Hightechprojekte der US Army
Neue Army-Hubschrauber: Bell und Sikorsky im Finale

Beim Wettbewerb um einen neuen Aufklärungs-/Kampfhubschrauber haben es Bell und Sikorsky in die Endauswahl der US Army geschafft. Es geht um die Entwicklung von Hightechmustern bis Ende des Jahrzehnts.

Neue Army-Hubschrauber: Bell und Sikorsky im Finale
Foto: Lockheed

Das Future Attack Reconnaissance Aircraft ist die Priorität Nummer eins des Heeres bei der Modernisierung der Hubschrauberflotten. Es ist von wesentlicher Bedeutung, um effektiv in die Bereiche der Luftverteidigung des Gegners eindringen und diese ausschalten zu können", sagte Dr. Bruce D. Jette, Assistant Secretary of the Army für Beschaffung, Logistik und Technologie. Der neue Drehflügler soll "mit bedeutend größerer Geschwindigkeit, Reichweite, Ausdauer, Überlebensfähigkeit und Waffenwirkung den Kommandeuren größere taktische, operative und strategische Fähigkeiten bieten."

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Entscheidung zwischen Bell und Sikorsky

Wer den neuen Aufklärungs- und leichten Kampfhubschrauber der US Army ab Ende der 2020er-Jahre liefern wird, entscheidet sich nun zwischen Bell und Sikorsky. Diese beiden Firmen wurden am 25. März offiziell ausgewählt, ihre unter einem OTA-Vertrag (Other Transaction Authority) laufenden Arbeiten fortzusetzen und Prototypen für ein Vergleichsfliegen im Sommer 2023 beim Redstone Arsenal bereitzustellen.

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AVX Aircraft
Im FARA-Wettbewerb kamen die Entwürfe von AVX Aircraft, Boeing und Karem nicht zum Zuge.

AVX Aircraft, Boeing und Karem Aircraft ausgeschieden

"Diejenigen, die ausgewählt wurden, erfüllten eindeutig die vorgeschriebenen Anforderungen und boten ein akzeptables Risikoniveau beim Ausführungsplan", sagte Dan Bailey, der FARA-Prototypen-Programmmanager. Nach der ein Jahr dauernden Vorentwurfsphase ausgeschieden sind AVX Aircraft in Partnerschaft mit L3Harris, Boeing und Karem Aircraft (mit Northrop Grumman).

Karem Aircraft
Alle Firmen verfolgten unterschiedliche Konzepte, teils mit schwenkbarem Heckrotor und schwenkbaren Flügeln.

Prototypenbau

Für die sogenannte Phase 2 des FARA-Programms erhalten die siegreichen Firmen jeweils etwa 750 Millionen Dollar (685 Mio. Euro), dazu kommen zusätzliche Firmenmittel von wohl 250 Millionen Dollar (228 Mio. Euro). Der Plan sieht vor, dass noch in diesem Dezember die finale Entwurfsüberprüfung durch die US Army stattfindet. Für den Prototypenbau stehen dann knapp zwei Jahre zur Verfügung, sodass die Flugerprobung im November 2022 beginnen kann. Nach Tests beim Hersteller und dem Vergleichsfliegen will die Army Ende 2023 die Endauswahl treffen und die Entwicklung der Serienausführung in Angriff nehmen. Ziel ist es, die ersten Hubschrauber 2028 bei Einsatzstaffeln verfügbar zu haben.

Für welches Konzept sich die US Army entscheidet, ist dabei eine spannende Frage. Die Unterschiede zwischen den Angeboten sind jedenfalls eindeutig. Bell setzt auf einen auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegten, konventionellen Helikopter mit relativ großem Hilfsflügel, während Sikorsky eine Variante seines Koaxialrotordesigns mit Heckpropeller ins Rennen schickt.

Bell
Bell 360 Invictus: Bells Entwurf für FARA ist bis auf die recht großen Flügel konventionell gehalten. Der Rotor stammt von der 525 Relentless.

Invictus gegen Raider X

Laut Bell ist sein Modell 360 Invictus auf niedrigen Widerstand hin optimiert und mit einer als Zusatzantrieb ausgelegten Hilfsgasturbine (APU) bestückt, um die geforderten 330 km/h Marschgeschwindigkeit zu schaffen. In diesem Bereich übernimmt der Flügel etwa 50 Prozent des Auftriebs und entlastet so den Rotor. Dieser stammt mit einigen Modifikationen (Durchmesser unter 12,20 Meter) von der zivilen Bell 525 Relentless. Viel Wert legte Bell bei der Entwicklung auf eine einfache Wartung auch unter schwierigen Umweltbedingungen. Weitere Merkmale des Entwurfs sind ein Tandem-Cockpit wie in "richtigen" Kampfhubschraubern, ein Einziehfahrwerk, ein interner Waffenschacht und ein ummantelter, schräggestellter Heckrotor. Als Triebwerk ist das neue, etwa 2250 Kilowatt starke T901 von GE Aviation von der Army vorgeschrieben.

Lockheed
Sikorsky Raider X: Der Vorschlag von Sikorsky baut auf seinem S-97 Raider-Versuchsträger auf, der seit 2015 in der Erprobung ist.

Sikorsky sieht sein Konzept als zukunftssicherer

Sikorsky setzt bei seinem Raider X auf einen Koaxialrotor mit besonders steifen Blättern, kombiniert mit einem Schubpropeller im Heck – eine Konfiguration, die seit etwa einem Jahrzehnt im Flug getestet wird. Damit sind aus Sicht des Unternehmens Geschwindigkeiten von über 400 km/h ohne Probleme möglich – im Vorwärtsflug wird ein Großteil der Leistung zum Heckpropeller geleitet, sodass die Rotoren fast nur Auftrieb (und wenig Vortrieb) erzeugen müssen und damit nicht in Grenzbereiche kommen. Bei derartigen Leistungsreserven ist ein voluminöserer Rumpf mit nebeneinander liegenden Sitzen und sogar Raum für Soldaten möglich. Insgesamt sieht Sikorsky sein Konzept als wesentlich zukunftssicherer. Es bleibt allerdings die Frage der Kosten – und noch nie hat es ein derartiger Flugschrauber in die Serienfertigung geschafft.

Future Long-Range Assault Aircraft

Parallel zu den Arbeiten an den FARA-Prototypen müssen sich die Ingenieure bei Bell und Sikorsky bis 2022 auch um die Angebote für das Projekt Future Long-Range Assault Aircraft (FLRAA) kümmern. Beim FLRAA geht es darum, die UH-60 Black Hawk ab 2030 durch einen neuen Transport- und Mehrzweckhubschrauber zu ersetzen, der deutlich höhere Leistungen bietet und damit auch zunehmende Bedrohungen über dem Gefechtsfeld überstehen kann. Gefordert sind unter anderem eine maximale Marschgeschwindigkeit von 520 km/h und ein Einsatzradius von 550 Kilometern.

FLRAA-Demonstratoren

Im Rahmen des Programms Joint Multi-Role Technology Demonstration (JMR TD) wurden bereits das Kipprotormuster V-280 Valor (Bell) und der Koaxialrotorhubschrauber SB>1 Defiant (Sikorsky und Boeing) gebaut und geflogen. Nun erhielten beide Firmen Aufträge für weitere Demonstrations- und Risikominderungsarbeiten an ihren jeweiligen Vorschlägen. Es gilt, die Entwürfe hinsichtlich einer Serienausführung zu verfeinern und mehr Erfahrung mit fortschrittlichen Systemen zu sammeln. Noch weisen laut US Army manche Komponenten einen zu niedrigen Technologiereifegrad auf.

Bisherige Testergebnisse

Von den bisherigen Testergebnissen her scheint Bell derzeit etwas besser aufgestellt. Die V-280 fliegt bereits seit dem 18. Dezember 2017 und hat seither mehr als 150 Flüge (darunter einige unter automatischer Kontrolle) durchgeführt. Sie "erreichte alle Programmziele, wobei sie ihre Geschwindigkeit durch Flüge über 550 km/h und die Agilität bei niedriger Geschwindigkeit ... unter Beweis stellte", so Bell.

Lockheed
Sikorsky SB>1 Defiant: Der Black-Hawk-Nachfolger soll viel schneller fliegen. Dafür nutzt die mit Boeing entwickelte Defiant einen Heckpropeller.

Probleme mit dem Getriebe

Die SB>1 fliegt dagegen erst seit März 2019 und musste wegen Problemen mit dem Getriebe monatelang pausieren. Erst in diesem Jahr kam die Erprobung besser voran. Im Februar flog die Defiant "eine Demonstration für Senatorin Tammy Duckworth und Army-Staatssekretär Ryan McCarthy. Während dieses Fluges erreichte die Defiant 260 km/h und zeigte Kurven mit Schräglagen von 45 Grad. Das Fluggerät wird den Flugbereich im Rahmen der Erprobung im Laufe des restlichen Jahres weiter ausbauen", so Sikorsky. Angepeilt sind 480 km/h. Zudem verweist man auf die umfangreichen Bodentests mit einer Antriebsversuchseinheit.

Spezielle Sikorsky-Koaxialrotorkonstruktion

Die Frage ist, ob sich die spezielle Sikorsky-Koaxialrotorkonstruktion ohne Probleme auf die FLRAA-Größe (14500 kg gegenüber 6350 kg bei Raider X) skalieren lässt und die Kosten im Rahmen bleiben – die Army hat einen Stückpreis von 43 Millionen Dollar (39 Mio. Euro) vorgegeben. Dieses Limit dürfte auch für Bell eine Herausforderung sein, obwohl man aus der V-22 Osprey gelernt und die V-280 deutlich vereinfacht hat.

Industriepolitische Aspekte

Obwohl FARA und FLRAA separate Programme sind, lassen sie sich nur im Zusammenhang betrachten. Für die US Army dringlicher ist auf jeden Fall der neue Aufklärungs-/Kampfhubschrauber, wo es seit Jahren eine Lücke gibt. Auch industriepolitische Aspekte dürften letztlich eine Rolle spielen. Ideal wäre hier, wenn Bell und Sikorsky je einen Serienauftrag erhielten.

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FLUGREVUE 04 / 2023

Erscheinungsdatum 06.03.2023