Heinkels Senkrechtstarter-Projekt He 231

Evolution einer Idee
Heinkels Senkrechtstarter-Projekt He 231

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Zuletzt aktualisiert am 05.12.2018
Heinkels Senkrechtstarter-Projekt He 231

Im Mai 1955 fielen die strengen Verbotsbestimmungen der Alliierten, die lange den Neustart des Flugzeugbaus in Deutschland verhinderten. Ernst Heinkel war, wie andere Größen der Branche auch, schon vorher wieder im Ausland aktiv gewesen. Seine Kompetenz im Flugzeugbau hatte er mit einem kleinen Team nicht zuletzt durch die Entwicklung der He 011, eines Delta-Jägers, den er ab 1953 für die ägyptische Regierung entwickelte, aufrechterhalten. Im Auftrag des spanischen Luftfahrtministeriums erarbeitete er 1955 den Entwurf eines Mach-2-Jägers. 1956 projektierte das eingespielte Team im Rahmen eines Konstruktionswettbewerbs des Bundesverteidigungsministers den Mach-2-Jäger He 031 Florett; er ging als Sieger aus diesem Wettbewerb hervor.

Gebaut wurde die Florett, wie die anderen genannten Heinkel-Projekte, nicht. Sie fiel nicht zuletzt der Entscheidung zum Kauf und Lizenzbau der F-104 Starfighter zum Opfer. Doch Heinkel war aufgrund seiner Projektarbeiten gut aufgestellt, als das BMVg am 2. Dezember 1957 in einer Ausschreibung einen Allwetter-Jäger mit VTOL-Fähigkeit forderte. Das Heinkel-Team mit dem langjährigen Chefkonstrukteur Siegfried Günter, der Heinkel zu seinen großen Erfolgen verholfen hatte, machte sich ans Werk.

Erste Überlegungen gingen in die Richtung eines für Senkrechtstart und -landung auf sein Heck gestelltes Flugzeug. Ein Prinzip, wie es zum Beispiel einige Jahre zuvor auch die Convair XFY-1 Pogo verfolgte, die von einer Propellerturbine angetrieben wurde. Für das Konzept sprachen zunächst vor allem Gewichtsvorteile. Als Antrieb war ein General Electric J79 vorgesehen. Später spielte das Team auch noch die Ausrüstung mit vier J85 durch, wovon es sich ein kürzeres Flugzeug und einen niedrigeren Schwerpunkt versprach. Doch das Konzept wurde schnell wieder verworfen. Eine Gefährdung während des Landevorgangs durch Schieben bei Seitenwind und schlechte Sichtverhältnisse waren zwei von vielen Gründen, die diese Konfiguration als unsicher gelten ließen.

Also kehrte das Heinkel-Team wieder zu Entwürfen zurück, die aus der Horizontallage heraus senkrecht starten und landen sollten. Klar war, dass man in jedem Fall mehrere kompakte Triebwerke als Antrieb brauchte. Das schon erwähnte J85 schien ideal. Verworfen wurde das in die Überlegungen einbezogene Rolls-Royce RB108, weil es keinen Nachbrenner hatte und für höhere Staudrücke ungeeignet war. Alle Untersuchungen führten schließlich zum Entwurf eines Senkrecht-Flachstarters mit je zwei J85 mit Schubumlenkung im Vorderteil und Heck des Rumpfes. Im Schwebeflug sollte die Steuerung um die Querachse mittels unterschiedlicher Schubregelung der Triebwerkspaare erfolgen. Für die Steuerung um die Längs- und Hochachse waren Druckluftdüsen an den Flügelspitzen vorgesehen, die Zapfluft aus den Triebwerksverdichtern erhalten sollten.

Bei näherer Betrachtung konnte aber auch dieser He-231-Entwurf nicht zum Ziel führen. Er hatte zahlreiche Nachteile, die vor allem mit der Triebwerksanlage zusammenhingen. Damals gab es keine Strahlumlenkung für den Nachbrennerbetrieb. Außerdem wären Festigkeitsfragen für den Rumpf mit der paarweisen Anordnung der Triebwerke problematisch geworden. Die Kalkulation ergab ein sehr hohes Gewicht der gesamten Schubstrahlumlenkung und des strukturell komplizierten Rumpfes. Eine so konfigurierte He 231 wäre nicht leichter als ein mit schwenkbaren Triebwerken ausgerüstetes Flugzeugs geworden.

Heinkel untersuchte daraufhin in dieser dritten Entwicklungsphase drei verschiedene Entwürfe mit schwenkbaren Triebwerken. Die besten Ergebnisse versprach ein Konzept in Entenkonfiguration mit vier schwenkbaren Triebwerken an den Flügelspitzen. Die Steuerung des Flugzeugs in den Übergangsphasen vom Schwebeflug zum flächengestützten Horizontalflug war durch eine ausgefeilte Schubregelung machbar. Problematisch schien anfangs, ob und wie sich bei senkrecht gestellten Triebwerken ausreichend Seitenstabilität erreichen lassen könnte, weil sich bei der Entenkonfiguration die vorderen Triebwerke am kurzen Canard-Flügel näher an der Rumpflängsachse befanden als die am hinteren Hauptflügel befestigten. Verschiedene Versuchsreihen und Windkanalmessungen zeigten jedoch, dass sich diese Frage lösen ließ. Weitere Windkanalversuche, insbesondere im Hinblick auf den Überschallflug, zeigten, dass die mit der He 231 angestrebten hohen Geschwindigkeiten auch von der Aerodynamik her realisierbar waren.

Die Ingenieure errechneten eine Startmasse von 5500 Kilogramm. Vier J85-Turbinen mit zusammen 7920 Kilopond Schub würden die He 231 in 20 000 Metern Höhe auf eine Geschwindigkeit jenseits von Mach 2 treiben können. Beim Start sollte die He 231 innerhalb von 5,6 Sekunden auf 15 Meter Höhe steigen und dann in die Transitionsphase vom triebwerk- zum flächengestützten Flug übergehen. Dazu sollte der Senkrechtstarter innerhalb von 20 Sekunden auf 345 km/h beschleunigen. Die Landetransition sollte 39 Sekunden dauern.

Trotz kompakten Maßen bot der Rumpf ausreichend Platz

Der strukturell einfach ausgelegte Rumpf hatte fast durchgängig einen runden Querschnitt mit maximal 1,10 Meter Durchmesser. Seine umspülte Fläche war mit 30,5 Quadratmetern relativ klein. Ein Vorteil des Konzepts war, dass wegen der an den Flächenspitzen aufgehängten Triebwerke der gesamte Rumpfinnenraum für Nutzlast, Kraftstoff und Fahrwerk zur Verfügung stand. Als Standardbewaffnung schlug Heinkel eine 25-mm-Maschinenkanone 251RK von Oerlikon mit 150 Schuss vor. Außerdem war vorgesehen, an Rumpfstationen bis zu vier zielsuchende Sidewinder Luft-Luft-Raketen mitzuführen. Die Sichtverhältnisse für den Piloten, der sich im Notfall mit einem Folland-Schleudersitz retten sollte, waren ausgezeichnet. Die Rumpfnase war nach oben klappbar ausgelegt, um gut an das darunter untergebrachte Radar kommen zu können. Die Verwendung einer Stahl-Honeycomb-Struktur für die Außenhaut wurde aus Kostengründen verworfen.

In der zweiten Jahreshälfte 1958 überarbeitete Heinkel das Projekt He 231 noch einmal. Die Grundauslegung blieb, doch dachte man jetzt daran, die Triebwerksanlage am Hauptflügel um zwei weitere Aggregate zu verstärken. Außerdem sah Heinkel nun die Verwendung von Rolls-Royce-RB153-Triebwerken vor.

Parallel zu Heinkel hatte sich auch Messerschmitt an dem Wettbewerb um das VTOL-Hochleistungs-Kampfflugzeug beteiligt, dem man inzwischen die Bezeichnung VJ-101 gegeben hatte. Messerschmitt setzte auf ein vollständig anderes Konzept. Sein Entwurf Me P 1227 sah vor, die Triebwerksanlage samt den Schubrohren im Rumpf unterzubringen. Die Steuerung im Schwebeflug sollte über Pendeldüsen erfolgen.

Bald wurden die Aktivitäten der Konkurrenten industriepolitisch zusammengeführt. Am 23. Februar 1959 gründeten Heinkel, Messerschmitt und Bölkow den Entwicklungsring Süd. Bis zum Herbst desselben Jahren arbeiteten die neuen Partner an den Projekten VJ-101 A (Heinkel) und VJ-101 B (Messerschmitt) getrennt weiter. Dann wurden die Erkenntnisse aus den Projekten zusammengeführt. Heraus kam die VJ-101 C, die technisch wesentliche Züge der He 231 mit Elementen des Messerschmittschen Entwurfs vereinigte. Ihr Erstflug erfolgte am 10. April 1963. Die Evolution der He 231 zum realen überschallschnellen Senkrechtstarter erreichte hier ihren Endpunkt.

Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 02/2013