Max Immelmanns Tod: Unfall oder Abschuss?

Flieger-Ass Max Immelmann
Immelmanns Tod: War es ein Unfall oder Abschuss?

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Veröffentlicht am 15.12.2024

Der Jagdflieger Max Immelmann, geboren am 21. September 1890 in Dresden, gehört zu den berühmtesten Fliegern des Ersten Weltkriegs. Es waren nicht nur seine militärischen und fliegerischen Leistungen und die deutsche Kriegspropaganda, die seinen Nachruhm begründeten. Sein humaner Umgang mit gefangenen Angehörigen des britischen Royal Flying Corps (RFC) trug wesentlich zu seinem Ansehen bei. Schon bei seinem ersten Luftsieg (von 15) führte Immelmann die medizinische Erstversorgung des Gegners durch. Von ihm verwundete Flieger besuchte er im Lazarett und schenkte ihnen Zigaretten und Schokolade. Seine Unterhaltungen mit den gefangenen feindlichen Piloten trugen einen kameradschaftlichen Charakter. Bei Flügen hinter die feindlichen Linien warfen Immelmann und seine Kameraden Mitteilungen über das Schicksal der Angehörigen des RFC ab. Deshalb erfreute sich der königlich sächsische Oberleutnant Max Immelmann auch beim Feind großer Popularität. Am 18. Juni 1916 stürzte er bei Lens tödlich ab.

Sammlung Täger

Die Siegesmeldung des RFC

Der Ablauf von Immelmanns letztem Gefecht wird in einem Luftkampfbericht der No. 25 Squadron des RFC beschrieben (Übers., d. A.): "Gegen 9 Uhr abends beim Patrouillendienst über LOOS wurden drei Fokker hinter den Linien gesehen. Leutnant McCubbin ging über die Linien auf sie zu. Eine Fokker entfernte sich im Sturzflug von den anderen beiden und ließ sie zurück. Die restlichen beiden machten sich auf den Weg nach LENS, in Richtung einer anderen F.E. Leutnant McCubbin folgte ihnen. Während einer von ihnen die von 2/Lt. Savage gesteuerte F.E. angriff (beide Maschinen tauchten steil ab), stürzte sich Leutnant McCubbin auf die angreifende Maschine und schoss auf sie. Sofort drehte die Fokker von der anderen F.E. aus nach rechts und stürzte senkrecht auf den Boden zu. Von der 22. Flugabwehrbatterie wurde beobachtet, dass sie aufschlug. Die zweite Fokker befand sich entweder über oder hinter Lt. McCubbins Maschine. Als er gewendet hatte, sah er weder die F.E. noch die beiden Fokker." Der nur vom Squadron Commander Major Robert Graeme Cherry signierte Bericht nennt als Ort des Luftkampfes Annay und als Uhrzeit 9.05 Uhr abends. Das entspricht 10.05 Uhr abends deutscher Zeit. Alle Meldungen und Artikel der Briten bis heute betonen, dass Immelmann von 2nd Lieutenant (2/Lt.) George Reynolds McCubbin und Corporal (Cpl.) James Herbert Waller bezwungen wurde. Es dauerte drei Tage, bis die Nachricht von Immelmanns Tod an die deutsche Presse durchsickerte. Ein Dutzend möglicher Absturzursachen wurde von ihr gemeldet.

Sammlung Täger

Ein überraschender Untersuchungsbefund

Der Stabsoffizier der Flieger (Stofl) der 6. Armee, Major Friedrich Stempel, beauftragte die Führer der preußischen Feldflieger-Abteilungen 9, 13 und der bayerischen 5b mit der Untersuchung der Flugzeugtrümmer, da ein Materialfehler als Ursache des Zerbrechens des Eindeckers in der Luft vermutet wurde. Am 26. Juni 1916 schloss die Untersuchungskommission einen Materialfehler aus und kam zu dem Schluss: "Eine genaue Untersuchung des Flugzeuges hat ergeben, daß Oblt. Immelmann sich den einen Flügel des Propellers mit dem eigenen MG abgeschossen hat. Die Spuren des Geschosses sind am Propeller sichtbar. Hierdurch ist der Motor in eine außerordentlich starke rotierende Bewegung geraten. Da die beiden Motorböcke unversehrt sind, mußte sich diese starke Bewegung auf den Rumpf mitteilen, dessen eine Längsstrebe wahrscheinlich nachgegeben hat und ein Abdrehen des vorderen Teiles der Maschine von dem hinteren zur Folge hatte. Die Kommission ist zu dieser Auffassung gekommen unter Berücksichtigung zweier ähnlicher Fälle Oblt. Immelmann am 31.5.16 und Vizefeldwebel Steeger der F.Fl.A. 13 am 28.8.15." Es wurde nicht in Erwägung gezogen, dass das Versagen der MG-Steuerung nicht zwangsläufig ein technisches Versagen zur Ursache haben muss. Außerdem ignorierte die Kommission Immelmanns Bericht vom 31. Mai 1916. An diesem Tag griff er mit zwei Kameraden sieben Flugzeuge der No. 23 Squadron an, rammte einen Gegner fast und wurde vom Abwehrfeuer der F.E.2b gefasst. In seinem Bericht steht: "Plötzlich brach mir durch Propellerschuss eine Hälfte des Propellers ab, der Motor brach aus seinem Einbau heraus, hing herab und wirbelte das Flugzeug mehrfach über den rechten Flügel herum. Nach einem Absturz von etwa 1200 m bekam ich wieder die Herrschaft über die Maschine, brachte den Motor zum Stillstand und landete glatt bei Sauchy- Lestrée. An meinem Apparat sind Treffer in der Motorhaube, auch scheint eine Strebe [von vier, d. A.] des Motoreinbaues von einem feindlichen Geschoss durchschlagen zu sein." Unklar bleibt, warum Immelmann den Motor nicht sofort abschaltete.

Sammlung Täger

Ein Rekonstruktionsversuch

Der Autor hat 50 Berichte über Immelmanns letzten Flug und Luftkampf ausgewertet. Daraus lässt sich folgender Ablauf der Ereignisse rekonstruieren: Am Abend des 18. Juni 1916 werden nach dem Einflug feindlicher Flugzeuge die Jagdflieger des Kampfeinsitzer-Kommandos (Kek) 3 der 6. Armee alarmiert. Zunächst starten um 21.00 Uhr Lt. Max Mulzer und um 21.04 Uhr Lt. Albert Oesterreicher vom Flugplatz Brayelle bei Douai. Ihnen folgen um 21.12 Uhr Vfw. Alfred Prehn, um 21.25 Uhr Uffz. Wolfgang Heinemann und um 21.33 Uhr Oblt. Max Immelmann. Da sein Eindecker Fokker E.IV am 4. Juni an den Armee-Flugpark 6 abgegeben wurde, muss Immelmann ein Reserveflugzeug vom Typ Fokker E.III mit der Militärnummer E.246/16 besteigen. Oblt. Immelmann fliegt im Steigflug nach Nordwesten in Richtung Hulluch nördlich von Lens. Sein Bruder Franz behauptete später, dass er nach Loos geflogen sei. Doch dieser Ort lag jenseits der Front, dort hätte schwerster Flakbeschuss gedroht. Nahe der Front wendet Immelmann nach Südosten. Bei Annay schließen sich ihm seine früher gestarteten Kameraden Lt. Mulzer und Lt. Oesterreicher an. Franz Immelmann zufolge hatten beide zuvor nordöstlich von Lens gegen vier britische Flugzeuge gekämpft. Die drei Fokker werden von der Besatzung McCubbin/Waller gesichtet. Die Briten überfliegen die Front, verfolgen die drei deutschen Eindecker und beobachten, wie Lt. Oesterreicher sich entfernt. Um 22.04 Uhr abends landet er wieder in Brayelle. Die F.E.2b verfolgt die zwei Fokker. Letztere fliegen Richtung Lens, wo eine weitere Besatzung der No. 25 Squadron eine rote Signalpatrone abgeschossen hat. 2/Lt. Boscawen Savage und 2/AM (2nd Air Mechanic) Norman Robinson gehörten wohl erst zu einer Gruppe von drei F.E.2b, die sich zuvor mit Vfw. Prehn und Uffz. Heinemann im Luftkampf befunden hatten. Prehn berichtet, sie hätten die feindlichen Doppeldecker durch vorgetäuschte Flucht bis Montigny gelockt, obwohl die Flak dazwischen schoss. Das heftige Flak-Feuer bei Lens empfindet auch der anfliegende Oblt. Immelmann als störend. Er schießt eine Signalpatrone mit weißem Stern ab, dem Signal zur Feuereinstellung für die eigene Flak. Da Lt. Mulzer Immelmann begleitet und ihnen die Besatzung McCubbin/Waller folgt, nahmen an den Luftkämpfen östlich von Lens insgesamt vier Fokker-Eindecker und vier F.E.2b teil.

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Luftkampf im Raum Lens

Berichte von Bodenzeugen beschreiben den Kampf mehrerer Flugzeuge auf einer West-Ost-Achse bei Lens. Zunächst greift Immelmann vom Westen kommend einen Gegner, die Besatzung Savage/Robinson, an. Als diese wendet, verfolgt er deren F.E.2b nach Westen. Dann jagt er ihr erneut nach Osten hinterher, während ihm ein Gegner im Nacken sitzt. Franz Immelmann behauptete, gestützt auf einen Bericht von Vfw. Prehn, dass dieser sich auf die neu ankommende F.E.2b (McCubbin/Waller) stürzt und sie im Luftkampf binden kann. Die Bodenzeugen sind darüber geteilter Meinung. Zuletzt soll sich Immelmann 100 Meter rechts seitwärts von seinem ostwärts fliegenden Gegner befunden haben. Dann vollführt sein Flugzeug eine jähe, ruckartige Wendung nach Süden. Abwechselnd kippt es ab und bäumt sich auf, wobei der Schwanzteil auf- und niederschlägt. Dann bricht dieser ab, die Flügel schlagen nach oben und trennen sich vom Rumpf. Der Vorderteil des Rumpfes stürzt laut pfeifend ab. Das abgebrochene Heckteil schwebt noch Minuten in der Luft, bevor es 1000 Meter weiter südlich landet. Fotos des Heckteils scheinen keine Treffer von MG-Geschossen, Schrapnellkugeln oder Granatsplittern zu zeigen. Der zertrümmerte Vorderteil liegt auf der Flur westlich Sallaumines, nahe des Drahtverhaus einer Hinterlandstellung und einer Ziegelei. Rasch versammeln sich Hunderte deutsche Soldaten. Rumpfstück und Motor liegen mit dem Unterteil nach oben. Einige Männer drehen die Trümmer um. Der Körper des Fliegers liegt unter dem Motor. Immelmann wird anhand seines Ordens Pour le Mérite und von Monogrammen in Taschentuch und Weste identifiziert. Die amtliche Todesurkunde Immelmanns nennt später 10.15 Uhr als Todeszeit. Einige Soldaten tragen Immelmanns Körper auf einer Bahre in das Revier ihrer Einheit. Noch in der Nacht holt ein Krankentransporter den Leichnam ab und bringt ihn nach Douai in ein Lazarett. Die Trümmer des Flugzeugs werden am nächsten Tag geborgen. Sie werden fotografiert und auf Postkarten veröffentlicht. Ein Foto des toten Immelmann wird nie publiziert. Man glaubte sicher, dass das die Kampfmoral beeinträchtigen würde.

Sammlung Täger

Fünf Absturzszenarien

1. Bedienungsfehler: Die Stangensteuerung des Maschinengewehrs funktioniert nur innerhalb bestimmter technischer Grenzen. Ein Flugzeugführer sollte nicht in einem steilen Sturzflug seinen Motor übertouren und das stark vibrierende Flugzeug an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringen. Feuert er dann noch mit dem MG, dann versagt die MG-Steuerung. Oblt. Immelmann wäre solch ein fataler Fehler unter normalen Umständen nicht unterlaufen. Es gibt aber Aussagen anderer Flieger, nach denen er Zeichen körperlicher und geistiger Erschöpfung gezeigt haben soll. Das Wetteifern mit Oberleutnant Oswald Boelcke um die höchste Abschusszahl scheint seine Risikofreude erhöht zu haben. Doch es gibt keine Beobachtung, die dieses Szenario für den 18. Juni belegt.

2. Abschuss durch deutsche Flak: Die Mehrzahl der Beobachter des Luftkampfes konnten sich angesichts des Zerbrechens des Flugzeuges in der Luft nur Treffer durch die eigene Flak als Ursache vorstellen. Doch glaubwürdig erscheinende Zeugen betonen, dass die Flak das Schießen nach der weißen Signalpatrone eingestellt habe. Als Immelmann abstürzte, soll seit Minuten kein Kanonenschuss mehr gefallen sein. Deshalb ist dieses Szenario unwahrscheinlich.

3. Abschuss durch britische Flieger: Wenn Flieger im Verlauf eines Luftkampfes abstürzten, dann passierte das im Ersten Weltkrieg in der Mehrzahl der Fälle durch Beschuss feindlicher Flugzeuge. Für den Abschuss Immelmanns kommen nur zwei Gegner in Frage: F.E.2b Nr. 4909 von Savage/Robinson und F.E.2b Nr. 6346 von McCubbin/Waller. Beide beschossen seinen Eindecker auf kurze Distanz und hätten ihn entscheidend treffen können.

4. Technisches Versagen der MG-Steuerung: Dieses Versagen ist durch den Untersuchungsbefund und Fotos nachgewiesen. Doch primäre Ursache dafür könnten auch Bedienungsfehler, Treffer der eigenen Flak und vor allem feindliche Treffer gewesen sein.

5. Versagen der MG-Steuerung nach Treffern im Luftkampf: Die Ereignisse vom 31. Mai 1916, als Immelmann nach Propellerschüssen in tödliche Gefahr geriet, wirken wie eine Blaupause für seinen späteren Todessturz. Doch am 18. Juni war die im Vergleich zur E.IV schwächere Zelle der E.III den auf sie einwirkenden Kräften nicht gewachsen und zerbrach. Primäre Ursache könnten Treffer in die MG-Steuerung, die äußeren Bereiche der später weggebrochenen Propellerblätter sowie Streben des Motor-einbaues gewesen sein.

Sammlung Täger

Schlussfolgerungen

Die Ursachen von Max Immelmanns Absturz und Tod lassen sich heute nicht mehr mit letzter Gewissheit ermitteln. Es ist aber möglich, verschiedene Szenarien zu den Ursachen von Immelmanns Tod zu entwickeln, sie kritisch zu betrachten und ihre Wahrscheinlichkeiten zu bewerten. Der Autor hält das letzte Szenario für besonders plausibel. Nach ihm sind 2/Lt. Savage und 2/AM Robinson die Bezwinger von Max Immelmann, da sie, rückwärts feuernd, seinen Flugzeugbug besser treffen konnten als 2/Lt. McCubbin und Cpl. Waller. Eine ausführlichere Darstellung der vielen Ereignisse mit Quellen bleibt einer Biografie über Max Immelmann vorbehalten.