Hawker P.1127 - Entwicklung der Harrier-Vorläufer

Entwicklung der Harrier-Vorläufer
Hawker P.1127

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Zuletzt aktualisiert am 23.07.2018

Entwicklung der Harrier-Vorläufer

Ende der 50er Jahre hatten die britischen Kampfflugzeughersteller gegen neue Trends zu kämpfen. Aufgrund der Fortschritte bei den Luftabwehrlenkwaffen schienen die Tage des Abfangjägers gezählt, nur die Entwicklung strahlgetriebener Bomber und Jagdbomber versprach Zukunft. Die Ingenieure untersuchten daher, ob nicht senkrecht startende und landende Muster die richtige Antwort auf die geänderten Bedürfnisse der Luftstreitkräfte sein könnten.

Die beiden führenden britischen Triebwerkshersteller Rolls-Royce und Bristol Aero Engines boten hierfür zwei Antriebsalternativen an. Während ersteres Unternehmen verschiedene Kombinationen aus Marschtriebwerken und reinen Hubtriebwerken vorschlug, arbeiteten die Bristol-Ingenieure in Filton an einem anderen Konzept. Nur ein Triebwerk mit schwenkbaren Schubdüsen sollte die gleiche Aufgabe übernehmen wie das ungleich komplexere System des Konkurrenten.

Bei Hawker Aircraft in Kingston-upon-Thames fiel schnell die Entscheidung zugunsten des Bristol-Vorschlags. Da die Leistung des Triebwerks BE.53 V/STOL mit nur 50,2 Kilonewton jedoch relativ gering war, entwarf das Hawker-Konstruktionsteam im Frühsommer 1957 zunächst die kleine, dreisitzige P.1127 Mk. I (HSH / High Speed Helicopter), die Einsatzaufgaben eines leichten Hubschraubers übernehmen sollte. Trotz der Bezeichnung handelte es sich um einen Mitteldecker mit ungepfeilten Tragflächen. Sehr bald änderte man das Konzept im Sommer 1957 zur zweisitzigen P.1127 Mk. II. Zwei schwenkbare Düsen mit kalter Luft aus dem Niederdruckverdichter und eine Düse mit heißer Luft aus dem Hochdruckverdichter sollten dem Flugzeug die gewünschten Flugeigenschaften verleihen für einen extrem kurzen Start und – nach weitgehendem Verbrauch des Treibstoffvorrats – eine senkrechte Landung.

Anschließende Untersuchungen führten jedoch zur völligen Neukonzeption. Die nun einsitzige P.1127 erhielt ein verändertes BE.53 mit vier schwenkbaren Düsen. Eine große Herausforderung bestand dabei in der sicheren Steuerung des Flugzeugs in der Transitionsphase, dem Übergang vom Schwebe- in den Horizontalflug. Wegen der sehr geringen Geschwindigkeiten erwiesen sich die aerodynamischen Steuerflächen als dafür nicht ausreichend. Folglich sahen die Konstrukteure zusätzliche Steuerdüsen im Bug, im Heck und an den Flügelspitzen vor, durch die Zapfluft aus dem Hochdruckverdichter des Triebwerks gepresst wurde.

Britische Regierung zeigt zunächst die kalte Schulter

Im August 1957 stand dieses Konzept. Als Startmasse für den Vertikalstart hielten die Techniker 3855 kg für möglich. Mit einer Außenlast von rund 1000 kg wäre immerhin eine Startlänge von nur 185 m denkbar gewesen. Da Bristol und Hawker das Vorhaben aus eigener Tasche finanzierten und keine Regierungsunterstützung in Aussicht war, liefen die Arbeiten nur mit begrenztem Aufwand. Gegen Ende 1957 stellte Hawker die Arbeit an der P.1127 sogar vorübergehend ein, um sie erst ab Januar 1958 wieder aufzunehmen. Die Reduzierung der Masse des Entwurfs stand im Vordergrund, und die Größe des Flugzeugs schrumpfte entsprechend. Die Konstrukteure verzichteten auf eine interne Bewaffnung und erdachten eine Art Tandemfahrwerk mit herunterklappbaren Stabilisierungsrädern an den Flügelspitzen.

Parallel zu diesen Bemühungen konnte Bristol die Leistung des Triebwerks auf 57,82 kN steigern. Noch wichtiger war jedoch, dass sich die Londoner Regierung nun mit 75 Prozent an den Kosten der Antriebsentwicklung beteiligen wollte. Dagegen stellte die Royal Air Force gegenüber Hawker klar, dass ihr Interesse an dem Projekt gleich null sei.

Im März 1959 beschloss der Hawker-Vorstand dennoch den Bau von zwei Prototypen, in der Hoffnung, die Regierung würde ihre Haltung ändern. Und so kam es auch: Noch im selben Monat erließ das Luftfahrtministerium die Spezifikation GOR.345 für einen Hunter-Nachfolger in der Angriffs- und Aufklärungsrolle.

Der Bau der beiden Prototypen und die Entwicklung des BE.53 – nun unter dem Namen Pegasus – schritten entsprechend zügig voran. Im September 1959 lief das erste Triebwerk auf dem Prüfstand, und Hawker erhielt für die Entwicklungsarbeiten an der P.1127 endlich einen Betrag von 75 000 Pfund, nach damaligem Wechselkurs fast eine halbe Million Euro. Auch die Windkanalversuche im Royal Aircraft Establishment in Farnborough konnten noch in jenem Jahr beginnen. Sie führten allerdings zu wenig positiven Ergebnissen. Gerade in der Transitionsphase sei das Flugzeug um die Querachse extrem instabil, hieß es. Die P.1127 schien auf einen Schlag zum Scheitern verurteilt.

Spätere Windkanalversuche bei der NASA in den USA – verabredet im Frühjahr 1959 und bezahlt von der US Air Force, um keinen technischen Vorsprung des Auslands auf diesem Gebiet zuzulassen – führten Anfang 1960 zu besseren Ergebnissen. In einem riesigen Windkanal in Langley konnten mit einem Modell des Harrier-Vorgängers im Maßstab 1:6 die Start- und Landephase erfolgreich simuliert werden. Auch die Versuche, die Hawker-Cheftestpilot Bill Bedford und sein Stellvertreter Hugh Merewether im selben Jahr in den USA mit Hubschraubern und der Bell X-14 durchführten, bestätigten die Philosophie der Hawker-Konstrukteure: Ein volles Drei-Achsen-Stabilisierungssystem würde für die P.1127 nicht benötigt.

Nachdem das Ministerium Hawker in der Zwischenzeit zur Abgabe eines Angebots für den Bau von vier weiteren Entwicklungsflugzeugen aufgefordert hatte, stand mit der Fertigstellung des ersten Prototyps dem Beginn der Flugerprobung in Dunsfold nichts mehr im Wege. Am 21. Oktober 1960 startete Bill Bedford, nach einem Autounfall mit einem Bein in Gips, zum ersten Schwebeflug mit der XP831, bei dem die Maschine an Sicherungsleinen hing. Dies begrenzte die Flughöhe extrem und machte die fliegerische Aufgabe besonders schwer, denn gerade in diesem Bereich wirkten einzigartige aerodynamische und thermische Effekte auf das Flugzeug ein. So setzte der Abgasstrahl aus den vier Schwenkdüsen bei Start und Landung eine Sekundärströmung in Gang, die den Senkrechtstarter umfloss und nach unten saugte. Zudem führte das Wiederansaugen heißer Luft zu deutlichen Schubverlusten. Diese Effekte ließen sich nur begrenzt simulieren und mussten daher vom Piloten überwiegend erflogen werden.

Der erste freie Schwebeflug erfolgte am 19. November 1960, der erste konventionelle Start am 13. März 1961. Der zweite Prototyp, XP836, flog am 7. Juli 1961 zum ersten Mal, und das Flugtestprogramm konnte nun intensiviert werden. Am 12. September 1961 gelangen schließlich die ersten kompletten Transitionen aus Vertikalflug in den Horizontalflug und umgekehrt. Den Fortgang der Erprobung überschattete jedoch die Entscheidung der Regierung, die Spezifikation GOR-345 zugunsten einer Beteiligung am supersonischen V/STOL-Strike Fighter der NATO (NBMR-3) zu streichen, was die P.1127 zunächst in den Hintergrund treten ließ. Der Absturz der zweiten Maschine am 14. Dezember 1961 verhalf zudem dem Programm nicht gerade zu mehr positiver Publicity. Bill Bedford hatte sich mit der XP836 im Steigflug befunden, als der Jet in etwa 2400 m Höhe die linke vordere Schubdüse verlor. Der Testpilot rettete sich in rund 60 m Höhe mit dem Schleudersitz.

Dennoch zeigte sich zumindest Hawker mit den bisherigen Ergebnissen der Versuche zufrieden. Höhepunkte waren die Starts und Landungen auf dem Flugzeugträger HMS „Ark Royal“ im Jahr 1963. Auch standen mittlerweile leistungsstärkere Pegasus-Triebwerke zur Verfügung. Der sechste Prototyp erhielt bereits das Pegasus 5 mit einem Schub von 68,96 kN. Diese Version war ursprünglich für die Kestrel vorgesehen, der Weiterentwicklung der P.1127. Das Air Ministry hatte im Mai 1962 neun Exemplare dieser Version bestellt, die zur operationellen Erprobung dienen sollten.

Deutschland und die USA steigen ein

Die Kestrel unterschied sich von der P.1127 durch vergrößerte Höhenleitwerke in negativer V-Stellung, einen verlängerten Rumpf und gepfeilte Tragflächen im Gegensatz zu den gekappten Deltaflügeln der P.1127. Da auch die USA und Deutschland Interesse an den Ergebnissen der Einsatzerprobung zeigten, luden sie die Briten zur Teilnahme ein, auch um die hohen Kosten zu teilen. Nachdem am 16. Januar 1963 die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, Großbritanniens und der USA das so genannte Tripartite Agreement zur Aufstellung einer gemeinsamen Erprobungsstaffel unterzeichnet hatten, begann am 1. April 1965 beim Central Fighter Establishment in West Raynham in Norfolk, Großbritannien, der Flugbetrieb dieser einzigartigen Einheit.

Drei Piloten der Royal Air Force, zwei der Luftwaffe (unter anderem der Jagdflieger Gerhard Barkhorn als stellvertretender Befehlshaber der Einheit), je ein Flugzeugführer der US Navy und US Air Force sowie zwei Piloten der US Army sollten mit den neun Maschinen neun Monate lang die Einsatzfähigkeit des Senkrechtstarters nachweisen. Sie absolvierten insgesamt 938 Einsätze, obwohl gleich am ersten Tag die XS696 verunglückte. Sie wurde durch den umgebauten ersten Prototyp der P.1127 ersetzt. Abgesehen von dem Unfall erwies sich das Vorhaben als Erfolg, an dessen Ende die Entscheidung der Royal Air Force zur Einführung des Musters das Konzept des Senkrechtstarters bestätigte. Zwei Kestrels blieben zu Tests für das spätere Harrier-Programm in Großbritannien. Der letzte Flug erfolgte erst im Oktober 1972. Die Luftwaffe verkaufte ihre drei Maschinen an die USA, die diese zusammen mit den eigenen drei Exemplaren nach Amerika verschiffen ließen. Dort dienten sie unter der Bezeichnung XV-6A sowohl der US Army, der Navy und der Air Force als auch der NASA zu Forschungszwecken.

Die Briten wollten mit den gewonnenen Erkenntnissen den Überschall-Senkrechtstarter P.1154 entwickeln, Das Programm wurde aber aus Kostengründen abgebrochen. Stattdessen bekam die Royal Air Force die P.1127 (RAF), die sich durch erhebliche Modifikationen auszeichnete. Neben neuen Lufteinlässen, überarbeiteten und vergrößerten Tragflächen verfügte die wenig später als Harrier GR Mk. 1 bezeichnete Maschine über eine verbesserte Avionik, ein leistungsstärkeres Pegasus-Triebwerk, ein geändertes Fahrwerk, einen neuen Schleudersitz und einen verstärkten Rumpf.

Technische Daten

Kestrel F (G.A.) Mk. 1

Hersteller: Hawker Aircraft Ltd., Kingston-upon-Thames, Großbritannien
Typ: Jagdbomber-Technologiedemonstrator
Besatzung: 1
Antrieb: 1 Bristol Aero Engines Pegasus 5
Schub: 68,96 kN
Länge: 14,61 m
Höhe: 3,28 m
Spannweite: 6,96 m
Flügelfläche: 17,28 m2
Startmasse: 9500 kg maximal, 5889 kg für Senkrechtstart, 8154 kg für Kurzstart
Höchstgeschwindigkeit: 1110 km/h
Aktionsradius: 350 bis 560 km
Bewaffnung: Bomben, ungelenkte Raketen (maximal 900 kg als Außenlast)

Die Harrier-Vorläufer

P.1127

Kennung      Erstflug Verbleib
XP831 21. Oktober 1960 Science Museum, London
XP836 7. Juli 1961 abgestürzt 14. Dezember 1961
XP972 5. April 1962 Bruchlandung am 30. Oktober 1962 nach Triebwerksausfall, Pilot Merewether unverletzt
XP976 12. Juli 1962 außer Dienst 1965, verschrottet
XP980 24. Februar 1963 Fleet Air Arm Museum, Yeovilton
XP984 13. Februar 1964 Brooklands Museum, Weybridge


Kestrel

Kennung    Erstflug     Verbleib
XS688 7. März 1964 National Museum of the United States Air Force, Dayton, Ohio
XS689 28. Mai 1964 National Air and Space Museum, Washington, D.C.
XS690 5. August 1964 US Army Aviation Museum, Fort Rucker, Alabama
XS691 5. September 1964 beim Hubschraubertransport zum Virginia Air Power Park versehentlich in den Fluss geworfen
XS692 7. November 1964 Virginia Air Power Park, Hampton
XS693 25. November 1964 abgestürzt am 21. September 1967 in Boscombe Down, GB, nach Triebwerksausfall, Pilot rettete sich mit dem Schleudersitz
XS694 10. Dezember 1964 Bruchlandung 27. August 1967 in Wallops Island, USA
XS695 19. Februar 1965 Depot Royal Air Force Museum, GB
XS696 5. März 1965 Startunfall am 1. April 1965 in West Raynham, Pilot unverletzt


Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 03/2009