Britische Bomber-Legende: die English Electric Canberra

English Electric Canberra
Die britische Bomber-Legende

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Veröffentlicht am 19.05.2024

Nach den ersten Jägern mit Jetantrieb war es für die Royal Air Force logisch, auch die nächste Bom- bergeneration mit Strahltriebwerken auszustatten. Gesucht wurde ein modernes Nachfolgemuster der legendären Mosquito. Die Ausschreibung sah vorerst eine Reichweite von 2500 Kilometern, eine Bombenlast von 2700 kg und eine Marschgeschwindigkeit von 800 km/h vor. Auch English Electric wurde in den Wettbewerb einbezogen. Dies lag vor allem daran, dass dort William "Teddy” Petter als Chefkonstrukteur wirkte, der zuvor bei Westland einige interessante Konstruktionen verantwortete. Das in Preston (Lancashire) angesiedelte Entwicklungsteam um Petter untersuchte anhand der Ausschreibung (E4/45, später B3/45) zahlreiche ein- und zweistrahlige Modelle mit den Triebwerken im Rumpf oder in den Tragflächenwurzeln. Ein wichtiger Faktor für den Bomberentwurf war das Angebot von Rolls-Royce, einen neuen Turbojet mit Axialverdichter zu bauen. Die Detailentwicklung des AJ.65 (später Avon) begann im September 1945 mit Firmenmitteln. Im September 1945 entstand in Preston auch eine Attrappe des Vorderrumpfs, des recht konventionellen Musters (keine Pfeilflügel). Außerdem wurde ein Radar-Bombenzielgerät entwickelt, um den Bombenschützen einzusparen. Nach Überprüfung aller Angebote erhielt Englisch Electric am 7. Januar 1946 den Auftrag zur Fertigung von vier Musterflugzeugen des Projekts A1, das später in Canberra umbenannt wurde.

BAC

Erstflug am Freitag, den 13.

Die Konstruktionsarbeiten zogen sich Jahre hin, wobei parallel eine 1:1-Attrappe hergestellt wurde. Am 25. März 1947 lief das erste AJ.65-Triebwerk auf dem Prüfstand in Barnoldswick. Allerdings wurde auch entschieden, den zweiten A1-Prototypen mit Nene-Triebwerken auszurüsten, um jedes Risiko zu vermeiden. Im Sommer 1948 verlegte das Entwicklungsteam nach Warton. Obwohl noch immer kein Prototyp geflogen war, entschloss sich das Air Ministry im März 1949, angesichts der angespannten internationalen Lage Aufträge für insgesamt 132 Serienflugzeuge zu erteilen. 90 Bomber, 34 Aufklärer und 8 Trainer sollten gebaut werden. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Existenz des neuen Bombers erstmals zugegeben. Der A1-Prototyp (VN799) war inzwischen in Preston fertig, musste aber für den Transport nach Warton wieder demontiert werden. Roland P. Beaumont begann dann am 2. Mai 1949 mit den Rollversuchen. Der Erstflug (nach einem Hüpfer bei den Hochgeschwindigkeitstests) war am Freitag, den 13. Mai. Etwa 450 km/h und eine Höhe von 3050 Metern wurden erreicht, bevor Beaumont nach 27 Minuten wieder aufsetzte. Fünf Tage später war die A1 wieder in der Luft. Beim dritten Flug wurde bereits Mach 0.77 erreicht. Anlässlich der SBAC-Show im September 1949 in Farnborough demonstrierte die Canberra, die bis dahin etwa 50 Flüge gemacht hatte, ihre überragenden Flugleistungen- und -eigenschaften. Danach wurde sie dem A & AEE (Aeroplane and Armament Experimental Establishment) in Boscombe Down für erste Truppenversuche zugewiesen. Der zweite Prototyp (VN813) nahm seine Flugerprobung (mit Nene-Triebwerken) am 9. November 1949 auf, gefolgt von der Nummer 3 am 22. November und der Nummer 4 mit den typischen Zusatztanks unter den Flügelspitzen am 20. Dezember.

Royal Air Force

Serienbau ab 1950

Die erste Canberra der Bomberserie B.2 flog am 21. April 1950. Äußerer Hauptunterschied war der verglaste Rumpfbug für den Bombenschützen. Die beiden Avon RA.2-Triebwerke wurden durch RA.3-Versionen ersetzt, deren Schubleistung bei 28,88 kN (6500 lbs) lag. Hinzu kamen hydraulisch betätige Luftbremsen in den Außenflügeln. Aus den Vorführungen in Farnborough im September 1949 resultierte ein reges internationales Interesse. Insbesondere die US Air Force ließ sich im Juli 1950 die vierte B.1 (VN850) in Boscombe Down vorführen und wünschte ein Vergleichsfliegen mit amerikanischen Mustern. Deshalb flog eine B.2 am 21. Februar 1951 nonstop von Aldergrove in Nordirland über Gander zur Andersen AFB bei Washington. Unterdessen hatte Englisch Electric im November 1950 den zweiten Rahmenvertrag über 215 Flugzeuge erhalten. Angesichts des Koreakriegs sollte die Fertigung beschleunigt werden, und so bezog das Air Ministry Shorts in Belfast, Avro in Manchester und HandleyPage in Cricklewood in die Produktion ein. In der ersten Hälfte 1951 wurden etwa zwei Canberras pro Monat gebaut, und diese Rate kletterte bis Ende des Jahres auf sechs Flugzeuge pro Monat. Auch neue Prototypen kamen 1951 in die Luft. So flog am 19. März der erste PR.3-Aufklärer in Samlesbury. Diese Maschine hatte einen vor dem Flügel um 35 Zentimeter verlängerten Rumpf, um die sieben Kameras unterzubringen. Am 6. Juli startete der Prototyp der B.5. Diese Variante sollte als Zielmarkierer dienen und verfügte über ein Radar im Bug.

Lizenzbau in Australien

Als erste Einsatzstaffel der Royal Air Force erhielt die in Binbrook stationierte No 101 Squadron des Bomber Command am 25. Mai 1951 die erste Canberra B.2. Für die Umschulung standen den Crews auch Meteor T.7-Trainer und Meteor F.4-Jäger zur Verfügung um "ready for jet flight” zu werden. Zweiter RAF-Verband war die in Bassingbourn aufgestellte No 231 Conversion Unit. Bei der Government Aircraft Factory (GAF) in Fishermans Bend (Melbourne) lief derweil die Vorbereitung für die Lizenzfertigung der Canberra an. Die B.20 glichen weitgehend der B.2, aber mit Integraltanks in den Flügeln. Nach Fertigung der Baugruppen in Fishermans Bend folgten Endmontage und die Erstflüge der 48 Maschinen auf dem Flugplatz Avalon. Dazu kamen vier britische B.2.

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Weiterentwicklungen

Im Jahr 1952 prägten drei Ereignisse die weitere Entwicklung der Canberra. Am 12. Juni absolvierte der Trainer T.4 (WN467) seinen Erstflug. Fluglehrer und -Schüler saßen nebeneinander, der Navigator dahinter. Auch der erste PR.3- Aufklärer aus der Serie flog erstmals. Er blieb bis 1954 als Entwicklungsflugzeug bei English Electric. Am 15. Juli hob eine auf Avon Mk.109-Triebwerke umgerüstete B.5 ab. Dieses Aggregat liefert 33,33 kN und verhalf der Canberra zu bedeutend besseren Flugleistungen. Außerdem wurde die B.5 mit Integraltanks nachgerüstet. Aus ihr resultierten die neuen Versionen B.6 und PR.7. Zu Versuchszwecken wurde die Canberra auch mit Bristol Olympus, Armstrong Siddeley Sapphire und Rolls-Royce Avon mit Nachbrenner getestet. 1952 fertigte English Electric 99 Flugzeuge, fast ausschließlich B.2-Bomber. Ende des Jahres konnte auch die erste bei Shorts gebaute Canberra fertiggestellt werden. Sie absolvierte ihren Erstflug am 30. Oktober. Am 25. November hatte dann Avro seine erste Maschine in Woodford fertig. HandleyPage brauchte allerdings noch bis zum 5. Januar 1953, bis die WJ564 in Radlett erstmals flog.

Am 16. August 1953 kam die erste PR.7 in die Luft. Wegen der höheren Massen wurde das Fahrwerk verstärkt. Die PR.7 bildete im Lauf der Jahre den Bestand von zehn RAF-Staffeln. Am 11. August 1953, einige Tage vor den PR.7, absolvierte auch die erste B.6 ihren Jungfernflug. Als Erstes wurde die No 101 Squadron mit dem Bomber ausgestattet. Als Abwandlung der B.6 entstand noch die B(I).6, eine "Intruder"-Version für Angriffseinsätze in Bodennähe. Im Bombenschacht waren vier 20-mm-Hispano-Kanonen eingebaut. Mit der B(I).8 wurde die Canberra vom Höhenbomber zum tief fliegenden Angriffsflugzeug mit großer Reichweite. Wichtigste Änderung war die komplett neue Cockpitsektion mit Fighter-ähnlicher Unterbringung des Piloten, was seine Rundumsicht wesentlich verbesserte. Cheftestpilot "Bee" Beaumont startete am 23. Juli 1954 zum Jungfernflug in einer entsprechend umgebauten Maschine. Im Januar 1956 übernahm die No 88 Squadron der RAF Germany in Wildenrath die ersten B(I).8.

RAF Crown Copyright

Das Ende der Neuproduktion

Auch am anderen Ende des Einsatzspektrums der Canberra wurde Mitte der 1950er-Jahre gearbeitet. Für die PR.9 vergrößerte man die Profiltiefe zwischen Rumpf und Triebwerksgondeln und gab an den Flügelspitzen je 55 Zentimeter hinzu. Der Umbau eines Musterflugzeugs erfolgte bei Napier in Luton. Die WH793 hob am 8. Juli 1954 in Cranfield zum Jungfernflug ab. Trotz Problemen in großen Höhen begann die Fertigung im Juli 1958 bei Shorts. Die erste Maschine stürzte aber am 10. Oktober ab, als bei einem Belastungstest bis 5 g die Tragfläche an der Rumpfbefestigung wegbrach. Die Lieferungen konnten nach einer Umkonstruktion somit erst im April 1960 an die No 58 Squadron in Wyton beginnen. Die PR.9 waren auch die letzten in Großbritannien neu gebauten Canberras. Shorts beendete die Fertigung Ende 1960, während English Electric selbst seine letzten Maschinen schon im Sommer 1956 abgeliefert hatte. Die Produktion bei Avro und Handley Page war 1955 beendet worden. Mit dem Auslaufen der Fertigung war die Karriere der Canberra aber keineswegs beendet. Vielmehr wurden hauptsächlich bei English Electric in Samlesbury viele vorhandene Flugzeuge für den Export überholt oder in neue Versionen für die RAF umgebaut. Neben der RAF und der Royal Navy hatten nicht weniger als 14 Länder die Maschine im Dienst. Nicht zu vergessen ist natürlich auch die USAF mit 403 bei Martin in Lizenz gebauten B-57. Die Ausmusterung der letzten Aufklärer bei der RAF erfolgte im Juni 2006, die Inder stellten ihre Canberras sogar erst im Mai 2007 außer Dienst

KL-Dokumentation

Technische Daten

English Electric Canberra B.2

Hersteller: English Electric
Besatzung: 3
Antrieb: 2 x Rolls-Royce Avon RA.3
Leistung: 2 x 28,9 kN
Länge: 19,96 m
Höhe: 4,75 m
Spannweite: 19,49 m
max. Startmasse: 20860 kg
Höchstgeschwindigkeit: 833 km/h in Bodennähe, 920 km/h in großer Höhe
Dienstgipfelhöhe: 14600 m
max. Reichweite: 4280 km