1966: Mein Flug mit dem Starfighter
Vor ziemlich genau 21 Jahren hatte ich das letzte Mal am Steuer einer Jagdmaschine gesessen, seitdem ist für mich die Fliegerei Vergnügen, Hobby und Sport. Aus jener Zeit geblieben ist für mich aber der Reiz schneller Flugzeuge; da meine Flugpraxis sich zwangsläufig auf Sport- und Reisemaschinen beschränken mußte, wurde dieses Interesse in den vergangenen Jahren oft zur heimlichen Sehnsucht.
Bald nach Aufstellung der neuen Luftwaffe wurden die ersten Schleier der Geheimhaltung über eine völlig neue Jägerentwicklung der Lockheed-Werke gelüftet, die F-104. Dieses Flugzeug war von Anfang an kompromißlos auf die Erfordernisse des Überschallfluges ausgelegt und hatte daher gegenüber den mehr oder weniger konservativ wirkenden Flugzeugen jener Zeit ein stark futuristisches Aussehen; an einem raketenähnlichen schlanken Rumpf mit nadelförmiger Spitze befanden sich etwa in der Mitte kurze Tragflächenstummel mit messerscharfer Vorderkante. Bei einer solchen Formgebung erschienen auch die bekannt gewordenen Leistungsdaten glaubhaft; mit einer sagenhaften Steigleistung und doppelter Schallgeschwindigkeit war dieses Flugzeug um nahezu 100% besser als die Serienjäger der 50er Jahre - ein Leistungssprung, wie es ihn in der Geschichte der Luftfahrt noch kaum gegeben hatte! Mit vollem Recht wurde daher die F-104 zum „Starfighter".
Mein brennendes Interesse, dieses Superflugzeug mit der Zauberformel „Mach 2" einmal persönlich kennenzulernen, wurde noch gesteigert, als die bedauerliche Unfallserie begann und vor Jahresfrist der heiße Meinungsstreit um dieses Flugzeugmuster anhob. Aus dem Durcheinander von Berichten, Meldungen und Kommentaren sich ein halbwegs klares Bild zu machen bzw. auseinanderzuhalten, was davon richtig, halbrichtig oder falsch war, oder auch, was aus politischen und wahltaktischen Gründen darüber gesagt und geschrieben wurde, war weder mir noch irgendeinem anderen Bundesbürger möglich. Ich war glücklich, als endlich im März d. J. die Genehmigung zu einigen Mitflügen am Doppelsteuer der TF-104 G, der zweisitzigen Trainerversion, erteilt wurde.
Vier Wochen später wurde die Sache ernst. Für mich war es sehr wesentlich, daß ich die Flüge nicht irgendwo zu absolvieren brauchte, sondern mir dazu das Jagdbombergeschwader 31 auswählen konnte, also diejenige Einheit der Luftwaffe, die als eine der ersten auf den Starfighter umgerüstet hatte und daher auch über die größte praktische Erfahrung verfügte.
Sehr interessant war für mich zu hören, daß das Geschwader nach der Umrüstung zunächst rund zwei Jahre lang praktisch unfallfrei auf der F-104 flog, bis 1965 auch in anderen Starfighter-Geschwadern die Unglücksserie begann. Macht diese Tatsache das Starfighter-Problem noch mysteriöser oder liegt darin vielleicht ein wichtiger Schlüssel zur Beendigung der Pechsträhne? Es ist nicht meine Aufgabe, dieser Frage nachzuspüren; konzentrieren wir uns darauf, ob diese Supermaschine, deren überragende Leistungen unbestritten sind, aufgrund ihrer Eigenschaften und ihrem ganzen Verhalten in der Luft wirklich noch mit gutem Gewissen als Flugzeug, vielleicht sogar als Traumflugzeug, bezeichnet werden kann, oder ob diese Ausgeburt der Technik mit Fliegen nichts mehr zu tun hat und zu ihrer Beherrschung jahrelang gedrillte Roboter mit der fatalistischen Einstellung von Kamikazefliegern verlangt.
Ausrüstung der Starfighter-Piloten

Zu der üblichen Ausrüstung, bestehend aus Helm, Atemmaske, Fallschirm, Kombination und Stiefel kommen für den Starfighter-Piloten noch blecherne „Sporen", an denen im Flugzeug dünne Stahlkabel befestigt werden, um im Falle des Herauskatapultierens die Beine fest an den Schleudersitz zu fesseln; ohne diese „Fußangeln" bestünde eine erhebliche Verletzungsgefahr. In dieser Aufmachung bestieg ich, nachdem der obligatorische Rundum-Check der Maschine durch den Flugzeugführer erledigt war, den hinteren Sitz der TF-104 und war als erstes angenehm überrascht von dem gebotenen Komfort; Sitzposition und Geräumigkeit sind in keiner Weise vergleichbar mit den beengten Raumverhältnissen einer Me 109; auch die Sichtbedingungen lassen nichts zu wünschen übrig, selbst nach vorn kann über den tiefer liegenden vorderen Sitz gut hinweggesehen werden. Mein Pilot machte mich nun näher mit dem Cockpit und seiner Ausrüstung bekannt. Es erwies sich, daß die Instrumentierung gar nicht so kompliziert und erdrückend ist, wie ich es mir aufgrund von Berichten vorgestellt hatte.
Mitflug

Nach einer knappen Viertelstunde war ich mit den für den Flug notwendigen Instrumenten und Bedienungsorganen vertraut. Das Anlassen des mächtigen Strahltriebwerkes ist ein Kinderspiel, es springt ebenso leicht und willig an wie ein moderner Kolbenmotor. Auch beim Rollen zeigen sich keine ungewohnten Schwierigkeiten, die Manövrierfähigkeit am Boden läßt sich durchaus mit jeder normalen Bugradmaschine vergleichen. Mit Erstaunen registrierte ich dabei, wie prompt und exakt das Triebwerk auf jeden Gaswechsel anspricht, denn bekanntlich war gerade dieser Punkt eines der Hauptprobleme bei den älteren Baumustern, speziell aber bei dem deutschen Düsenjäger des Zweiten Weltkrieges, der Me 262.
Am Startpunkt eine kurze Überprüfung ähnlich wie in jedem anderen Flugzeug auch, Klappen auf Startstellung, und dann wird bei durchgetretenen Bremsen das Triebwerk hochgefahren, zunächst auf 100%, in der Fachsprache „military power", und anschließend wird der Nachbrenner eingeschaltet; der Pilot hat dabei nichts anderes zu tun, als den Gashebel „um die Ecke" nach vorn zu schieben, genau der gleiche Handgriff also, der in den Jagdflugzeugen des letzten Krieges notwendig war, um dem Motor seine Notleistung abzuverlangen, wenn beispielsweise eine Spitfire oder Mustang sich hinten anzuhängen versuchte.
Bremsen frei, und mit einer Beschleunigung, wie ich sie bis dahin noch nicht erlebt hatte, schießt das Flugzeug auf der Piste davon. 100 Kt/h sind im Nu überschritten, bei 150 Knoten das Bugrad hoch und mit etwa 185 Knoten = 335 km/h hebt die Maschine ab; ich versuche in der rasenden Eile zu schätzen, kaum 800 m Startstrecke sind bis dahin zurückgelegt. Die Geschwindigkeitszunahme scheint immer rasanter zu werden, man hat zu tun, um das Fahrwerk unterhalb der zugelassenen Grenzen von 250 Kt/h einzufahren. Kurz nach der Platzgrenze sind 350 Knoten erreicht, Schnauze hoch, und die Maschine rast steil in den Himmel. Obwohl die Fahrtmesseranzeige nun konstant bleibt, steigt in der unglaublich rasch zunehmenden Höhe die tatsächliche Geschwindigkeit laufend weiter, was sich am Mach-Meter ablesen läßt, dessen Nadel sich immer mehr Mach 1, der Schallgeschwindigkeit, nähert.
Dieser Steigflug mit Nachbrenner aus dem Start heraus war ein wahrhaft überwältigender Auftakt. Bevor ich so richtig mitkam, lag die erste Wolkenschicht, eine aufgerissene Cumulusdecke, hinter uns, Sekunden später war die nächste Wolkendecke, ein Altostratusschleier, durchstoßen, und ehe ich mich versah, blickte ich auf die Cirren, die dritte und letzte Wolkenschicht, von oben herab. Innerhalb eineinhalb Minuten seit Lösen der Bremsen war die Tropopause in 36.000 Fuß Höhe erreicht. Der Nachbrenner wurde abgeschaltet und das Triebwerk auf eine wirtschaftliche Reiseleistung von 90-92% zurückreguliert, die Geschwindigkeit hielt sich dabei im Horizontalflug um Mach 0,9.
Ich übernehme das Steuer des Starfighters

Ich konnte das Steuer nun allein übernehmen und fand bestätigt, daß sich die Maschine grundsätzlich, was Ruderreaktion und Steuerdrücke betrifft, nicht anders anfühlt und verhält als jedes andere schnelle Flugzeug auch; ganz hervorragend beim Starfighter ist die Richtungsstabilität, was ihn für den präzisen Instrumentenflug besonders geeignet macht. Anders wird die Sache beim Kurven; eine normale Kurve von 30-60° Schräglage läßt sich noch wie gewohnt fliegen, nimmt man aber das Flugzeug noch steiler und enger herum, beginnt die Maschine oder genauer der Knüppel sofort zu schütteln, und bei noch weiterem Ziehen kommt der Moment, wo der Steuerknüppel selbsttätig und mit unwiderstehlicher Gewalt - eine automatische Überziehsicherung - nach vorn gedrückt wird. In diesem Moment wird man sich mit aller Klarheit wieder bewußt, daß man keinen Aeroplan mehr in der Hand hat, sondern eine Maschine, die nach den aerodynamischen Gesetzen des Überschallfluges ausgelegt ist.
Die Aerodynamik des Fliegens im Unterschallbereich, in dem sich die Maschine zu diesem Zeitpunkt noch befand, weist dagegen erhebliche Unterschiede auf, und es ist verständlich, daß bei der F-104 verschiedene Kompromisse eingegangen und technische Kunstgriffe angewandt werden mußten, um unterhalb Mach 1 die notwendige Flugstabilität und sichere Steuerbarkeit zu gewährleisten. Ich glaube mit gutem Gewissen sagen zu können, daß diese gewiß nicht leichte Aufgabe beim Starfighter zufriedenstellend gelöst wurde. Erheblich einfacher als Kurven ist das Fliegen von Rollen; um seine Längsachse läßt sich wegen der extrem kurzen Tragflügel das Flugzeug mit einer einmaligen Leichtigkeit und Behendigkeit bewegen. Man könnte ohne Mühe ständig weiterrollen, indem man lediglich den Steuerknüppel auf einer Seite hält. Die Pedale werden dabei ebensowenig wie zu jedem anderen normalen Flugmanöver benötigt.
„Mach-2-run“ und Landung

Nun kam das nächste große Ereignis, der „Mach-2-run"! Es war mir neu, daß die Maschine ca. viereinhalb Minuten benötigt, um von Mach 0,9 bis zur doppelten Schallgeschwindigkeit zu beschleunigen. In der Gegend von Trier schalteten wir in fast 40.000 Fuß Höhe mit Südkurs den Nachbrenner ein. Die „Schallmauer" war sofort passiert, ohne daß davon im Flugzeug etwas zu spüren war, der Starfighter durchbricht diese Barriere wie Butter; lediglich die Zeiger von Höhenmesser und Variometer wippten kurz nach unten, das einzige Anzeichen dafür, daß diese einst so schwer überschreitbare Schwelle hinter uns lag.
Ab Mach 1,2 verlangsamte sich die Geschwindigkeitszunahme; die Maschine flog jedoch mit der gleichen Ruhe weiter, lediglich von Mach 1,4 an war ein ganz leichtes Zittern und Beben fühlbar, die einzige Wahrnehmung der ungeheuren Luftkräfte, gegen die das Flugzeug kämpfen mußte. Die viereinhalb Minuten waren um, und das Mach-Meter zeigte annähernd doppelte Schallgeschwindigkeit; ein Blick nach unten durch die aufgerissene Wolkendecke, wir waren inzwischen westlich Straßburg angelangt. Von der schnellen Änderung der Landkarte abgesehen, wird von den Insassen diese kaum faßbare Geschwindigkeit erst beim Fliegen einer Kurve spürbar. Über Mach 1 kann erheblich kräftiger am Knüppel gezogen werden, ohne daß Schüttel- bzw Stall-Anzeigen auftreten; mit 90° Schräglage und einer Kurvenbeschleunigung von 3 g (lt. g-Messer) ziehe ich die Maschine mit einem unwahrscheinlich großen Kurvenradius herum, und es scheint eine Ewigkeit zu vergehen, bis nach einer 180°-Kurve Gegenkurs erreicht ist.
Mit normaler Triebwerksleistung geht es in wenigen Minuten zurück zur Ausgangsbasis; ich versuche dabei natürlich weiter, in die Geheimnisse der Flugeigenschaften einzudringen. Ich sah, daß man auch ohne Nachbrenner scharf aufpassen muß, um nicht, ohne es zu merken, die Schallgrenze zu überschreiten, und kann nun verstehen, weshalb uns manchmal ein Überschall-Knall aufschreckt, der von dem betreffenden Piloten weder beabsichtigt noch bemerkt worden war. Mit ausgefahrenen Sturzflugbremsen, die im übrigen bei jeder Geschwindigkeit betätigt werden können, geht es hinab, nötigenfalls ebenso steil und schnell wie vorher hinauf, um am Heimatflugplatz einige Starts und Landungen zu üben.
Die Flaps werden schon sehr frühzeitig und bei noch höherer Geschwindigkeit auf Startstellung ausgefahren; ich stelle fest, daß dadurch im niederen Geschwindigkeitsbereich das Flugzeug erheblich „handlicher" wird, es läßt sich leichter kurven, ohne daß es zu einer Überziehwarnung kommt. Bei 250 Kt/h im Gegenanflugteil kommt das Fahrwerk heraus, mit 87% Motorleistung und einer angezeigten Geschwindigkeit von 220 bzw. 210 Knoten werden die beiden letzten Kurven vor der Landung geflogen. Mit ganz ausgefahrenen Klappen und 200 Kt/h nähert man sich im Endanflug der Piste; am Platzrand wird die Triebwerksleistung auf 100% erhöht und gleichzeitig die Sturzflugbremse ausgefahren, mit 180 bis 185 Kt/h setzt die Maschine sicher und ruhig wie jede andere am Boden auf; nur ein rascher Seitenblick zum Pistenrand zeigt, daß man doch etwas schneller als gewöhnlich ist. Je nach Bedarf zieht man im Ausrollen früher oder später den Bremsschirm, der die Fahrt schnell auf normale Rollgeschwindigkeit reduziert.
Erste Schlussfolgerungen und Tiefflug

Meine Flugerfahrungen im Starfighter hatten mich bis dahin überzeugt, daß die Maschine, von einigen Besonderheiten, wie sie jedes Muster an sich hat, abgesehen, grundsätzlich ebenso zuverlässig und sicher ist wie andere schnelle Flugzeuge auch. Die notwendige Auslegung auf die Aerodynamik des Überschallfluges in Verbindung mit der sehr hohen Flächenbelastung zwingen jedoch den Flugzeugführer im untersten Geschwindigkeitsbereich, vorzugsweise also bei der Landung, zu besonders exaktem Fliegen und zu konsequenter Einhaltung der „procedures". Unter dieser Voraussetzung halte ich jeden Durchschnittspiloten nach entsprechender Ausbildung für fähig und in der Lage, auf dieser Maschine eingesetzt zu werden.
Am Nachmittag des gleichen Tages lernte ich die F-104 von einer anderen, nicht minder wichtigen Seite kennen, im Tiefflug-Einsatz. Es herrschte eine leicht gewitterige Wetterlage mit starker Böigkeit in Bodennähe; ich war daher aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen mit schnellen Maschinen ziemlich skeptisch, ob Flugzeug und Besatzung einen Flug über einige hundert Kilometer in 250 bis 500 Fuß Höhe mit Mach 0,8-0,9 halbwegs gut vertragen würden. Meine Befürchtungen erwiesen sich erstaunlicherweise als unbegründet; selbst Böen, die mir in jeder kleinen Reisemaschine an die Nieren gehen würden, sind im Starfighter nur geringfügig zu spüren, was ohne Zweifel ein Vorteil des ungewöhnlich kleinen und kurzen Tragflügels ist. Da die Sichtbedingungen gut sind und die Steuerwirkung exakt, ist es gar nicht so schwer und gefährlich, wie man glauben könnte, in der F-104 mit hoher Geschwindigkeit in Bodennähe zu fliegen. Ich könnte mir denken, daß kaum ein anderer Konkurrent mit vergleichbaren Leistungen für Tiefflug-Operationen ebenso gut geeignet ist wie der Starfighter.
Letzter Mitflug und technische Störung

Bei meinem letzten Flug machte ich schließlich noch Bekanntschaft mit einer technischen Störung, wie sie bei einem solch hochkomplizierten Fluggerät nie ganz vermeidbar ist, eine Störung übrigens, wie sie bei jedem anderen Muster von ähnlicher Leistung und Ausrüstung in gleichem Maße auch auftreten könnte. Im Steigflug drehte sich die Maschine plötzlich seitlich hoch, mein Pilot erkannte in Sekundenschnelle die Ursache der unfreiwilligen Flugbewegung, es war ein Ausfall der automatischen Ruderdämpfung um die Hochachse, verbunden mit einer Blockierung des Seitenruders; er schaltete die Dämpfung völlig ab, und wir flogen, wenn auch stark schlingernd und gierend, zurück zum Flugplatz. Die Landung, mit etwas mehr Aufmerksamkeit und Konzentration als üblich durchgeführt, verlief ebenso glatt wie die vorhergegangenen.
Dieses kleine Beispiel zum Abschluß meines Berichtes zeigt, wie lebenswichtig es bei einem hochtechnisierten Flug- oder Waffensystem, mag es nun Starfighter oder Phantom heißen, ist, daß der Pilot auf das genaueste mit seinem Flugzeug und allen möglichen Notfällen vertraut ist. Es ist meine Überzeugung, daß dies eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen unfallfreien Einsatz solcher Superflugzeuge ist.
Walter Wolfrum (Juli 1966)




