Airbus-Fertigung
Neue A320-Endmontage in den USA

Mit der neuen A320-Endmontage in Mobile, Alabama, will Airbus, wie schon in Tianjin in China, mehr Marktanteile in einem Schlüsselmarkt erobern.

Neue A320-Endmontage in den USA

Das ist, als wenn man als Kind seinen gesamten Wunschzettel zu Weihnachten erfüllt kriegt“, strahlte Mobiles Bürgermeister Sandy Stimpson beim festlichen Empfang des ersten A320-„Shipsets“ am Hafen seiner Stadt Ende Juni über die geglückte Ansiedlung von Airbus. Schon vor Jahren hatte Mobile vergeblich Anläufe genommen, erst die Boeing-787-Endmontage und dann die Endmontage des einst für die USAF geplanten A330-Tankers für den strukturschwachen Süden der USA zu gewinnen.

Wie ein riesiger Modellbausatz werden die weitgehend komplettierten A320 oder A321, bestehend aus vorderem Rumpf, hinterem Rumpf, den beiden Flügeln und den drei Leitwerksflossen, künftig aus Hamburg per Schiff zur Endmontage nach Mobile in Alabama geliefert. Den Anfang machte MSN6512, eine A321ceo für die amerikanische Airline jetBlue. Schon in fünf Wochen folgt der nächste Rumpf, diesmal für American, danach Flugzeuge für Spirit und Delta. Im zweiten Quartal 2016 wird das erste Flugzeug aus Alabama geliefert. 16 sind für das Gesamtjahr 2016 geplant. 2017 werden dann schon 32 Flugzeuge am Golf von Mexiko endmontiert, bevor das Werk seine volle Rate mit vier Flugzeugen im Monat erreicht. Technisch gesehen wären später sogar bis zu acht Endmontagen monatlich möglich.

225 amerikanische Mitarbeiter hat Airbus derzeit in Alabama. Mit zeitweilig entsandten Airbus-Experten aus Europa sind hier rund 300 Personen im Einsatz. Bis zu 1000 Mitarbeiter sollen es einmal werden. Die Mehrzahl der Mitarbeiter stammt aus dem Großraum Mobile, ein Drittel sind Militärveteranen, oft Mechaniker von Luftwaffe, Küstenwache, Marines, Heeres-  oder Marinefliegern, die eine solide technische Ausbildung mitbringen. Über 15 000 Bewerber meldeten sich auf die Ausschreibung von Airbus. Seitens der Stadt wurden sie in mehrwöchigen, handwerklich-technischen Vorbereitungskursen ausgesiebt, bevor nur die besten Bewerber zu Airbus zur endgültigen Auswahl vorgelassen wurden – ein hier auch bei Automobilfirmen und Werften übliches Verfahren. Anschließend schulte Airbus die neuen Mitarbeiter in mehrmonatigen Kursen in Hamburg für ihre neuen Aufgaben.

Wie schon das Airbus-Endmontagewerk in Tianjin sind die neuen Anlagen in Mobile – auf der zum Gewerbepark umgebauten, früheren Luftwaffenbasis „Brookley Aeroplex“ – strikt nach dem Vorbild der Hamburger A320-Endmontagehalle 9 aufgebaut. Hier allerdings ist die „Halle 9“ auch für schwere Hurricanes zertifiziert. Wegen der hohen Ähnlichkeit mit dem Hamburger Komplex darf Airbus auch die vorhandene EASA-Zulassung „Production Operation Approval“ (POA) für Mobile mit nutzen und brauchte nur noch eine Anerkennung der FAA. Die hier gebauten A320 und A321 entsprechen bis ins Detail europäischen oder chinesischen Flugzeugen. Kein Wunder, denn die Endmontage macht nur rund fünf Prozent des Wertes eines Flugzeugs aus, wenn man, wie bei Airbus, weitgehend in Europa gebaute, komplettierte und getestete Sektionen nur noch zusammenfügen muss. Dagegen liegt der Wertanteil amerikanischer Zulieferungen, darunter Systeme, Avionik und Triebwerke, bei Airbus-Flugzeugen schon heute bei bis zu 42 Prozent.

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Stadt und Region hoffen auf weitere Investoren

Mit der Endmontage im heute weltgrößten Flugzeugmarkt USA will Airbus den eigenen Marktanteil von 20 Prozent auf über 50 Prozent bringen. Als ähnlichen „Türöffner“ für den ebenso wichtigen chinesischen Markt gibt es das quasi baugleiche A320-Endmontagewerk in Tianjin. Airbus hat den Bau von Tianjin und Mobile demselben Experten anvertraut: Dr. Ulrich Weber, Head of Final Assembly Line und Hamburger A320-Veteran. „Wir könnten hier auch gleich A320neo oder A321neo bauen“, sagt er beim Besuch der FLUG REVUE in der Endmontagehalle. Ab 2017 wird hier die neue A320-Generation mit der herkömmlichen „ceo“ gemischt. Noch steht aber alles voller Hubwagen, und es sieht richtig nach Arbeit aus. „Die Halle ist fertig, und die Station 41 am Anfang wird gerade zugelassen“, beruhigt Weber. Wie im neuen A350-Endmontagewerk in Toulouse sind die schon weitgehend fertigen Montagedocks in Mobile weiß lackiert und nicht mehr gelb wie in Hamburg. Bis auf die neueste Generation einer Software für Bodentests entspreche die Halle genau dem Hamburger Vorbild. „Die Philosophie ist: Neue Technik kommt zuerst nach Hamburg, wird dort getestet und kommt erst dann auf die anderen Linien“, sagt der Aufbauchef. Fünf Tage wird jedes Flugzeug an den einzelnen Fertigungsstationen verbringen und dann vorrücken. Am Anfang dauert es wegen der Zertifizierung und Schulung deutlich länger als im späteren Produktionsbetrieb.

Alabama macht sich bereits große Hoffnungen, dass sich nach Airbus auch noch Zulieferer am riesigen „Brookley Aeroplex“ ansiedeln. Von den 690 Hek-tar Fläche hat Airbus für 30 Jahre rund 52 Hektar gemietet. Nebenan residieren VT MAE (ST Aerospace) mit einer Werft für die Frachter Boeing 767 und 777 sowie Continental, Hersteller von Kolbenflugmotoren, dem auch Thielert gehört. Die frühere Luftwaffenbasis Brookley beschäftigte in ihren besten Jahren bis zu 30 000 Menschen. In zwei Jahren könne man wieder bei rund 5000 Beschäftigten sein, hofft Bürgermeister Sandy Stimpson. Für den Geschäftszweig Luftfahrt treibe er mehr Aufwand als für andere Branchen. Denn jeder direkte Job bei Airbus generiere drei bis vier weitere Arbeitsstellen. Zwei noch ungenannte Zulieferer hätten bereits Ansiedlungsverträge unterschrieben. Bis zum Jahr 2020 wolle er Mobile zur gewerbefreundlichsten, familienfreundlichsten und sichersten Gemeinde der USA machen.

FLUG REVUE Ausgabe 08/2015

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