Dank Mini-Reaktor 15 Stunden in der Luft und kein Ende in Sicht: Russland hat nach eigenen Angaben die entscheidenden Tests seiner umstrittenen nuklear angetriebenen Marschflugrakete 9M739 "Burewestnik" (Sturmvogel) abgeschlossen. Was sich nach Cold-War-Science-Fiction anhört, ist vergangenen Sonntag tatsächlich Realität geworden. Bei einer Übung der strategischen Nuklearstreitkräfte blieb die Rakete nach offiziellen Angaben etwa 15 Stunden in der Luft und legte eine Strecke von 14.000 Kilometern zurück.
Der Teststart soll auf dem arktischen Barentssee-Archipel Nowaja Semlja stattgefunden haben. Das bestätigte der norwegische Geheimdienst gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die Insel wurde bereits in den 1950er-Jahren von der Sowjetunion für unterirdische Atombombentests genutzt.
Generalstabschef Waleri Gerassimow berichtete Präsident Wladimir Putin am 26. Oktober bei einer Lagebesprechung über den Test vom 21. Oktober. "Der Unterschied zu früheren Tests bestand darin, dass die Rakete einen mehrstündigen Flug absolvierte, bei dem sie eine Distanz von 14.000 Kilometern überwand", erklärte Gerassimow. Eine Obergrenze für die Reichweite gebe es allerdings nicht.
Die nun gemeldete Teststrecke von 14.000 Kilometern würde theoretisch jeden Punkt der Erde für einen direkten Angriff erreichbar machen. Wie genau der Marschflugkörper angetrieben wird, ist nicht bekannt. Details zur Antriebsart sind nicht öffentlicht. Der Antrieb soll allerdings aus einem Miniaturreaktor bestehen, der die eingesaugte Luft erhitzt und so einen Rückstoß produziert – die Rakete könnte damit unbegrenzt lange fliegen.
Der ukrainische, prorussische Militärblogger Juri Podolyaka veröffentlichte auf seinem Telegram-Kanal, der neue Marschflugkörper habe eine maximale Geschwindigkeit von 1.300 Stundenkilometern.
Die NATO-Bezeichnung für die "Burewestnik" lautet "Skyfall". Westliche Experten äußerten in der Vergangenheit Skepsis bezüglich der technischen Machbarkeit und Sicherheit des nuklear angetriebenen Waffensystems.
Manövrierfähigkeit soll Raketenabwehr umgehen
Der russische Generalstabschef betonte gegenüber Putin, dass die technischen Eigenschaften der "Burewestnik" den Einsatz gegen hochgeschützte Ziele in beliebiger Entfernung mit garantierter Präzision ermöglichten. Während des Fluges habe die Rakete alle vorgesehenen vertikalen und horizontalen Manöver ausgeführt und damit hohe Fähigkeiten zur Umgehung von Raketenabwehr- und herkömmlichen Luftverteidigungssystemen demonstriert.
Putin bezeichnete die Waffe als einzigartig und weltweit beispiellos. Er erinnerte daran, dass selbst hochrangige Experten an der kurzfristigen Realisierbarkeit des Projekts gezweifelt hätten. "Ich erinnere mich gut daran, als wir verkündeten, dass wir eine solche Waffe entwickeln. Damals sagten mir selbst Spezialisten auf sehr hohem Niveau, dass dies zwar ein gutes und würdiges Ziel sei, aber in absehbarer historischer Zukunft nicht realisierbar", sagte der russische Präsident während einer Pressekonferenz. "Und jetzt sind die entscheidenden Tests abgeschlossen."
Vorbereitung für militärischen Einsatz
Putin ordnete die Vorbereitung der Infrastruktur für die "Burewestnik" in den russischen Streitkräften an. "Wir müssen festlegen, zu welcher Waffenkategorie dieses neue System gehört. Wir müssen mögliche Einsatzarten bestimmen und mit der Vorbereitung der Infrastruktur für die Stationierung dieser Waffe in unseren Streitkräften beginnen", erklärte er.
Der Präsident unterstrich, dass die Modernität der russischen nuklearen Abschreckungskräfte heute auf höchstem Niveau liege, was weltweit bekannt und von Experten bestätigt sei. "Unsere strategischen Streitkräfte sind in der Lage, die nationale Sicherheit der Russischen Föderation und des Unionsstaates vollumfänglich zu gewährleisten", sagte Putin.
Diplomatische Spannungen
Der russische Außenminister Sergei Lawrow erklärte gegenüber Journalisten auf der "III Minsk International Conference on Eurasian Security" am 28. Oktober, dass den Kreml auf diplomatischen Kanälen keine Reaktion auf den Raketentest erreicht habe. "Die Europäer befinden sich in der Tat in einem Zustand innerer Hysterie – russophob, aggressiv und kriegerisch. Vor diesem Hintergrund ist Russland verpflichtet, alles zu tun, um seine Sicherheit zu gewährleisten", betonte Lawrow.
Eine Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen Russland und den USA sieht auch der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, durch den erfolgreichen Abschluss der Testphase für den Marschflugkörper nach eigener Aussage nicht.
Wie realistisch ist der militärische Einsatz?
Produktionskosten wurden durch das russische Verteidigungsministerium nicht veröffentlicht. Allerdings gehen Experten davon aus, dass die Kosten pro Rakete die von herkömmlichen russischen Marschflugkörpern (zwischen einer und drei Millionen Euro) weit übersteigen werden. Eine schnelle Etablierung der Waffe im russischen Arsenal ist vor allem wegen der hohen Kosten unwahrscheinlich.
In russischen Medien wird darüber spekuliert, dass der Marschflugkörper bis zu einer Megatonne Nutzlast tragen könne und damit etwa ein Viertel der Megametropole New York vernichten könnte.
Von Expertenseite bestehen noch Zweifel an der Verlässlichkeit nuklearer Antriebe. Russland könnte mit der Entwicklung in erster Linie das Ziel nuklearer Abschreckung verfolgen – so wie es die NATO mit der jährlichen "Steadfast Noon"-Übung tut. Aus Sicht Moskaus könnte auch das geplante Raketenabwehrsystem der USA eine Rolle bei der Veröffentlichung der Burewestnik-Testergebnisse spielen.
Die amerikanische Raketenabwehr untergräbt, zumindest in Teilen, die strategische Abschreckung Russlands. Mit der Burewestnik und ihrer angeblichen Flughöhe von 50 bis 100 Meter, hätte der russische Präsident die Möglichkeit zu zeigen, dass Russland über Systeme verfügt, die von der US-Raketenabwehr nicht beeinträchtigt werden.





