Messerschmitt Me 264: Der "Amerika-Bomber", der nie kam

Messerschmitt Me 264
Der „Amerika-Bomber“, den Deutschland nie hatte

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Zuletzt aktualisiert am 22.01.2024

Ganz im Gegensatz zur neuartigen strategischen Luftkriegslehre des italienischen Generals Giulio Douhet wurde in Deutschland in den dreißiger Jahren eine Luftwaffe aufgebaut, der man in erster Linie Erdkampf- und Schnellbombereinsätze zudachte. Dies galt insbesondere für die Zeit ab 1936, denn nach dem Tod von Generalleutnant Walther Wever, dem ersten Generalstabschef der Luftwaffe, fehlte ein einflussreicher Anhänger der Douhet-Thesen. So erarbeitete das Technische Amt im Reichsluftfahrtministerium (RLM) erst im Sommer 1940 die Anforderungen für ein Flugzeug mit "Amerika-Reichweite" – etwa 12 000 Kilometer bei einer Bombenlast von 1800 Kilogramm. Die Anfrage ging an Junkers, Focke-Wulf und Messerschmitt.

Messerschmitts "Optimalflugzeug"

Während Junkers aus seinem viermotorigen Verkehrsflugzeug Ju 90 die militärische Ju 290 ableitete und Focke-Wulf in Anlehnung an die erfolgreiche Fw 200 Condor die Fw 300 A schuf, griff Messerschmitt in Augsburg auf sein Projekt 1061 zurück, das schon 1937 parallel zur P 1062 (Me 261) als Langstreckenflugzeug mit einer Reichweite von 20 000 Kilometern konzipiert worden war. Ziel war damals der "wirtschaftliche Schnelltransport hochwertiger Frischgüter aus tropischen Überseegebieten". Nun wies Willy Messerschmitt in einer Mitteilung an das Projektbüro vom 20. Dezember 1940 seine Ingenieure Woldemar Voigt, Wolfgang Degel und Paul Konrad an, ein "Optimalflugzeug" mit widerstandsarmer Rumpfform, interner Bombenlast und versenkbaren Waffenständen zu entwickeln. Als Waffenlast waren zwei bis drei Tonnen vorgesehen.

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Bau des "Amerika-Bombers"

Obwohl es sich bei dem "Amerika-Bomber" nicht um eine offizielle RLM-Ausschreibung handelte, erhielt Messerschmitt Anfang 1941 vom Technischen Amt des RLM (damals noch unter Ernst Udet) einen Auftrag für die Fertigung von sechs Prototypen der als Me 264 bezeichneten Maschine. 24 weitere Flugzeuge sollten folgen und eventuell für "Störflüge in die USA" verwendet werden. Zunächst wurde die Fertigung der V1 bis V3 in Angriff genommen, wobei angesichts der noch unklaren Einsatzforderungen das erste Flugzeug ein reiner aerodynamischer Versuchsträger ohne militärische Einbauten sein sollte. Während die Detailkonstruktion – das Leitwerk wurde wegen Überlastung der Teams in Augsburg an Fokker in Amsterdam abgegeben – voranging und Teile für die Prototypen gefertigt wurden, verfügte Generalfeldmarschall Erhard Milch als neuer Generalluftzeugmeister im Januar 1942 die Streichung zahlreicher Entwicklungsprogramme, darunter auch die Me 264. Milch war seit Jahren ein Gegner Messerschmitts, der zu dieser Zeit wegen gravierender Probleme mit der Me 210 insgesamt einen schweren Stand hatte. Dennoch gelang es ihm, eine Überprüfung der Me 264 durch das Technische Amt zu erreichen. Im April 1942 besuchte eine Kommission unter Leitung des Kommandeurs der Erprobungsstellen, Oberstleutnant Petersen, die Messerschmitt-Werke und lieferte am 7. Mai einen recht positiven Bericht ab: "Es ist hier kein Flugzeug bekannt, welches bei gleicher Geschwindigkeit und Zuladung die gleiche Reichweite schafft", hieß es unter anderem. Und weiter: "Unabhängig davon, ob es möglich sein wird, in allen Fällen die amerikanische Ostküste zu erreichen, wird ein Langstreckenflugzeug, welches in der Lage ist, den Atlantik in Form einer bewaffneten Aufklärung abzusuchen, als Aufklärer und Fühlungshalter für die He-177-Verbände dringend benötigt."

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Erstflug im Dezember 1942

So konnten die Arbeiten fortgesetzt werden, doch unter den zunehmend schwieriger werdenden Bedingungen (viele Mitarbeiter von Zulieferfirmen wurden zum Wehrdienst eingezogen) verzögerte sich der ursprünglich für Mai 1942 geplante Erstflug immer wieder. Unter anderem fehlte lange das von VDM hergestellte Fahrwerk. Erst am 23. Dezember 1942 hob die Me 264 V1 (RE + EN) in Augsburg zu ihrem Jungfernflug ab, der etwa 22 Minuten dauerte. Karl Baur, der schon Erfahrung mit den Großlastenseglern hatte und seit 1942 Leiter der Flug-erprobung war, saß dabei am Steuer. Er ließ das Fahrwerk vorsichtshalber ausgefahren. Anfang 1943 wurde die Me 264 dann nach Lechfeld überführt, wo es eine Betonpiste gab, die bessere Bremswirkung bei der Landung bot. Problematisch waren die hohen Ruderkräfte und die zahlreichen mechanischen Störungen, die mangels verfügbarer Ingenieure auch nie intensiv angegangen wurden. Ein Hydraulikdefekt führte am 23. März 1943 zu einer Bauchlandung. Von den Leistungen her wurden die Vorgaben nicht erreicht, was aber angesichts der als Notlösung eingebauten Jumo-211-Motoren (inklusive der Verkleidungen und Nebenaggregate von der Ju 88 A-4 übernommen) nicht verwunderte.

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Ungewisse Zukunft

Die Zukunft der Me 264 blieb währenddessen in der Schwebe. Admiral Dönitz favorisierte für Marine-Einsätze über dem Atlantik die Ta 400 und als Interimslösung die Ju 290 und He 177. Die Ideen von Bombenangriffen auf die USA hatte man bei der militärischen Führung inzwischen zu den Akten gelegt. Im Mai 1943 ordnete das RLM daher erneut den Stopp des Programms an. Messerschmitt wandte sich daraufhin direkt an Hitler, der bei einem Treffen am 8. Juli auch seine Unterstützung zusagte. Auch hier war aber nicht mehr von Angriffen auf Amerika die Rede, denn die wenigen Bomber hätten keine greifbaren Resultate erzielen können. Generalfeldmarschall Milch stimmte weiteren Arbeiten nur zu Erprobungszwecken zu. Im Oktober 1943 wurden daraufhin die Endmontagevorrichtungen in Augsburg demontiert, um Platz für die Taktstraßen der Me 410 zu schaffen. Die Werkzeuge und Vorrichtungen wurden in Gersthofen eingelagert.

Prototyp wird von Bomben zerstört

Messerschmitt hatte die Me 264 V1 unterdessen auf stärkere BMW-801G2-Triebwerke umrüsten lassen. Bei einem alliierten Luftangriff wurde die Maschine am 18. März 1944 leicht beschädigt, sodass man sich entschloss, gleich beim ersten Flug mit neuen Motoren am 16. April von Lechfeld nach Memmingen zu verlegen. Dort wurde die V1 Ende des Monats auch von Vertretern des RLM nachgeflogen. Die Beurteilung war durchaus positiv, da man die bekannten Kritikpunkte (Ruderkräfte, Sicht) für leicht lösbar hielt. Dazu kam es aber nicht mehr, denn am 18. Juli 1944 wurde die Me 264 bei einem Bombenangriff zerstört. Sie hatte gerade einmal 30 Flugstunden absolviert. Am 18. Oktober bedeutete dann die Technische Weisung Nr. 2 von Reichsmarschall Göring das endgültige Ende des Programms.

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Technische Daten

Messerschmitt Me 264

Muster: Langstreckenbomber und -aufklärer
Besatzung: 7
Antrieb: 4 x Jumo 211J oder BMW 801G
Leistung: 4 x 1425 PS (1060 kW) oder 4 x 1700 PS (1250 kW)
Propellerdurchmesser: 3,4 m
Länge: 20,11 m
Höhe: 4,85 m
Spannweite: 38,9 m / 43,0 m
Flügelfläche: 124,1 m2 / 128,3 m2
Leermasse: ca. 18 500 kg
Kraftstoff: 19 700 kg
Startmasse: ca. 40 000 kg
max. Überlast: 55 790 kg
Höchstgeschw. in Bodennähe: 490 km/h
Geschw. bei Dauerleistung: 470 km/h
Dienstgipfelhöhe: 7980 m
Startstrecke mit Hilfsraketen: 2100 m
Überführungsreichweite: 14 960 km
Einsatzdauer: 45 h