Eigentlich hatte er sich 1957, mit 68 Jahren, schon als Chefingenieur zurückgezogen aus dem täglichen Geschäft der Firma Sikorsky Aircraft im US-Bundesstaat Connecticut. Aber Igor Sikorsky war fürs Nichtstun nicht geschaffen. Er hatte immer noch neue Ideen, wie man den Helikopter weiterentwickeln und perfektionieren könnte. Da ihm der Hubschrauber als Rettungsgerät und Lastenträger ganz besonders am Herzen lag, setzte er sich mit einer neuen Herausforderung auseinander: Warum sollte es nicht gelingen, einen Kran der Lüfte zu bauen, der in jedem Gelände schwere Lasten aufnehmen oder absetzen kann und sogar in der Lage ist, komplette Containerkabinen von A nach B zu transportieren?

Am Anfang stand eine Vision
Mit der S-56 hatte Igor Sikorsky Anfang der 50er Jahre den ersten zweimotorigen Helikopter zur Serienreife gebracht, und auf diesem Muster baute auch seine neue Vision auf – denn Grundvoraussetzung für einen schweren Lastenhubschrauber waren zwei starke Motoren. Diese Grundlage war also schon geschaffen.
Allerdings stieß der große Helikopterpionier erst einmal auf massiven Widerstand seiner Ingenieurkollegen, die ohnehin genug mit anderen Projekten zu tun hatten. Schließlich war Sikorsky damals Marktführer im Helikopterbau. Igor Sikorsky brauchte viel Geduld, um die Kollegen letztlich doch von seiner Idee zu überzeugen.
Überzeugungsarbeit als Wegbereiter
In Vorträgen erläuterte er seine Vorstellungen von einem Helikopter: Der Unterschied zu herkömmlichen Mustern sollte in einem speziellen Cockpit und einem offenen „Body“ mit einem extrem hohen Fahrwerk bestehen – mit der Möglichkeit, schwere und sehr große, sperrige Güter wie ein Kran per Lasthaken aufnehmen oder absetzen zu können, während sich der Helikopter über dem entsprechenden Objekt im Schwebeflug befindet. Die entscheidende Neuerung: ein rückwärtiger Pilotensitz hinter dem Cockpit mit exzellenter Sicht auf die gesamte Fracht und mit eigener, präziser Steuerkinetik zur Bedienung der Kranfunktionen. Durch den gänzlichen Wegfall einer Passagierkabine würde zudem viel Gewicht eingespart, das umso mehr für eine hohe Nutzlastkapazität zur Verfügung stehen könnte. Sikorsky war sich sicher, dass diese Generation von Helikoptern zukunftsweisend sein würde – und sowohl in militärischen wie auch in zivilen Missionen weltweit einsetzbar.

Ein fliegender Kran entsteht
Die Arbeiten an dem kosteneffizienten Experimental-Kranhubschrauber S-60, auf Basis der in Serie gefertigten S-56/H-37, begannen 1958. Anstelle einer Passagierkabine wurden eine Winde und ein Lasthaken direkt unter dem Hauptrotor installiert. Das sorgte dafür, dass die Steuerbewegungen bei sich aufschwingenden Lasten so klein wie möglich gehalten werden konnten. In der Rekordzeit von nur zehn Monaten war die S-60 fertiggestellt, und sie startete am 25. März 1959 zu ihrem erfolgreichen Erstflug. Bereits im Folgemonat flog der Helikopter auch vor einer militärischen Abordnung aus Deutschland; man wollte testen, ob ein schwerer Lastenhubschrauber für die Bundeswehr in Frage käme.
Igor Sikorsky macht sich selbst ein Bild
Bei zahlreichen Flügen wurden die unterschiedlichsten Missionen getestet. Igor Sikorsky war bekannt dafür, dass er alles selbst ausprobierte. So setzte er sich beim Flug mit einer an Lasthaken befestigten, freien Außenplattform aus Holz auf einen der installierten Sitze. Ingenieure des Unternehmens begleiteten ihn. Bei einer Geschwindigkeit von 50 Knoten stand Sikorsky auf, lief auf und ab, nickte zufrieden und setzte sich wieder, während die mitfliegenden Kollegen in ihren Sitzen kauerten. Der Flug verlief weitgehend vibrationsfrei und untermauerte Sikorskys Idee, eine in sich geschlossene Passagierkabinen-Einheit mit dem Kranhubschrauber zu befördern.
Später transportierte der Kranhubschrauber in Vietnam 87 voll ausgerüstete Soldaten in Kabineneinheiten, die komplett unter dem Rumpfsegment der S-64/YCH-54 befördert wurden.

Ein großer Lasthaken und vier zusätzliche Winden
Mit der S-60 waren alle Berechnungen Sikorskys aufgegangen, und es war an der Zeit, an einen größeren und stärkeren Kranhubschrauber zu denken. Sikorsky überzeugte das Unternehmen zu investieren, obwohl bis dahin noch keine Orders vorlagen.
Mit der Einführung der leichten und leistungsstarken Wellenturbine JFTD12 von Pratt & Whitney war auch die Definition des neuen Kranhubschraubers fixiert. Seine kommerzielle Bezeichnung: S-64 (militärische Bezeichnung: YCH-54, ab 1965: CH-54). Der „Skycrane“ getaufte Helikopter (S-64A) in Metallbauweise startete am 9. Mai 1962 zu seinem Erstflug. Er hatte eine maximale Abflugmasse (MTOW) von 19 050 kg. Seine beiden Gasturbinen JFTD12-A1 leisteten je 4050 shp.
Großes Cockpit für große Aufgaben
Gegenüber der S-60-Version gab es ein neu entwickeltes Hauptgetriebe, das die doppelte Triebwerksleistung umsetzen konnte. Es gab nun sechs statt fünf Hauptrotorblätter aus Metall sowie einen effizienten Vierblatt-Heckrotor. Das Heckrad wurde durch ein Bugrad unter dem Cockpit ersetzt. Zwei seitliche Ausleger hielten die großen Räder und erhöhten die Stabilität am Boden. Die Höhe unter dem Rumpfsegment betrug bis zu 7,44 m. Das Cockpit wurde modifiziert, insbesondere in Bezug auf den nach hinten ausgerichteten dritten Sitz. Dieser erhielt zusätzliche Instrumente und Kontrollorgane, die es dem Operator ermöglichten, die Bewegungen präzise und schnell auszuführen. Allerdings waren die Steuerorgane direkt mit denen des „echten“ Pilotensitzes verknüpft, so dass dieser jederzeit den „Hintermann“ übersteuern konnte. Zudem wurde das gesamte Cockpit vergrößert und auf zwei Piloten und zwei Mechaniker ausgelegt, weil man davon ausging, dass Einsätze über mehr als zehn Stunden am Stück Wartung vor Ort notwendig machen würden.
Durchdachtes Prinzip für effizienten Einsatz
Die Kapazität des direkt unter dem Hauptgetriebe (im optimalen Schwerpunkt) installierten Lasthakens ermöglichte die Aufnahme einer Last von bis zu 9072 kg aus einer Schwebeflughöhe von maximal 100 Fuß. Vier zusätzliche kleine Winden, sogenannte „load levelers“, ermöglichten die extrem schnelle Aufnahme der Ladung. Eine zusätzliche Batterie sorgte dafür, dass der Helikopter überall selbständig starten konnte. Und last but not least, wurden zur Einsparung von Gewicht und Wartungskosten alle Cowlings und Arbeitsplattformen im oberen Bereich des Rumpfstrangs entfernt und viele elektrische und hydraulische Leitungen außerhalb der Zelle verlegt. Ein fliegerischer Vorteil trug indirekt zur Kostenreduzierung bei: Der Transport der Last direkt unter dem Rumpfstrang reduzierte den Strömungswiderstand und ließ Lift-Missionen im Geschwindigkeitsbereich von 40 bis 80 Knoten zu. Der Wegfall der Kabine erhöhte die Zuladekapazität um mehr als 450 kg.

Skycrane-Prototypen fliegen in Deutschland
Während Prototyp 64-001 Tests bei der US Army in Fort Benning, Georgia, absolvierte, gelangten PT 002 und 003 nach Deutschland, wo sie von 1963 bis 1965 auf ihre Tauglichkeit für militärische wie zivile Missionen bei der Bundeswehr sowie bei VFW (Vereinigte Flugtechnische Werke) in Bremen evaluiert wurden.
Sieger der NATO-Ausschreibung
Da man Anfang der 60er Jahre fürchtete, dass NATO-Flugplätze in Deutschland durch plötzliche Sowjet-Angriffe zerstört werden könnten, begannen Überlegungen, Senkrechtstarter zu entwickeln, die auch von kleinen versteckten Plätzen aus operieren konnten. Dazu bedurfte es aber einer ausreichenden Zulieferkapazität, die mit großen Helikoptern wie dem Skycrane als praktikabel erschien. Der Transport von Lkw, Treibstoffcontainern, sperrigem Material sowie kompletten Waffenplattformen oder Passagiercontainern gehörte dazu. Nachdem deutsche Ingenieure und Militärs beim ersten Besuch in Connecticut 1959 bereits die Leistungen der S-60 für gut befunden hatten, waren sie bei einem zweiten Besuch bei Sikorsky im Jahr 1961 durch die Zehn-Tonnen-Ladekapazität der S-64 vollends überzeugt. Die NATO-Ausschreibung gewann schließlich Sikorsky mit der S-64, zumal das Unternehmen auch großes Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit VFW hatte.

Der Skycrane ebnet den Weg für die CH-53
Als man das VTOL-Programm 1965 in Deutschland aufgab, war der Bedarf an Skycranes zwar nicht mehr vorhanden, aber es entstand eine neue Basis für die Zusammenarbeit. Vorbereiter für den ganz großen Deal mit der CH-53G war Sikorskys Sohn Sergej. 110 Maschinen des Typs, der im Wesentlichen auf der Basis der S-64 weiterentwickelt worden war und ebenfalls ein MTOW von mehr als 19 Tonnen hatte, wurden 1968 geordert.
Karriere bei der US Army
Die guten Leistungen der S-64 während ihrer zweijährigen Tests in Deutschland hatten großen Anteil daran, dass in Deutschland damals die Entscheidung zugunsten der CH-53 als mittlerer Transporthubschrauber für die Bundeswehr fiel. Die beiden S-64 wurden an Sikorsky zurückgegeben und später an zivile US-Betreiber verkauft. Nach einer intensiven Testphase entschied sich die US Army, den Kranhelikopter einzusetzen. Sie orderte 1963 zuerst sechs Maschinen, die sofort für den Kriegseinsatz und als Logistiktransporter vorbereitet wurden. Ab 1968 flogen auch die ersten Serienhubschrauber in Vietnam. Sie transportierten dort Artilleriewaffen, Treibstoff, Fahrzeuge, ganze Brücken sowie komplette Kabinensegmente mit Soldaten oder mit einer kompletten medizinischen Ausrüstung.
US Army betrieb den Skycrane von 1965 bis 1995
Bis 1972 erhielt die US Army 95 Helikopter in den Versionen CH-54A und CH-54B, letztere verfügte über stärkere Triebwerke und eine um 25 Prozent größere Zuladekapazität als die Basisversion. Während die militärische Zulassung für die CH-54 bereits 1965 erteilt wurde, erhielt die zivile Version S-64 im Jahr 1989 ihre endgültige Zertifizierung.
Mit der Ausmusterung der Army-Skycranes im Jahr 1995 endet die Geschichte von Sikorskys letzter großer Vision aber noch lange nicht. Erickson, ein Helikopterunternehmen aus dem US-Bundesstaat Oregon, war spezialisiert auf Arbeitsflüge mit schweren Drehflüglern, insbesondere auf Logging (Holztransport). Hier sollte der ungewöhnliche Helikopter seinen zweiten Frühling erleben. Das Unternehmen hatte 1971 als erster Zivilbetreiber eine S-64 Skycrane gekauft. Weitere Betreiber, wie Columbia Helicopters und Evergreen Helicopters, folgten. Die Zuverlässigkeit des schweren Geräts und seine Einsatzfähigkeit mit besonders sperrigen und extrem schweren Lasten in schwer zugänglichem Gelände führten dazu, dass Erickson 1997 die Fertigungs- und Zulassungsrechte des Musters von Sikorsky kaufte und aus dem Skycrane mit vielen Detailänderungen und Modifikationen den Air Crane machte. Im Jahr 2007 hatte das Unternehmen selbst 18 Air Cranes im Einsatz. 2008 verbrachte eine einzige S-64 binnen 30 Tagen allein 300 Flugstunden im Loggingeinsatz. 2009 flogen bereits 30 Erickson Air Cranes auf fünf Kontinenten, und im Jahr 2010 wurde die CH-54K als Basis für die mögliche Entwicklung eines 25-Tonnen-Air-Crane definiert.

Aus dem Skycrane wird der „Air Crane“
Damit wurde Sikorskys Vision mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Erstflug doch noch Wirklichkeit. Übrigens: Erickson gab all seinen Air Cranes individuelle Namen. Berühmt wurde „Olga“, eine S-64E. Sie brachte 1976 beim Bau des CN Towers in Toronto in mehr als 40 Umläufen Material und ganze Bauteile für die Antennenanlage zur höchsten Plattform. Mit 566 Metern war der CN Tower damals der höchste freistehende Turm der Welt, und die S-64-Einsätze wurden weltweit publiziert.
Für Erickson war der Air Crane auch ein recht gutes Geschäft. Während die militärische CH-54 noch 2,8 Millionen Dollar kostete, mussten zivile Kunden 40 Jahre später bereits 28 Millionen Dollar für einen Air Crane bezahlen.
Seriennummern und Rekorde

Von insgesamt 103 Skycranes wurden zwei nicht fertiggestellt beziehungsweise geliefert. Das Muster flog (und fliegt bis heute) in den USA (inklusive Vietnameinsätzen), in Kanada, Südamerika, Korea, Italien und Deutschland. Gebaut wurden 6 YCH-54A für die US Army (Seriennummern 64-004 bis 64-009), 55 CH-54A, 30 CH-54B, 1 S-64 (Prototyp N325Y, Seriennummer 64-001), 2 S-64A und 9 S-64E. Die 64-002 und 64-003 wurden nach Deutschland geliefert, wo sie als D-9510 und D-9511 ab 1963 bei Heeresfliegern und Luftwaffe (als LA-112 und LA-113) erprobt wurden. Sie wurden bei VFW auch auf ihre zivile Eignung als „Container-Hubschrauber“ getestet.
Ab 1969 entstanden drei CH-64E (Seriennummern 64-058 bis 64-060). Bei der Seriennummer 64-067 und 64-070 bis 64-098 handelte es sich um die -54B-Version. In der E-Version flogen die Seriennummern 64-068 und 64-069 sowie 64-099 bis 64-101. Die 64-098 wurde 1970 nach Italien geliefert, wo sie auch bei der Feuerbekämpfung mit der Kennung I-SEAD zum Einsatz kam. 2007 wurde sie bei einem Unfall zerstört.
Mit dem Skycrane wurden auch Rekorde erflogen. So erreichte James Church in einer CH-54B (ohne Zuladung) eine Höhe von 36 122 ft (11 010 m). David Spivey hieß der Pilot, der mit einer CH-54B mit 15 002 kg Zuladung auf 10 850 ft (3307 m) stieg. In nur 2:58,9 Minuten stieg J. Henderson auf 19 686 ft (6000 m); 5:57,7 Minuten benötigte Delbert Hunt, um mit einer CH-54 auf 29 529 ft (9000 m) zu steigen.
Technische Daten
Sikorsky S-64/CH-54 Tarhe
Hersteller: Sikorsky Aircraft Company
Besatzung: 2 Piloten/1 Operator
Antrieb: 2 Turbinentriebwerke Pratt & Whitney JFTD12-4A
Leistung: 3555 kW/4500 shp
Länge: 21,41 m
Höhe: 5,67 m
Hauptrotordurchmesser: 21,95 m
Leergewicht: 8724 kg
max. Abflugmasse: 19 050 kg
Zuladung: 9072 kg
Leistungen:
VNE: 109 kts/203 km/h
Reisegeschwindigk.: 91 kts/169 km/h
Reichweite: 200 NM/370 km
Steigrate: 1330 ft/min / 675 m/s
Dienstgipfelhöhe: 3960 m
Hover IGE: 2835 m
Hover OGE: 2650 m