leipzig spielt die Schlüsselrolle
Nach dem Ende der Sowjetunion wechselten die meisten, heute zivilen Exemplare aus Militärdiensten in die freie Wirtschaft – mitsamt ihrer alten Beschaffungsoffiziere und Flugzeugbauer. Crews und Lademannschaften, die oft ein Ingenieurstudium absolviert haben, verfügen über entsprechend geballten Sachverstand. Sie können aus einem Baukastensystem Laderampen und Gleitbahnen bauen, um auch schwerste und sperrigste Ladegüter zu bewegen.
Während die Antonow An-22 am Boden keinerlei Probleme kennt, bekommt ihre größte Schwester, die Antonow An-225 Mrija gerade hier Schwierigkeiten. Sie ist das größte Flugzeug der Welt, ein gewaltiges Einzelstück mit 84 Metern Länge und 88,4 Metern Spannweite. Damit passt sie nur auf wenige Flughäfen, wo Rollwege, Lichtmasten und Abstellflächen ausreichend groß dimensioniert sind. Nur Howard Hughes’ achtmotoriges Wasserflugzeug H-4, genannt „Spruce Goose“, hatte mit 97,5 Metern noch mehr Spannweite. Oft kommt der exotische Gigant An-225 nur zu nächtlichen Stippvisiten, nimmt schnell sein Ladegut auf und ist im Morgengrauen schon wieder verschwunden, bevor der normale Flugbetrieb beginnt. Die An-225 entstand auf Basis der An-124; ein mittleres Flügelstück und zwei Triebwerke kamen hinzu. Gebaut wurde sie als Spezialtransporter, um auf ihrem Rücken die russische Raumfähre Buran zu befördern. Deshalb gibt es nur ein flugfähiges Exemplar und einen unfertigen Reserverumpf. Bis zu 250 Tonnen Fracht kann der sechsstrahlige Riese befördern. Er hält auch den Rekord für das schwerste Luftfracht-Einzelstück, einen 190 Tonnen schweren Generator.
Das wichtigste „Nest“ der Riesen ist die deutsche Frachtdrehscheibe Halle/Leipzig. Hier hat das Unternehmen Ruslan SALIS GmbH seinen Sitz. SALIS steht für „Strategic Airlift Interim Solution“ (Zwischenlösung für den strategischen Lufttransport). Das vormals russisch-ukrainische Luftfrachtunternehmen stellte seit 2006 für verschiedene NATO-Länder ständig zwei An-124-100-Schwerlasttransporter bereit und garantierte den bevorzugten Zugriff auf vier weitere innerhalb von neun Tagen.
Wegen des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine haben sich die beiden SALIS-Teilhaber jedoch überworfen und gehen seit dem Jahreswechsel getrennte Wege. So blieb der NATO Support and Procurement Agency nichts anderes übrig, als für 2017/18 nun zwei Verträge abzuschließen. Für 2017 wurden 1600 Flugstunden vereinbart, wobei die Russen knapp 1000 und die neu gegründete Antonov SALIS rund 600 bekommen. Dies ist etwa proportional zu den An-124-Flotten von Wolga-Dnepr (10) und Antonov Airlines (7). Wichtigster Nutzer von SALIS bleibt Deutschland mit voraussichtlich 1080 Stunden in diesem Jahr. Frankreich hat für seine Einsätze in Afrika ebenfalls einen erheblichen Bedarf. Gute Aussichten also auch weiterhin für die robusten Riesen aus dem Osten.
FLUG REVUE Ausgabe 03/2017
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