Blitzschnelle Daten
Gewitterortung an Flughäfen

Flughäfen sind für einen sicheren Betrieb auf verlässliche Gewitter­daten angewiesen. Doch wie lassen sich Blitze überhaupt messen und vorhersagen?

Gewitterortung an Flughäfen

In der Ferne zucken Blitze, kurz darauf zeugt das Donnergrollen auch akustisch von der Naturgewalt am Himmel. Am Flughafen München werden die Mitarbeiter auf dem Vorfeld per Funk verständigt, damit sie rechtzeitig die freien Flächen verlassen. Dort ist das Risiko besonders hoch, von einem Blitz getroffen zu werden. „Weitere Gefährdungen durch elektrische Spannungen werden jedoch oft verkannt“, sagt Jörg Simon, Leiter der Verkehrsleitung des Münchener Flughafens. So könne es schon bei der Annäherung an ein Flugzeug zu einem unerwarteten Spannungsüberschlag  auf Menschen kommen. Wie wichtig Schutzmaßnahmen bei Gewittern sind, zeigt ein Unfall Anfang Juni am Flughafen Frankfurt. Dabei wurde ein Mitarbeiter verletzt, als ein Blitz in sein Headset einschlug. Um die Gefahr solcher Unfälle zu verringern, herrscht während eines Gewitters Stillstand an Flughäfen: Kein Flugzeug darf mehr beladen oder betankt werden. Jede Minute eines solchen Abfertigungsstopps kostet die Flughäfen viel Geld. Deshalb sind Airports daran interessiert, den Betrieb nur so kurz wie nötig zu unterbrechen. Dazu brauchen sie verlässliche Daten darüber, wo sich Gewitterzellen gerade befinden.

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Die Siemens-Mess­stationen bestehen aus Drahtspulen und einem GPS Empfänger. Foto und Copyright: Siemens AG

Solche Daten stellen beispielsweise die Münchener Firma nowcast mit ihrem Blitzortungssystem LINET sowie der Blitz-Informationsdienst von Siemens (BLIDS) in Karlsruhe zur Verfügung. Siemens zeichnet Blitze deutschlandweit auf und stellt sie nur wenige Sekunden nach dem Ereignis den Kunden in Quasi-Echtzeit-Karten zur Verfügung. nowcast dagegen beliefert auch den Deutschen Wetterdienst (DWD) mit Kürzestfristvorhersagen. „Wir können bis zu 60 Minuten im Voraus sagen, wo ein Gewitter hinziehen wird“, sagt Daniel Betz, der bei nowcast für die Produktentwicklung zuständig ist. Dafür kommt ein ausgeklügelter Algorithmus zum Einsatz. „Das Wichtigste an der Blitzpeilung ist die Software dahinter“, sagt Betz.

Grundlage für die Blitzortung ist ein globales Netz von Sensoren. Das Unternehmen nowcast verfügt über etwa 500 Messstationen, rund 30 davon in Deutschland. Sie sind in einem Abstand von bis zu 250 Kilometern über das ganze Land verteilt. Siemens nutzt Antennen des europäischen Verbunds EUCLID (European Cooperation for Lightning Detection, europäische Zusammenarbeit in der Blitzortung): 16 Antennen in Deutschland und rund 40 in den Nachbarländern. Mit den Sensoren lässt sich die elektromagnetische Strahlung messen, die Blitze aussenden. „Sie bestehen aus Drahtspulen, in denen das elektromagnetische Feld eine Spannung erzeugt, sowie einem GPS-Empfänger“, erklärt Stephan Thern, Leiter von BLIDS, den Aufbau der Messstationen. GPS wird dabei nicht für die Positionsbestimmung verwendet, sondern für die hochpräzise Zeitmessung – bis auf zehn Nanosekunden genau. „Wenn das Zeitsignal nur um eine Mikrosekunde falsch wäre, entspräche das einem Messfehler von 300 Metern“, erläutert Thern. Sowohl nowcast als auch Siemens setzen bei der Blitzortung auf das Laufzeitverfahren.

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Wenige Sensoren reichen für die Blitzmessung

Die Blitzdichte ist im Süden Deutschlands besonders hoch. Auf der Karte sind Daten von 2015 zu sehen. Grafik und Copyright: nowcast

Die elektromagnetische Strahlung von Blitzen breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit in der Atmosphäre aus und erreicht die Sensoren zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Aus diesem Unterschied, der nur Mikrosekunden beträgt, lässt sich bestimmen, wo sich der Blitz entladen hat. Bei nowcast liegt die mittlere Abweichung bei 75 Metern, bei Siemens lässt sich nach eigenen Angaben rund die Hälfte aller Ereignisse mit einer Genauigkeit von mehr als 100 Metern messen. Auch Polarität und Stärke werden erfasst. Bei einem durchschnittlichen Blitz fließen zwischen zehn und zwanzig Kiloampere Strom, starke Blitze können mehrere hundert Kiloampere erreichen.

Nicht nur Bodenblitze, sondern auch Wolkenblitze werden über die von nowcast patentierte 3D-Messung vermessen. „Damit bestimmen wir auch die Höhe von Wolkenblitzen. Dies gibt uns Einsicht in die Situation innerhalb der Gewitterwolke und deren Stärke und erlaubt in einem weiteren Schritt die Hagelerkennung“, sagt Betz.

In Deutschland gehört der Süden zu den Regionen, in denen es tendenziell am häufigsten blitzt und donnert. „Die direktere Sonneneinstrahlung am Berghang der Alpen führt zu einer schnelleren Erwärmung des Bodens und damit zu stärkeren Aufwinden“, sagt Betz. Der Flughafen München setzt wohl auch deshalb zusätzlich auf drei nowcast-Feldmühlen auf dem Airportgelände. Sie messen das elektrostatische Feld zwischen Himmel und Erde. 

Steigt die Spannung stark an, droht ein akuter Blitzeinschlag. „Ziel ist es, mit Hilfe der Feldmühlen eine präzisere Prognose zu erhalten, wann Blitze tatsächlich entstehen und ab wann ein hohes Risiko für Blitzschlag besteht“, sagt Jörg Simon vom Münchener Airport.

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