SIAI-Marchetti S 205 im Test

1967
SIAI-Marchetti S.205 im Test

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Zuletzt aktualisiert am 19.06.2018

SIAI-Marchetti S.205 im Test

Es werden dort heute keine Militärflugzeuge eigener Konstruktion mehr gebaut, wie vor 1945. Basis der neuen Produktion ist das Leichtflugzeug S.205, von dem man sich in Italien erhofft, daß es das europäische Reiseflugzeug werden und auf weitere Sicht der amerikanischen Konkurrenz den Rang ablaufen könnte. Eine ganze Reihe wichtiger Voraussetzungen bringt die S.205 dafür mit. In ähnlicher Weise, wie in heutiger Zeit Großserienautos konzipiert und konstruiert werden, ist unsere Testmaschine ausgelegt. Es handelt sich um eine sorgfältig durchdachte Grundkonstruktion, die nach dem Baukastensystem in den verschiedensten Ausführungen, d. h. Preis- und Leistungsklassen, auf den Markt gebracht werden kann. Heute schon gibt es von diesem Flugzeug mindestens 7 verschiedene Varianten mit Motorleistungen von 180 bis 260 PS, die teils mit festem und teils mit Einziehfahrwerk ausgestattet sind. Im Gespräch ist ferner eine zweimotorige Maschine, die S.210, die in ihrem Aufbau ebenfalls auf der S205 basiert. Ich glaube, daß damit die Entwicklungsmöglichkeit dieses Typs noch lange nicht erschöpft ist.

Das Ziel der Konstrukteure, ein möglichst zukunftssicheres Flugzeugmuster zu bauen, wurde durch folgende Grundforderungen erreicht:
• Eine stabile und geräumige Zelle, groß genug, um auch höhere Motorleistungen zu verkraften.
• Ein einfacher Aufbau in Ganzmetallausführung, der einen rationellen und arbeitssparenden Serienbau ermöglicht.
• Eine zeitlos moderne Formgebung, frei von modischen Zugeständnissen.

Das Produkt dieser Auslegung konnte nur ein freitragender Tiefdecker sein mit einer klaren, geraden Linienführung; in ihrer äußeren Erscheinung wird daher die Maschine auch in 10 Jahren noch keineswegs altmodisch wirken.

Zwei Versionen des Flugzeugs sind Gegenstand unseres Testberichts. Zunächst ist es die einfachste und billigste Ausführung, die S.205-18,F, mit dem Lycoming-Vergasermotor O-360 von 180 PS und einem festen Bugradfahrwerk. Als zweite Version stand dem Tester die leistungsstärkere Type S.205-20/R zur Verfügung, die mit dem 200 PS Einspritzmotor IO-360 und einem Einziehfahrwerk ausgerüstet ist. Von diesen Unterschieden abgesehen sind beide Flug-zeuge bis zur letzten Einzelheit völlig gleich.

Die Kabine des Viersitzers

Ein unbestreitbarer Vorzug dieses Viersitzers ist die großzügig gestaltete Kabine. Man muß schon erheblich höhere Preisklassen aufsuchen, um ähnliche Innenabmessungen anzutreffen; kein anderes Flugzeug mit einem Preis unter 100 000 Mark bietet den Insassen ebensoviel Raum und Komfort. Die gesamte Innenausstattung, von Pininfarina entworfen, ist mit beachtlichem Aufwand darauf abgestimmt, Pilot und Passagieren die Reise in diesem Flugzeug so angenehm wie möglich zu machen. Gut gepolsterte und körpergerecht geformte Einzelsitze vorn und eine bequeme Sitzbank für die Fondgäste tragen dazu ebenso bei wie die weichen Veloursteppiche und die geschmackvolle Komposition aller Ausstattungsdetails.

Eine sorgfältige Schallisolierung dämpft das Motorgeräusch auf ein Mindestmaß. Auch der Einstieg und die Erreichung aller vier Sitzplätze ist ohne Mühe und Verrenkungen möglich; auf die Tragfläche gelangt man vom Boden aus bequem über eine Trittstufe, und durch eine große Türe an der rechten Rumpfseite betritt man die Kabine. Ein weiteres Kennzeichen, das ebenso dem Reisegenuß wie der Flugsicherheit dient, sind die großen Fenster, die nach vorn und nach den Seiten ausgezeichnete Sichtbedingungen bieten. Ausreichend dimensionierte und individuell einstellbare Belüftungen sowie eine gut regulierbare Heizung runden das Bild einer mit überdurchschnittlichem Komfort ausgestatteten Maschine ab. Völlig im Einklang damit steht der Gepäckraum des Flugzeuges; er ist ausreichend groß und sehr gut zugänglich, sowohl von außen durch eine abschließbare Türe, als auch vom rückwärtigen Teil der Kabine.

Leistung

Die Kehrseite dieses „fliegenden Raumes" liegt natürlich in einer gewissen Leistungseinbuße. Mit 180 PS ist das Flugzeug nicht gerade aufregend motorisiert und auch in der 200 PS-Version wünscht man sich manchmal etwas mehr Dampf. Ich könnte mir denken, daß die neueste Ausgabe mit einem 260 PS-Motor genau die Leistung und die Reserven in sich hat, die das Flugzeug in allen Situationen braucht. Beim Start fällt es noch gar nicht so auf, daß 180 oder auch 200 PS etwas wenig für diese ausgewachsene Maschine sind, da die Flächenbelastung nur 75 kg/m2 beträgt und somit die Abhebegeschwindigkeit nicht hoch ist.

Der Constant-speed-Propeller und die sehr wirksamen Spalt-Wölbungskappen sorgen für eine relativ kurze Startstrecke. Der anschließende Steigflug offenbart dann aber schon die Grenzen der Leistungsfähigkeit; eine günstigste Steiggeschwindigkeit von 3,5 m/sec bei der Type 18/F und 4,4 m/sec bei der Version 20/R sind Werte, die von anderen Reiseviersitzern gleicher Motorleistung klar übertroffen werden. Auch die Geschwindigkeit im Horizontalflug kann nur als durchschnittlich bezeichnet werden. Mit festem Fahrwerk und 180 PS wird man auf längeren Strecken im Schnitt nicht über 180-190 km/h kommen, während bei der 200 PS-Maschine mit Einziehfahrwerk auf die Dauer bestenfalls 220 km/h zugrunde gelegt werden können.

Geräumigkeit und Komfort fordern eben ihren Tribut! Die Gipfelhöhe des Flugzeugs, vor allem bei der stärkeren Ausführung mit Einziehfahrwerk, ist dagegen kaum zu kritisieren, was wiederum der nicht sehr hohen Flächenbelastung zuzuschreiben ist. - Guter Durchschnitt ist auch, am Maßstab der Konkurrenz gemessen, die Reichweite, die je nach Ausführung 1000 bis 1200 km beträgt.

Im Flug

Die Anforderungen, die an den Piloten hinsichtlich fliegerischer Fähigkeit und Bedienungsaufwand gestellt werden, sind nicht größer als bei vergleichbaren amerikanischen Mustern. Beim Rollen ergeben sich, selbst bei starkem Bodenwind, keinerlei Schwierigkeiten dank des breiten Hauptfahrwerkes und des mit den Pedalen gesteuerten Bugrades. Die hydraulischen Scheibenbremsen an den Haupträdern, die ebenfalls mit den Pedalen einzeln betätigt werden, greifen weich, gleichmäßig und absolut zuverlässig; sie halten die Maschine bei Vollgas sicher auf der Stelle.

Zum Startvorgang ist wenig zu sagen; bei Erreichung der Abhebegeschwindigkeit von ca. 60 mph zieht man das Flugzeug, wie die meisten anderen Bugradmaschinen auch, betont vom Boden weg. Irgendwelche Ausbrechneigungen konnte ich nicht feststellen. In der Stall-Charakteristik gleichen sich die meisten modernen Flugzeugmuster dieser Kategorie weitgehend; das Überziehverhalten mit ein- und ausgefahrenen Landeklappen war bei beiden Testflugzeugen harmlos und immer voll kontrollierbar. Angenehm und beruhigend für die Benutzer der Maschine ist die Gewißheit, in einem Flugzeug mit Utility-Festigkeit zu fliegen.

Ich hatte keine Bedenken, die beiden Testmaschinen scharf heranzunehmen und, muß in diesem Zusammenhang bemerken, daß dank der besonderen Bauweise des Tragflügels, auf die ich später noch zu sprechen komme, selbst bei einigen g von Verformungen oder gar „Wellblech" auf der Flächenbeplankung nichts zu sehen war. Normalerweise kommt man übrigens nicht leicht in Gefahr, die Maschine über Gebühr zu beanspruchen, da die Höhenruderkräfte progressiv stark zunehmen. Eine vorbildlich exakt wirkende Trimmung, deren Betätigung genau am richtigen Platz zwischen den beiden Vordersitzen liegt, gestattet es, das Flugzeug in jeder Flugsituation präzise und ohne langes Herumprobieren auszutrimmen. Die Wirkung von Höhen- und Seitenruder ist gut. Nicht ganz zufrieden war ich mit dem Querruder; für meinen Geschmack könnte die Rollwendigkeit auch bei einer Reisemaschine etwas besser sein. Dafür läßt das Flugzeug in seinem Stabilitätsverhalten kaum Wünsche offen. Der große, lange Rumpf dürfte die Ursache dafür sein, daß die Maschine, verglichen mit der Konkurrenz, besonders stabil um die Hochachse ist - ein für den Reiseflug sehr wertvoller Pluspunkt!

Landung ohne Probleme

Die Landung der S.205 gibt dem Durchschnittspiloten keine Probleme auf. Man hat die Wahl zwischen 2 Landeklappenstellungen, der Mittelstellung von ca. 30° und dem Endausschlag von ca. 45°. Über die gute Auftriebswirkung der Landehilfe wurde bereits gesprochen, sie ist mitentscheidend für die mäßige Aufsetzgeschwindigkeit, die auch auf kleinen Landeplätzen einen Einsatz zuläßt. Fährt man bei der Landung die Klappen auf Endstellung aus, erzielt man zusätzlich einen starken Bremseffekt; es sind dadurch sehr steile Landeanflüge möglich; man muß sich nur hüten, mit zu wenig Fahrt abzufangen, da die Maschine unter diesen Umständen leicht durchsackt.

Für einen Vorteil halte ich es, daß die Landeklappen nicht elektrisch, sondern manuell durch einen Hebel zwischen den Vordersitzen zu betätigen sind. An dieser Stelle eine kurze Betrachtung des Fahrwerks. Hauptfahrwerk und Bugrad aller Versionen der S.205 sind mit öl- und luftgefederten Teleskopfederbeinen ausgerüstet; stabile Ausführung und geringe Bauhöhe bieten Gewähr für ausreichende Robustheit auch bei seitlicher Beanspruchung. Das feste Fahrwerk der Type 18/F besitzt hübsche Radverkleidungen aus Kunststoff, die auch aerodynamische Vorteile erbringen. Mit einem zuverlässigen elektrischen Einziehmechanismus ist das Fahrwerk der R-Version ausgerüstet; die beiden Haupträder klappen in üblicher Weise nach innen ein und verschwinden völlig in der Fläche, während das nach hinten eingefahrene Bugrad noch zu etwa einem Drittel aus der Rumpfunterseite herausragt. Durch eine zusätzliche mechanische Ausfahrmöglichkeit von Hand und zwei getrennte Fahrwerkanzeigen, eine elektrische und eine mechanische, ist für genügend Sicherheit gesorgt.

Ein ausgereiftes Flugzeug

Das Flugzeug, obwohl noch nicht sehr lange im Serienbau, macht einen weitgehend ausgereiften und fertigen Eindruck. Nicht zuletzt liegt das an der sehr vertrauenerweckenden, stabilen Bauweise und an der überdurchschnittlich sauberen Bauausführung. Der Rumpf, eine Metallschale, ist aus fertigungstechnischen Gründen von der Kabine an nach hinten geradlinig gehalten; nur der Rumpfrücken ist gewölbt, unten weist der Rumpf einen rechteckigen Querschnitt auf.

Das Glanzstück ist jedoch der Tragflügel. Er besitzt eine außergewöhnlich saubere und verformungsfreie Oberfläche, was man durch die sogenannte Honigwabenbauweise erreicht hat. Bei diesem modernen Bauprinzip, das normalerweise bei größeren und teureren Flugzeugen Anwendung findet, kommt man zwar mit weniger Rippen aus, der Raum dazwischen ist jedoch mit diagonalen Auskreuzungen, den Honigwaben, ausgefüllt! Dadurch erreicht man eine sehr gute Profiltreue und Oberflächengüte. Ein weiterer fertigungstechnischer Vorteil ist die Austauschbarkeit verschiedener Bauteile. Die beiden Höhenruderhälften sind mit dem Seitenruder identisch, ebenso sind die Querruder mit den zweiteiligen Landeklappen gleich und untereinander auswechselbar.

Nicht übersehen wurde schließlich auch der Punkt Wartung und Reparatur; alle Kontroll- und Wartungsstellen sind durch die großzügige Auslegung der Maschine gut erreichbar. Die Motorhaube ist, was ebenfalls anerkannt werden muß, mit 3 Schnellverschlüssen auf jeder Seite zu öffnen.

Der Beweis dafür, daß alle Instrumente und Bedienungsorgane übersichtlich und richtig angeordnet sind, ist die Tatsache, daß ich mich an keinen Fall erinnere, in dem ich in den beiden Testflugzeugen nach irgend etwas suchen mußte; ein halbwegs erfahrener Pilot blickt oder greift in der S 205 immer nach der richtigen Stelle.

Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, die wichtigsten Merkmale und den Charakter der Testmaschinen klar genug herauszustellen. Mit einer wohlüberlegten Konzeption und einer soliden Konstruktion wie Ausführung setzt das Leichtflugzeug S.205 die Tradition und den guten Ruf der langen Typenreihe von Savoia-Marchetti-Flugzeugen fort. Der Käufer, der besonderen Wert auf ein bequemes und komfortables, gleichzeitig aber auch robustes und wirtschaftliches Reiseflugzeug legt, wird mit der S.205, ganz gleich zu welcher der vielen Versionen er sich entschließt, sicher gut bedient sein. Es ist fast selbstverständlich, daß ein solches Flugzeug nicht billig im landläufigen Sinn sein kann. Frei deutscher Flugplatz beträgt der heutige Preis für die Ausführung 18/F DM 72000.-, während man für die aufwendigere Type 20/R DM 89000.- zu bezahlen hat. Ich halte diese Preise dem gebotenen Gegenwert für angemessen.


SIAI-MARCHETTI S.205
Vorzüge:
•    Sehr geräumiger Reiseviersitzer in Ganzmetall.
•    Stabile Bauweise, überdurchschnittlich saubere Bauausführung.
•    Bequem und komfortabel, niederer Geräuschpegel, gute Belüftung, gediegene und geschmackvolle Innenausstattung.
•    Großer, gut zugänglicher Gepäckraum.
•    Gute Sichtverhältnisse.
•    Sichere Flug- und Abkippeigenschaften, leicht zu fliegen.
•    Gute Flugstabilität.

Nachteile:
•    Mit 180PS etwas untermotorisiert. Nur durchschnittliche Flugleistungen.

Walter Wolfrum, FLUG REVUE Ausgabe 11/1967