Der zweite Streich
Indiens erster Jet-Jäger entstand mit deutscher Hilfe

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Nachdem die Konstruktion des Jagdflugzeugs Pulqui II in Argentinien beendet war, reiste Professor Kurt Tank weiter nach Indien. Dort schuf er im Auftrag der indischen Luftwaffe die Hindustan HF-24 Marut – den ersten in Indien entwickelten und gebauten Strahljäger.

Indiens erster Jet-Jäger entstand mit deutscher Hilfe

Die Übergabe der ersten beiden Hindustan HF-24 Marut an die indischen Luftstreitkräfte am 10. Mai 1964 krönte acht Jahre harter Arbeit, in denen das deutsch-indische Design-Team unter der Führung des bekannten Flugzeugkonstrukteurs Professor Kurt Tank Indiens ersten in Eigenregie geplanten und gebauten Jäger geschaffen hatte. Die Ingenieure und Techniker legten damit den Grundstein für die dortige Luftfahrtindustrie, die bis zu diesem Zeitpunkt lediglich über Erfahrungen aus dem Lizenzbau der de Havilland Vampire verfügte.

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Ein eigener Jet-Fighter für Indien

Der damalige indische Verteidigungsminister Mahavir Tyagi unterstützte seit 1956 die ehrgeizige Forderung der indischen Luftwaffe nach einem als Abfangjäger, Erdkampfflugzeug und Aufklärer einsetzbaren Mehrzweck-Kampfflugzeug. Die in Bangalore beheimatete Firma Hindustan Aeronautics Limited (HAL) übernahm den Auftrag zur Entwicklung des Mach 2 schnellen Jägers. Gleichzeitig projektierte das 1940 gegründete Unternehmen einen leichten Jettrainer, aus dem später die HJT-16 Kiran werden sollte.

Schon bald zeigte sich, dass das indische Design-Team aufgrund fehlender Kapazität und Erfahrung nicht beide Projekte zugleich betreuen konnte. Hindustan suchte daher Hilfe im Ausland und fand sie: Dr. Kurt Tank folgte der Einladung, das Jagdflugzeug zu entwickeln, und kam im August 1956 in Bangalore an. Zuvor hatte Tank bereits in Argentinien die Pulqui II konstruiert.

Zunächst musste in Indien fast die gesamte Infrastruktur, inklusive einer geeigneten Startbahn, aus dem Boden gestampft werden. Das Konstruktionsteam bestand zunächst nur aus 18 deutschen und drei indischen Ingenieuren sowie 22 indischen Assistenten, wurde aber schon bald auf über 160 Personen aufgestockt.

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Erste Versuche mit Segelflieger

Schon 22 Monate nach dem Beginn der Entwicklung konnten die Testpiloten Wing Commander Suri und Wing Commander Kapil Bhargava ab dem 1. April 1959 insgesamt 78 Versuchsflüge mit einem zweisitzigen Segelflugmodell der Marut in Originalgröße durchführen, das von einer Douglas C-47 auf Höhe geschleppt wurde.

Nach elfmonatiger Montage des ersten Prototyps startete die Marut mit der Seriennummer BR462 am 17. Juni 1961 in Bangalore mit Wing Commander Suranjan Das zum Erstflug. Eine Woche später erfolgte die offizielle Vorstellung vor euphorischem Publikum. Kurt Tank sprach an dieser Stelle den exzellenten indischen Technikern seine Anerkennung aus.

Am 4. Oktober 1962 nahm der zweite Prototyp mit der Kennung BR463 die Flugerprobung auf, gefolgt von der ersten von 18 Vorserienmaschinen, der BD 828, im März 1963.

Der aerodynamisch hervorragende Entwurf litt allerdings von Anfang an unter der ungelösten Triebwerksfrage. Ursprünglich sollte die Marut mit zwei Bristol Orpheus 12 ausgerüstet werden. Dieses mit Nachbrenner 47,09 Kilonewton starke Triebwerk war für den Sieger des Lightweight-Strike-Fighter-Wettbewerbs der NATO vorgesehen. Bristol stellte jedoch die Arbeiten am Orpheus 12 ein, nachdem die Ausschreibung nicht realisiert wurde, und bot Indien eine private Fortführung des Programms an. Das finanzielle Risiko machte jedoch eine solche Entscheidung für Indien untragbar.

Senkrechtstarter-Triebwerk für Mach 2?

Hindustan zeigte sich daher am Tumanski RD-9F der Mikoyan MiG-19 interessiert und erwarb sechs Triebwerke zu Prüfzwecken. Die Hoffnungen scheiterten aber an den Sowjets, die sich weigerten, technische Informationen weiterzugeben. Das Limit der Fluggeschwindigkeit von Mach 1.4 durfte aber nicht überschritten werden. Zudem erwies sich das Triebwerk als äußerst kurzlebig und unzuverlässig. Dennoch entschloss sich die indische Führung 1963, das Projekt nicht aufzugeben und als Zwischenlösung die Marut Mk 1 wie die Prototypen mit dem Orpheus 703 ohne Nachbrenner auszustatten, bis ein geeignetes Triebwerk für die definitive HF-24 Mk 2 zur Verfügung stünde. Die Ingenieure sollten trotz intensiver Bemühungen nicht fündig werden; die Marut Mk 1 blieb die einzige Produktionsversion.

Später versuchte HAL zusammen mit dem indischen Gas Turbine Research Establishment (GTRE), das Orpheus mit einem Nachbrenner zu versehen, und modifizierte die zweite Vorserienmaschine BD-829, nun als HF-24 Mk 1A bezeichnet, mit dem um 27 Prozent leistungsgesteigerten Orpheus 703R. Zwei weitere Maschinen wurden als HF-24 Mk 1R mit Nachbrenner ausgestattet, aber die bei 250 Testflügen nachgewiesenen Leistungen rechtfertigten den Aufwand nicht. Zudem stürzte eine HF-24 Mk 1R kurz nach dem Start ab, wobei Pilot Das ums Leben kam.

Langsamer als erhofft

Um das Mach-2-Potenzial der Marut auszuschöpfen, wandte sich Hindustan daraufhin an die USA. Das Angebot der amerikanischen Regierung, den Umbau des Rolls-Royce RB 153 für die projektierte EWR-Süd VJ 101 D für den Einsatz in der Marut zu finanzieren, scheiterte aber an ihrer Forderung, dass Indien im Gegenzug auf die geplante Lizenzproduktion der Mikojan MiG-21 verzichten sollte. Stattdessen griffen die Inder auf das von Professor Ferdinand Brandner in Ägypten für den leichten Deltajäger Helwan HA-300 entwickelte E-300-Triebwerk zurück. Die für die Erprobung von Hindustan nach Helwan abgestellte HF-24 Mk 1BX flog am 29. März 1967 mit je einem Orpheus und einem E-300 mit kleinerem Nachbrenner und einer Leistung von 41,56 Kilonewton. Nach 150 Testflügen zeigte sich, dass die Marut selbst mit zwei E-300 nicht schneller als Mach 1.1 fliegen konnte. Die indische Regierung rief daher das Entwicklungsteam im Juli 1969 aus Ägypten zurück und schenkte die HF-24 Mk 1BX der Fabrik in Helwan.

Tanks Auftrag hingegen war bereits mit der Indienststellung der mit Marut Mk 1 ausgerüsteten 10. Staffel im April 1967 beendet, er kehrte nach Deutschland zurück. HAL fertigte bis 1978 insgesamt 132 HF-24 Mk 1 und 18 zweisitzige Mk 1T. Der erste Trainer, mit der Kennung BD888, flog erst am 30. April 1970, da die indische Luftwaffe einen Zweisitzer zunächst für überflüssig gehalten hatte. Anstelle des hinter dem Pilotensitz angeordneten Raketenmagazins installierte man einen zweiten Martin-Baker-Mk-84C-Schleudersitz.

Die zweistrahlige Marut war das letzte Flugzeugprogramm, an dem Kurt Tank beteiligt war. Foto und Copyright: KL-Dokumentation

Einfach, verlässlich und beliebt

Im Einsatz war die Marut als Erdkampfflugzeug bei der 10. Squadron "Dagger", der 220. Squadron "Tiger‘s Head" und bei der letzten Marut-Staffel, der 31. Squadron "Ocelots", die 1973 von der Dassault Mystère IVA auf das indische Eigenprodukt umgerüstet hatte. Die Bewährungsprobe stand im Krieg gegen Pakistan 1971 bevor. Am 4. Dezember griffen Maruts der 10. und 220. Staffel von ihren vorgeschobenen Basen in der Wüste Thar pakistanische Fliegerhorste an.

In den folgenden Kriegstagen flogen die HF-24 Einsätze gegen pakistanische Panzer und Fahrzeugkolonnen. Drei Tage später fand der einzige Luftkampf einer HF-24 statt. Zwei Maruts trafen während eines Bodenangriffs auf vier pakistanische North American F-86 Sabre. Squadron Leader Bakshi schoss dabei eine Sabre mit seinen Aden-Kanonen ab.

Die Marut erwies sich im Einsatz als ein äußerst zuverlässiges und einfach zu wartendes Flugzeug. Bei ihren Piloten war sie aufgrund ihrer guten Flugeigenschaften und als stabile Waffenplattform sehr beliebt.

Neuer Triebwerkskandiat: das RB199 des Tornado

Auch HAL hielt an der Marut fest. Ständig untersuchten die Ingenieure verbesserte Versionen mit stärkeren Triebwerken. Kurt Tank, mittlerweile bei MBB in München tätig, schlug 1972 eine deutsch-indische Kooperation zur Entwicklung und Fertigung der HF-24 Mk III vor. Der später als HF-73 bezeichnete Entwurf sollte mit zwei Turbo-Union RB199 Geschwindigkeiten von Mach 2 erreichen. Hierzu mussten der vordere Rumpf, die Lufteinläufe und das Heck mitsamt den Steuerflächen geändert werden. Sechs Prototypen und 200 Serienmaschinen waren geplant. Das Projekt scheiterte jedoch, weil das Tornado-Triebwerk RB199 noch nicht verfügbar war. Davon ließ sich Hindustan nicht entmutigen und projektierte eine einstrahlige Marut mit dem Snecma M53. HAL baute 1975 sogar ein Holz-Mock-up der HF-24-M53. Doch wieder machten die eskalierenden Entwicklungskosten des Triebwerks den indischen Ingenieuren einen Strich durch die Rechnung.

Bis 1990 im Dienst

Trotz seiner Untermotorisierung offenbarte die Marut eine erstaunliche Langlebigkeit. Die letzten Exemplare wurden erst Anfang 1990 außer Dienst gestellt. Die Zuverlässigkeit der HF-24 belohnte die Hartnäckigkeit der Flugzeugbauer und der Regierung in Indien. Sie hielten trotz Problemen am eigenen Entwurf fest, anstatt mit dem Kauf ausländischer Flugzeuge den einfachen Weg zu gehen und das teuer erworbene Know-how zu verschenken.

Technische Daten

HF-24 Mk 1 Marut

Hersteller: Hindustan Aeronautics Limited (HAL), Bangalore, Indien
Verwendung: einsitziges Jagd- und Erdkampfflugzeug
Triebwerke: zwei bei HAL in Lizenz gebaute Rolls-Royce Orpheus 703 ohne Nachbrenner mit je 21,6 kN Schub
Spannweite: 9,00 m
Länge: 15,87 m
Höhe: 3,60 m
Flügelfläche: 28,00 m²
Leermasse: 6195 kg
max. Startmasse: 10 908 kg
max. Geschwindigkeit: Mach 1.02
Einsatzradius: 396 km in 12 000 m Höhe
Bewaffnung: vier 30-mm-Kanonen Aden Mk 2, ausfahrbares Bündel mit 50 Matra-SNEB-Raketen (68 mm) im unteren Rumpf, Bomben an vier Außenlaststationen

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Erscheinungsdatum 22.05.2023