Nicola Winter und Amelie Schoenenwald sind Reserve-Astronautinnen bei der ESA. Wie sie ihre Chancen sehen, für eine Mission ausgewählt zu werden und warum es mehr politische Unterstützung für deutsche Astronautinnen braucht, darüber sprechen die beiden im Interview.
Nicola Winter und Amelie Schoenenwald (im Foto v. l.) wurden im November 2022 von der europäischen Raumfahrtagentur ESA als Reserveastronautinnen ausgewählt. Das heißt, sie sind nicht bei der ESA angestellt und kommen zunächst nicht für einen Flug ins All infrage. Wir haben die beiden Frauen per Email interviewt.
Winter (Jahrgang 1985) hat bereits im Rahmen der privaten Initiative "Die Astronautin" erste Schritte in Richtung Raumfahrt gemacht, bevor die ehemalige Eurofighter-Pilotin 2017 überraschend ihre Teilnahme abbrach. Die Luft- und Raumfahrtingenieurin ist seit 2021 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als Projektmanagerin tätig.
Schoenenwald (Jahrgang 1989) hat Biotechnologie in München studiert und an der Medizinischen Universität Wien in integrativer Strukturbiologie promoviert. Zudem hat sie einen Master in Business Administration des Collège des Ingénieurs (Paris). Sie hat Berufserfahrungen bei verschiedenen Biotech-Start-ups und einem großen Pharmakonzern.
Frau Winter, was war aufregender: Die Teilnahme am "Wer wird Millionär Zocker Special", bei dem Sie 125.000 Euro erspielt haben, oder die bisherige Ausbildung als Astronautin?Nicola Winter: Wer wird Millionär ist ein lustiges Spiel, dass ich gerne gespielt habe, weil es mir eine kindische Freude macht. Das Astronautentraining ist eine ernsthafte, intensive Berufsausbildung. Nachdem diese für uns noch nicht begonnen hat, bin ich noch sehr gespannt und aufgeregt, herauszufinden, wann es losgeht.
Winter: Klar. Eurofighter und Tornado zu fliegen war ein großes Privileg, enorm herausfordernd und eine gesellschaftlich wichtige Tätigkeit. Das war immer mein Traum. Und dann habe ich festgestellt, dass viele Astronauten vorher Kampfflugzeugpiloten waren. An der letzten großen Grenze der Menschheit zu arbeiten und diese zu verschieben – das fände ich jetzt Klasse!
Frau Schoenenwald, was hat Sie bewogen, sich für eine Astronautenkarriere zu bewerben?Amelie Schoenenwald: Der Weltraum übt seit jeher schon eine unglaubliche Faszination auf die Menschheit aus, da bin ich keine Ausnahme. Die Begeisterung begann schon in der Kindheit mit einer Leidenschaft für das Universum, die Wissenschaft und Forschungsabenteuer. Hinter Raumfahrtmissionen steht all dies und zusätzlich noch ein immens inspirierendes Team mit klugen Köpfen aus verschiedensten Ländern. Als Astronaut*in hat man die Möglichkeit, einen Beitrag zur Wissenschaft, zur Gesellschaft und auch zu Innovationen für den Klimaschutz zu leisten.
Winter: Ja. Einfach nur ja. Ich hatte es ja sogar 2017 schon mal geschafft. Damals wurden aus 400 Frauen zwei ausgewählt. Jetzt wurden aus 22.500 dann 17 Astronauten ausgesucht. Statistisch völlig unwahrscheinlich – aber eine muss den Job ja machen (lacht).
Schoenenwald: Die Astronautenauswahl bei der ESA ist ja schon etwas Außergewöhnliches! Die Chance, am Ende des 18-monatigen Auswahlprozesses vom Generaldirektor Josef Aschbacher der Öffentlichkeit als "Astronautin" vorgestellt zu werden, war gering – aber eben nicht null! Mit jeder Einladung zur nächsten Auswahlstufe wurde es ein bisschen realer und man malt sich mehr aus, wie das Leben als ESA-Astronautin wohl ist. Die beiden Deutschen, Nicola Winter und ich, haben es in den Reserveastronautenkorps geschafft.
Winter: Natürlich. Deutschland ist eine große Raumfahrtnation mit Ambitionen für die Zukunft. Dass wir in der neuen Generation Astronauten nun keine eigenen aktiven Astronauten haben, war eine unschöne Überraschung. Aber was nicht ist, kann ja noch werden…
Schoenenwald: Die ESA ist eine zwischenstaatliche Organisation mit 22 Mitgliedsstaaten, die am liebsten alle Astronauten und Astronautinnen ins Weltall entsenden wollen. So viele Missionen gibt es in Europa aber leider nicht. Mit Alexander Gerst und Matthias Maurer ist Deutschland bereits stark im ESA-Astronautenkorps vertreten. Es überrascht also nicht, dass wir bei der Auswahl keine neuen Karriere-Astronauten bekommen haben. Nicola Winter und ich sind daher immerhin Reserve-Astronautinnen geworden und könnten so eines Tages die ersten Frauen mit deutscher Nationalität sein, die ins Weltall fliegen.
Schoenenwald: Für Karriereastronauten ist eine zirka einjährige Grundausbildung vorgesehen, bevor sie bei der ESA an Raumfahrtprojekten arbeiten und dabei auf die Zuteilung einer Mission warten. Sobald ein Mitglied des ESA-Astronautenkorps einer Mission zugeteilt wird, beginnt ein etwa zweijähriges intensives und missionsspezifisches Training, um die Experimente und Arbeiten im All auch möglichst erfolgreich durchzuführen. Für uns Reserveastronaut*innen läuft es andersherum: Wir beginnen unsere Grundausbildung und das anschließende Training erst, wenn wir eine Mission zugeteilt bekommen haben. So sind wir zwar nicht bei der ESA angestellt, aber bekommen manchmal die Chance, bei Kursen teilzunehmen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat es Nicola und mir überdies auch schon ermöglicht, bei einem Parabelflug die Schwerelosigkeit zu erleben.
Welche Chancen sehen Sie, für einen Flug ausgewählt zu werden?Winter: 50/50.
Schoenenwald: Neben der fachlichen Expertise und Erfahrung der Kandidaten basiert die Entscheidung immer auf politischen und finanziellen Faktoren. Aktuell beanspruchen viele akute und langfristige Krisen unsere Welt. Aber genau deshalb ist es wichtig, weiterhin in die Raumfahrt zu investieren! Viele Fortschritte aus der Raumfahrt finden auch Anwendung in anderen Bereichen wie Medizin, Transport oder Kommunikation. Diese Innovationen können neue Arbeitsplätze und Möglichkeiten in anderen Sektoren schaffen. Beziehungen zwischen Ländern werden gestärkt und Lösungen für globale Herausforderungen erarbeitet. So können Satelliten Umweltveränderungen aufdecken und so Naturkatastrophen vorhersagen. Die astronautische Raumfahrt spielt dabei auch eine wichtige Rolle und kann (junge) Menschen dazu ermutigen, sich für Bildung und Karrieren in MINKT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Kunst und Technik; Anm. d. Red.) zu entscheiden. Die Raumfahrt hat also Zukunft – und als Optimistin sehe ich so auch eine Chance für eine Mission für Nicola und mich.
Winter: Natürlich – wobei man festhalten muss, dass an diesen Missionen nichts "privat" ist. Ich weiß gar nicht, wie die Menschen immer wieder darauf kommen. Marcus Wandt, der schwedische Astronaut und dann auch zu gegebener Zeit ein polnischer Astronaut sind vollwertige Astronauten der ESA, auf hochwertigen Wissenschaftsmission, finanziert von ihren Ländern. Die kommerzielle Raumfahrt bietet hier viele interessante Gelegenheiten und niemanden sollte die Augen davor verschließen – grade Deutschland als große Raumfahrtnation nicht.
Schoenenwald: Eine der fünf Prioritäten der ESA bis 2025 ist die Förderung der Kommerzialisierung für ein grünes und digitales Europa. Dazu gehört für mich auch eine private Mission zur ISS mit ESA-Astronaut*innen. Ich freue mich sehr für Marcus Wandt und Sławosz Uznański, dass sie als ehemalige Reserveastronauten so schnell aktiv werden konnten. Weder Schweden noch Polen hatten vorher aktive Astronauten im ESA-Astronautenkorps. Ich sehe jeden Flug und jede Mission als einen Erfahrungsgewinn, der bei späteren Projekten nur von Vorteil sein kann. Daher bin ich auch gerne bei einer privaten Mission dabei!
Schoenenwald: Beides hat seine Vorzüge: Im Erdorbit kann man aktuell an der exzellenten Forschung auf der Internationalen Raumstation ISS und somit an Lösungen für Probleme auf der Erde arbeiten. Die Missionen dauern nur wenige Monate oder sogar Tage, regelmäßige Versorgung ist möglich und man hat durch das Magnetfeld und die Atmosphäre der Erde noch einen gewissen Strahlenschutz. Auf der anderen Seite bietet eine Mondmission die Möglichkeit, einen völlig anderen Himmelskörper zu erforschen und dabei wertvolle Erkenntnisse über die Geologie und Geschichte zu sammeln, die Rückschlüsse auf die Geschichte unseres Planeten zulassen. Dieses Wissen kann breitere wissenschaftliche Implikationen haben und die Grund-lage für zukünftige Raumfahrtmissionen legen. Diese Pionierarbeit ist durchaus sehr reizvoll!
Winter: Mond. Ganz klar – aber das ist ja keine kontroverse Antwort. Auf dem Mond beginnt jetzt unsere Zukunft, und wir können die ganze kleine Erde von dort auf einmal sehen. Davon träume ich!
Winter: Dem Widereintritt – ein heißer Ritt in einem sehr kleinen Fenster der Genauigkeit – ohne die Möglichkeit zum Abbruch, wenn es schlecht läuft. Da würde mein Puls bestimmt steigen!
Schoenenwald: Vermutlich haben Sie schon einmal eine Explosion beim Start einer Testrakete gesehen. Beim Start eines Raumflugs säße man als Astronaut*in mittendrin. Auch die Landung birgt Gefahren. Allerdings habe ich den größten Respekt vor dem wachsenden Anteil an Weltraummüll, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Das DLR ist daher aktiv in internationalen Gremien tätig, um Maßnahmen zur Vermeidung von Weltraumschrott zu erarbeiten. Die ESA hat vor einigen Jahren die Initiative Clean Space gestartet, um auch hier Nachhaltigkeit zu fördern.
Schoenenwald: Europa ist ja schon so weit: Samantha Cristoforetti hat nicht nur als erste Europäerin einen Außenbordeinsatz (auch extravehicular activity, EVA, oder einfach Weltraumspaziergang genannt), gemacht, sondern wurde auch zur ersten europäischen Kommandantin im All ernannt. Das ist ein erster fantastischer Schritt. Hoffentlich folgen noch viele weitere!
Winter: Der Einsatz von Kommandantinnen ist in den USA wie in Europa völlig normal und auch keine Schlagzeile mehr wert. Nur Deutschland tut sich da sehr schwer. In diesem Jahrzehnt sehe ich da für uns – aus rein politischen Gründen – keine Chance mehr.
Winter: Warum ist es wichtig, dass unbedingt Männer dabei sind? Wir betreiben Raumfahrt mit Astronauten, weil es uns Menschen am Ende um uns selbst geht. Klar ist das cool, wenn wir einen Roboter auf dem Mars landen können. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir als Menschen dann dort auch leben, arbeiten und forschen könnten. Wenn wir also Menschen befähigen wollen, müssen wir auch mit Menschen forschen. Und witzig, aber zu "Menschen" gehören tatsächlich mit 51 Prozent Anteil auch Frauen. (Und damit im Übrigen auch zu den Steuerzahlern, die all diese Mission finanzieren.)
Schoenenwald: Kürzlich fand eine Studie Indizien dafür, dass der weibliche Stoffwechsel effizienter sei und schlussfolgerte daraus, dass Frauen besser für die Raumfahrt geeignet wären, da sie weniger kostbare Ressourcen nutzen würden. Das mag richtig sein, aber Frauen und Männer sind zu etwa gleichen Teilen in unserer Gesellschaft vertreten. Warum also nicht in anderen Teilbereichen? Das Geschlecht spielt dabei eine untergeordnete Rolle: Wichtiger ist, dass jeder Mensch andere Talente und Ansichten hat. So ergänzen sich diverse Teams in ihren Stärken, Erfahrungen und vor allem Ideen. Jeder kann seinen Teil zu Missionen beitragen.
Schoenenwald: Es geht hier nicht darum, die Erde von oben zu betrachten. Es geht darum, dass Deutschland eine wichtige Rolle in allen Teilbereichen der europäischen Raumfahrt spielt! Wir in Europa leisten Spitzenforschung und arbeiten an innovativen Zukunftsthemen. Das sollte mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerufen werden. Nahbare Vorbilder fördern das Interesse und sind meiner Meinung nach essenziell.
Winter: Ja. Ein ganz klares Ja. Lippenbekenntnisse und "Pink Washing" gibt es viele – echte Taten bisher leider nicht. Was nicht nur den Frauen, sondern uns allen schadet.
Winter: Ich persönlich sehe da leider keine Chance – sonst wäre ich selbstverständlich ja auch dabeigeblieben. Allerdings ist mein Wissensstand hier schon Jahre alt und ich würde es dem Projekt wirklich sehr wünschen! Jede Mission ist für uns alle eine gute Mission und bringt uns wissenschaftlich und technologisch weiter.
Schoenenwald: Ich finde es eine sehr schöne und mutige Initiative, die schon viel früher nötig gewesen wäre. Ich drücke der Initiative beide Daumen! Allerdings weiß ich auch, dass die Suche nach Sponsoren in Deutschland nicht ganz so leicht ist, wie in anderen Ländern. Auch, wenn sie bisher keinen Flug fördern konnten, haben sie es immerhin geschafft, dass unser Nachwuchs inspirierende Vorbilder hat und das Thema astronautische Raumfahrt noch mehr in den Medien vertreten ist. Das allein ist schon ein großer Erfolg!
Winter: Einfach machen – es gibt nicht zu alt oder zu jung, zu schlecht in Mathe oder zu klein. Jeder kann fliegen, jeder kann es lernen Flugzeuge zu bauen. Du kriegst das hin, wenn du nur damit anfängst!
Schoenenwald: Traut euch, das zu tun, wofür euer Herz brennt!
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