Jeder, der einmal auf der Besucherterrasse an einem Flughafen stand, hat sie schon gesehen, die flachen Kraftpakete, mit denen die Flugzeuge vom Gate zum Taxiway zurückgestoßen werden. Push back ist der Fachausdruck dafür, und wer besonders aufmerksam hinsieht, kann zwei verschiedene Verfahren erkennen. Da wird beispielsweise die Kraft über eine Schleppstange am Bugfahrwerk eingeleitet und damit das Flugzeug bewegt. Mit solchen Schleppstangen fing alles an, und es gibt sie heute noch. Jeder Flugzeugtyp hat seine eigene Stange. Man braucht sie nicht nur für den Push back in den Stoßzeiten, sondern auch für alle sonstigen Fälle, bei denen ein Flugzeug bewegt werden muss, so zum Beispiel für die Fahrt vom Abstellplatz zur Wartungshalle. Die Schlepper haben also gut zu tun.
Das Stangenschleppen ist allerdings mit einigen Problemen verbunden. So muss ein Schleppfahrzeug eine große Eigenmasse mitbringen, um die notwendige Traktion zu erzeugen, und da kommen schon einmal Blei-, Stahl oder Betongewichte zum Einsatz. Mehr Gewicht bedeutet aber einen höheren Kraftstoffverbrauch. Auch braucht man einen zweiten Mann am Fahrzeug, der für die An- und Abkupplung zuständig ist und die Stange im Auge behält.
Schließlich muss bei einer solchen Bewegung immer auch ein speziell ausgebildeter dritter Mann im Cockpit sitzen, der im Notfall die Bremsen betätigt. Die gesamte Fahrt darf nicht schneller als 15 km/h absolviert werden, denn es kommt nicht nur darauf an, das Flugzeug möglichst weich in Bewegung, sondern auch am Ende sicher wieder zum Halt zu bringen. Immerhin wirkt dann die gesamte Masse der Maschine über die Schleppstange auf den Schlepper, und eine solche Masse muss sicher gebremst werden.
Spezialtransporter von Goldhofer

Im Laufe der Zeit sind die zu bewegenden Flugzeuge immer größer und schwerer geworden, so dass man sich auch für das sichere Schleppen ein neues Verfahren – und neue Fahrzeuge - ausdenken musste. Stangenloses Schleppen nennt man diese Technologie, und wie sie in die Praxis umgesetzt wird, haben wir uns einmal bei Goldhofer angesehen. In diesem traditionsreichen Unternehmen werden Spezialtransportmittel für überschwere und besonders große Nutzlasten gebaut, und seit mehr als 20 Jahren eben auch Flugzeugschlepper, die ohne Schleppstange auskommen.
Hier fährt das Fahrzeug rückwärts an das Bugfahrwerk heran, erfasst es mit zwei starken Krallen und hebt es an. „Diese direkte Verbindung zwischen Schlepper und Flugzeug ermöglicht eine sicherere Bewegung, weil hier die Kräfte direkt übertragen werden, ohne dass eine Stange benötigt wird“, erläutert Axel Heitzer, Sales Manager des Herstellers. „Zudem kann die Eigenmasse des ASTs geringer sein, denn rund die Hälfte des für die notwendige Traktion erforderlichen Gewichts kommt vom Flugzeug selbst.“ Die daraus resultierende Kraftstoffeinsparung ist enorm, und die Fahrgeschwindigkeit konnte auf maximal 32 km/h gesteigert werden. Die Fahrstabilität ist größer, das Manövrierverhalten besser. Zu guter Letzt braucht man auch den dritten Mann im Cockpit nicht mehr, weil der Schlepper auch das Bremsen übernimmt.
Drei Grundmodelle – schwer und kräftig

Drei Grundmodelle werden in Memmingen gebaut, mit einigen Unterversionen für spezielle Wünsche der Kunden. Der kleine AST-3 kann bei einer Eigenmasse von neun Tonnen bis zu 160 Tonnen schwere Flugzeuge bewegen und damit von der ERJ135 bis zur Boeing 757, in einer anderen Version sogar noch die 767 schleppen. Das mittlere Modell AST-2 ist für die Größenordnung Boeing 737 bis Airbus A340 geeignet. Jüngstes, schwerstes und kräftigstes Fahrzeug allerdings ist der AST-1, der entwickelt wurde, als die A380 gerade erst entstand: Er nimmt es mit 600 Tonnen Gesamtgewicht auf und deckt damit die ganze Bandbreite vom Airbus A300 bis zum Megaliner ab. In zwei- oder dreiachsiger Ausführung leisten die schweren Deutz-Diesel zwischen 360 und 500 kW (490 und 680 PS).
Weiches, ruckfreies Anfahren und Bremsen indessen und damit größere Sicherheit ist nur mittels hydrostatischer Antriebe möglich, was nichts anderes bedeutet, als dass die Motorkräfte ohne eine störende Schaltung auf eine mächtige Hydraulikpumpe wirken.
Allradantrieb für sichere Manöver auch bei schlechtem Wetter

Von hier aus werden bis zu 1000 Liter Hydraulikflüssigkeit über mehrfach stählern gesicherte Druckschläuche direkt bis an die Einzelantriebe der Räder verteilt. Die wartungsfreie Aufnahmevorrichtung, wie die „Krallen“ exakt heißen, verfügt über eine kardanische Aufhängung, die es ermöglicht, den Bewegungen des Bugfahrwerks zu folgen. So können in Kurven keine zusätzlichen Kräfte einwirken, und die maximalen Zug- und Bremskräfte werden automatisch begrenzt.
Auch die Servolenkung wird hydrostatisch realisiert, und bei einem Lenkwinkel von 60 Grad an der Vorderachse kann das Fahrzeug sogar in Hangars erstaunlich wendig agieren. Auf Wunsch kann die Hinterachse gelenkt werden, was den Wendekreis verringert und sogar Diagonalfahrten zulässt. Die gesamte Operation wird von nur einem Mann in der High-Tech-Kabine gesteuert, in der das Cockpit auf einem Drehteller um 360 Grad gedreht werden kann. Während beim Push back das Fahrzeug rückwärtsfährt, wird es beim sogenannten Long-Distance- oder High-Speed-Towing vorwärts bewegt. Dabei muss der Fahrer gar nicht ständig das Flugzeug im Auge behalten, weil ihm eine Vielzahl von Sensoren stets Auskunft über alle Betriebszustände gibt.
Schweißen ist die Hauptbeschäftigung
Entsprechend umfangreich ist auch die elektronische Ausstattung aller Fahrzeuge, doch bevor es in der Endmontage soweit kommt, steht erst einmal Schwermaschinenbau auf dem Programm. Aus bis zu 20 Zentimeter dicken Stahlplatten werden einzelne Teile herausgeschnitten, und überhaupt ist das Schweißen hier eine der Hauptbeschäftigungen. Viele Bauteile werden aus Festigkeitsgründen nicht aus einem Stück gefertigt, sondern in mehreren Lagen zusammengefügt. Rund 800 Kilogramm Schweißdraht werden so verarbeitet, bevor es an die Ausrüstung des schweren Kastenrahmens geht.
Hier wie in der Vorfertigung ist Handarbeit gefragt; die hoch spezialisierten Arbeiten und die geringen Stückzahlen lassen den Einsatz von Robotern nicht zu. Entsprechend groß ist die Verantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters, denn Ausschuss kann man sich hier einfach nicht erlauben. Immerhin kostet ein AST-1 rund 1,2 Millionen Euro. „Damit sind unsere Produkte zwar teurer als die der Konkurrenz, aber die Kunden bekommen eben auch ein Rundum-Sorglos-Paket“, sagt Axel Heitzer. Das beginnt bei der 24-Stunden-Hotline, führt über die Ersatzteilhaltung vor Ort und reicht bis zur Kundenbetreuung durch spezielle Montageteams. Bleibt ein Schlepper stehen, stehen eben auch die Flugzeuge, und das kann sich kein Kunde leisten.
Schließlich nimmt der Hersteller die Fahrzeuge nach rund 20000 Betriebsstunden auch wieder zurück ins Werk, wo sie komplett demontiert und völlig neu wieder aufgebaut werden. So hat ein solches Fahrzeug praktisch „mehrere Leben“, wofür die Kunden gern den Aufpreis bezahlen. Apropos Konkurrenz: Auf der ganzen Welt gibt es nur fünf Unternehmen, die solche Flugzeugschlepper bauen, „aber wir sind die Besten“, sagt Axel Heitzer selbstbewusst.
FLUG REVUE Ausgabe 02/2012