In Kooperation mit
Anmelden
Menü

Avro Canada CF-105: Der Superfighter, der es nie schaffte

Avro Canada CF-105 Arrow
Der kanadische Superfighter, der es nie schaffte

Inhalt von

Mit der CF-105 Arrow entwickelte Avro in den 1950er-Jahren einen Abfangjäger mit Spitzentechnologie, der allerdings von der Regierung 1959 jäh gestrichen wurde – bis heute ein Trauma der kanadischen Luftfahrtbranche.

Der kanadische Superfighter, der es nie schaffte
Foto: Avro Canada

Nachdem man sich im Zweiten Weltkrieg mit der Lizenzfertigung von Mustern wie T-6, Hurricane und Lancaster begnügen musste, strebte Kanada bald nach der Entwicklung von eigenständigen Mustern für die Bedürfnisse des Landes mit seinen riesigen eisigen Gebieten im Norden. Erstes Projekt war der allwettertaugliche Abfangjäger Avro CF-100, der im Januar 1950 zum Erstflug startete und von dem immerhin fast 700 Exemplare gebaut wurden. Noch bevor die Canuck 1953 zur Truppe kam, beschäftigten sich Avro und die Royal Canadian Air Force (RCAF) mit einem Nachfolger, der überschallfähig und mit Lenkwaffen ausgestattet sein musste. Die CF-103, eine CF-100 mit Pfeilflügel, schaffte es immerhin bis zum Mock-up-Stadium, doch letztlich wurde klar, dass man ein von Grund auf neues Muster benötigte.

Unsere Highlights

Hohe Anforderungen

Die Anforderungen der RCAF für ein "Supersonic All-Weather Aircraft" (Operational Requirement OR1/1-63) waren für die damalige Zeit enorm – mit einer Reichweite von 1110 Kilometern, einer Marschgeschwindigkeit von Mach 1.5 und ausreichender Manövrierfähigkeit selbst in 15 240 Metern Höhe. Die Aufgabe war die Bekämpfung von russischen Atombombern auch über der Arktis. Ein solches Muster war aus anderen Ländern nicht verfügbar, und so entschloss sich die Regierung der Liberalen unter Louis St. Laurent und Verteidigungsminister Brooke Claxton nach Vorlage von Designstudien durch Avro im Juli 1953, das Projekt Arrow (CF-105) mit zunächst 30 Millionen CAD zu starten. Im September wurden dann die ersten Windkanalversuche durchgeführt, sowohl in Kanada als auch in den USA. Auch elf mit Nike-Raketenboostern in Kanada und den USA gestartete Freiflugmodelle wurden verwendet, um wichtige Daten zu sammeln, bevor 1954 der vorläufige Entwurf genehmigt wurde.

Sponsored
Avro Canada
Die CF-105 erreichte knapp Mach 2 und hatte mit neuen Triebwerken noch mehr Potenzial.

Leistungsfähig und fortschrittlich

Die CF-105 zeigte sich als sehr fortschrittliche Konstruktion mit einem als Schulterdecker ausgeführten, dünnen Deltaflügel (Nasenpfeilung 61 Grad). Der Rumpf (länger als der einer Lancaster) bot Platz für die zweiköpfige Besatzung und einen 90 cm hohen, 2,4 Meter breiten und 5,5 Meter langen Waffenbehälter, in dem die Lenkwaffen (Hughes Falcon oder Sparrow II) und Bomben intern untergebracht werden sollten. Erstmals wurde ein Hydrauliksystem mit 275 Bar verwendet (dünnere Leitungen). Es gab auch ein rudimentäres Fly-by-Wire-System, das heißt Steuerknüppel und Ruderpedale waren nicht direkt, sondern über elektrische Bewegungssensoren mit den Steuerflächen verbunden. Der Pilot erhielt eine Rückmeldung über elektrische Steller. Wichtig war auch ein automatisches Stabilisierungssystem.

Die CF-105 sollte ein leistungsfähiges Radar (zunächst Hughes MX-1179, später RCA-Victor Astra geplant) und umfangreiche Elektronik erhalten. 18 Kilometer Kabel und "genug Vakuumröhren, um zweihundert Fernsehgeräte auszustatten", wurden verbaut. Als Triebwerke waren zunächst Rolls-Royce RB.106, dann Curtiss-Wright J67 und schließlich das in Kanada in Entwicklung stehende Orenda PS.13 Iroquois mit nicht weniger als 114 Kilonewton Nachbrennerschub vorgesehen. Da keines rechtzeitig verfügbar war oder sogar ganz gestrichen wurde, blieb letztlich für die ersten Prototypen nur das Pratt & Whitney J75.

Avro Canada
Der Roll-out in Malton fand an dem Tag statt, als auch Sputnik I ins All flog.

Roll-Out unter Zeitdruck

Als 1954 der Mjassischtschew M-4 "Bison"-Jetbomber auftauchte, wurde das Programm im März 1955 beschleunigt und die verfügbaren Gelder verzehnfachten sich auf 260 Millionen CAD (inklusive Triebwerksentwicklung). Geplant waren fünf Arrow Mk.1 mit J75 und 35 Mk.2 mit vollständigem Waffensystem und Iroquois-Triebwerken. Der neue Zeitdruck erforderte es, dass man auf "handgebaute" Prototypen verzichtete und alle Flugzeuge direkt in Serienvorrichtungen baute. Dies brachte erhebliche Einsparungen, denn der Arbeitsaufwand pro Kilogramm Zelle wurde fast halbiert. Etwas über zwei Jahre nach der Bauentscheidung war die erste CF-105 bei Avro in Malton (heute Toronto Pearson International Airport) fertig. Die Roll-out-Feier am 4. Oktober 1954 um 15:00 Uhr wurde zu einem pompösen Event mit vielen Tausend Gästen – in den Medien allerdings total überschattet von der Sensation des ersten Sputnik-Starts am selben Tag. "Die geplante Leistung dieses Flugzeugs ist so ausgelegt, dass es jeder wahrscheinlichen Bedrohung dieses Kontinents durch Bomber im nächsten Jahrzehnt wirksam begegnen kann", sagte der Chef des Luftwaffenstabs, Luftmarschall Hugh Campbell. Das "Symbol einer neuen Ära für Kanada in der Luft", das "von Anfang an so konzipiert wurde, dass es während der gesamten Dauer seines Einsatzes im Überschallbereich operieren kann, soweit dies erforderlich ist", musste allerdings erst einmal seine Bodentests hinter sich bringen.

Erstflug im März 1958

Zwei Monate später begann die "RL-201" mit ihren Triebwerksversuchen, am 18. Dezember liefen erstmals beide J75. Der aus Polen stammende Cheftestpilot Janusz Zurakowski, den man in England angeworben hatte, führte die ersten Rolltests bei niedriger Geschwindigkeit im Januar 1958 durch. Dabei wurde auch der Bremsschirm getestet. Bei Hochgeschwindigkeitsversuchen machten die Bremsen Probleme, da sie etwas unterdimensioniert waren. Parallel dazu trainierten die Testpiloten in einem Simulator, der damals den modernsten in Kanada verfügbaren Rechner verwendete.

Am 28. März 1958 war es schließlich so weit. Janusz Zurakowski startete um 9.51 Uhr in Malton zum Erstflug, begleitet von einer F-86 und einer CF-100. In den 35 Minuten bis zur Landung betätigte er das Fahrwerk und stieg auf 3300 Meter. Die Höchstgeschwindigkeit betrug etwa 460 km/h, relevante Probleme tauchten nicht auf. Schon beim dritten Flug am 3. April erreichte Zurakowski in 12 200 Metern Mach 1.1. Die erste Phase der Flugversuche umfasste bis zum 23. April neun Flüge. Nach einigen Modifikationen ging es am 7. Juni weiter, doch schon am 11. Juni kam es zu einem Unfall bei der Landung. Das linke Hauptfahrwerk fuhr nicht korrekt aus, sondern stand schief, die Maschine kam daher von der Bahn ab und alle drei Fahrwerksbeine wurden abgerissen.

Avro Canada
Landeunfall der „RL-202“ am 11. November 1958 mit Potocki im Cockpit.

Zweiter Landeunfall

Die Tests wurden somit am 1. August mit dem Erstflug der "RL-202" fortgesetzt. Diese erreichte im Laufe des Monats Mach 1.72. Arrow Nummer drei folgte am 22. September, als gleich Überschall erreicht wurde. Hierbei saß noch Zurakowski im Cockpit, der den Posten des Cheftestpiloten dann an W. "Spud" Potocki übergab. Weitere Arrow-Testpiloten waren Peter Cope (fünf Flüge) und Flight Lieutenant Jack Woodman von der RCAF (sechs Flüge). Arrow "RL-204" kam am 27. Oktober 1958 mit Spud Potocki im Cockpit in die Luft – einem Monat, in dem 15 Flüge stattfanden. Der November brachte dann mit Mach 1.98 in der "RL-202" die Höchstgeschwindigkeit des Programms, doch bei diesem Flug blockierten während der Landung alle Räder und die Maschine schlitterte von der Bahn. Fehler war wohl, dass das Fly-by-Wire-System beim Aufsetzen aus unerfindlichen Gründen die Höhen- ruder auf den maximalen Ausschlag von 30 Grad gebracht hatte. Nach wenigen Flügen im Dezember 1958 ging das Testprogramm mit erhöhter Intensität im Januar 1959 weiter. Unter anderem startete die "RL-205" am 11. Januar zu ihrem ersten und einzigen Flug. Am 19. Februar war mit D. E. Darrah erstmals ein Besatzungsmitglied im hinteren Cockpit dabei. Insgesamt hatte man nun 66 Flüge mit über 70 Flugstunden in den Büchern, und es gab eigentlich keine gravierenden Probleme. Allerdings waren es bisher nur Prototypen ohne Waffensystemausstattung und ohne das Serientriebwerk – viel Arbeit lag also noch vor den Entwicklern.

"Schwarzer Freitag"

Dann kam der 20. Februar 1959, der als "schwarzer Freitag" in die Geschichte von Kanadas Luftfahrtindustrie einging. Premierminister John Diefenbaker, seit Juni 1957 im Amt, verkündete um 11:00Uhr im House of Commons: "Die Regierung hat den wahrscheinlichen Bedarf für das Arrow-Flugzeug sorgfältig geprüft und erneut geprüft ... Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass die Entwicklung des Arrow-Flugzeugs und des Iroquois-Triebwerks jetzt eingestellt werden sollte. Eine förmliche Mitteilung über die Beendigung wird jetzt an alle Auftragnehmer versandt." Das Avro-Management, das zuvor anscheinend keine Informationen hatte und auf eine Ende September 1958 bekannt gegebene Programmüberprüfung im März hinarbeitete, fiel aus allen Wolken und musste von heute auf morgen 14528 Leute entlassen. Im Zulieferbereich waren wohl 15000 Beschäftigte betroffen.

Diefenbaker sagte, dass die Bedrohung sich geändert habe (Interkontinentalraketen statt Bomber), dass Lenkwaffen die Zukunft seien und dass generell die erwarteten Kosten zu hoch geworden seien. In Summe konnte sich Kanada den Hightech-Fighter nicht mehr leisten. Zu den bisher ausgegebenen Entwicklungsgeldern von 303 Millionen an CAD wären 7,8 Milliarden CAD für die Beschaffung von 100 Flugzeugen hinzugekommen (anfangs waren 500 vorgesehen). Eine geplante Um-stellung auf die Bomarc-Flugabwehr- raketen erwies sich als Flop, sodass die RCAF später 66 McDonnell F-101B/F Voodoo kaufen musste, die man zuvor als ungeeignet eingestuft hatte.

Was wäre wenn...?

Versuche, die CF-105 für Forschungszwecke zu nutzen oder der US Air Force anzudienen, blieben erfolglos. Avro blieb nichts anderes übrig, als die rabiaten Anweisungen zur Zerstörung sämtlicher Flugzeuge, Werksanlagen und technischen Unterlagen zur CF-105 zu befolgen. Für Orenda galt das Gleiche bezüglich des Iroquois-Triebwerks. Angeblich wurde sowjetische Spionage befürchtet. Für das Unternehmen war das Arrows-Aus der Todesstoß, Avro Aircraft wurde 1962 aufgelöst, die rest- lichen Teile der Avro Canada Holding wurden an Hawker Siddeley Canada übertragen. Kanada verabschiedete sich somit zwangsweise aus dem Kreis der Hightech-Flugzeugbauer. Der kanadische Superfighter selbst wurde aber zu einer Legende, und immer wieder kocht die Frage hoch "was wäre gewesen, wenn…?"

Avro Canada
Baujahr: 1958 bis 1959, Stückzahl: 5, Herstellungsland: Kanada

Technische Daten

Avro Canada CF-105 Arrow

Typ: Langstrecken-Abfangjäger
Besatzung: 2 auf Martin-Baker C5-Schleudersitzen
Antrieb: 2 x Pratt & Whitney J75-P-3/P-5
Schub: 2 x 55,6 kN ohne und 82,29 kN mit Nachbrenner
Länge: 23,70 m
Höhe: 6,45 m
Spannweite: 15,00 m
Flügelfläche: 113,8 m²
Leermasse: 22 245 kg
Kraftstoff: 13 170 l
normale Startmasse: 25 855 kg
max. Startmasse: 31 120 kg
max. Geschwindigkeit: Mach 1.98
max. Marschgeschwindigkeit: ca. Mach 1.5
normale Marschgeschwindigkeit: Mach 0.92
Dienstgipfelhöhe: 16150 m
max. Steigrate: 195 m/s

Die aktuelle Ausgabe
Klassiker der Luftfahrt 05 / 2023

Erscheinungsdatum 22.05.2023