Die Zukunft der Langstreckenflugzeuge wird eindeutig vom immer stärkeren Einsatz kohlenstofffaserverstärkter Kunststoffe (CFK) geprägt – Boeing 787 und Airbus A350 sind dafür die jüngsten Beispiele. Die Betonung liegt allerdings auf Langstrecke, denn während man vor wenigen Jahren noch glaubte, alle Luftfahrzeuge würden bald aus dem schwarzen Material gefertigt werden, so haben Airlines aus aller Welt hier schon lange die Notbremse gezogen. Zu groß ist die Gefahr, dass bei vier oder fünf Umläufen täglich Servicefahrzeuge immer wieder Schäden an den Maschinen verursachen, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Praxis des Bodenbetriebs von Metallflugzeugen jedenfalls zeigt, dass Löcher, Risse oder Dellen an der Tagesordnung sind, die üblicherweise schnell und unkompliziert durch Aufnieten von „Flicken“ beseitigt werden. Das sieht nicht immer schön aus, hält aber und beeinträchtigt nicht die Flugsicherheit.
Was aber ist zu tun, wenn strukturelle Schäden an den neuen CFK-Flugzeugen auftreten? Vermeiden lässt sich das nicht, und als bei einer Boeing 787 von Ethiopian in London-Heathrow ein Notfallsender (ELT) brannte und infolgedessen auch die Rumpfhülle beschädigt wurde, hat eine Reparatur stattgefunden und die Maschine steht bereits wieder im Liniendienst. Dieser Zwischenfall war ein guter Test für die Fähigkeit des Herstellers, Kohlefaser-Bauteile zu reparieren. Auf eine Anfrage bei Boeing, wie die Reparatur an dem Flugzeug erfolgt sei, erhielt die FLUG REVUE nur die Antwort: „Auf Wunsch unseres Kunden werden wir keine Details dieser Reparatur bekanntgeben.“
Dr. Christian Sauer, Manager Engineering Airframe Related Component Services bei Lufthansa Technik in Hamburg, hat eine Vermutung: „Ich denke, die haben aus einer fertigen baugleichen Rumpfsektion ein passendes Stück ausgeschnitten und in den beschädigten Rumpf eingesetzt.“ Mit einer Kombination aus Kleben und Nieten konnte der Schaden behoben werden. Aber halt: Nieten? Das klingt ja bei der hochmodernen CFK-Technologie fast rückständig, „... doch zurzeit gibt es kein anderes Verfahren“, sagt Dr. Sauer, und in der Tat werden kleinere Löcher oder Risse mit sogenannten Patches aus Titanblech abgedeckt. Dann werden eine Menge Löcher gebohrt und das Teil „angebolzt“, eine Methode, die übrigens auch Boeing bestätigt. Verspachteln, Lack drüber und fertig; das sieht nicht immer schön aus – wie beim Metallflugzeug eben.
Sauer und sein Team untersuchen bereits seit geraumer Zeit alternative Möglichkeiten. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Rapid Repair“, das von Januar 2009 bis April 2012 verfolgt wurde, gelang es den LHT-Ingenieuren mit mehreren Partnern, „eine durchgängige Prozesskette zur schnellen, automatisierbaren und reproduzierbaren Reparatur von Werkstoffen aus CFK zu entwickeln.“ Mit anderen Worten: In Hamburg entstand ein stationärer Fräsroboter, der die beschädigte Stelle sauber ausfräst und ein passgenaues Gegenstück einfügt.
Dem folgte ein drei Jahre dauerndes Forschungsprojekt mit der Bezeichnung CAIRE (Composite Adaptable Inspection and Repair), in dessen Rahmen aus dem stationären Roboter ein „Klettermaxe“ wurde, der sich mit Hilfe von Saugfüßen auch an gekrümmten Flächen festhalten und sogar überkopf arbeiten kann. Damit ist es möglich, Rapid Repair nun auch an Rumpf- und Tragflächenstrukturen einzusetzen, bis einen Quadratmeter große Flächen und sogar dicke Strukturen, wie beispielsweise Flügelanschlüsse, zu bearbeiten.
„Wir wollen ja eben nicht, dass bei der Reparatur eine Menge zusätzlicher Löcher gebohrt werden müssen, weil dadurch die Faserstruktur zerstört wird“, erklärt Dr. Sauer, zumal das Ganze noch schlimmer wird, wenn die Löcher mit Nieten oder Bolzen ausgefüllt werden. Die arbeiten nämlich während des Fluges und reiben an den Lochrändern.
Eigentlich wird mit dem Bolzen eine Reparaturtechnologie aus dem Metallflugzeugbau auf die CFK-Bausweise übertragen, „Das kennen wir, das können wir berechnen, und das beherrschen wir auch.“ Wie das aussieht und ob es zusätzliches Gewicht ergibt, ist erst einmal nachrangig.
Sauers Truppe indessen verfolgt das strategische Ziel, einen Schaden mittels Kleben zu beheben. Der Roboter scannt den Schaden, erfasst die Oberfläche, berechnet die Form der sogenannten Schäftung und die Fräsbahn. Dann wird die beschädigte Oberfläche ausgefräst, und zwar schichtenweise – geschäftet eben. Anschließend werden die Reparaturlagen erstellt und das passgenaue Reparaturteil mit einem Klebefilm eingepasst. Unter Vakuum und Verwendung einer Heizmatte härtet das Reparaturpatch aus und kann wieder lackiert werden. Danach ist von der Reparatur nichts mehr zu sehen.
Woran liegt es nun aber, dass dieses Verfahren noch nicht in die Praxis überführt werden konnte? „Vor allem die Zulassungsbehörden haben noch Probleme mit geklebten Bauteilen“, erhalten wir zur Antwort. Selbst nach gründlichster Vorbehandlung ist man sich nicht sicher, wie die Oberflächen tatsächlich beschaffen sind. Wie viele Rückstände kann man tolerieren? Muss die Oberfläche überhaupt glatt sein, oder ist eine gewisse Rauigkeit nicht sogar besser für die Haltbarkeit? „Das größte Problem besteht jedoch derzeit darin, dass es keine zerstörungsfreie Methode der Haltbarkeitsprüfungen von Klebeverbindungen gibt“, bedauert Dr. Sauer. Sicher könne man in Lastbereichen prüfen, die im normalen Flugbetrieb auftreten, „aber wenn man ans Limit kommt, dann geht das Teil kaputt und kann nicht mehr repariert werden.“ Zudem könne man solche Tests nur an Materialproben vornehmen, nicht aber an reparierten Bauteilen; auch wisse man noch nichts über das Schadensverhalten bei wechselnden Belastungen oder Temperaturen.
Eigentlich sind CFK-Bauteile ja konstruktiv so ausgelegt, dass Schäden nicht wachsen, aber dennoch kann es nach äußerer mechanischer Beanspruchung dazu kommen, dass Fasern aus der Matrix gezogen werden oder gar Faserbrüche auftreten. Also gilt das Kleben heute noch als unzuverlässig und ist nur „an nicht kritischen Sekundärstrukturen“ zugelassen.
Wenn danach etwas passiert, dann ist das zwar unangenehm, aber nicht weiter schlimm. Nach Aussagen von Dr. Sauer wird es wohl frühestens in fünf, maximal in zehn Jahren ein zugelassenes Reparaturverfahren auf Klebebasis geben. Bis dahin ist noch viel zu tun. „Wir wissen beispielsweise noch gar nichts über das Verhalten des Materials, wenn durch einen Riss Wasser oder Enteisungsflüssigkeit ins Material einzieht. Vielleicht können wir ja auch die Oberflächen aktivieren und bindungsfähiger machen.“ Auf keinen Fall kann es eine Lösung sein, bei größeren Schäden wie im Falle der 787 von Ethiopian jedes Mal eine ganze Rumpfsektion für die Ersatzteilgewinnung zu opfern, denn das ist unwirtschaftlich.
CFK-Materialien





Kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe bestehen in der Regel aus mehreren gewebten Matten mit definiertem Faserverlauf, die mit Harzen getränkt und im Autoklaven ausgehärtet werden. Prinzipiell handelt es sich also schon um geklebte Teile, indem verschiedene Schichten des Materials miteinander vernetzt werden. Diese sogenannten duroplastischen Matrixsysteme sind sehr engmaschig und können im Gegensatz zu Thermoplasten nicht aufgeschmolzen werden. Hitzeeinwirkung zerstört das Material, so dass derzeit die einmal ausgehärtete Oberfläche nicht aktiviert werden kann.
Derzeit ist es nur möglich, die Außenhaut bis zu einer Tiefe von etwa 1,6 Millimetern zu schäften und dadurch die Oberfläche zu vergrößern, auf der der eingebrachte Klebefilm wirkt. Gegenwärtig braucht man für die Beseitigung eines Schadens nach dem CAIRE-Verfahren nur etwa 30 Minuten. Daraus ergeben sich kurze Boden- und Transportzeiten, und Überführungsflüge in eine Werft werden überflüssig. Automatisierte Reparaturen außerhalb von Wartungsstandorten führen zu deutlicher Kostensenkung, aber bis zur Zulassung zuverlässiger Klebeverbindungen vergehen wohl noch Jahre.
FLUG REVUE Ausgabe 02/2015