Atomreaktor im Flugzeug: Als die USA mit laufendem Kernmeiler übers Land flogen

Die skurrilsten Flugzeuge der Welt: Convair NB-36H
Das erste Flugzeug mit Atomreaktor an Bord

ArtikeldatumVeröffentlicht am 25.08.2025
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Ein großes Thema in den 40er Jahren stellte die Atom-Energie dar. Die Science-Fiction-Romane aus dieser Zeit sind voll mit nuklear angetriebenen Vehikeln. Die Ideen machten natürlich auch nicht vor dem Militär halt, und so begann die US Air Force Ende der 40er Jahre ein Programm, das die Auswirkungen eines Nuklearreaktors an Bord eines Flugzeugs auf die Besatzung und die Systeme erforschen sollte. Die Wahl fiel schließlich auf die B-36 Peacemaker. Convair nutzte ein von einem Tornado am Bug beschädigtes Exemplar für die entsprechende Umrüstung.

Ein geteiltes Abschirmungssystem aus Blei sollte die Gewichtsbelastung senken; der Reaktor erhielt eine starke Verkapselung, während der Raum für die Besatzung etwas dünner verkleidet war. Trotzdem war das Crew-Abteil stark isoliert. Statt der Gewächshaus-ähnlichen Kuppel kamen kleine, bis zu 28 Zentimeter dicke Bleiglas-Scheiben zum Einsatz. Im Cockpit war es dadurch so ruhig wie in einem Segelflugzeug. Der mit seiner Verkleidung fast 16 Tonnen wiegende Reaktor in der Ein-Megawatt-Klasse fand im Bombenschacht Platz. Mit einem möglichen Antrieb verbunden hätte er lediglich einen Schub von 0,67 Kilonewton ermöglicht. Seitliche Lufteinlässe dienten zur Kühlung.

Detail Bug der Convair NB-36H
US Air Force

Bomber als Begleitflugzeug

Am 17. September 1955 startete die NB-36H und nahm als erstes Flugzeug der Welt einen Atomreaktor in Betrieb – natürlich erst, nachdem sie eine sichere Flughöhe erreicht hatte. Die Flüge fanden über dünnbesiedeltem Gebiet im Südwesten der USA statt. Als Begleitflugzeug diente eine Boeing B-50 mit weiteren Technikern an Bord; einige davon hatten eine Fallschirmausbildung, da sie im Falle eines Unfalls der NB-36H abspringen sollten, um das betroffene Gelände abzusperren. Glücklicherweise war dies nie der Fall, und sollte auch in Zukunft nicht passieren, denn im Herbst 1956 kippte die Air Force das Programm eines nukleargetriebenen Bombers.

Convair NB-36H in Formation mit B-50
US Air Force

Abruptes Ende des Atomprogramms

General Electric und Pratt & Whitney hatten zwar Aufträge zur Entwicklung möglicher Triebwerke erhalten, aber auch hier schlug der Rotstift zu. Der letzte von 47 Flügen der auch "The Crusader" genannten Maschine fand so am 28. März 1957 statt. Die neue Regierung unter John F. Kennedy beendete schließlich 1961 auch die letzten Atomprogramme der amerikanischen Luftfahrt.

Convair NB-36H im Flug von der Seite mit Radioaktivitätsabzeichen
US Air Force

Technische Daten

Typ: Forschungsflugzeug
Erstflug: 17. September 1955 (mit Reaktor in Betrieb)
Produktion: 1
Verbleib: verschrottet

Besatzung: 5
Antrieb: sechs Pratt & Whitney R-4360-53 mit je 2830 kW Leistung und vier General Electric J47 mit je 23,1 kN Schub
Länge: 49,38 m
Spannweite: 70,10 m
Höhe: 14,23 m
Startmasse: 162.305 kg
Höchstgeschwindigkeit: 676 km/h

Titelbild "Die skurrilsten Flugzeuge der Welt"
Motorbuch Verlag

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