Ausgerechnet die US-Teilstreitkraft, die den Anstoß zur Entwicklung dieses Hubschraubermusters gab, setzte es am Ende gar nicht ein. 1958 hatte das amerikanische Heer bei der Vertol Aircraft Company in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania die Entwicklung einen zweimotorigen, mittleren Turbinenhubschraubers mit zwei Rotoren in Tandemanordnung in Auftrag gegeben. Unter dem Ingenieur Tom Peppler hatte Vertol auf eigene Rechnung schon seit 1956 an einem Muster gearbeitet, das in der Lage sein sollte, einen Zug Infanteristen zu transportieren. Peppler hatte die Antriebseinheiten oberhalb des Rumpfes untergebracht, um einen möglichst großen Laderaum sowie ein möglichst schnelles Be- und Entladen des Drehflüglers zu gewährleisten. Das Fahrwerk des Model 107 genannten Hubschraubers bestand aus einem Hauptfahrwerk, das in zwei Pylonen rechts und links am Heck untergebracht war, sowie einem Bugfahrwerk hinter dem Cockpit. Aufgrund der Vorarbeiten der Firma startete schon am 22. April 1958 – wenige Wochen nach der Auftragserteilung – der Prototyp des Model 107 zu seinem Erstflug.
Im Juli bestellte die US Army zehn Vorserienhubschrauber, die von den neuen YT58-Triebwerken von General Electric mit je 1085 Wellen-PS angetrieben werden sollten. Diese Helikopter wurden als YHC-1A bezeichnet. Im Laufe der Tests änderte die US Army jedoch ihre Meinung und entschied sich noch vor der Lieferung der ersten YHC-1A für die größere YHC-1B, die später als CH-47 Chinook in Dienst gestellt werden sollte. Von den drei fertiggestellten YHC-1A wurde einer zum Prototyp für eine zivile Variante des Musters umgebaut und erhielt die Bezeichnung Model 107-II.
1960 übernahm Boeing Vertol Aircraft. Im selben Jahr änderte das US Marine Corps (USMC) seine grundlegende Einsatztaktik: Im Zeitalter von Nuklearwaffen schienen Massenlandungen an Stränden nicht mehr zielführend zu sein, stattdessen wollte das USMC luftbeweglicher werden, um gegnerische Territorien zu erobern. Dafür benötigten die Marines entsprechende Hubschrauber und gaben ein Pflichtenheft für ein neues Muster heraus.
Ein modifizierter Entwurf bringt Erfolg
Boeing Vertol rüstete das Model 107-II mit faltbaren Rotorblättern, zwei GE-T58-GE-8-Turbinen sowie einem integrierten Ladesystem aus und nannte den Hubschrauber Model 107M. Er hatte eine Ladekapazität von 1800 Kilogramm, die er mit 240 km/h Marschgeschwindigkeit zu einem 185 Kilometer entfernten Absetzpunkt transportieren konnte. Am 20. Februar 1961 erhielt Boeing Vertol den Auftrag für 14 Exemplare des Hubschraubers, der zunächst als HRB-1 bezeichnet, aber schon bald in CH-46A Sea Knight umgetauft wurde.
Am 16. Oktober 1962 hob die CH-46A zum Erstflug ab. Das Flugerprobungsprogramm verlief problemlos und war Ende 1964 abgeschlossen. Die Marines erhielten ihre ersten Exemplare ab Anfang 1965.
Die US Navy beschaffte das Muster ebenfalls und setzte es für den Transport von Versorgungsgütern zwischen Schiffen auf See ein. Bis Ende 1966 hatte sich die Zahl der von den beiden Teilstreitkräften bestellten Hubschrauber dieses Musters auf 462 erhöht. Bei der Navy trug die CH-46A die Bezeichnung UH-46A.
Auf die Forderung nach mehr Leistung und einer deutlichen Verbesserung der Zuverlässigkeit reagierte Boeing Vertol ab Mitte 1966 mit der Umrüstung der Hubschrauber auf das GE-T58-GE-10-Triebwerk mit 1400 Wellen-PS (1040 kW). Dadurch steigerte sich auch die Zuladung des Helikopters auf 3180 Kilogramm. Das US-Militär nannte diese Version CH-46D beziehungsweise UH-46D. Etwas über 30 CH-46A wurden auf den D-Standard umgerüstet.
Ab 1968 hielt neue Avionik Einzug in das Muster. Die Bezeichnung dieser Version lautete CH-46F. Dies war auch die letzte Serienversion. Nach 524 CH-46 lief die Fertigung der Sea Knight in Philadelphia aus.
Verschiedene Umbauten sicherten dem Muster jedoch eine lange Einsatzzeit: 50 CH-46A der Marines wurden beispielsweise zu Rettungshubschraubern für die US Navy umgebaut und als HH-46A betrieben. Als der neue Serienstandard „D“ eingeführt wurde, erhielten die HH-46A ebenfalls neue Triebwerke und wurden mit einer Rettungswinde hinter der Crewtür sowie einem Dopplerradar unter dem Cockpit und einem Lautsprecher ausgerüstet. Diese Hubschrauber standen als HH-46D im Dienst der Navy.
Nach 40 Jahren Dienstzeit in den Ruhestand
Das Muster war auch im Export erfolgreich und wurde zusätzlich von Kawasaki für zivile und militärische Nutzer in Lizenz gebaut. Schweden hatte 22 Exemplare für den SAR-Dienst und die U-Boot-Jagd gekauft, während die Kanadier sie als CH-113 Labrador für Such- und Rettungsaufgaben und als CH-113A Voyageur für Personentransporte einsetzten. Auch Thailand und Saudi-Arabien waren Nutzer des Musters.
Bei der US Navy war die Zeit der CH-46 – die von den Soldaten liebevoll „Phrogs“ genannt wurde – schon 2004 abgelaufen. Die MH-60S Seahawk löste die Sea Knight ab. Die Marines nutzten das Muster über eine Dekade länger und verabschiedeten es erst im August 2015 nach 40 Jahren Dienstzeit offiziell in den Ruhestand, nachdem die V-22 Osprey in ausreichender Anzahl zur Verfügung stand.
Technische Daten
CH-46E Sea Knight
Hersteller: Boeing Vertol, Philadelphia, Pennsylvania, USA
Verwendung: Transport- und Rettungshubschrauber
Besatzung: 2 Piloten, 1 Lademeister
Transportkapazität: 25 ausgerüstete Soldaten
Triebwerke: 2 x T58-GE-16
Leistung: 2 x 1870 WPS/1440 kW
Länge: 13,66 m
Höhe: 5,09 m
Rotordurchmesser: 15,24 m
Rotorfläche: 365 m²
Leermasse: 5255 kg
Nutzlast intern: 5000 kg
Nutzlast extern: 2270 kg
max. Startmasse: 11 022 kg
Marschgeschwindigkeit: 255 km/h
max. Geschwindigkeit: 267 km/h
Dienstgipfelhöhe: 5180 m
max. Reichweite: 1110 km
Bewaffnung: 2 GAU-15/A-MG in den Türen, 1 M240D-MG auf der Heckrampe
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 02/2016