Die Anfänge der D. Napier & Son Ltd. reichen zurück bis ins Jahr 1808, bekannt wurde das Unternehmen in jener Epoche durch die Herstellung von Druckmaschinen unter anderem für die Bank of England. Montague S. Napier, motor- und rennsportbegeisterter jüngster Enkel des Gründers David Napier, erschloss 1899 mit dem Bau des ersten hauseigenen Viertakttriebwerks ein neues, bald entscheidend wichtig werdendes Geschäftsfeld für die Firma. Während des Ersten Weltkriegs wurde der bis dato im Automobilbau engagierte Hersteller mit der Lizenzfertigung von wichtigen Rüstungsgütern beauftragt – darunter auch Flugzeugen – und expandierte stark. 1918 ging der Napier Lion in Serie, ein W12 (drei Bänke à vier Zylinder) mit 24 Litern Hubraum und anfänglich 450 PS. Dieses für die damalige Zeit bemerkenswert hochkarätige Aggregat avancierte zum Verkaufsschlager und trieb alles Mögliche an: Rennwagen, -flugzeuge und -boote.

Die Hawker Typhoon Mk I B des RAF-Museums in London zeigt ihren Sabre II A.
Neues Konzept mit 24 Zylindern
In den frühen 1930er Jahren erkannte das britische Air Ministry einen Bedarf an leistungsstärkeren Flugmotoren, und entsprechende Aufträge gingen unter anderem auch an Napier. Aufbauend auf den luftgekühlten, in vertikaler H-Form angeordneten Vorgängern Rapier (16 Zylinder) und Dagger (24 Zylinder), entschied sich das Konstrukteursteam unter Leitung von Major Frank Halford bei der "Sabre” genannten Neuentwicklung für ein wassergekühltes Konzept. Hierbei wurden zwei auf 180 Grad Bankwinkel aufgespreizte V12-Motoren sozusagen übereinandergelegt, was in der Frontansicht an ein liegendes H erinnert. In Sachen Hubraum rangiert der Treibling fast gleichauf mit dem sich ebenfalls in der Entwicklung befindenden Rolls-Royce Griffon (36,7 Liter) und befindet sich somit auch auf dem Level eines Daimler-Benz DB 605 oder Jumo 213. Aber eben mit doppelter Anzahl von Zylindern oder, anders ausgedrückt, nur halb so großem Volumen pro Topf. Technisch ist das dank geringerer Massenkräfte grundsätzlich segensreich. Die altbekannte, speziell für Hochleistungsmotoren gültige Rezeptur lautet nämlich: Tendenziell eher kleinere Einzelhubräume, viele Zylinder und hohe Drehzahlen sind Garanten für maximale Leistungsausbeute.

Schnittbild Sabre Typ V A, eine der späten Baureihen, Serienanlauf war Juni 1945.
Erster Prototyp
Der erste Prototyp des neuartigen 24-Zylinders lief im November 1937. Es sollte aber noch bis Mitte 1940 dauern, bis der Motor seine Typprüfung in Form des vom Air Ministry geforderten 100-Stunden-Testlaufs bestand. Wie allgemein üblich wurden die für dieses Prozedere bestimmten Motoren von den besten Fachkräften aufs Sorgfältigste zusammengebaut. Die beginnend mit der Hawker Typhoon ausgelieferten Serienmotoren erhielten diesen Luxus nicht, was zu einer anfänglich kritisch hohen Ausfallquote bei den Staffeln führte. Das Gros der Probleme konzentrierte sich auf die komplexe Laufbuchsen-Schiebersteuerung nebst Antrieb. Wie Sternmotorenspezialist Bristol leidvoll erfahren musste, stellte diese neue Technik ganz andere Herausforderungen als eine vergleichsweise simple Ventilsteuerung. Es schien ganz so, dass man im Hause Napier auch mittelfristig keine befriedigende Lösung für die Schwachpunkte fände. Resultat war, dass der Hersteller im Dezember 1942 in den großen Industriekonzern English Electric Company eingegliedert wurde.
Bristol-Fertigungsmethode
Nach der Übernahme durch English Electric präsentierte Ingenieur Rod Banks neue Lösungsvorschläge. Er stellte fest, dass sich die aus Stahl geschmiedeten und nitrierten Laufbuchsenrohlinge des Bristol-Taurus-Sternmotors dank identischer Bohrung für den Sabre passend machen ließen. Bristol jedoch wollte mit Verweis auf Firmengeheimnisse von Hilfestellung nichts wissen. Und bei Napier war man nicht eben angetan vom Umstand, die liebe Konkurrenz zum Zuge kommen zu lassen. Aber damals, Anfang 1943, schien der Krieg noch lange nicht gewonnen. Zweifellos konnten sich die Briten solcherlei Firmenquerelen – die es bekanntermaßen auch hierzulande gab – ganz und gar nicht leisten. Schließlich siegte die Vernunft: Mit Umstellung auf bewährte Bristol-Fertigungsmethoden wurde der Sabre ab Mitte 1943 deutlich zuverlässiger und leistete in der Version II A mittlerweile 2220 PS.

Zylinderblöcke des Sabre-Motors im Schnitt: Gut zu erkennen sind Ansaugkanäle, Kühlmittel- und Ölleitungen sowie die Öffnungen für Ein- und Auslass.
Aufbau des Sabre-Motors
Im vertikal geteilten, kastenförmigen Kurbelgehäuse aus einer Aluminiumlegierung drehen zwei baugleiche, mit etwas Abstand übereinander liegende und jeweils siebenfach gleitgelagerte Kurbelwellen; in Flugrichtung gesehen beide gegen den Uhrzeigersinn. Eventuell wäre mit einer gegenläufigen Anordnung eine noch bessere Laufkultur erzielt worden, aber dies war aufgrund des komplexen Propellergetriebes mit linksdrehender Luftschraube nicht möglich. Abgesehen davon gilt der Sabre auch so als ausgesprochen laufruhig. In frühen Motoren verfügten die Kurbelwellen noch über Wangen mit Ausgleichsgewichten; später stellten die Ingenieure fest, dass darauf verzichtet werden konnte – ein höchst willkommener Beitrag zur vereinfachten Herstellung und vor allem zur Gewichtsersparnis. Außen links und rechts ist je ein ebenso aus Aluguss gefertigter Zylinderblock mit den horizontal liegenden Bohrungen für jeweils zwölf Laufbuchsen aufgesetzt, die Befestigung erfolgt mittels Zugankern. Diese Zylinderblöcke mit integrierten Kühlflüssigkeitskanälen sind so gestaltet, dass sie beidseitig verbaut werden können. Für den genial ausgetüftelten Antrieb der Laufbuchsen-Schiebersteuerung ist nur die oben liegende Kurbelwelle zuständig. Über Zwischenzahnräder wird von ihr in jedem der beiden Zylinderblöcke eine in der Mitte an der Dichtfläche zum Kurbelgehäuse platzierte, über die ganze Motorlänge verlaufende, gleitgelagerte Welle angetrieben, die ebenfalls mit Kurbelwellendrehzahl rotiert. Jede Welle ist mit sechs Schneckenverzahnungen versehen, welche ihrerseits für je ein Paar übereinanderliegender Laufbuchsen beziehungsweise deren kleine Kurbeln zuständig sind. Im Gehäuse und den Blöcken geht es schon ziemlich eng zu. Wie jetzt das hinten am Ende des Motors angebrachte Zweiganggetriebe für den einstufigen Lader bedienen? Der Clou: Die Schneckenwellen, bestehend aus zwei mit einer Muffe verbundenen Teilstücken, sind hohl, in ihrem Inneren rotiert je ein bis zum Getriebe reichender, torsionssteifer Drehstab.

Schnittzeichnung Zylinderkopf und Antriebsmimik zweier übereinander liegender Laufbuchsen.
Schiebersteuerung mit langen Wegen
Die Schiebersteuerung selbst erfolgt nach dem Burt-McCollum-Prinzip, wie es im Bericht über den Bristol Centaurus ausführlich beschrieben ist. Für den Gaswechsel besitzt jede Zylinderbohrung drei Einlass- und zwei Auslassöffnungen, bei der Laufbuchse sind es vier Öffnungen – eine davon ist immer abwechselnd für Ein- oder Auslass im Einsatz. Dabei absolviert die Sabre-Laufbuchse einen deutlich längeren Gesamtweg als das Centaurus-Pendant, er entspricht dem Kolbenhub und beträgt 121 Millimeter. Apropos Kolben: Wie immer aus Leichtmetall geschmiedet, sind sie hier mit zwei Kompressions- und nur einem Ölabstreifring zugunsten maximal geringer Baubreite noch kürzer als beim Centaurus. Vorteil der kurzhubigen Auslegung ist obendrein, dass sich trotz des hohen Drehzahlniveaus eine moderate mittlere Kolbengeschwindigkeit von gerade einmal 15,4 Meter pro Sekunde ergibt. Der bei einer Laufbuchsensteuerung ohnehin erhöhte Schmierstoffverbrauch zeigt sich hier durch den einzelnen Ölabstreifer nochmals ausgeprägter, mit speziellen Nuten im unteren Bereich der Laufbuchse versuchten die Konstrukteure dies wenigstens etwas zu mildern. Kein Wunder, dass die mit dem Sabre ausgerüsteten Flugzeuge betont große Öltanks besitzen – 82 Liter zum Beispiel bei der Typhoon. Wie gewohnt finden sich beim Trockensumpfschmiersystem getrennte Kreis- läufe. Der Hochdruckkreislauf versorgt unter anderem Kurbelwelle, untere Pleuellager und Propeller-Untersetzungsgetriebe, die Niederdruckzirkulation Laufbuchsenantriebe und sämtliche Aggregate. Öldrücke: 3,5 bar als Minimum, 4,8 bar bei Dauerleistung.

Darstellung der Zahnräder im Sabre II, eine der früheren Versionen (1941).
Stabile Kraftverteilung
Ein weiteres Beispiel bestechender Ingenieurskunst zeigt sich am Propeller-Untersetzungsgetriebe. Wichtig war hier, zwecks Verschleißfestigkeit eine möglichst gleichmäßige Kraftverteilung der diversen Zahnräder zu erreichen. Jede Kurbelwelle treibt zwei seitlich links und rechts montierte, kugelgelagerte "compound reduction gears" an. Insgesamt sind es also vier Stück, die alle gemeinsam auf die schrägverzahnte Propellerwelle wirken. Das "compound" beschreibt den zweiteiligen Aufbau: eine Geradverzahnung für das antreibende Kurbelwellenstirnrad und das schrägverzahnte Segment für den Abtrieb zur Propeller- welle. Jeweils das obere und untere Paar sind über eine ölgedämpfte Hebelmimik gekoppelt, welche den schrägverzahnten Segmenten ein definiertes Axialspiel erlaubt. Ist beispielsweise das eine Zahnrad in der Vorwärtsbewegung, rückt der Nachbar um diesen Betrag zurück und umgekehrt – eine permanente oszillierende Bewegung in der Größenordnung von etwa 1,5 Millimetern. Dieses System soll Zahnradschäden reduzieren und funktionierte offenbar von Beginn an so gut, dass keine nennenswerten Probleme auftraten. Die Untersetzung zur Luftschraubenwelle beträgt 1 : 0,2742 und ist bei allen Sabre-Versionen gleich.

Der verbesserte Einstufenlader des Sabre V A mit den beiden vielfach verschraubten Gehäusehälften.
Modifikationen späterer Modelle
Wie alle Flugmotoren unterlag auch der Sabre permanenter Modellpflege. Eine der wesentlichen Neuerungen debütierte bereits in letzten Exemplaren der Baureihe IV. Bis dahin oblag die Gemischaufbereitung einem S.U.-Schwimmervergaser, fortan kam mit dem Hobson-R.A.E.-Druckvergaser ein fortschrittliches Bauteil zur Verwendung – ab der weiterentwickelten, 2600 PS starken Version V A mit Einhebelbedienung für Drehzahl und Ladedruck. Der Druckvergaser bedingte eine große Modifikation im hinteren Bereich des Triebwerks. Die zuvor ganz außen positionierte Kupplung wanderte nach innen zum Ladergetriebe mit seinen geänderten Übersetzungen: Bodengang: 4,68-fache Kurbelwellendrehzahl, Höhengang: 5,38-fache. Leicht abweichend je nach Baureihe gab es einen bestimmten Höhenbereich (beim Typ V A beispielsweise zwischen 4000 und 4600 Metern), in dem der Pilot während des Steigflugs vom Boden- in den Höhengang umschalten sollte. Der Luftansaugschacht teilt sich unten hinten am Motor nun in zwei getrennte Rohre mit je einer Drosselklappe; der Einlauf in den komplett neu konstruierten, noch leistungsfähigeren Lader ist dann wieder zentral gebündelt. Wie bei einstufigen Motoren üblich, ist kein Ladeluft- beziehungsweise Gemischkühler vorgesehen. Vom Ladergehäuse aus verlaufen bogenförmig insgesamt vier Ansaugkanäle, einer für jede 6er-Zylinderbank. Ihr anfänglich runder Querschnitt ändert sich auf Höhe der Bänke in rechteckförmig. Die becherförmigen Zylinderköpfe aus Aluguss sind auf die Zylinderblöcke aufgesetzt und vielfach verschraubt; ihr Boden ragt ein Stück hinein und bildet so – zum Kolben hin – den Brennraum. Diverse Dichtringe verhindern das Austreten von Verbrennungsgasen, Öl oder Kühlflüssigkeit. Im Boden angebracht sind auch die zwei Zündkerzen der beiden getrennten Zündkreise. Die Auslassöffnungen von je einem Paar übereinanderliegender Zylinder teilen sich je eine Abgasdüse. Als Kühlmedium fungiert ein unter Druck stehendes 70:30-Wasser-Glykol-Gemisch, der Ausgleichstank schmiegt sich hufeisenförmig eng ums Propellergetriebe.

Eine Hawker Typhoon mit Napier Sabre.
Kartuschenstarter mit Tücken
Nicht ungewöhnlich gerade für einen britischen Motor, dass er mit einem Coffman-Kartuschenstarter per Treibladung "angeschossen" wird. Wie das abläuft, dürfte jedem Flugzeugfreund aus dem legendären US-Filmklassiker "Der Flug des Phoenix" wohlbekannt sein. In der Literatur wird auch kolportiert, dass es in England bei Konstruktionsbeginn des Sabre offenbar noch keinen genügend kräftigen Elektrostarter gab. Jedenfalls baut dieses System leichter, und es reicht eine kleinere Batterie, aber die Bedienung ist ziemlich heikel. Je nach Öltemperatur muss per Schalter im Cockpit eine ganz bestimmte Menge an Primer eingespritzt werden. Wollte der Motor partout nicht anspringen und alle fünf Patronen der Kartusche waren verballert, bedurfte es einer längeren Schrauberei inklusive Zündkerzendemontage und Einspritzen von erhitztem
Öl in alle 24 Zylinder. Bisweilen kam es vor, dass eine Patrone explodierte und in Brand geriet.
Die letzte (und stärkste) Sabre-Variante VII verhalf der Prototypen-Fury I zu exzellenten knapp 780 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Ende der Serienfertigung
Das Ende des Zweiten Weltkrieges bescherte leider auch dem Sabre ein mehr oder weniger abruptes Aus, obwohl er als Version VII – noch getestet im Prototyp der Hawker Fury I – einen beeindruckenden Reifegrad erreicht hatte. Mit Methanol-Wasser-Einspritzung sind als Notleistung im Bodengang (690 Meter Höhe) 3055 PS genannt, im Höhengang trotz des nur einstufigen Laders immer noch satte 2760 PS in 3800 Metern. Experimente mit nochmals weiter auf 2,38 bar gesteigertem Ladedruck sollen sogar über 3300 PS am Boden ergeben haben, allerdings bei exorbitant hohen Sprit- und Ölverbräuchen. Am Schluss der Kolbenmotor-Ära haben zwar auch andere Produzenten an diesen Regionen gekratzt, doch deren Triebwerke brachten teils deutlich mehr Masse auf die Waage als der heraus- ragend kompakte Sabre. Genaue Stückzahlen sind nicht überliefert, aber von den wichtigsten Mustern Typhoon und Tempest aus hochgerechnet, dürften insgesamt etwas über 5000 Motoren in rund einem Dutzend Baureihen hergestellt worden sein. Schon seit geraumer Zeit laufen Restaurierungsprojekte. Erwähnenswert sind die gleich zwei Hawker Tempest im Besitz von Kermit Weeks in Florida: eine mit Sabre II, die andere mit Centaurus-Motor.

Marketingideen in den 1940er Jahren: ein Lkw mit aufgeschnalltem Flugmotor als origineller Werbeträger.
Technische Daten
Napier Sabre VII (Stand: November 1945)
Bauart: H24, liegend
Kühlung: Flüssigkeitskühlung
Hubraum: 36,65 l (Bohrung x Hub: 127 x 121 mm)
Verdichtung: 7,0 : 1
Gaswechsel: Laufbuchsen-Schiebersteuerung
Start-/Notleistung: 3000 PS (2206 kW) bei 3850/min und 2,19 bar Ladedruck (mit Methanol- Wasser-Einspritzung) in 0 m Höhe
Lader: Einstufen-Schleudergebläse, 2 Gänge
Zündung: 2 B.T.H.-C2SE-ES1-Zündmagnete, kontaktgesteuert
Gemischaufbereitung: Hobson-R.A.E.-BI/NS8-Druckvergaser
Kraftstoff: 100 Oktan
Verbrauch: niedrigst/maximal ca. 500 bis 1100 l/h
Schmierstoff: Einbereichsöl SAE 50
Ölverbrauch: niedrigst/maximal ca. 20 bis 40 l/h
Anlasser: Plessey L4S Coffman
Trockengewicht (mit Anlasser): 1152 kg