Aus für Il-112W: Russlands misslungener Militärtransporter

Vom Prop zum Jet
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Russland plant misslungenen Militärtransporter Il-112W neu

© Rostec/PZ; Montage: FR-Grafik 30 Bilder

Russland lässt seinen glücklosen Turboprop-Transporter Il-112W wohl sterben – und als Il-212 mit Jet-Triebwerken wiederauferstehen. Das neue Flugzeug soll seine Turbofans auf den Flügeln tragen. Vorbild ist die Antonow An-72. Doch ob der Plan aufgeht?

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Was bereits im Juni in Regierungskreisen angedeutet wurde, scheint nun in Russland tatsächlich Konsens zu sein: Der Militärtransporter Il-112W, dessen einziger Prototyp am 17. August 2021 infolge eines Triebwerkschadens abstürzte, soll zu einem Flugzeug mit Strahlantrieb konvertiert werden und firmiert künftig unter dem Projektnamen Il-212. Das melden mehrere russische Medien – unter anderem die Nachrichtenagentur RIA Novosti, die sich auf eine namentlich nicht genannte Insiderquelle beruft.

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Prototyp der Iljuschin Il-112W im Bau: Erhält der kleine russische Transporter jetzt wirklich Turbofans?

Krisenflieger Il-112W

Die Berichte über die Weiterentwicklung der Il-112W zur düsengetriebenen Il-212 bauen auf einer Aussage des russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu auf. Dieser verkündete vergangene Woche nach einem Gespräch mit der Führungsriege der Flugzeugbau-Holding UAC, man habe "eine Entscheidung" für ein zukünftiges leichtes Transportflugzeug getroffen, das beim Militär die alten Antonow An-26 und An-72 ablösen soll. Diese Rolle hätte eigentlich längst die Il-112W einnehmen sollen, doch deren Entwicklung liegt seit dem Absturz 2021 auf Eis – zumal sich der Kreml bereits vor dem fatalen Crash mit drei Toten unzufrieden mit den Flugleistungen der Il-112W gezeigt hatte.

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Neuer Militärtransporter Der Kreml ist unzufrieden mit der Iljuschin Il-112

Vorbild An-72

Der anonyme Insider erklärte gegenüber RIA Novosti, die künftige Il-212 werde gegenüber der Il-112W "erheblich überarbeitet", solle jedoch gleichzeitig "so viel wie möglich" vom Ausgangsmodell übernehmen. Das betreffe vor allem die Avionik, aber auch den "Rumpf im Allgemeinen", soweit die geplanten Modifikationen dies zuließen. Die Il-212 "wird PD-8-Turbofan-Triebwerke anstelle der Turboprops TW-117ST erhalten", so die Quelle weiter. "Dementsprechend werden der Flügel und das Fahrwerk des Flugzeugs neu gestaltet und neue Treibstoff- und Hydrauliksysteme installiert." Zudem sollen die PD-8-Triebwerke auf den Tragflächen montiert werden – ähnlich wie beim STOL-Transporter Antonow An-72/74 aus den 1970er-Jahren. Das schaffe die notwendige Bodenfreiheit für die Triebwerke, um die Il-212 auch von unbefestigten Flugplätzen sicher betreiben zu können.

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Die Triebwerke sollen bei der geplanten Il-212 auf den Tragflächen sitzen - analog zur Antonow An-72/74 (Foto).

Nadelöhr Triebwerksbau

Die Pläne klingen ambitioniert, wenngleich es für die Umsetzung bislang keinen konkreten Zeitrahmen zu geben scheint. Allerdings ist klar, dass ein Umbau der Il-112W auf PD-8-Turbofans gleich in mehrfacher Hinsicht Herausforderungen mit sich bringt. Zum einen wäre da die begrenzte Verfügbarkeit der Triebwerke, die – nebenbei erwähnt – derzeit noch mitten in der Flugerprobung stecken. Das PD-8 ist primär als Antrieb für die "russifizierte" Version des Regional-Airliners Suchoi Superjet vorgesehen und somit ein zentraler Faktor für den Plan der russischen Regierung, den zivilen Flugverkehr bis 2030 verstärkt mit neuen Mustern aus einheimischer Produktion zu bestreiten. Auch im Löschbomber Berijew Be-200, der bislang mit ukrainischen D436-Motoren fliegt, soll das PD-8 zum Einsatz kommen. Dem entgegen stehen die begrenzten Ressourcen der russischen Industrie. Ob es in absehbarer Zeit gelingt, zusätzlich noch für ein drittes Großprojekt genügend neue PD-8-Triebwerke herzustellen, ist eine Frage, die sich nicht nur russische Fachleute stellen.

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Das Awiadwigatel PD-8 ist für den Suchoi Superjet entwickelt worden - soll jedoch auch bei anderen russischen Jet-Mustern zum Zug kommen.

PD-8 zu stark?

Ein Artikel auf der russischen Webseite Topwar thematisiert zudem die notwendigen Änderungen am Design der Il-112W. Die Situation diesbezüglich sei "nicht so gut, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag", denn es seien erhebliche Modifikationen nötig, um den Entwurf für den PD-8-Turbofan kompatibel zu machen. Das PD-8 sei mit 78 kN Schub mehr als doppelt so leistungsstark wie das TW7-117ST – aber mit einem Gewicht von 2,3 Tonnen auch gut viermal schwerer als das Turboprop-Triebwerk, das lediglich 510 Kilogramm wiege. "Selbst fernab der Luftfahrt wird man verstehen, dass man versucht, eine völlig ungeeignete Einheit für ein leichtes Militärtransportflugzeug zu installieren", fasst Topwar zusammen.

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Die Il-112W mit Turboprops: Ein Umbau auf PD-8 ist laut Fachkreisen nicht ohne Weiteres machbar. 

Ein ganz anderes Flugzeug

Diesem Problem könne man letztlich nur beikommen, indem man die künftige Il-212 insgesamt größer baue als die Il-112W. Für deren Dimensionen genüge theoretisch sogar ein einziges PD-8 anstelle der beiden Turboprops – weshalb das geplante neue Flugzeug zwangsläufig eine ganz andere Leistungsklasse repräsentiere. Anstelle der für die Il-112W vorgesehenen Nutzlast von fünf Tonnen seien mindestens die für die An-72 ausgewiesenen zehn Tonnen der Maßstab – zumal die Turbofans gegenüber den TW7-117ST deutlich durstiger seien und man in der Zelle entsprechend mehr Platz für Treibstoff schaffen müsse. Es sei daher ein Rätsel, wie man den Rumpf der Il-112W "im Allgemeinen" beibehalten wolle, moniert der Topwar-Artikel.

© Allocer (CC BY-SA 3.0)

Ein Turbofan-Transportflugzeug hatten die Russen bereits seit geraumer Zeit in Planung. Die Il-276 war als Ersatz für die An-12 gedacht. Der aktuelle Status ist aber unbekannt.

Es dauert länger

Die Il-212, so die Quintessenz der Überlegungen, müsse in jeder Hinsicht "eine bis zwei Stufen höher stehen" als ihre Vorgängerin. Ob sie dann noch in das vom Militär einstmals vorgegebene Raster passt, scheint fraglich. Der russische Luftfahrtanalyst Alexei Leonkow schlägt deshalb vor, sowohl eine Il-212 als Ersatz für die An-72 zu entwickeln, als auch an der ursprünglichen Il-112W mit Turboprop-Antrieb festzuhalten und diesen auf Grundlage der zum Absturz von 2021 gesammelten Erkenntnisse entsprechend zu verbessern. Dann habe man zwei ähnliche Flugzeugmuster, mit denen man unterschiedliche Aufgabenbereiche bestmöglich abdecken könne. Den Zeithorizont für die Entwicklung der Il-212 schätzt Leonkow auf mindestens drei, eher fünf Jahre.

© UAC/Suchoi
Neuer Jet, alte Triebwerke Russlands neuer Superjet hebt ab zum Jungfernflug

Das Triebwerk anpassen?

In eine andere Richtung deutet der bereits erwähnte Artikel auf Topwar, der – sollten die bekannten Dimensionen der Il-112W trotz Umbau auf Jet-Antrieb beibehalten werden – vorschlägt, das PD-8-Triebwerk zu verkleinern, um dessen Leistung auf die Zelle anzupassen. So ließe sich ein PD-6 mit sechs Tonnen Schub oder gar ein noch kleineres PD-4 mit rund vier Tonnen Schub realisieren, was deutlich besser zu den Parametern der Il-112W passe. Eine solche Skalierung sei im Grunde nicht kompliziert, schließlich sei auch das PD-8 auf diese Weise aus dem größeren PD-14 entstanden, das den neuen russischen Airliner MS-21 antreibt. Was dann trotzdem bliebe, wäre das Nadelöhr der begrenzten Produktionskapazitäten beim Hersteller Awiadwigatel.

Fazit

Es bleiben noch viele Fragen. So oder so ist jedenfalls klar: Die alten An-26 und An-72 der russischen Armee müssen noch eine ganze Weile weiterfliegen, bis ein einsatzreifer Nachfolger das Zepter übernehmen kann. Egal, ob dieser dann Il-212 heißt – oder doch Il-112W.

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