Kampfgleiter Blohm & Voss BV 40
Der Plan zeugt von fortschreitendem Realitätsverlust schon 1943. Einfach zu bauende Kampfgleiter sollten von Jägern über die gegnerischen Bomberpulks geschleppt werden, nach dem Ausklinken im steilen Gleitflug auf die Bomber zustoßen, sie mit schweren Bordwaffen beschießen und nach der Landung irgendwo im freien Feld mit Fahrzeugen wieder an ihre Basis gebracht werden. Was in der Theorie vielleicht noch machbar erscheint, dürfte in der Praxis geradezu nutzlos gewesen sein. Schon während des Schlepps auf etwa 12 000 Meter Höhe wären die weitgehend wehrlosen Gespanne aufs Höchste durch gegnerische Jäger gefährdet gewesen. Für eine gezielte Bekämpfung der Bomber hätten die Piloten der Gleiter kaum Zeit gehabt. Dennoch arbeitete Blohm & Voss im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums RLM ab August 1943 offiziell an einem solchen Kampfgleiter.
Ursprünglich hatte Dr. Ing. Richard Vogt, Chefkonstrukteur von Blohm & Voss, bei seinen ersten Überlegungen zum Projekt P 186 einen Rammgleiter im Sinn. Junge Piloten sollten mit dem motor- und waffenlosen Einfachstflugzeug die Leitwerke von anfliegenden Bombern rammen und sie so zum Absturz bringen. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass seine langjährige Arbeit bei Kawasaki in Japan und die dortige Selbstopferungsmentalität ihn auf die Idee gebracht hatten.
Beim Gleitjägerprojekt, für das das RLM am 18. August 1939 Blohm & Voss den Entwicklungsauftrag gab, ging man nicht mehr von Selbstmordeinsätzen aus. Das Projekt P 186 sah nun einen bewaffneten, wiederverwendbaren Kampfgleiter, man könnte ihn auch als Gleitjäger bezeichnen, vor. Auf dem Rumpf, praktisch über dem Schwerpunkt, sollte er eine durchschlagstarke 30-mm-Maschinenkanone MK 108 montiert werden. Um die Stirnfläche des Rumpf möglichst klein halten zu können, sollte der Pilot in Flugrichtung auf dem Bauch liegen. Die so nur 0,5 m2 kleine Stirnfläche brachte einerseits wenig aerodynamischen Widerstand, andererseits war der Kampfgleiter in größerer Entfernung von vorn nur schwer zu erkennen.
Sehr kompakte Maße und ein einfacher Aufbau waren von Anfang an Entwicklungsziele. Schon allein um die angestrebten hohen Geschwindigkeiten zu erreichen, brauchte man eine sehr hohe Flächenbelastung und damit einen kleinen Tragflügel. Die BV 40, wie das Projekt P 186 getauft wurde, erhielt einen durchgehenden, freitragenden Rechteckflügel in reiner Holzbauweise mit nur 8,70 Quadratmeter Fläche bei 7,90 Meter Spannweite. Bei einer maximalen Flugmasse von 950 Kilogramm bedeutete das eine Flächenbelastung von 109 kg/m2. Damit lag der Kampfgleiter in dieser Hinsicht weit näher an einer Bf 109 E (zirka 155 kg/m2) als an einem damaligen Segelflugzeug (zirka 20 kg/ m2). Im Innenbereich bis zu den Querrudern hatte das Profi l eine relative Dicke von 18 Prozent, danach nur noch von 14 Prozent. Ein massiver, lamellierter Kastenholm aus Buchensperrholz nahm die Biegekräfte auf. Die Torsionskräfte wurden im Zusammenspiel von vorderem und hinterem Hilfsholm und einer durchgehenden Sperrholzbeplankung aufgenommen, die im Innenbereich fünf, im Außenflügel vier Millimeter stark war. Innen liegende Wölbklappen, die über die halbe Spannweite reichten, ließen sich in drei Stellungen fahren: null Grad für den normalen Flug, 50 Grad für Start und Landung sowie 80 Grad zur Gleitwinkelsteuerung und als wirksame Luftbremse. An die Klappen angehängte Servoruder sorgten für erträgliche Handkräfte beim Aus- und Einfahren.
Der Rumpf war dreiteilig aufgebaut. Die Bugsektion hatten die Ingenieure aus ebenen Panzerplatten aufgebaut. Sie konnte komplett gelöst werden, um dem Piloten einen Notausstieg zu ermöglichen. Nach vorn war ihre Panzerung 20 Millimeter stark, an den Seiten acht und unten fünf Millimeter. Sicht nach vorn erhielt der Pilot durch eine plane, 120 Millimeter dicke Panzerglasscheibe. Vorn oben an den Kabinenseiten befanden sich noch zwei kleine Sichtfenster, die beim Angriff mit Stahlplatten geschlossen werden konnten. Den Cockpitdeckel bildete eine Stahlhaube, die zwischen acht und fünf Millimeter stark war. Die starke Panzerung bedeutete viel Gewicht. So wog die gesamte Bugsektion 300 Kilogramm. Auch die in die Mittelsektion ragenden Beine des Piloten waren mit einer acht Millimeter starken Panzerung geschützt. Ansonsten wurde das zentrale Rumpfstück mit der Flügelaufnahme in konventioneller Metallbauweise mit einer 0,8-mm-Stahlblechbeplankung konstruiert. Daran setzt der Leitwerksträger in einfacher Holzbauweise an. Das Leitwerk wurde ebenfalls in Holzbauweise ausgeführt.
Eine einziehbare und gefederte Gleitkufe sollte die BV 40 auch für Außenlandungen auf Äckern und anderen unvorbereiteten Flächen tauglich machen. Für den Start wurde ein Radfahrwerk in eine Aufnahme der Kufenkonstruktion eingehängt. Drahtverspannungen zum Rumpf hielten es in Position. Nach dem Start konnte der Pilot über eine Art Knebelverschluss die Verspannung lösen und das Fahrwerk abwerfen.
Den bäuchlings im Cockpit liegenden Piloten hielt ein Sechspunktgurt in der Bodenwanne. Im Notfall konnte er das zentrale Gurtschloss auf seinem Rücken per Bowdenzug lösen. Um der Kälte in großen Höhen trotzen zu können, sollte er eine elektrisch beheizbare Fliegerkombi tragen. Dazu gab es gleich neben der Schleppkupplung im Bug eigens einen Außenbordanschluss, der während des Schlepps zugleich für eine Kommunikationsleitung zwischen Schlepp- und Gleiterpilot genutzt wurde. Wegen der angepeilten großen Schlepphöhen gehörte natürlich auch eine Sauerstoffanlage zur Ausrüstung. Schon bei der Besichtigung der Attrappe der BV 40 am 30. Oktober 1943 hatten die Vertreter des RLM die Bewaffnung mit einer einzelnen MK 108 auf dem Rumpfrücken moniert. Nun sollten zwei MK 108 mit jeweils 35 Schuss Munitionsvorrat in zwei Containern unter den Flügelwurzeln die Kanonen aufnehmen.
Das aerodynamische Konzept der BV 40 wirkt primitiv
Im Dezember 1943 startete Blohm & Voss den Bau von zwölf BV 40. Etwas über vier Monate später, im April 1944, war die BV 40 V1 (PN+UA) fertig. Sie war noch etwa 180 Kilogramm leichter als für die Serienausführung errechnet. Unter anderem hatte man auf einen Teil der Panzerarmierung verzichtet und nur eine dünnere Frontscheibe montiert. Außerdem bestand die Abdeckhaube aus Holz. Flatterberechnungen ergaben, dass das Flugzeug ohne Probleme bis 650 km/h geflogen werden konnte.
Für den Erstflug wurde die BV 40 V1 nach Wenzendorf, etwa 20 Kilometer südlich vom Blohm & Voss-Werk in Finkenwerder, gebracht. Am 6. Mai startete dort der Kampfgleiter im Schlepp hinter einer Bf 110 G-0 zum Erstflug. Am Steuer saß der Werkspilot Rautenhaus. Der Flug verlief nach seiner Aussage nach dem Ausklinken in 800 Metern Höhe durchaus zufriedenstellend, wenn auch ungewohnt. Viele Messwerte konnte Rautenhaus bei dem nur wenige Minuten dauernden Erstflug nicht sammeln. Beim Start hatte der Gleiter hinter der Bf 110, wohl bedingt durch deren Luftschrauben- und Flügelverwirbelungen, zu tänzeln begonnen. Den Gleitwinkel nach dem Ausklinken schätzte Rautenhaus als zu steil ein, die Aufsetzgeschwindigkeit als zu hoch. Vielleicht war die wahre Gleitzahl der BV 40 noch geringer als die von den Ingenieuren errechnete Gleitzahl 14,7.
Nach dem ersten Flug wurden einige Änderungen vorgenommen. Unter anderem verbreiterten die Techniker die Spur des Fahrwerks und senkten den Reifenfülldruck, um die Neigung zum Tänzeln beim Startlauf zu reduzieren. Der zweite Start erfolgte erst am 2. Juni, fast einen Monat nach dem Erstflug. Er endete mit einer Bruchlandung. Der Start im Schlepp hinter der Bf 110 gelang besser als beim ersten Mal. Rautenhaus stieg nach dem Abheben sofort etwas höher als das Schleppflugzeug, um schnell aus dessen Propeller- und Randwirbeln herauszukommen. Bedingt durch niedrige Wolken, klinkte er schon in 800 Metern Höhe bei 240 km/h aus. Während des kurzen Gleitflugs reduzierte er die Geschwindigkeit zunächst auf 150 km/h. Bei 140 km/h erhöhte sich im Endanfl ug auf Wenzendorf die Sinkrate sehr stark. Die BV 40 setzte kurz vor der Platzgrenze auf, durchbrach den Flugplatzzaun und wurde dabei schwer beschädigt.
Bei den nächsten Testflügen kam nun die inzwischen fertiggestellte BV 40 V2 (PN+UB) zum Zuge. Zunächst ließ das Wetter erneut nur zwei Flüge mit 800 Metern Ausklinkhöhe zu. Am 8. Juni konnten endlich längere Gleitfl üge aus 2200 Metern Höhe durchgeführt werden. Schrittweise erflog Rautenhaus dabei Geschwindigkeiten bis zu 470 km/h. Am selben Tag flog er auch die BV 40 V5 (PN+UE) ein. Während die V3 für Bruchversuche verwendet worden war, war der erste Start der V4 misslungen. Sie wurde dabei zerstört.
Die aerodynamische Auslegung der BV 40 dürfte kaum gute Flugeigenschaften hervorgebracht haben. Der Flügel besaß keine V-Form, die die Stabilität des Gleiters um die Längsachse positiv beeinflusst hätte. Unter dem Diktat einer extrem simplen und schnellen Fertigung waren die Tragflächen weder aerodynamisch noch geometrisch geschränkt. Das spricht, zumindest bei eingefahrenen Klappen, für wenig angenehme Eigenschaften im Grenzbereich zum Strömungsabriss. Außerdem ist ein Flügel mit rechteckigem Grundriss keineswegs ideal für sehr hohe Geschwindigkeiten geeignet. Die Aerodynamik des Gleiters hätte nie Geschwindigkeiten bis maximal 900 km/h zugelassen, für die er festigkeitsseitig ausgelegt war. Für das Ziel, im Schnellverfahren ausgebildete Segelflieger auf dem Kampfgleiter einzusetzen, war die BV 40 im Grunde wenig geeignet.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine Aussage des Rechliner Testpiloten Wilhelm Ziegler, der die BV 40 V2 am 6. Juni nachgeflogen hatte, ein wenig erstaunlich. Er konstatierte: „Das Flugzeug ist harmlos und angenehm zu fliegen.“ Allerdings stellte er auch fest, dass der Schleppstart auf einer Grasbahn mit steigender Geschwindigkeit schwieriger, auf einer
Betonbahn jedoch einfacher sei. Außerdem bemängelte er zu schwergängige Ruder, die zudem zu sensibel reagierten. Dies mache einen sauberen Anflug schwierig. Positiv vermerkte er die sehr wirksamen Klappen, als verbesserungswürdig die Armauflage, da bei langen Schlepps der Arm des Piloten zu schnell ermüdete. Letzteres dürfte auch daran gelegen haben, dass die BV 40 keine Trimmung besaß. Der Pilot musste deshalb bei den unterschiedlichen Geschwindigkeiten immer gegen die Knüppelkräfte arbeiten, um den Gleiter in der Spur zu halten.
Auch die BV 40 V6 (PN+UF) musste ohne Trimmeinrichtung auskommen. Offenbar waren die Ingenieure der Meinung, dies den Piloten für die relativ kurzen Flüge zumuten zu können. Ihren ersten Start absolvierte die V6 am 27. Juni auf dem Blohm & Voss-Werksplatz in Stade und wurde gleich nach Wenzendorf zur weiteren Erprobung geschleppt. Die Überführung war der 17. Testflug einer BV 40. Die V6 verfügte über tiefere Seiten und Höhenruder. Um die erwartbar größeren Höhenruderkräfte zu kompensieren, erhielt sie im gleichen Zuge eine schwächere Dämpfungsfeder. Allerdings wurde die schon zuvor festgestellte starke Kopflastigkeit des Gleiters durch diese Maßnahmen natürlich nicht beseitigt.
Zu einem Einsatz der BV 40 kam es gottlob nicht mehr. Anfang August 1944 stoppte das RLM das Projekt. Offenbar hatte man die Sinnlosigkeit von Einsätzen des Kampfgleiters gegen gegnerische Bomberströme inzwischen erkannt. Die Fertigstellung der BV 40 V7, die das erste von sieben Vorserienflugzeugen werden sollte, wurde daraufhin eingestellt. Damit waren auch Pläne zum Serienbau von 200 BV 40 obsolet. Das Kapitel der Kampfgleiter schlossen schließlich im Oktober 1944 die Alliierten mit einem Luftangriff auf Wenzendorf. Dabei wurden dort untergebrachten fertigen und einige noch nicht montierte BV 40 zerstört.
Technische Daten





Blohm & Voss BV 40 V5
Verwendung: Gleitjäger
Baujahr: 1944
Spannweite: 7,90 m
Länge: 5,70 m
Höhe: 1,63 m
Rumpfbreite: 0,70 m
Leermasse: 836 kg
max. Flugmasse: 950 kg
max. Flächenbelastung: 109,2 kg/m2
höchstzul. Geschwindigkeit: 900 km/h
Landegeschwindigkeit bei 80 Grad Klappen: 125 km/h
Bewaffnung: 2 x MK 108 (30 mm) mit jeweils 35 Schuss
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 05/2013