Siebel Si 204
Offiziell forderte die Lufthansa im Jahr 1939 ein leichtes Zubringerflugzeug für zwei Besatzungsmitglieder und acht Passagiere. Man darf aber davon ausgehen, dass eine zivile Verwendung der Si-204 von Anfang an nicht alleinim Fokus stand. Vielmehr ging es auch um eine militärische Verwendung.schnell Die Luftwaffe benötigtefür den damals so genannten Blindflug einen Trainer. Zusätzlich sollten in dessen Kabine mehrere Schüler ihre Praxisausbildung in der Funknavigation erhalten konnten. Zudem sollte das neue Flugzeug für Verbindungs- oder kleinere Frachttransportaufgaben geeignet sein.
Die Siebel Flugzeugwerke in Halle erhielten den Auftrag zur Entwicklung eines solchen Flugzeugs. Der Betrieb war 1934 zunächst als Zweigwerk von Klemm in Halle an der Saale gegründet und später vom ehemaligen Klemm-Vertreter in Berlin, Friedrich Wilhelm Siebel, übernommen worden. Mit dem fünfsitzigen, zweimotorigen Kurierflugzeug Fh 104 hatte Siebel bereits eine gute Visitenkarte für die Entwicklung der späteren Si-204 abgegeben. Immer wieder wird kolportiert, die Si-204 sei eine Weiterentwicklung der Fh 104 gewesen. Doch mit ihr hatte sie nicht mehr als die zweimotorige Auslegung gemeinsam. Konstruktiv und von ihrer Aerodynamik her war sie eine komplette Neuentwicklung.
Das Team um Chefkonstrukteur Friedrich Fechner entwickelte den Rumpf der Si 204 in konventioneller Schalenbauweise mit eng gesetzten Spanten, Längsträgern und Stringern aus Dural, auf die die Alu-Beplankung genietet wurde. Der Trapezflügel mit hoher Streckung und die Leitwerke entstanden ebenfalls in Schalenbauweise. Dabei erhielt die Si 204 Endscheiben-Seitenleitwerke beidseits der 6,20 Meter spannenden Höhenflosse. Alle Ruder waren mit Stoff bespannt. Die Steuerung erfolgte mechanisch über Seilzüge und Stoßstangen. Die Trimmruder an Höhen-, Seiten- und rechtem Querruder wurden elektrisch angetrieben. Sie waren als Flettnerklappen ausgeführt und dienten so zugleich der Reduzierung der Ruderkräfte. Die Landeklappen konnten über einen Schalter elektrohydraulisch in drei Stellungen, für Start, Landung und Reiseflug, gefahren werden. Ebenfalls hydraulisch wurden die Hauptfahrwerke und deren Bremsen betätigt. Das Spornrad war nicht einziehbar. Als Antrieb für die zunächst gebaute A-Version wurden Argus As 410A-1 gewählt. Die V-12-Motoren mit hängend angeordneten Zylindern leisteten jeweils 465 PS.
Am 23. Mai 1941 startete die Si-204 V1 in Halle zum Erstflug. Die ersten beiden Prototypen waren als Reiseflugzeug konfiguriert, äußerlich leicht an der abgesetzten Rumpfnase zu erkennen. Während der Flugerprobung zeigten sich schnell die ausgezeichneten Flugeigenschaften des neuen Flugzeugs. Auch die Flugleistungen waren zufriedenstellend. Die Luftwaffe drängte auf die geplante Trainerversion. Schon der dritte Prototyp, der ebenfalls noch 1941 in die Luft kam, wurde dementsprechend konfiguriert. Er erhielt schon die komplett verglaste Rumpfnase der späteren Si 204 D. In der Kabine hinter dem Cockpit wurden vier Plätze für Navigationsschüler und einen Lehrer eingebaut. Während die V3 noch mit dem AS 410 flog, kamen in den D-Serienflugzeugen dann stärkere Argus As 411 TA-1 zum Einsatz, die mit jeweils 580 PS und Höhenladern wesentlich mehr Leistung als die As 410 boten.
Über ein Untersetzungsgetriebe (1,75:1) trieben die Motoren ebenfalls von Argus entwickelte Zweiblattpropeller mit Verstellautomatik an. Ihr charakteristisches Merkmal war die so genannte Rippenhaube, auch „Nasenquirl“ genannt, als Vorderteil des Spinners. Kleine, auf ihr angeordnete Fanblätter ließen die Rippenhaube entgegengesetzt zum Propeller drehen. Über eine Mechanik brachte sie die Propeller je nach Geschwindigkeit und abgeforderter Leistung in die optimale Stellung.
Schnell zeigte sich bei der Truppe, dass die Vollsichtkanzel der Si 204 D die spätere Eingewöhnung auf ähnlich verglaste Kampfflugzeuge wie die Ju 88 erleichterte. Hinzu kam, dass die Instrumentierung des Blindflugtrainers in Zahl und Anordnung weitgehend der anderer zweimotoriger Kampfflugzeuge entsprach. Zur Ausbildung von Navigatoren konnten vier voll ausgerüstete Navigationsplätze in der Kabine eingerüstet werden. Ein fünfter Platz war für den Lehrer vorgesehen. In diesem „fliegenden Hörsaal“ konnten so gleich mehrere Schüler effizient auf ihre künftigen Aufgaben praktisch vorbereitet werden.
Wegen ihrer harmlosen Flugeigenschaften, auch im Einmotorenflug, wurde die Si 204 bei den Piloten bald zu einem hoch geschätzten Flugzeug. Mehr und mehr ersetzte sie die veraltende Focke-Wulf Fw 58 Weihe, die noch in Holzbauweise entstanden war.
Produktion nach dem Krieg

Da Siebel in Halle mit der Lizenzfertigung kriegswichtiger Flugzeuge und Komponenten, zum Beispiel für die Ju 88, ausgelastet war, wurden dort nur die Prototypen und einige Flugzeuge der Vorserie gefertigt. In Frankreich wurde die Société Nationale de Constructions Aéronautique du Centre (SNCAC) in Bourges zur Serienproduktion herangezogen, in der Tschechoslowakei CKD/BMM (Böhmisch-Mährische Maschinenfabrik) und Aero/Letov in Prag. Bei SNCAC lief die Fertigung nur schleppend an. Insgesamt erhielt die Luftwaffe aus diesem Werk 168 Exemplare der A- und D-Versionen. Wesentlich höher war der Ausstoß bei CSK/BMM und Aero, wo bis Ende 1944 1007 Si 204 D gebaut wurden.
Aus der D-Serie entwickelte Siebel noch eine bewaffnete Variante, die Si 204 E. Wegen ihrer hohen Zuladekapazität schien sie dazu geeignet zu sein, auch als leichter Kampfbomber zu dienen. Es kam allerdings nur zum Bau einer Vorserie von wenigen, wahrscheinlich fünf Flugzeugen. Die E-Version erhielt einen Waffenstand mit einem MG 131 (HDL 131) auf dem Rumpfrücken hinter dem Cockpit. Zwei weitere MG 131 wurden unter dem Kabinenboden platziert. Unter dem Rumpf konnte die Si 204 E verschiedene Bombentypen aufnehmen. Im Rumpfmittelteil war schwerpunktnah ein Bombenschacht eingebaut.
Insgesamt konnte das Flugzeug so bis zu 800 Kilogramm Bombenlast transportieren. Als Visier wurden Revi 16 A beziehungsweise B verwendet, als Bombenzielgerät ein Lotfe 7K. Siebel Si 204 E sollen vereinzelt zur Bekämpfung von Partisanen eingesetzt worden sein. Allerdings nur nachts, denn als relativ langsame Flugzeuge wären sie tagsüber ein zu leichtes Ziel gewesen. Dieses Kapitel der Si-204-Geschichte ist nicht klar. Genauere Aufzeichnungen über solche Einsätze gibt es offenbar nicht.
Mit dem Kriegsende endete die Karriere der Si 204 keineswegs. Sowohl in der Tschechoslowakei als auch in Frankreich wurde sie weiterhin gebaut. SNCAC fertigte in den Nachkriegsjahren etwa 300 Exemplare für die Armée de l’Air. Aus deutschen Bauteilen wurden dabei noch 21 Flugzeuge mit Argus As 411 als NC.700 montiert. Unter den Bezeichnungen NC.701 (Si 204 D) Martinet begann schon im April 1945 die Fertigung von Flugzeugen, die mit 590 PS starken Renault-12S-Motoren ausgerüstet wurden. Die Renault-Aggregate waren praktisch Lizenzbauten des As 411 TA. Ein Jahr später folgte die NC.702 Martinet II, die eine der Si 204 A ähnliche, aber etwas längere Bugpartie besaß. Unter anderem Vietnam, Algerien und Marokko waren Schauplätze, auf denen die französischen Streitkräfte die Martinet einsetzten. Einige wurden auch exportiert. Polen kaufte sieben NC.701 und setzte sie für die Photogrammetrie ein. Zum gleichen Zweck erwarb auch Schweden von der französischen Luftwaffe zunächst zwei NC.701, in den 60er Jahren sogar nochmals drei. Zwei gingen an Marokko. Erst in den späten 60er Jahren verschwanden die letzten Martinets aus den Registern.
Auch bei Aero in Prag lief die Produktion der Siebel Si 204 nach dem Krieg weiter. Insgesamt lieferte Aero in den Nachkriegsjahren bis zur Einstellung der Produktion knapp 180 dieser Flugzeuge aus. Die militärische Bezeichnung lautete C-3, die zivile C-103. Beide Grundvarianten wurden in mehreren Versionen gebaut und übernahmen vielfältige Aufgaben als Ausbildungsflugzeug, Aufklärer und leichter Bomber bis hin zu Frachtflug- und Photogrammetrieverwendungen . Motorisiert waren sie mit dem M-41R, der mit dem As 411R identisch war.
So endet die Geschichte der Siebel Si 204, die im Laufe der Zeit nicht nur ihrer Rolle als Trainingsflugzeug und „fliegender Hörsaal“ gerecht wurde. Ihrer vielseitigen Einsetzbarkeit hatte sie einen langen Lebenszyklus zu verdanken, der sie auch noch zwei Jahrzehnte nach dem Krieg zu einem gern genutzten Muster machte.
Technische Daten





Siebel Si 204D-1
Verwendung: Trainings- und Verbindungsflugzeug
Besatzung: 2 Mann
Antrieb: 2 x Argus As 411TA-1
Startleistung: 2 x 580 PS/426 kW bei 3100 U/min
Spannweite: 21,28 m
Länge: 11,95 m
Höhe: 4,24 m
Flügelfläche: 46,00 m2
Rüstmasse: 4000 kg
Zuladung: 1600 kg
Startmasse: 5600 kg
Höchstgeschwindigkeit: 360 km/h in 2500 m Höhe
Reisegeschwindigkeit: 318 km/h
Landegeschwindigkeit: 110 km/h
Steigzeit auf 1000 m: 3,4 min
Dienstgipfelhöhe: 7500 m
Reichweite: 1600 km
max. Flugdauer: 5,3 h
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 07/2011