Tests bei Rolls-Royce: Voller Schub für den UltraFan

Tests bei Rolls-Royce
Voller Schub für den UltraFan

Zuletzt aktualisiert am 14.12.2023

Satte 378 Kilonewton hat der jüngste Rolls-Royce-Turbofan Anfang November 2023 bei einem Bodenlauf im englischen Derby entwickelt. Das übersteigt den Schublevel, für den der UltraFan ausgelegt ist, um sechs Prozent. Die initiale Phase des Tests wurde nach Angaben von Rolls-Royce mit 100 Prozent nachhaltigem Flugkraftstoff (SAF, in diesem Fall HEFA-Kerosin) durchgeführt.

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Höhepunkt und Meilenstein

Der Test auf dem neuen Indoor-Prüfstand für Großtriebwerke in Derby, Testbed 80, ist ein Höhepunkt des Forschungs- und Entwicklungsprogramms, das offiziell 2014 begann. Seinen Erstlauf absolvierte der UltraFan-Demonstrator UF001 am 24. April 2023. Seither habe man die Leistung schrittweise erhöht und der Demonstrator habe sich wie erwartet verhalten, so Rolls-Royce. Simon Burr, Director Engineering and Technology von Rolls-Royce, sagte bei einem Pressebriefing im Juni in Dahlewitz, dass rund drei Testläufe pro Woche stattfänden. Mittlerweile sind mehr als 70 Teststunden zusammengekommen.

Riesen-Fan, Riesen-Getriebe

"Dieses Triebwerk ist außergewöhnlich", so Burr. "Es ist das größte Triebwerk, das wir bisher gebaut haben." Der UltraFan hat einen Bläserdurchmesser von 3,56 Metern – 16 Zentimeter mehr als das bis dato größte Triebwerk der Welt, das GE9X von GE Aerospace für die Boeing 777X. Es gehe aber nicht allein um Größe, sondern um die Vortriebseffizienz. Ein guter Gradmesser dafür ist das Nebenstromverhältnis. Es beschreibt das Verhältnis der Luftmasse, die vom Fan am Kerntriebwerk vorbei beschleunigt wird, zur Luftmasse, welche die Brennkammer passiert. Beim UltraFan liegt der Wert laut Burr bei 15:1. Zum Vergleich: Das GE9X hat ein Nebenstromverhältnis von 10:1, beim Trent XWB (Airbus A350) sind es 9,6:1.

Das erreicht Rolls-Royce unter anderem dank eines Untersetzungsgetriebes zwischen Mitteldruckturbine und Bläser. Rolls-Royce Deutschland und Liebherr-Aerospace haben das Leistungsgetriebe entwickelt und in Dahlewitz bei Berlin auf eigens dafür entworfenen Prüfständen erprobt. Zimperlich waren die Ingenieure dabei nicht: Bei Tests wurde beispielsweise die Ölzufuhr unterbrochen und untersucht, wie sich die Lager verhalten. Wie viele Getriebe man im Laufe der mehr als 650 Stunden umfassenden Erprobung seit 2017 verschlissen hat, verrät der Hersteller indes nicht.

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Schlüsselkomponente

Rolls-Royce setzt, wie Pratt & Whitney im Getriebefan (GTF), für Airbus A320, A220 sowie Embraer 190-E2 und 195-E2, auf ein Planetengetriebe. Über das Untersetzungsverhältnis und das Gewicht schweigt sich Rolls-Royce aus, aber das Getriebe ist ein wahrer Koloss: Es nimmt eine Fläche von etwa einem Quadratmeter ein und besteht aus einem Sonnenrad, fünf Planetenrädern und einem festen Hohlrad (sogenannte Planeten-Anordnung). Bei Tests im August 2021 hat es 64 MW Leistung übertragen – das ist nach Angaben von Rolls-Royce Luftfahrt-Weltrekord. Für den UltraFan werden "nur" 51 MW Leistung benötigt, so Burr. Zum Vergleich: Das Planetengetriebe des GTF besteht aus einem Sonnenrad, fünf Planetenrädern, einem Hohlrad und einem festen Steg, man spricht von einem Stern-Arrangement. Es überträgt bis zu 24 MW.

Effizienz im Fokus

Der UltraFan soll zehn Prozent sparsamer sein als das Trent XWB; verglichen mit dem Trent 700 (A330) soll die Treibstoffeffizienz sogar 25 Prozent besser sein. Neben dem Leistungsgetriebe tragen dazu auch eine veränderte Architektur – nur noch zwei statt drei Wellen – sowie ein kompakteres Kerntriebwerk mit einem hohen Gesamtdruckverhältnis von bis zu 70:1 bei. Um das zusätzliche Gewicht des Getriebes zu kompensieren, wurden die großen, türkisfarbenen Bläserschaufeln aus Kohlefaserverbundwerkstoffen hergestellt und erhielten eine Titanvorderkante. Auch das Fan-Gehäuse besteht aus Verbundwerkstoffen. Ergänzt wird der UltraFan um die neue ALECSys-Magerbrennkammer (Advanced Low Emissions Combustion System), die 40 Prozent weniger Stickoxide (im Vergleich zum Trent 700) und fast keinen Feinstaub mehr im Reiseflug emittiert. Zudem nutzte Rolls-Royce neue Fertigungsverfahren für den Bau von UF001, darunter moderne Gussverbindungen in den Leitschaufeln der Hochdruckturbine, wodurch auch die Kühlung verbessert werden soll. Neue Materialien fanden ebenfalls Eingang in den UltraFan, beispielsweise ein Dichtungssegment aus hitzeresistenten, keramischen Verbundwerkstoffen (CMCs) für die Hochdruckturbine, Hybrid-Keramiklager sowie Scheiben aus Nickel-Superlegierungen der zweiten Generation.

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Zukunft ungewiss

Nach dem jüngsten Full-Power-Test soll der Demonstrator nun genauestens inspiziert werden. Unklar ist, wie es danach weitergeht. "Sobald wir diese Testphase am UltraFan abgeschlossen haben, werden wir das gesamte Triebwerksdemonstrationsprogramm auf Eis legen, bis einer unserer Flugzeugkunden bereit ist, diese neue Triebwerksarchitektur zu übernehmen", hatte Tufan Erginbilgic, CEO von Rolls-Royce, bei einer Veranstaltung Mitte Mai in Derby zur Feier des UltraFan-Erstlaufs angekündigt. Der UltraFan ist das erste komplett neu entwickelte Rolls-Royce-Triebwerk seit dem Trent XWB, das 2010 seinen Erstlauf am Boden absolvierte. Gebaut wurde schließlich nur ein Demonstrator, nicht wie geplant vier. "Es ist eine außergewöhnliche Anstrengung von acht bis zehn Jahren. Es ist eine große Verantwortung gegenüber all den beteiligten Menschen, Institutionen und Investitionen von Regierungen, eine solches Triebwerk wie versprochen zu liefern", so Burr. Ursprünglich war der UltraFan als Nachfolger der Trent-Familie für Widebodies vorgesehen. Doch am Horizont zeichnet sich weder bei Airbus noch bei Boeing ein neues Flugzeugprogramm ab, für das ein solch großer Getriebefan infrage käme.

Rolls-Royce betont jedoch, dass der UltraFan für einen Schubbereich von 110 bis etwa 490 Kilonewton skalierbar sei. Das untere Ende entspricht den Anforderungen eines Standardrumpfflugzeugs wie Airbus A320 oder Boeing 737 bzw. deren Nachfolgern, die für die 2030er-Jahre erwartet werden. "Wenn man groß anfängt, kann man verkleinern, indem man Untersuchungen über den gesamten Bereich durchführt", so Burr. Es laufe auch Forschung zur Skalierung der Technologie. Im Projekt HEAVEN (Hydrogen Engine Architecture Virtually Engineered Novelly) des europäischen Luftfahrtforschungsprogramms Clean Aviation wird der UltraFan beispielsweise für Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge weiterentwickelt und um wasserstoff- und hybrid-elektrische Technologien ergänzt. Das Projekt läuft seit Anfang 2023 unter der Führung von Rolls-Royce Deutschland und wird bis Ende 2026 mit knapp 30 Millionen Euro von der EU-Kommission unterstützt. Die Entwicklung des Ultra-Fans wurde bereits bisher vom europäischen Vorgängerprogramm Clean Sky 2, dem deutschen LuFo-Programm und der britischen Regierung mitfinanziert.

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Technologien ausreifen

Retrofits bestehender Flugzeuge, zum Beispiel A350 oder A320, sind derzeit keine Option. "Wie er [der UltraFan; d. Red.] als Triebwerk an einem Flugzeug aussehen würde, wird von der Plattform getrieben. Und es wird eine künftige Plattform sein", sagte Rob Watson, President Civil Aerospace bei Rolls-Royce, im Juni in Dahlewitz. Der Fokus liege aktuell nicht darauf, das neue Triebwerk in Dienst zu stellen, sondern die Technologien ausreifen zu lassen. Denn auch wenn der UltraFan vorerst nicht an einem Flugzeug zum Einsatz kommen wird, hat Rolls-Royce einige Aspekte im Blick, die in die aktuellen Trent-Triebwerke Eingang finden könnten. Dazu gehören neue Werkstoffe und Fertigungsverfahren für die Hochdruckturbine sowie Dichtungen und Lager für die Hot Section (Triebwerksbereiche ab der Brennkammer). Neue Legierungen für Scheiben und Turbinenschaufeln sollen bereits 2025 in die kommerziellen Turbofans eingeführt werden.

Sparsame Gasturbinen

"Die Gasturbine ist eine unglaubliche Maschine, die Energie sehr effizient umwandelt", sagte Burr. Man werde weiterhin investieren, sie noch besser zu machen. Burr schreibt der Gasturbine eine wichtige Rolle auf dem Weg zum klimafreundlicheren Fliegen zu: "Wir schätzen, dass eine Kombination aus hocheffizienten Gasturbinen der neuesten Generation wie UltraFan, die mit 100 Prozent SAF betrieben werden, etwa 80 Prozent der Gesamtlösung ausmachen werden, um bis 2050 einen Netto-Null-Flugbetrieb zu erreichen (...)."