Flugfeld Johannisthal am 29. September 1911 – nichts deutete an diesem Tag darauf hin, dass hier die – wenn auch leidvolle – Grundlage für eine Idee entstehen würde, die bis heute deutliche Spuren in der deutschen Luftfahrtgeschichte hinterlassen sollte. Auf dem Johannisthaler Flugfeld vor den Toren Berlins, eröffnet fast auf den Tag genau zwei Jahre zuvor, machen sich der Chefpilot der Flugmaschine Wright GmbH, Korvettenkapitän a. D. Paul Engelhard, und sein Flugschüler Gerhard Sedlmayr bereit zu einem Flug. Der Apparat, so die damalige Bezeichnung für die ersten Fluggeräte, ist ein Erzeugnis der in Adlershof auf der anderen Seite des Platzes befindlichen neuen Produktionsstätte des Unternehmens. Er ist eine weiterentwickelte Konstruktion desjenigen Flugapparates der Gebrüder Wilbur und Orville Wright, mit der sie in den Dünen von Kitty Hawk (North Carolina) am 17. Dezember 1903 den ersten Motorflug der Luftfahrtgeschichte vollzogen hatten. Gekennzeichnet ist der neue Apparat vom Typ B nach wie vor durch die Anordnung der Flächen als Doppeldecker, wobei der Motor und die beiden nebeneinanderliegenden Sitze offen dazwischenliegen. Das Höhenruder befindet sich jetzt aber hinter den Flächen, das Seitenruder nach wie vor ebenfalls. An der Stelle von Querrudern werden immer noch die hinteren Flächenenden über Seilzüge verwunden. Die zwei Druckpropeller werden weiterhin über Motorradketten angetrieben. Inzwischen ist auch ein Fahrwerk vorhanden. Vorn sind über den verkürzten Kufen zwei senkrechte, nicht steuerbare Stabilisierungsflächen angeordnet.

Die Reste des Wright Flyer nach dem Absturz von Sedlmayr und Engelhard.
Erste Unfälle
Diese Konstruktion ist zu dieser Zeit zwar schon nicht mehr neuester Stand, aber die Wright Flyer sind durchaus noch konkurrenzfähig. 1911 entstehen 35 Wright-Apparate, und die firmeneigene Flugschule bildet 25 Schüler aus. Einer davon ist Sedlmayr, sein Fluglehrer der bekannte "Sturmflieger" Engelhard. Diese (interne) Bezeichnung haftete jenen "tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten" an, die auch noch bei Windstärken von 60 km/h in die Lüfte stiegen. So auch an diesem Tag. Das Wetter ist stark böig und es regnet etwas. Aber Sedlmayr und Engelhard wollen unbedingt fliegen. Bis heute ist unklar, ob das Wetter oder ein technischer Fehler die Ursache war, dass der Apparat aus etwa 20 m Höhe abstürzte. Bis heute ist die eigentliche Ursache unklar, vermutet wurde eine starke Windbö in Einheit mit einem Propellerbruch durch Riss eines Verspannungsseils. Engelhard ist sofort tot, Sedlmayr erleidet nur relativ leichte Verletzungen. Amelie (Melli) Beese, die erste deutsche Motorfliegerin, schrieb in einem Nachruf über Engelhard: "Die deutsche Fliegerei ... hat mit ihm ihren allverehrten Senior und pflichttreuesten Pionier begraben." Für Sedlmayr dagegen dürfte der Krankenhausaufenthalt wohl ein erstes zukunftsweisendes Erlebnis gewesen sein. Am 10. Februar 1914 gab es einen weiteren schweren Flugunfall, bei dem Sedlmayrs LVG-Apparat bei einer Kollision mit einer Etrich Taube schwer beschädigt wurde und abstürzte. Bei ihm an Bord befand sich als Schüler der spätere Pour-le-Mérite-Flieger Oberleutnant Leo Leonhardy. Kollisionsgegner war der auf dem ersten Alleinflug befindliche Flugschüler Degener. Dieser stirbt, Leonhardy und Sedlmayr sind schwer verletzt. Sedlmayr wird von der Presse zunächst für tot erklärt. In dieser Zeit festigt sich bei ihm der Gedanke, zukünftig einen eigenständigen Beitrag zur Flugsicherheit zu leisten. Doch vorerst sollte es anders kommen. In der Zwischenzeit hatte sich Sedlmayr einen Namen als erfolgreicher Wettbewerbsflieger gemacht; die dafür erhaltenen Preisgelder kamen seinen Intentionen durchaus entgegen. Dazu trug auch der Nimbus bei, den er durch den ersten Dauerflugrekord von über sechs Stunden mit einer anschließenden Nachtlandung erworben hatte. Das brachte ihm zudem eine Prämie von 2000 Reichsmark ein. Im Mai 1912 ist er für einige Monate als Chefpilot bei den Rheinisch-Westfälischen Flugzeugwerken im Dienst, quittiert aber auf eigenen Wunsch das Arbeitsverhältnis und wechselt als Schul- und Abnahmepilot zu Albatros. Außerdem ist er für Wright, LFG und LVG als Fluglehrer zur Ausbildung von Militärpiloten tätig.

Am Sterndamm in Johannisthal befand sich ab 1919 die erste Niederlassung der Firma.
Fliegen in Kriegszeiten
Der Kriegsausbruch ist für ihn wie für viele andere Flieger seiner Zeit eine einschneidende Zäsur. Das private Leben und die Ambitionen zur Gestaltung der eigenen Zukunft mussten übergeordneten Pflichten weichen. Fragen von Leben und Tod, nunmehr sehr häufig in der Hand anderer, standen auch vor Sedlmayr. Er meldet sich, obwohl immer noch fluguntauglich, zum Militärdienst, und fliegt als sogenannter Civilflieger Einsätze bei der Feldflieger-Abteilung FFA 29 des XII. (I. Kgl. Sächs) A.K. als Beobachter über der Westfront. Er erhält dafür das EK II und das Ritterkreuz des Albrechtsordens und wird ob seiner Erfahrung als Leutnant d. R. als "nicht frontverwendungsfähig" zur Feldflieger-Ersatz-Abteilung FEA 3 Gotha versetzt. Die Industrie setzt nur wenig später durch, dass er zu Albatros und später zu Ago als Einflieger (heute würden wir dies als "Testpilot" bezeichnen) wechselt. Mitten im Krieg heiratet er, und 1917 kommt Sohn Joachim zur Welt. Ihm folgen 1924 die Zwillinge Gerhard und Helmut. Mit dem Kriegsende sind erst einmal die fliegerischen Ambitionen reine Makulatur, sie werden auch nie mehr zum Durchbruch kommen. Aber die Gedanken an die langen Wochen der Krankenhausaufenthalte sind nicht ad acta gelegt. Sie nehmen Gestalt an mit der Gründung seines eigenen Unternehmens am 1. Oktober 1919 unter dem Namen "AUTOFLUG – Spezialhaus für das Automobil- und Luftfahrtwesen, Gerhard Sedlmayr", das am Sterndamm 4 in Johannisthal seinen ersten Sitz findet. Das Gebäude existiert noch heute. Sedlmayr ist zu dieser Zeit längst klar, dass die politischen Restriktionen zumindest für einige Zeit der deutschen Luftfahrt kaum eine Chance lassen. Aber technisch begabt und versiert, wie er ist, sieht er für die Überwindung der "Luftfahrtdurststrecke" einen Ausweg: die Motorisierung der Verkehrsmittel. Er ist dabei zwar nicht der Einzige, aber pfiffiger als viele seiner Konkurrenten. Mit der erneuten Anschaffung eines Motorrades beginnt der Neuanfang. Erneut deshalb, weil ihm bereits 1915 das Gothaer Tageblatt bescheinigt hatte, dass er "wegen seines schnellen Fahrens auf dem Motorrade" weithin bekannt sei. Folgerichtig, dass er in seiner Firma nicht nur mit Motoren von DKW und Bekamo Motorroller (damals "Motorläufer" genannt) und Motorräder produziert, sondern diese auch auf Rennen selbst fährt. Wegen seines Fahrstils und seiner Rennerfolge ist er in aller Munde. Die AVUS und die Gazetten machen seinen Namen bekannt, was durchaus auch den Absatzerfolgen seiner Erzeugnisse zugutekommt.

Leutnant Gerhard Sedlmayr vor seiner Maschine in der FEA-3 in Gotha.
Neustart mit IRVING
Inzwischen setzt mit dem Jahr 1924 auch eine Lockerung der Bestimmungen des Versailler Vertrages ein; das zarte Pflänzchen Luftfahrt beginnt erneut zu sprießen. Auch für Sedlmayr ist die Zeit gekommen, alte Ambitionen in die Realität zu überführen. In der Firma weicht (symbolisch gesehen) das Auto dem Flug. Er sieht sich nunmehr in der Funktion eines Dienstleisters für letzteren, er hat Erfahrungen, Kontakte und unternehmerisches Gespür. Besonders sind jetzt auch seine Fliegerkameraden aus der Vorkriegszeit von Nutzen – Johannisthal war seinerzeit ein europäisches Luftfahrtzentrum. Besonders die Bindungen zu französischen, englischen und US-amerikanischen Produzenten werden zeitnah geknüpft. Autoflug wird deutscher Generalvertreter für Irving Air Chute Co., Hughes & Son sowie der A.B.C. Motors Ltd. Vor allem der Kontakt zu dem amerikanischen Fallschirmproduzenten Irving wird über Jahrzehnte hinweg Früchte tragen, besonders eng durch das persönliche Verhältnis zum Firmengründer und -inhaber Leslie L. Irvin, einem der bekanntesten Fallschirmspringer der USA. Der erste Durchbruch erfolgt mit der Entwicklung der Selbstauslösung des Schirms, bisher kannte man nur die Reißleine. Nunmehr konnte der Springer den Zeitpunkt der Schirmöffnung selbst bestimmen. Anlässlich der ILA 1928 stellt Autoflug in den Messehallen am Berliner Kaiserdamm eine breite Palette von Luftfahrtzubehör vor. Dazu gehören Flugmotoren, Irvin-Fallschirme, Ersatzteile und Bordinstrumente – nicht aus eigener Produktion, sondern im Vertrieb für die Hersteller. Dies sollte sich aber schnell ändern, denn Autoflug erhält von Irvin die Lizenz für die Fertigung der Schirme und damit ein eigenes Produktionsprofil.

Fallschirmnäherei in Adlershof.
Wachstum und neue Hürden
Notwendig wird nun die Aufnahme einer eigenen Produktion an einem neuen Standort. Man war bereits im Oktober 1929 auf die Adlershofer Seite des Flugfeldes Johannisthal umgezogen und nimmt dort 1931 die Produktion der Schirme auf. Die unmittelbare Nähe zur Deutschen Versuchsanstalt für die Luftfahrt (DVL), ebenfalls an der Rudower Chaussee gelegen, hat einen sehr günstigen Einfluss auf deren Qualität. Prüfergebnisse können sofort ohne Verzögerung in der Produktion berücksichtigt werden. Das Renommee des Unternehmens steigt, die hohe Sicherheit wird zum Markenzeichen. Es sind aber nicht nur die verschiedenen Rettungsfallschirme, die den Ruf der Firma begründen. Eine ganze Reihe weiterer Erzeugnisse, wie zum Beispiel das Zentralschloss für die Gurte mit Schnellauslösung, die sogenannte SA-Begurtung, verschiedene Beschlagteile für Fallschirme und nicht zuletzt Lastenfallschirme ergänzen die Produktionspalette. Allerdings folgt jetzt ungeachtet des weiteren Aufschwungs der Branche eine recht schwierige Zeit für Autoflug. Die DVL gerät infolge politischer und administrativer Probleme und Zwistigkeiten in ein turbulentes Fahrwasser; Standort- und Finanzierungsfragen wie auch die Konkurrenz zu anderen einschlägigen Forschungsanstalten, z. B. in Göttingen und Braunschweig, hatten diesen Standort bereits ab Mitte der 1920er-Jahre zunehmend infrage gestellt. Fünf Jahre später ist aber dessen Beibehaltung und Ausbau positiv beschieden. 1936 kündigt das Reichsluftfahrtministerium (RLM) die Liegenschaft von Autoflug, die Hangars werden anderweitig gebraucht. Die DVL ist wieder im Aufschwung, Luftfahrt und Luftwaffe beanspruchen deren Kapazitäten. Für Autoflug, wenn auch eine renommierte Firma, ist kein Platz mehr. Sedlmayr verliert auch juristisch den Streit um den Verbleib in Adlershof. Ebenso müssen Henschel, Bücker und Flettner vom Platz weichen. An neuen Standorten geht es trotzdem weiter, denn "das deutsche Volk muss ein Volk von Fliegern werden" (Zitat Hermann Göring).

Autoflugwerk in Spremberg.
Neue Standorte
Autoflug lässt sich in Tempelhof und Bernau nieder, später werden Lübbenau, Spremberg und Nürnberg folgen. Die finanziellen Verluste infolge des Streits um Adlershof waren eine enorme Belastung. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen der Fallschirmbranche, die durch die Nähe zum NS-Regime erhebliche Finanzierungszusagen des RLM erhielten, baut Sedlmayr ausschließlich auf den Einsatz von Eigenkapital, eine Staatsfinanzierung ist für ihn ausgeschlossen. Auch wird er nie Mitglied der NSDAP. Die Qualitätsarbeit seiner Firma ist das entscheidende Fundament der Existenz. Das erweist sich spektakulär beim Absturz von Ernst Udet mit einem seiner vom RLM auf Weisung Görings in den USA angekauften Curtiss Hawk. Diese dienten Udet praktisch als Demonstrator für Sturzkampfeinsätze. Eine dieser Maschinen stürzte mit Udet am Steuer am 20. Juli 1934 beim Kunstflugtraining über dem Flughafen Tempelhof wegen Überlastung ab. Udet musste aussteigen, sein Autoflug-Schirm öffnete sich zuverlässig trotz hoher Geschwindigkeit. Udet schreibt in seinem Dank an Sedlmayr "Hei lewet noch!". Das Fliegerass und der Liebling der Öffentlichkeit bleibt unverletzt. Die harten Prüfverfahren im firmeneigenen Prüflabor und die hohe Qualität der Fertigung seines Fallschirms hatten entscheidend dazu beigetragen. Das ist die eine Seite, die andere ist die immer stärkere Einbeziehung von Autoflug in die Rüstungsplanung. Das RLM als nunmehr alleiniger Auftraggeber legte fest, dass 5 Prozent des Umsatzes als Gewinn genehmigt werden. Nach den davon abzuführenden Steuern verblieben der Firma 0,75 %. Nach Abzug der Kosten für die eigene Lebensführung der Familie investierte Sedlmayr den verbliebenen Rest in den weiteren Firmenausbau. Das RLM legte darüber hinaus auch die Fertigungsquoten fest, die zu nahezu 100 % an die Luftwaffe, zu geringeren Teilen an den Deutschen Luftsportverband DLV gingen. Autoflug muss für alle entstehenden Kosten in Vorleistung gehen, die Bezahlung erfolgt erst nach Auslieferung der Erzeugnisse. Erstaunlicherweise werden auch die Lizenzgebühren an Irvin beglichen, wenn auch auf etwas für die Zeit unüblichen und nicht ungefährlichen Wegen.

Übungsstelle Adlershof der DLV unter Nutzung des Hangars der Firma Autoflug mit fabrikneuen Bücker 131 A Jungmann um 1933.
Ein weiterer Weltkrieg
Mit Kriegsausbruch reichen die Fertigungskapazitäten der Luftfahrtindustrie kaum noch aus, um den Bedarf zu befriedigen. Auch Autoflug muss seine Produktion hochfahren. Im besetzten Polen und in der Ukraine entstehen in Litzmannstadt (Lodz) und in Lemberg (Lwiw) weitere Fabrikationsanlagen. Die nunmehr insgesamt sechs Fertigungsstätten stellten mit 1211 Beschäftigten (Stand 1942) neben Sprung- und Lastenfallschirmen über 200 000 Rettungsfallschirme her. Die Einstufung des Unternehmens als "kriegswichtig" ist in dieser Zeit zwar üblich, sollte aber nach 1945 bei der Entnazifizierung noch Probleme bereiten. Positiv schlägt dabei allerdings zu Buche, dass die beschäftigten Kriegsgefangenen, Fremd- und Zwangsarbeiter den Lebens- und Arbeitsbedingungen an allen Standorten nachweislich ein gutes Zeugnis ausstellten. Zudem entschärfen nachträglich schriftlich belegbare deutliche Dissonanzen Sedlmayrs zur Deutschen Arbeitsfront DAF sowie zur Gestapo und SS – nicht ungefährlich für ihn – nach 1945 den Vorwurf der "Systemnähe" seiner Person. Im September 1947 wird ihm das britische Entlastungszeugnis ausgehändigt. Mit Kriegsende wurden die im Gebiet der sowjetischen Besatzungszone liegenden Werke entschädigungslos beschlagnahmt und enteignet. Tragischerweise war Sedlmayrs Ehefrau Marita beim alliierten Bombenangriff auf Halberstadt am 8. April 1945 ums Leben gekommen. Wie bereits 1918 steht er buchstäblich vor dem Nichts. Seine Söhne sind im Ausland oder wie Gerhard in amerikanischer Gefangenschaft. Erneut ist nicht daran zu denken, mit der Luftfahrt in Deutschland Geld zu verdienen. Dieser Zustand wird im Wesentlichen bis 1955 mit der Wiederherstellung der vollständigen Lufthoheit Deutschlands anhalten. So viel Zeit sollte dem Firmengründer tragischerweise leider nicht mehr bleiben. Bis zu seinem Tod im Jahre 1952 infolge einer eigentlich harmlosen Operation hatte er sich trotz aller widrigen Umstände immer wieder um eine Reaktivierung der Firma bemüht. Dabei halfen erneut die alten Kontakte. Mit der schrittweisen Zurücknahme der alliierten Einschränkungen – ab 1951 kann wieder Luftsport (Segelflug) betrieben werden – sieht auch er einen Lichtstreif am Horizont. Am 7. Oktober 1951 treffen sich die ehemaligen Fliegerkameraden zur Wiedergründung der Gemeinschaft "Alte Adler" in Braunschweig, eine Art Initialzündung für Sedlmayr. Bereits zu dieser Zeit orientiert er sich, vorerst noch gedanklich, auf eine Mitwirkung beim Neuaufbau einer deutschen Luftwaffe im Rahmen der NATO. Den Bedarf an Fallschirmen beziffert er anfänglich auf 6000 Stück. Seine Pläne zum Aufbau einer Produktion bleiben vorerst noch Makulatur, da die bereits 1948 beantragte Kriegsentschädigung von ca. 8,4 Mio. RM immer noch nicht bearbeitet ist. Auch eine zielgerichtete Standortsuche muss deshalb ergebnislos bleiben.

Ernst Udet dankt Gerhard Sedlmayr für die Rettung mittels Autoflug-Fallschirm nach seinem Absturz am 20. Juli 1934 in Tempelhof.
Neuanfang
Mit Sedlmayrs Tod scheinen alle Projekte gescheitert. Doch nunmehr erweist sich der enge Zusammenhalt der Familie als stabilisierend. Nach eingehenden Gesprächen zwischen den Söhnen stellt sich Gerhard, einer der Zwillinge, der Verantwortung. Aus der Kriegsgefangenenschaft zurückgekehrt, hatte er sofort ein Medizinstudium aufgenommen. Mitten im Studium befindlich, übernimmt er vorerst sporadisch gemeinsam mit seiner Frau die Führung der Geschäfte. Das Hauptaugenmerk gilt aber nach wie vor der Arbeit im Rahmen seiner Promotion zur Krebsforschung, die er 1955 als Dr. med. abschließt. Er entscheidet sich dann endgültig für den Wiederaufbau von Autoflug. Die Brüder unterstützen ihn, obwohl sie sich im Ausland gerade eine neue Existenz aufbauen. Auf der Grundlage eines Vertrages mit der Firma von Irvin übernimmt Autoflug für Deutschland den Vertrieb sowie die Wartung der Fallschirme und die Ausbildung des Personals. Ab 1958 steht der neue Firmensitz in Egenbüttel (heute zu Rellingen gehörend) zur Verfügung, der im Lauf der Zeit zunehmend erweitert wird. Als ein Glücksgriff hatte sich der bereits Anfang der 1950er-Jahre noch durch Sedlmayr sen. wieder aufgenommene Kontakt zu Leslie L. Irvin erwiesen. Das hat nicht nur Einfluss auf den Fallschirmvertrieb, sondern insgesamt auf den weiteren Ausbau der internationalen Beziehungen. Darüber hinaus meldet die im Aufbau befindliche neue Deutsche Luftwaffe ihren Bedarf an. Bereits 1956 wird der Kontakt zum ehemaligen Fallschirmjäger-Oberst Walter Gericke aufgenommen, der nunmehr im gleichen Dienstgrad mit dem Aufbau der neuen Fallschirmtruppe betraut ist. Die Geschäftskontakte zur Firma Irving laufen in der Startphase ebenfalls über diese Verbindung. Es beginnt die Belieferung der Bundeswehr mit dem Rettungsfallschirm T-10, dessen Bedarf für die nächsten vier Jahre auf bis zu 5000 Stück prognostiziert wird. Für andere benötigte Schirmarten liegt diese Zahl noch um ein Vielfaches höher. Allerdings gibt es gravierende Probleme bei den ersten 500 Stück T-10, die aus den USA in Egenbüttel eintreffen. Bei der Endkontrolle in Deutschland wird festgestellt, dass ein Teil dieser Lieferung trotz US-Prüfstempel vorsätzlich beschädigt wurde. Offensichtlich wirken immer noch Ressentiments aus der Kriegszeit. Dieser Vorfall bleibt in den Staaten nicht ohne Folgen.

Sir Martin Baker (2. von l.) und Dr. Sedlmayr (r.) mit Hptm. Gronauer vom JaboG 33 (l.) und Major Prinz vom JG 71.
Starfighter-Affäre
Die Solidität und die Qualität der Arbeit bei Autoflug wie auch die Durchsetzungskraft und das innovative Denken von Dr. Sedlmayr und seinen Beschäftigten erwiesen sich in der Mitwirkung bei der Bewältigung der sogenannten Starfighter-Affäre als ein entscheidender Faktor zu deren Bewältigung auf dem Gebiet der Rettungsausrüstung. Die Indienststellung der ersten gelieferten F-104 erfolgte ab Februar 1960. Über die Vielfalt der Probleme, die mit der Beschaffung und dem Betrieb des Flugzeugs verbunden waren, und über die tragischen Folgen ist bereits vielfältig berichtet und kommentiert worden. Dabei stand nicht selten ein Aspekt im Blickpunkt: das Rettungssystem für den Piloten – der Schleudersitz und sein Sicherheitszubehör. Die vollkommen anderen Rollen und Einsatzprinzipien der F-104G in der Deutschen Luftwaffe im Gegensatz zur Verwendung des Grundmusters F-104A bei der USAF beeinflussten auch die Funktion des Rettungssystems negativ. Bereits im Jahr 1956 hatte sich Dr. Sedlmayr bei einer Geschäftsreise in Großbritannien mit dem System Schleudersitz näher vertraut gemacht. Dieser war, eingebaut in einer Hawker Sea Hawk, ein Erzeugnis der Firma Martin-Baker Aircraft Company Ltd. (MB). Es folgte die Aufnahme der Arbeitskontakte zu diesem Unternehmen, das unter der Leitung von James Martin (ab 1965 Sir J. M.) steht. Der Namensbestandteil Baker ist zurückzuführen auf den Mitbegründer des Unternehmens, Captain Valentine Baker, der 1942 als Chefpilot der Firma bei einem Testflug ums Leben kam. Da James Martin und Leslie Irvin langjährige Geschäftsbeziehungen pflegten und Autoflug der Vertriebsvertreter für Irving in Deutschland war, war der neue Kontakt zu MB folgerichtig. Und es war quasi eine Fortsetzung des Kontakts aus den Zwanzigern zu Leslie Irvin.

Rolf Bullwinkel vor dem Start zum Testausschuss mit einem MB-Sitz aus Flughöhe Null in Hannover 1958.
Umbau von MB-Sitzen
Bereits Mitte des Jahres 1958 engagierte sich Autoflug im Verbund mit Irving und MB für die Verbesserung der Rettungsmöglichkeiten von Piloten mittels Schleudersitz und Fallschirm für die in der Luftwaffe eingeführten Flugzeugtypen Sabre Mk.5 und Mk.6 (300 Stück) des kanadischen Herstellers Canadair sowie für die Lockheed T-33, die Fiat G.91 und die Fouga Magister. Das betraf auch die Republic F-84 F bzw. RF-84F. Die beiden letzteren Typen verzeichneten während ihrer Einsatzzeit von 1957 bis 1966 bei einer Flottengröße von 558 Flugzeugen insgesamt 202 Totalverluste. Damit war die Verlustrate unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtzahl höher als diejenige der F-104G in ihrer Zeit. Ab 1967 erhielten alle Sabre Schleudersitze der Baureihe Mk.5 von MB. Das traf auch für die anderen genannten Typen mit Ausnahme der Fiat G.91 zu, die einen Sitz der Baureihe Mk.4 bekam. Im Mittelpunkt der Tätigkeit von Autoflug stand damit die Modifizierung der bereits eingebauten MB-Sitze bzw. deren Nachrüstung sowie die Betreuung der gesamten Sicherheitsausrüstung. Zwecks Nachweis der gelegentlich angezweifelten Leistungsfähigkeit der Sitze von MB durch Entscheidungsträger in der Luftwaffe bereitete Autoflug einen Paukenschlag für die Luftfahrtschau 1958 in Hannover vor. Am 5. Mai schoss sich Firmenmitarbeiter Rolf Bullwinkel bei 0 m Flughöhe mit einem vollautomatischen Martin-Baker-Schleudersitz erfolgreich aus einer auf der Start- und Landebahn mit 165 km/h rollenden Gloster Meteor. Die Leistungsdaten des Sitzes hätten auch die sichere Funktion bei 0 km/h zugelassen. Im selben Jahr erhielt Autoflug von MB die Zulassung für die Instandsetzung und Wartung sowie die Komponentenfertigung für Sitze und Systeme.

Verteidigungsminister Strauß (l.) im Gespräch mit Dr. Sedlmayr auf der Luftfahrtschau Hannover 1960.
Kontroverse um das Rettungssystem
Die eigentliche Nagelprobe sollte für die Firma aber noch kommen. 1957 hatte die Luftwaffenführung die Beschaffung eines modernen Ersatzes für die bisher geflogenen Typen beschlossen. In Erwägung gezogen wurde u. a. die Lockheed F-104 Starfighter, ein überschallschneller Abfangjäger für große Höhen. Walter Krupinski flog diesen Typ im Auftrag des damaligen Inspekteurs der Luftwaffe, General Josef Kammhuber. Krupinski, ehemaliges Jagdfliegerass des Zweiten Weltkrieges, entschied sich nach Vergleichsflügen für diese Maschine. Dem folgte Minister Franz Josef Strauß. Für Strauß und andere war die F-104 auch ein Faustpfand zur Erlangung der nuklearen Teilhabe. Problem war nur, dass das Flugzeug von der grundsätzlichen Auslegung her nicht für alle bei der Luftwaffe vorgesehenen Rollen geeignet war. Es begann die große Modifizierung zur F-104G, welche die Funktion als Jäger, Jagdbomber mit nuklearer Fähigkeit und Aufklärer, verwendbar in allen Höhenbereichen bei Tag und Nacht und bei jedem Wetter, in sich vereinen sollte. Nach den ersten Flugunfällen stand das Rettungssystem der Maschine im Mittelpunkt der Kritik: der Schleudersitz Lockheed C-2. Dieser war bereits im Prozess der Umrüstung neu installiert worden. Der bisher verwendete Sitz C-1 schoss im Notfall den Piloten nach unten aus – fatal im Tiefflug und bei Start und Landung. Aber auch der neue Sitz zeigte erhebliche Mängel, so z. B. bei der Sitztrennung vom Piloten und bei der Stabilisierung nach dem Ausschuss. Dr. Sedlmayr drängte energisch und nachdrücklich darauf, diesen Sitz durch einen vollautomatischen und bewährten MB-Sitz zu ersetzen, der bereits bei den verschiedensten Luftwaffen, auch auf dem gleichen Flugzeugtyp, geflogen wurde. Lockheed sperrte sich mit allen Mitteln dagegen, auch mit namhafter deutscher Unterstützung. Neben den allgemeinen Problemen mit dem Flugzeug stand stets auch die Schleudersitzfrage im Mittelpunkt des Geschehens, war doch von diesem Gerät das Überleben der Piloten im Fall des Falles abhängig. Die Medien griffen das Gesamtthema als "Starfighter-Affäre" begierig auf. Das zog sich über Jahre hin.

Versuche mit einer Rettungsinsel von Autoflug an Bord von MS Helgoland.
Bewährungsprobe bestanden
1962 wurden die ersten modifizierten Starfighter an die Deutsche Luftwaffe übergeben, ausgerüstet mit dem C-2-Sitz von Lockheed. Auch der neue Inspekteur der Luftwaffe, seit 1962 General Werner Panitzki, favorisierte diesen Sitz. Zwischenzeitlich hatte sich erwiesen, dass der versuchsweise Einbau eines MB-Sitzes Mk. 5 in die F-104G einige Probleme bzgl. Sitzposition, Ableseabstand zu den Instrumenten und Bedienung von Schaltern bereitete. Diese konnten zwar kurzfristig mit geringem Aufwand behoben werden, aber erst der daraufhin erfolgende Einsatz des Sitzes Mk. GQ 7 (F), weiterentwickelt aus dem Mk.5, erwies sich als der große Wurf. Erstmals wurde dieser im Juni 1965 für den Einbau im Rahmen des sogenannten SATS/ZELL-Programms (Short Air for Tactical Support/Zero Length Launcher) für zehn Flugzeuge vorgesehen, weil diese Versuche laut Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) für die Piloten "besonders gefährlich" wären. Ein Widerspruch in sich, denn für die "normalgefährlichen" Flüge reichte der C-2-Sitz aus? Immer wieder kämpften MB und Autoflug gegen Widerstände bei Entscheidungsträgern an, die teilweise mit falschen, mit unwahren oder auf Unkenntnis beruhenden Aussagen die dringend notwendige Umrüstung verhinderten. Sowohl Panitzki als auch Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel erwiesen sich in dieser Phase den Problemen nicht gewachsen. Tragische Ergänzung – der Sohn des Ministers, Joachim von Hassel vom MFG 2, stürzte mit seiner RF-104G am 10. März 1970 selbst in den Tod. Panitzki musste gehen, für ihn kam am 2. September 1966 Johannes Steinhoff. Er rang dem Minister eine ganze Reihe von Zugeständnissen ab, die eine Wende in der Bewältigung der Krise einleiteten. Am 9. März 1967 genehmigte das BMVg die Umrüstung des gesamten Starfighter-Bestands. Bis dahin waren 67 Maschinen abgestürzt, über 30 Piloten hatten den Tod gefunden. Es folgte eine Zeit intensivster Vorbereitung zur Sicherstellung von Produktion, Zuführung, Umrüstung in den Standorten, Zusammenstellung von Teams von Firma und Luftwaffe, Transportfragen, Teilebeschaffung sowie des Zusammenwirkens von zivilen und militärischen Stellen und Personal. Die Umrüstung von über 900 Starfightern und 1200 Sitzen erfolgte im Zeitraum von Dezember 1967 bis Oktober 1968, wobei die Einsatzbereitschaft der Verbände aufrechterhalten bleiben musste. Es war eine Meisterleistung! Autoflug hatte seine härteste Bewährungsprobe bestanden. Die Starfighter-Krise war noch nicht überwunden, aber das Rettungssystem tat ungeachtet aller anderen, erst längerfristig zu behebenden Probleme zuverlässig seinen Dienst. Über 260 Piloten der Bundesluftwaffe verdankten dem neuen Schleudersitz ihre Rettung.

Andreas Sedlmayr (l.) und Martin Kroell.
Neue Geschäftsfelder
In der Folgezeit widmete sich Autoflug einem neuen, und wie es sich erweisen sollte, sehr erfolgreichen Geschäftsfeld: dem Einstieg in die Sicherheit von Kraftfahrzeuginsassen; die Gurtsysteme für verschiedenste Verwendungen wurden zu einem Renner. Aber auch unterschiedliche Rettungsgeräte wie zum Beispiel Rettungsinseln für den maritimen Einsatz und Fliegerrettungsschlauchboote gehörten nun zum Portfolio des Unternehmens. Ob seiner Leistungen auf dem Feld der Rettung und Sicherheit in Luft,- Kraft- und Seefahrt wurde Dr. Gerhard Sedlmayr am 29. November 1972 durch Bundespräsident Gustav Heinemann das Bundesverdienstkreuz verliehen. Nach weiteren zehn erfolgreichen Jahren übergab Dr. Sedlmayr die Geschäfte in die Hand seines Sohnes Andreas Sedlmayr. Autoflug ist nach wie vor ein Familienunternehmen. Auch heute ist Autoflug auf dem Gebiet von Rettung und Sicherheit zu Lande und in der Luft tätig. Die Wartung und technisch-logistische Betreuung von Rettungsgeräten und aller Schleudersitze der Deutschen Luftwaffe gehören nach wie vor zu den Leistungen des Unternehmens. Hinzugekommen sind in den vergangenen Jahren schockabsorbierende Sitze für Transportflugzeuge, militärische und zivile Hubschrauber und für eVTOLs. Aber nicht nur in der Luft, sondern auch zu Land schützen schockabsorbierende Sitze von Autoflug heute Soldaten in ihren geschützten und gepanzerten Fahrzeugen. Noch heute fühlen sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter dem Satz des Firmengründers von vor über 100 Jahren verpflichtet: "Es war immer mein Bestreben, dass Piloten zu jeder Zeit sicher fliegen können – und in größter Not die Möglichkeit haben, sich zu retten."