Diese Riesen-Frachtdrohne stellt die An-225 in den Schatten
Ein Start-up aus Großbritannien will die Luftfracht revolutionieren. Der Plan: Riesige Langstrecken-Frachtdrohnen mit bis zu 350 Tonnen Nutzlast. Und neue, leichte Transport-Container. Die Kosten dafür? Hoch! Die Umsetzung: fraglich.
Kein Flugzeug konnte je mehr Fracht befördern als die Antonow An-225 "Mrija". Bis zu 250 Tonnen Nutzlast fanden im Frachtraum der sechsstrahligen Riesin Platz. Damit war sie nicht nur der Star in jedem Flugzeug-Quartett, sondern auch Millionen Menschen weltweit ein Begriff. Ende Februar 2022 wurde die einzige je vollendete An-225 bei Kämpfen um den Antonow-Werksflughafen Kiew-Gostomel zerstört. Ihre von der Ukraine angestrebte Auferstehung dürfte Utopie bleiben. Teile der "Mrija" fliegen heute immerhin an der kleinen Schwester An-124 weiter, von denen Antonov Airlines fünf Exemplare betreibt. Sie heben, je nach Variante, zwischen 120 und 150 Tonnen in die Luft.
Unbemannte Riesenflugzeuge als Containerfrachter: Sieht so der Frachttransport der Zukunft aus?
Droneliner mit Airbus-Knowhow?
Das britische Start-up "Droneliner" will diese Werte, auch jenen der An-225, geradezu pulverisieren. Die Briten lassen dazu zwei Entwürfe für riesige Frachtdrohnen von der Kette, mit denen sie den globalen Markt für Luftfracht nachhaltig verändern wollen. Mit an Bord sind erfahrene Ingenieure, die früher bei Airbus teils leitende Funktionen innehatten. So etwa Dr. Behrouz Barzegar, nach eigenen Angaben leitender Aerodynamik-Designer für die A380 und den Militärtransporter A400M, oder der ehemalige A340- und A380-Chefingenieur für Großbritannien, John Roberts.
Ausgestattet mit Turbofans neuester Generation, kompatibel für Wasserstoff und mit Elektromotor-Unterstützung am Boden sollen der Droneliner DL200 und sein großer Bruder DL350 die Kosten für den Frachttransport auf dem Luftweg gegenüber heutigen Standards um mehr als 70 Prozent senken. Während der DL200 für bis zu 200 Tonnen Nutzlast ausgelegt ist, sollen im DL350 bis zu 350 Tonnen Frachtgut Platz finden – bei einem maximalen Startgewicht von etwa 600 Tonnen. Als Reichweite gibt Droneliner für beide Modelle je 12.000 Kilometer an.
Die beiden Entwürfe DL200 und DL350 im Steckbrief: schwerer und größer als Antonows Riesen.
Ultrafan und Truss-Braced Wing
Das klingt ambitioniert, finden Sie? Sehen wir ähnlich. Trotzdem lohnt sich ein genauerer Blick auf die Details, mit denen Droneliner seine Ziele in die Tat umsetzen will. Denn die Briten machen sich gleich mehrere Aspekte des modernen Flugzeugbaus zunutze – und kombinieren diese mit den konstruktiven Vorteilen eines unbemannten Fluggeräts. Sowohl der "kleine" DL200 als auch der größere DL350 besitzen abgestrebte Tragflächen mit hoher Streckung – ganz so, wie Boeing sie bei seinem "Truss-Braced Wing"-Konzept für einen neuen Airliner austestet.
Als bevorzugten Antrieb nennt Droneliner neueste Turbofans mit hohem Nebenstromverhältnis – etwa das GE9X für die Boeing 777X oder den Ultrafan von Rolls-Royce. Während der DL350 zwei dieser Triebwerke auf Pylonen am Heck zur Schau trägt, soll der DL200 mit nur einem Motor bestückt werden. Für das Manövrieren am Boden verpasst Droneliner den Rädern seiner Riesenfrachter Elektromotoren. Sie sollen auch beim Startlauf unterstützend eingreifen und die Drohnen im Alleingang auf bis zu 130 km/h beschleunigen. Mithilfe von Rekuperation beim Bremsvorgang und sogenannten "Wingmills", an den Flügelspitzen angebrachten Wirbelstromgeneratoren, wollen die Entwickler im laufenden Betrieb elektrische Energie "auftanken". Auf diese Weise sollen auch in der Luft sämtliche Verbraucher versorgt werden, damit die Triebwerke ihre volle Energie für den Vortrieb verwenden können.
Ein zentral am Heck montierter Ultrafan (alternativ ein GE9X) soll dem "kleinen" DL200 als Antrieb reichen.
Fracht-Container aus Kunststoff
Um das Schub-Gewichtsverhältnis entsprechend zu gestalten, bestehen die ein- und zweistrahligen Droneliner-Frachtdrohnen selbstredend aus Kohlefaser. Der Frachtraum, aufgeteilt in drei Etagen, ist drucklos konzipiert, Platz für ein Cockpit braucht es nicht. Das soll das Be- und Entladen der Containerfracht so einfach machen, dass die Abfertigung am Boden in nur einer Stunde erledigt ist. Die Container selbst stehen ebenfalls im Fokus des Droneliner-Entwicklerteams – schließlich wäre der Rückgriff auf herkömmliche Luftfracht- oder gar auf Hochseecontainer ein im wahrsten Wortsinn schwerer Stilbruch. Tatsächlich plant Droneliner die Nutzung von 20-Fuß-Containern analog zum Seetransport – allerdings nicht aus Stahl gebaut, sondern aus Kunststoff. Die sollen leer pro Einheit nur 400 Kilogramm auf die Waage bringen – rund 80 Prozent weniger als ihre Metall-Pendants. Während im DL200 bis zu 40 dieser Behälter unterkommen sollen, plant Droneliner den DL350 für maximal 70 Spezial-Container. Für maximale Raumnutzung sind die Rümpfe beider "Roboter-Flugzeuge" im Querschnitt rechteckig ausgelegt.
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Abseits der großen Airports
Droneliner-Programmdirektor Mike Debens geht davon aus, dass zumindest einer der beiden DL-Entwürfe "bis Ende des Jahrzehnts" abheben wird. Das jedenfalls sagte Debens der englischen Tageszeitung "The Sun". Damit das geschehen kann, kümmern sich Debens und sein Team bereits jetzt nicht nur um technische, sondern auch um rechtliche Aspekte. Denn, so der Manager: "Man kann von den Leuten nicht verlangen, dass ein 600 Tonnen schweres Flugzeug über ihr Haus fliegt, bei dem niemand an Bord ist." Flugrouten der Riesendrohnen sollen deshalb nicht über besiedelte Gebiete führen, auch Starts und Landungen an herkömmlichen Airports sind tabu. Stattdessen will Droneliner stillgelegte Militärflughäfen nutzen. Inwiefern fehlende Redundanz insbesondere beim einstrahligen Entwurf DL200 ein Knackpunkt bei der Zulassung sein könnte, erklärt Debens nicht. Auch die sich aufdrängende Frage, ob ein 600-Tonnen-Koloss mit zwei Triebwerken – allen sonstigen Finessen zum Trotz – nicht ein wenig untermotorisiert ist, wird nicht diskutiert.
Das Be- und Entladen der Droneliner-Frachter soll weitgehend automatisiert und in weniger als einer Stunde erfolgen.
Wer soll das bezahlen?
Ob das Droneliner-Projekt jemals Wirklichkeit wird, hängt jedoch nicht allein von technischer Machbarkeit und regulatorischen Hürden ab – sondern maßgeblich vom Geld. Die Kosten bis zum Bau und Erstflug eines Prototyps schätzt Programmchef Debens bereits jetzt auf mehr als zehn Milliarden US-Dollar. Woher diese Milliarden kommen sollen, ist noch nicht ganz klar. Debens hofft auf finanzstarke Risikokapitalgeber, aber auch auf Initiativen aus der Logistik- und Online-Handelsbranche. Man sondiere aktuell den Markt und frage nach, was mögliche Kunden sich wünschen, so Debens. Auf Basis dieses Feedbacks werde man außerdem entscheiden, welchen der beiden Droneliner-Entwürfe man zuerst angehe.
Gut möglich ist bei Lichte betrachtet auch, dass wir am Ende weder den DL200 noch den DL350 im echten Leben zu Gesicht bekommen werden. Das allerdings sagt der Droneliner-Mann natürlich nicht.
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