Bereits während der Kämpfe in Frankreich im Mai und Juni 1940 stand Leutnant Helmut Wick mit 14 Abschüssen an der Spitze des Jagdgeschwaders Nr. 2 "Richthofen", dem er seit Kriegsbeginn angehörte. Nach dem Sieg über Frankreich fand das JG 2 bei Beaumont-le-Roger in der Normandie, südwestlich von Rouen, seinen neuen Hauptstützpunkt. Bald schon ging es gegen die Briten, wozu Einsatzplätze im Raum Cherbourg dienten. Gut 100 Kilometer Ärmelkanal lagen zwischen ihnen und den Britischen Inseln. Im August, Wick war inzwischen Oberleutnant und Staffelkapitän der 3./JG 2, flog die deutsche Luftwaffe dann ihre ersten Großangriffe gegen Großbritannien. Der Anblick der riesigen, Richtung England dröhnenden Bomber- und Jägerflotten begeisterte Wick: "Es waren überwältigende Bilder, die sich uns da boten."

In wenigen Monaten stieg Wick vom Staffelkapitän zum Kommodore des JG 2 auf – eine unglaubliche Karriere, die er einzig seinen Abschusserfolgen zu verdanken hatte.
Extrem draufgängerisch
Wick war bei seinen Kameraden beliebt und bekannt für seine extrem draufgängerische Art. Er sah Feindmaschinen sehr früh, schob Vollgas hinein und manövrierte sich in eine günstige Schussposition. Ihm dabei zu folgen, gestaltete sich für seine Begleiter oft heikel und erschwerte den geschlossenen Angriff. Sein Jagdgerät quittierte dies mit hohem Verschleiß, bis hin zum Motorwechsel. Am 27. August 1940 ehrte Reichsmarschall Göring Oberleutnant Wick nach 22 Luftsiegen mit dem Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz, das seinem Träger den Status eines Filmstars verlieh. Der Kampf um die Luftherrschaft über Großbritannien im Sommer 1940 geriet besonders zum harten Ringen der Jagdflieger beider Seiten. Im Deutschen Reich beobachtete die Öffentlichkeit das Abschussrennen um den Titel der "Oberkanone" zwischen den älteren Experten (Assen) Werner Mölders und Adolf Galland, während Helmut Wick stetig näher rückte. Dies verschaffte dem unerschrockenen Wick neben zunehmender Aufmerksamkeit auch den nächsten Karriereschub: Am 7. September 1940 kam die vorzeitige Ernennung zum Hauptmann und gleichzeitig zum Kommandeur der I. Gruppe des JG 2.

Major Wicks Bf 109 E-4, Wknr. 5344. Am Seitenruder sind 47 Luftsiegmarkierungen aufgetragen. Das Bild entstand im November 1940.
Kometenhafte Karriere
Wicks Gruppe verbuchte die meisten Abschüsse des Geschwaders, und er selbst schoss am 5. Oktober fünf Briten ab – 41 Kerben zierten nun seinen Abschussstock. Außerdem war er fällig für das Eichenlaub, das er als vierter Soldat der Wehrmacht am 8. Oktober 1940 auf dem Berghof von Adolf Hitler persönlich erhielt. Tags darauf fuhr Wick mit dem Führer im Sonderzug nach Berlin, wo er unter anderem vor einer größeren Anzahl deutscher und ausländischer Journalisten über den Kampf gegen Großbritannien berichtete. Wie im LIVE-Magazin vom 9. Oktober zu lesen war, trug Wick dabei wohl arg dick auf und bezeichnete das Können britischer Jagdflieger als lächerlich, die besten wären bereits gefallen. Am 19. Oktober beförderte man den 25-Jährigen zum jüngsten Major der Wehrmacht und beauftragte ihn mit der Führung des JG 27. Wick zeigte sich keineswegs erfreut darüber und bat Göring, beim JG 2 und seiner alten Gruppe bleiben zu dürfen. Göring ernannte Major Wick, den er ganz besonders schätzte, daraufhin kurzerhand zum Kommodore des JG 2. In nur drei Monaten war er vom Oberleutnant und Staffelkapitän zum Major und Führer des JG 2 aufgestiegen – eine zu Friedenszeiten undenkbare Laufbahn. Die durchaus auch kritisierte Maßnahme der Luftwaffenführung, junge erfolgreiche Piloten an die Spitzen der Jagdgeschwader zu setzen, ermöglichte dies. Schlechtes Flugwetter im Herbst reduzierte die Einsatztage am Kanal. Bis dahin war es Major Wick gelungen, allein vom 5. bis 10. November zehn Luftsiege zu erringen und seine Abschusszahl auf 54 zu erhöhen. Somit lag er im Rennen um den Titel der "Oberkanone" vor Adolf Galland, dem Kommodore des JG 26, mit 50 Luftsiegen und gleichauf mit seinem ehemaligen Lehrmeister, Werner Mölders vom JG 51.

Helmut Wick in seiner Bf 109 E-4, Wknr. 5344, kurz vor dem Start Mitte Oktober 1940 zu einem Verlegungsflug.
Wicks letzter Luftkampf
Die harten, nervenzehrenden Luftkämpfe der vergangenen Monate hatten bei den jungen Fliegern körperliche und seelische Spuren hinterlassen. Eine Auszeit war dringend nötig und bald schon sollte es in den Winterurlaub gehen. Der 28. November 1940 bescherte noch einmal einen strahlend blauen Himmel mit 100 Kilometer Sicht über der Kanalfront. Am frühen Nachmittag stiegen daher Bf 109 des JG 2 zu einem Begleitschutzeinsatz Richtung England auf und stießen bald auf Spitfire der RAF. Der Stabsschwarm mit den Rotten Pflanz/Fiby und Leie/Wick erzielte dabei zwei Abschüsse: Oberleutnant Leies 11. und Wicks 55. Luftsieg um 15.10 Uhr, womit er Werner Mölders überholte und mit Adolf Galland gleichzog, der am selben Tag jedoch auf 56 erhöhte. Bei anhaltend schönem Wetter starteten 23 Bf 109 des JG 2 um 16.30 Uhr zu einem weiteren Einsatz, dieses Mal zur Freien Jagd, mit dabei auch ein Schwarm des JG 77. Gegen 17.10 Uhr stießen die Deutschen in gut 10 000 Metern Flughöhe im Luftraum der Isle of Wight auf Spitfire der 609. und 152. Squadron. Wick stürmte wie immer voran und schoss um 17.13 Uhr eine Spitfire ab, vermutlich geflogen von Pilot Officer Watson von der "152." – Major Wicks 56. Sieg. Augenzeugen nach tauchte Wick nach unten weg, Leie verlor ihn aus den Augen. Rudi Pflanz und Franz Fiby verloren sich ebenfalls im Gefechtstummel und steuerten jeweils Richtung Frankreich, als Pflanz in 2000 Metern vor sich zwei Jäger ausmachte, die er zunächst für Bf 109 hielt. Rasch entpuppte sich die hintere Maschine jedoch als Spitfire, die auf eine 109 feuerte, dessen Pilot kurz darauf ausstieg. Pflanz nahm sich den Engländer vor und schoss ihm direkt in die Kabine, worauf der Jäger samt Pilot um 17:18 Uhr ungesteuert in den Kanal stürzte. Pflanz verständigte sofort über Funk den Seenotdient. Alle Bf 109 des JG 2 kehrten nach Frankreich zurück, nur eine Maschine fehlte – ausgerechnet die des Kommodore.

Für die Presse blickt Major Wick in den Lauf eines MG FF (20-mm), einer tödlichen Waffe, für die jedoch jeweils nur 60 Schuss zur Verfügung standen.
Große Suchaktion
Noch in der Nacht liefen bei schwerer See (Seegang 8) Torpedoboote aus, um nach Wick zu suchen. Alle Stationen und Posten von Le Havre bis Brest wurden verständigt. Am nächsten Tag machten sich leichte Kampfschiffe sowie Seenotflugzeuge auf die Suche nach Wick. Mehr als 20 Piloten des JG 2 starteten ebenfalls, während Aufklärer die Küste der Insel Wight abflogen. Franz Fiby schrieb in sein Tagebuch: "Das Geschwader sucht seinen Kommodore. Im Laufe des Tages wurden ununterbrochen Suchaktionen durchgeführt. Es waren 22 Einsätze von Seenotflugzeugen und wir flogen Schutz und ein Teil von uns suchte im Tiefflug. Wir wollten unseren Kommodore, der ja ein Schlauchboot mit hatte, unbedingt wiederhaben – lebend oder tot. Aber außer zwei großen Ölflecken, die von den beiden Maschinen stammen dürften, war nichts zu finden. Schon in der Nacht ließ der Reichsmarschall sämtliche am Kanal liegende Marine auslaufen. Es blieb nichts unversucht. Leider hatte alles keinen Erfolg und war dies eine einzigartige Heldenverehrung, von der die Umwelt nichts wußte." Görings Anfrage bei den Briten blieb ebenfalls ohne Erfolg. Ein britischer Rundfunksender beendete die Nachricht über Wicks Verlust mit dem Nachsatz: "So hat Hitler wieder einen seiner Besten zu Tode gehetzt!"
Wer schoss Wick ab?
Bis heute sind die Umstände, die zu Helmut Wicks Abschuss führten, ungeklärt. Rudi Pflanz‘ Aussage findet sich im Tagebuch von Franz Fiby, der auf dem Heimflug im Funk einen Namen wie Beck hörte; womöglich Wick, der seine Notlage durchgab. RAF-Ass Flight Lieutenant John Dundas von der No. 609 gab begeistert den Abschuss einer 109 über Funk durch: "Whoopee! I’ve got a 109!" Danach hörten seine Kameraden nie wieder etwas von ihm. Dundas, ein Jagdass mit zwölf Luftsiegen, schrieb man später offiziell Wicks Abschuss zu. Auch Pilot Officer Eric Marrs von der 152. Squadron berichtete von einem Luftsieg: Aus großer Höhe jagte der 19-Jährige hinter einer Messerschmitt her, die er in etwa 3000 Metern 30 Kilometer südlich von Bournemouth beschoss, woraufhin sie sehr viel Öl verlor, das Marrs‘ Windschutzscheibe verschmierte und seine Sicht stark einschränkte. Anschließend sah er herabstürzende Flugzeugteile und einen Fallschirm. Der 22-jährige polnische Jagdflieger Sergeant Zygmunt "Zig" Klein von der No. 152 verfolgte ebenfalls eine 109 und bezeugte per Funk deren Abschuss. Aber auch er kehrte nicht mehr zurück. Doch war Major Wick der einzige Verlust des JG 2 an diesem Tag. Dundas soll bei seiner Abschussmeldung in rund 7600 Metern Höhe geflogen sein, also deutlich höher als Marrs bei seiner Attacke. Rudi Pflanz schoss Wicks Bezwinger in geringer Höhe ab. Marrs sah womöglich die Reste einer Spitfire. Immerhin meldeten die Deutschen sechs Abschüsse – vier Spitfire gingen tatsächlich verloren, wobei alle Piloten den Tod fanden. Im Hinblick auf die nervliche und physische Anspannung während eines Luftkampfes war die Gefahr von Irrtümern allzeit gegeben.

Am 4. Dezember 1940 wurde der junge Kommodore als gefallen gemeldet.
Bis heute vermisst
Helmut Wick blieb vermisst und wurde am 4. Dezember 1940 als gefallen gemeldet. Der junge Kommodore des "Richthofen"-Geschwaders war der erste "Superstar" der Luftwaffe, der vom Einsatz nicht zurückkehrte. Die kalte, raue See des Ärmelkanals wurde sein Grab und auch das seiner Kontrahenten John Dundas und "Zig" Klein, die ebenfalls nie gefunden wurden. Tragischerweise soll Göring am 28. November Wick Feindflugverbot erteilt haben. Er wollte seinen Jagdhelden schonen, schließlich brauchte ihn die deutsche Propaganda. Der Befehl erreichte Wick nicht mehr. Ob der wagemutige Heißsporn tatsächlich am Boden geblieben wäre? Wohl kaum. Unbestätigt blieb auch die Aussage eines Warts, wonach Wick auf seinem letzten Feindflug weder Farbbeutel noch Leuchtstoff-Munition an Bord hatte. "Ach lassen wir’s", soll er entgegnet haben. Bei den Männern des JG 2 hinterließ Wicks Verlust deutliche Spuren, doch die Jagd ging weiter. Für seine Frau Ursel, die ihr zweites Kind erwartete, brach eine Welt zusammen. Die am 23. Januar 1940 eingegangene Nachricht, wonach sich Helmut womöglich in kanadischer Gefangenschaft befinden solle, stellte sich am 5. Februar als falsch heraus. Dennoch schrieb siebis Ende 1941 nach Kanada und die USA – vergebens.