Focke-Achgelis Fa 330
Mit der Ausdehnung des Einsatzgebietes der deutschen U-Boote im Zweiten Weltkrieg wurde eine Schwachstelle dieser Waffe immer bedeutsamer: die sehr beschränkte Sicht von der Brücke aus. Arado hatte als Lösung für dieses Problem 1940 auf Anforderung der Kriegsmarine die Ar 231 konzipiert, ein Kleinflugzeug, das zusammengefaltet in eine Röhre von zwei Metern Durchmesser passte und auf diese Weise von U-Booten mitgeführt werden konnte. So brillant diese Konstruktion auch war, für den Kriegseinsatz erwies sie sich als ungeeignet.
Bei Focke-Achgelis entstand die Idee, diese Marktlücke mit einem eigenen Entwurf zu füllen. Zunächst dachte man an einen Kleinhubschrauber mit 60-PS-Motor. Dieser Gedanke wurde angesichts der Dringlichkeit verworfen zugunsten eines motorlosen Tragschraubers, der mit Hilfe eines Seiles in die Höhe steigen sollte – das Konzept der „Bachstelze“ war geboren.
Kein anderes Unternehmen verfügte zu jener Zeit über mehr Erfahrung mit diesen beiden Konstruktionsprinzipien. Henrich Focke, Mitgründer und Technischer Direktor der Focke, Achgelis & Co. GmbH, hatte früh damit begonnen, sich für Hubschrauber zu interessieren. Im Oktober 1928 hatte er bei der Flugzeugausstellung in Berlin-Tempelhof eine Tragschrauberkonstruktion des jungen Spaniers Juan de la Cierva gesehen. Ende 1931 erwarb er die Fertigungsrechte für die modernere Cierva C.19. Zu einer Serienproduktion kam es nicht, aber ein Exemplar wurde im Focke-Wulf-Werk in Bremen auf einen Siemens-Halske-Motor umgerüstet. Focke stellte sich stattdessen die Aufgabe, einen echten Hubschrauber zu konstruieren. Im Juni 1932 waren seine Überlegungen so weit gediehen, dass er ein Patent auf einen kombinierten Trag- und Hubschrauber mit Zwillingsrotorauslegung anmeldete. Auf dieser Grundlage entstand 1935 die Fw 61, die als erster gebrauchsfähiger Hubschrauber in die Geschichte einging.
Fockes Interesse an Hubschraubern hatte ihn dazu veranlasst, innerhalb der Focke-Wulf-Werke eine Forschungsstelle zu gründen. Dort war die Fw 61 entstanden. Die Forschungsstelle war zugleich die Keimzelle für seine neue Firma, die er 1937 zusammen mit dem bekannten Kunstflieger Gerd Achgelis gründete. Aus der Focke-Wulf-Flugzeugbau AG war Focke 1933 auf Betreiben Kurt Tanks ausgeschlossen worden.
Verantwortlich für die Konstruktion der später als „Bachstelze“ bezeichneten Fa 330 war im Wesentlichen Diplom-Ingenieur Paul Klages. Klages war von den AGO-Flugzeugwerken in Oschersleben zu Focke-Achgelis gekommen. Zuvor hatte er für Focke-Wulf gearbeitet, wo er an der Entwicklung der Fw 44 und der Fw 58 beteiligt war. Mitte 1944 kehrte Klages zu Focke-Wulf zurück.
Die Konstruktion der „Bachstelze“ war schlicht, aber pfiffig und zweckmäßig. Den Rumpf bildete eine Stahlröhre, die am Heck ein Leitwerk trug. An der Seitenflosse war ein windfahnenartiges Seitenruder befestigt. Der Rotor saß auf einem Stahlrohr, das mit leichter Neigung auf dem Rumpfrohr stand. Dieses aufrechte Rohr stützte zugleich den unverkleideten Pilotensitz. Außerdem war dort ein Fallschirm befestigt. Der Rotor besaß drei untereinander verspannte Blätter, der Durchmesser betrug 7,30 m. Gesteuert wurde der Rotor durch Kippen des Kopfes.
Für Start und Landung waren Kufen vorhanden, alternativ konnte für die Ausbildung und die Erprobung an Land ein Radfahrwerk montiert werden, bestehend aus einem Hauptfahrwerk und einem Heckrad. Die Leermasse des Tragschraubers lag bei 72 kg (Fa 330 A-0), die Flugmasse bei 172 kg.
Für den Fall, dass das U-Boot sehr schnell abtauchen musste, während die „Bachstelze“ sich noch in der Luft befand, gab es eine Notabwurfmechanik für den Rotorkopf: Der Pilot konnte mit einem Hebel den Rotorkopf abtrennen, der daraufhin nach oben wegflog. Dabei wurde auch der Fallschirm aus seiner Verpackung gerissen sowie das Zugseil gelöst. Der im Meer treibende Pilot hätte darauf hoffen müssen, später von dem U-Boot wieder aufgelesen zu werden.
Die ersten Freiflugversuche mit der Fa 330 V1 wurden im Juni 1942 bei der „Erprobungsstelle See“ in Travemünde durchgeführt. Als Plattform diente das Flugsicherungsboot MS „Greif“. Das 72 m lange Boot war ideal für diese Versuche, da es einen abgewinkelten Kran hatte, von dessen Ausleger gestartet werden konnte. Im Herbst desselben Jahres wirkte das Boot in gleicher Funktion bei der Erprobung des Flettner-Hubschraubers Fl 282 mit.
Ausrüstung von Langstrecken-U-Booten mit Bachstelzen

Die „Bachstelze“ konnte, wie die Versuche zeigten, bis zu einer Höhe von 150 m sicher geflogen werden. Die „Greif“ übrigens sollte in den letzten Kriegsmonaten noch eine Rolle spielen bei der Evakuierung von Flüchtlingen und Soldaten über die Ostsee.
Im selben Monat erhielt eine Gruppe von Piloten und künftigen Fa-330-Ausbildern im Windkanal von Chalais-Meudon eine Einweisung in das neue Muster. Eine erste Einsatzerprobung der Fa 330 V1 wurde im darauf folgenden Monat an Bord des Hilfskreuzers „Komet“ unternommen. Wenig später folgten erste Versuche auf einem U-Boot auf der Ostsee, die allerdings wenig glücklich verliefen.
Anfang des Jahres 1943 war die Erprobung der Fa 330 im Wesentlichen abgeschlossen. Es hatte sich gezeigt, dass die aufgestiegene Fa 330 die Sichtreichweite eines U-Boots beträchtlich verlängern konnte. Bei 50 m Flughöhe konnte etwa 12 Seemeilen (22 km) weit geblickt werden, bei 200 m Flughöhe waren es gar 28 Seemeilen (52 km).
Die Abnahmeflüge erfolgten im Windkanal in Paris. Mechaniker von Focke-Achgelis waren vor Ort, um die Tragschrauber zu montieren. Die Fertigung verblieb in Hoyenkamp bei Delmenhorst in Norddeutschland, obwohl das Werk bei Bombenangriffen im Juni 1942 schwer beschädigt worden war. Für den Hauptteil der Firma dagegen hatte das Reichsluftfahrtministerium eine Verlegung auf den Fliegerhorst Laupheim angeordnet, die Anfang 1943 abgeschlossen war. Betroffen davon war in erster Linie das Fa-223-Programm.
Sowohl die Luftwaffe als auch die Marine waren an dem Tragschrauber interessiert. Die Zahl der Bestellungen bis zur offiziellen Beendigung des Programms im Juli 1944 wurde mehrfach geändert. Zeitweise lag eine – später stornierte – Bestellung des Reichsluftfahrtministeriums über 488 Fa 330 vor. Gebaut wurden bis Kriegsende etwa 200 Exemplare, die ersten 20 als A-0, die folgenden in der Ausführung A-1.
Auf hoher See kamen die „Bachstelzen“ nur in geringem Umfang zum Einsatz. Von Überwasserschiffen der Kriegsmarine aus wurden sie anscheinend gar nicht eingesetzt. Die U-Boote, die mit Fa 330 ausgerüstet wurden, waren Langstreckenboote des Typs IX D2. Die fast 90 m langen Boote besaßen dank zweier zusätzlicher 1000-PS-Marschmotoren die enorme Reichweite von 31 500 Seemeilen (58 340 km). Sie konnten daher den Indischen Ozean befahren. Alleine dort, wo weniger mit überraschenden Luftangriffen gerechnet werden musste, erschien der Einsatz der „Bachstelze“ sinnvoll.
Anfang 1943 gab es den Plan, jedes Typ-IX-D2-Boot mit zwei Fa 330 auszurüsten. Tatsächlich übernahm nicht jedes U-Boot seine „Bachstelzen“. Für 19 Boote ist die Zuteilung nachweisbar, darunter U 177 der 12. U-Flottille in Bordeaux, dem im August 1943 südlich von Madagaskar die Versenkung eines Dampfers nach der Sichtung durch die „Bachstelze“ gelang.
Offenbar waren nicht wenige U-Kapitäne misstrauisch gegenüber dem Fluggerät und setzten es nicht ein. Dabei waren sowohl die Konstruktion als auch das Verfahren des Zusammenbaus und Startens sehr durchdacht. Für den Transport der „Bachstelze“ gab es zwei Behälter auf dem Kommandoturm. Der eine enthielt den Rumpf, der andere die Rotorblätter und das Leitwerk. Die Montage der Teile war einfach und innerhalb von etwa drei Minuten vollbracht.
Die Rotorblätter etwa wurden mittels einfacher Steckbolzen am Rotorkopf befestigt. Sehr raffiniert war auch das Landegestell, das zur Montage ausgeklappt wurde. Zum Schluss wurde der Fallschirm an dem senkrechten Rumpfholm befestigt – damit war die „Bachstelze“ startklar. Ein zweiter Tragschrauber wurde zerlegt im Motorraum des U-Boots aufbewahrt.
Pläne für den Bau einer motorisierten Bachstelze

Für den Start wurde dem Rotor per Hand oder mit einem Seil Schwung gegeben. Danach übernahm der Wind den Antrieb des Tragschraubers. Das Schleppseil, mit dem die „Bachstelze“ aufstieg, diente zugleich als Telefonverbindung zu dem U-Boot. In der Luft steuerte der Pilot sein Fluggerät mit den Seitenruderpedalen und durch Neigen des Rotorkopfes mit dem Steuerknüppel.
Das Einholen erfolgte im Normalfall mit Hilfe einer Winde. Nach dem Aufsetzen wurde die Drehbewegung des Rotors mit einer Bremse an der Rotorwelle gestoppt. Innerhalb weniger Minuten war die Fa 330 dann demontiert und verstaut.
Der Nachteil der „Bachstelze“, die Abhängigkeit von einer Mindestwindgeschwindigkeit, führte Ende 1943 zu Überlegungen, eine motorisierte Variante zu bauen. Für dieses Muster, Fa 336 genannt, war ein 60 PS starker Walter-Mikron-Motor vorgesehen. Es hätte einen Heckrotor besessen und wäre – bei einer Länge von 6,40 m und 400 kg Flugmasse – deutlich größer und schwerer ausgefallen. Die bestellten drei Prototypen wurden allerdings im März 1944 storniert.
Nach Kriegsende waren die Briten, Franzosen und Amerikaner sehr interessiert an der deutschen Konstruktion und testeten sie ausgiebig. Sie hatten nicht wenige Exemplare in U-Booten und auf deutschen Stützpunkten vorgefunden. Alleine die Briten entdeckten 29 Exemplare auf einem Bauernhof bei Kiel. Es war aber offensichtlich, dass die Entwicklung des Radars einen „fliegenden U-Boot-Ausguck“ längst überflüssig gemacht hatte.
Ausbildung der „Bachstelze“-Piloten: Im Windkanal und auf der Autobahn

Ab Ende 1942 wurden Marinesoldaten zu Piloten ausgebildet, um die Fa 330 „Bachstelze“ von Überwasserschiffen und U-Booten aus fliegen zu können. Die Ausbildung war vielseitig und aufwändig. Im Idealfall absolvierten die Marinesoldaten folgende Phasen: Segelfluggrundausbildung in Gelnhausen, Windkanaltraining in Paris, Start- und Landeübungen auf der Autobahn, Start- und Landeübungen auf dem Ijsselmeer, Einweisung auf einem U-Boot in Ostpreußen. Für den Fronteinsatz wurden einige Fernfahrt-U-Boote der Klasse IX D2 mit „Bachstelzen“ ausgerüstet.
Verantwortlich für die Ausbildung der Fa-330-Piloten der Kriegsmarine war die Segelflugausbildungsstelle der Luftwaffe. Im hessischen Gelnhausen hatte sich das „Sonderkommando M“ etabliert, das direkt dem Reichsluftfahrtministerium unterstand. Die Tätigkeit des Sonderkommandos galt als geheim. Sein Auftrag bestand darin, jeden Monat 25 „Bachstelzen“-Piloten auszubilden, mehrheitlich für den Einsatz auf U-Booten. Pro U-Boot waren drei Piloten vorgesehen. Im November 1942 hatten die Matrosen jeweils etwa 25 Flugstunden absolviert und den Luftfahrerschein für Segelflugzeugführer erworben. Dieser Teil der Ausbildung wurde mit dem Schulgleiter SG-38, dem Grunau Baby sowie dem Kranich 256 durchgeführt. Der letzte Lehrgang in Gelnhausen wurde im Sommer 1944 abgeschlossen, etwa 200 künftige Piloten haben dort ihre Segelflugschulung erhalten. Auf den Segelflugteil folgte ein Übungsprogramm mit „Bachstelzen“ in dem 1934 fertiggestellten Windkanal von Chalais-Meudon in Paris, mit 68 m Länge und 40 m Breite zu jener Zeit einer der größten der Welt. Hier war zuvor bereits der Prototyp Fa 330 V1 erprobt worden. Die möglichen geringen Windgeschwindigkeiten im Windkanal waren ideal für die Anfangsschulung. Um den Rotor in Bewegung zu versetzen, wurde ein um den Rotorkopf gespultes Seil langsam abgezogen. Wenn sich das Seil löste, mussten 90 U/min erreicht sein. Erst dann konnte der Tragschrauber mit Hilfe der Windgeschwindigkeit in Autorotation versetzt werden. Eine Windgeschwindigkeit von 8 bis 10 m/s war erforderlich, damit der Pilot von seiner Plattform abheben konnte. Es wurden dabei sowohl Fessel- als auch Freiflüge durchgeführt.
Dieser Ausbildungsphase folgten Übungsflüge im Freien, um den Pilotenschülern die Verhältnisse auf dem Meer näherzubringen. Zu diesem Zweck wurden vier Lkw, zwei Opel Blitz und zwei Ford V8, mit einer Plattform und einer Motorwinde ausgestattet. Die Versuche fanden auf einem gesperrten Abschnitt der Autobahn Dresden-Bautzen statt, auch hier wurden sowohl Fessel- wie Freiflüge durchgeführt. Eine Sprechfunkverbindung zu dem Piloten wurde mittels eines Kabels hergestellt, das durch das Halteseil lief und mit einer Schnelltrennverbindung an dem Tragschrauber angeschlossen war. Bei einer Flugzeit von 20 Stunden war das Ziel der Autobahnschulung erreicht. Die nächste Station waren Trainingsflüge von Flugsicherungsbooten aus, zunächst bei Travemünde, dann – wegen der erhöhten Minengefahr auf der Ostsee – auf dem Ijsselmeer bei Schellingwoude, einem Stadtteil Amsterdams.
Am Ende dieser Schulung musste jeder Fa-330-Pilotenschüler etwa 20 Flugstunden absolviert haben. Darin enthalten waren mindestens fünf Flüge von einer Stunde Dauer, dabei wurden Flughöhen von bis zu 450 m erreicht. Hier war es wichtig, das sichere Starten und Landen auf einem sich unruhig bewegenden Untergrund zu lernen. Der Seegang bewirkt bei Schiffen oder U-Booten ja nicht nur ein Rollen, sondern auch ein Stampfen. Außerdem sollten die fliegenden U-Boot-Soldaten lernen, mit Kursänderungen zurechtzukommen. Daher wurden im Rahmen der Übungsflüge Kursänderungen von bis zu 80 Grad nach Back- oder Steuerbord ausgeführt. Den Abschluss der Ausbildung bildete eine taktische Einweisung auf einem U-Boot.
Technische Daten





Focke-Achgelis Fa 330 A-1
Verwendung: Beobachtungstragschrauber
Besatzung: 1
Rotordurchmesser: 7,50 m
Länge: 4,47 m
Höhe: 2,40 m
Leermasse: 87 kg
Flugmasse: 187 kg
Die Ausführung A-0 unterschied sich vor allem im Rotordurchmesser (7,30 m) und in der Höhe (1,67 m) von der A 1.
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 05/2009