Eigentlich sollte die Caravelle "Annapurna" nach dem Berg im Himalaya heißen, aber Sud-Chef Georges Héreils wollte mit dem Airliner den Weltmarkt und insbesondere Amerika erobern. Daher fiel seine Wahl auf den Namen "Caravelle" nach dem Schiffstyp der spanischen und portugiesischen Entdecker. Bereits im Frühjahr 1951 hatte die französische Regierung ein Komitee mit Vertretern von Behörden und Fluglinien zur Entwicklung eines strahlgetriebenen Verkehrsflugzeugs gegründet, das eine Reichweite von 2000 Kilometern aufweisen sollte. Im Januar 1952 erhielten die französischen Firmen die Spezifikation, auf die sieben Unternehmen mit Entwürfen antworteten: Breguet, Latécoère, Dassault, Hurel-Dubois, SNCAN (Nord Aviation), SNCASO (Sud-Ouest) und SNCASE (Sud-Est).
Der erste "Hecktriebler"
Im Gegensatz zur Konkurrenz setzten Pierre Satre und sein Team von der Société Nationale de Constructions Aéronautiques Sud-Est (SNCASE, später Sud Aviation) bei ihrer SE.X-210 erstmals auf eine Anordnung der Triebwerke am Heck. Diese Wahl versprach eine aerodynamisch sauber gestaltete Tragfläche und ein relativ geringes Geräuschniveau in der Passagierkabine.
Britische Triebwerke ermöglichen den Bau
Als Antrieb sahen die Konstrukteure zunächst drei Snecma ATAR 101 oder vier noch zu entwickelnde Turbomeca-Jets vor (jeweils zwei übereinander). Schließlich entschieden sich die Planer aber für das Avon von Rolls-Royce, wie es in der English Electric Canberra zum Einsatz kam. Laut Sud-Est war es damals das beste verfügbare Strahltriebwerk für eine zivile Verwendung.
Im September 1952 reduzierte das Komitee das Feld auf zwei Kandidaten, die X-210 und die konventionellere HD-45 von Hurel-Dubois. Eine endgültige Entscheidung wollte man am 1. Januar 1954 treffen. Die Meinungen waren gespalten: Air France favorisierte die X-210, während sich die anderen Gesellschaften für die HD-45 aussprachen. Ende 1953 zeigte aber ein Blick auf die staatlichen Finanzen, dass man sich nur ein Flugzeug leisten konnte. Daraufhin fiel die Wahl auf die spätere Caravelle. Der Bau der ersten Maschine ging recht flott vonstatten, so dass Testpilot Pierre Nadot und Copilot André Moynet am Abend des 27. Mai 1955 in Toulouse-Blagnac mit der SE.210 (Kennung F-WHHH) zum 41-minütigen Jungfernflug starten konnten. Anschließend erfolgte die weitere Flugerprobung beim Centre d’Essais en Vol in Istres. Keine vier Wochen später gab das Muster gegen den Widerstand des damaligen Chefingenieurs Louis Bonte seine Premiere auf der Luftfahrtmesse in Le Bourget. Bestellungen lagen noch keine vor, denn Erstkunde Air France kaufte erst 1956 zwölf Maschinen; sie sollten 1958 ausgeliefert werden. Der zweite Prototyp startete schließlich am 6. Mai 1956.
Konkurrenz aus den Staaten
Während die Flugtests recht reibungslos abliefen, rührte Sud-Est kräftig die Werbetrommel. Auch die Lufthansa ließ sich den eleganten Jet mit der charakteristischen Dreiecksform der Kabinenfenster im Juli 1956 in Düsseldorf und Hamburg vorstellen. Im Jahr 1957 brach ein Jet zu einer Verkaufstour nach Nord- und Südamerika auf und konnte VARIG und United von ihren Vorteilen überzeugen. Auch TWA bestellte 20 Exemplare, entschied sich später aber für die Douglas DC-9. Bei Air France ging die Caravelle am 6. Mai 1959 auf dem Flug von Paris-Orly nach Istanbul in Dienst. Weitere Kunden waren SAS und VARIG. United nahm am 14. Februar 1961 mit der Strecke von Chicago nach New York den Betrieb auf. Weitere Bestellungen aus den USA kamen aufgrund der Einführung der DC-9 nicht zustande. Daran änderte auch die spätere Ausstattung der Caravelle mit JT8D-Triebwerken von Pratt & Whitney nichts.
Liebling der Passagiere
Bei den Passagieren war der französische Jet vor allem aufgrund seiner Geschwindigkeit und des ruhigen Fluges im Vergleich zu den alten Propellermaschinen beliebt. In einer SAS-Umfrage von 1960 beurteilten 95,8 Prozent der Fluggäste das Flugerlebnis in der Caravelle als exzellent. Bei Air France betrug die Auslastung auf der Route von Paris nach London im Jahr 1960 sage und schreibe 99 Prozent. Dennoch konnte die Caravelle mit der Konkurrenz aus den USA nicht mithalten. Ihren 282 gefertigten Exemplaren stehen 1831 Boeing 727 und 2167 Vertreter der DC-9/MD-80-Familie gegenüber. Trotzdem war das französische Muster bis zur Gründung von Airbus hinter der BAC One-Eleven der erfolgreichste Mittelstreckenjet aus Europa.
Versionen

Den zwei Prototypen (01 und 02) folgten 280 Serienexemplare in verschiedenen Varianten (Stückzahlen in Klammern). Heute existieren davon noch rund 30 Jets, die jedoch nicht mehr fliegen.
I: erste Serienvariante mit stärkeren Triebwerken (Avon Mk 522) und um 1,5 m verlängertem Rumpf (20)
IA: stärkere Triebwerke Avon Mk 526 (12)
III: meistverkaufte Variante mit stärkerem Antrieb (Avon Mk 527) und erhöhter Startmasse (78)
VI N: stärkeres Avon Mk 531 und höhere Reichweite (53)
VI R: größere Cockpitfenster und Schub-umkehr an den Triebwerken (56)
VII A: Eine Caravelle III erhielt zu Erprobungszwecken das CJ805-Triebwerk von General Electric.
10A: für TWA entwickelte Version mit um einen Meter verlängertem Rumpf, Änderungen an der Tragfläche und dem CJ805-Triebwerk (1)
10B: Rumpf wie 10A, vergrößerte Flächen von Flügel und Höhenleitwerk, JT8D-Triebwerke (22)
10R: Caravelle VI-R mit JT8D-Antrieb (20)
11R: Kombiversion; um 70 cm verlängerte Caravelle 10R (6)
12: größte Version (Rumpf um 3,2 m länger als bei der 10B), stärkere Triebwerke JT8D-9 (12)
Technische Daten
SE.210 Caravelle IA
Hersteller: Société Nationale de Constructions Aéronautiques Sud-Est (SNCASE), Toulouse, Frankreich
Typ: Verkehrsflugzeug
Passagiere: 84 - 99
Antrieb: 2 Rolls-Royce RA-29 Avon Mk 526
Schub: je 46,5 kN
Länge: 32,01 m
Höhe: 8,72 m
Spannweite: 34,30 m
Flügelfläche: 146,7 m2
Leermasse: 23 400 kg
Nutzlast: 8370 kg
max. Startmasse: 43 500 kg
Reisegeschwindigkeit: 748 km/h
Reichweite: 3400 km (1850 km mit max. Nutzlast)