Northrop YA-9A: Der fliegende Panzer
Viele Köche verderben den Brei. Dies könnte sich Anfang der 70er Jahre ein Ausschuss des US-Repräsentantenhauses gesagt haben. Zu diesem Zeitpunkt werkelte jede Teilstreitkraft für sich an einer Maschine für die Luftnahunterstützung. Das Marine Corps setzte auf den Harrier, während sich die Army auf die AH-56 Cheyenne konzentrierte. Bei der US Air Force hieß das Zauberwort AX (für "Attack Xperimental"). Allerdings kamen die Politiker zu dem Schluss, dass alle drei Programme ihre Berechtigung hatten. Die AH-56 wurde indes später aufgegeben; nicht so jedoch das AX-Projekt.
Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg zeigten die Wichtigkeit der Luftnahunterstützung. Dort hatten sich eigentlich vollkommen veraltete Flugzeuge wie die Douglas A-1 Skyraider oder die A-26 Invader als ideal für diese Aufgabe erwiesen. Also musste Ersatz her, der sich durch niedrige Kosten, hohe Effizienz und maximale Überlebensfähigkeit auszeichnen sollte. Im April 1967 vergab die Air Force Aufträge zur Studienerstellung eines turbopropgetriebenen Flugzeugs an Convair, Grumman, McDonnell Douglas und Northrop. Die vorgeschlagenen Entwürfe waren den Militärs aber zu groß, zu schwer und zu teuer. Außerdem kam neben der Forderung nach einer höheren Geschwindigkeit die Idee der Bekämpfung von Panzern mit einer großkalibrigen Kanone hinzu.
Erst im Mai 1970 kam es daher zu einer neuen Spezifikation, bei der von den zwölf angeschriebenen Firmen nur Boeing-Vertol, Cessna, Fairchild, General Dynamics, Lockheed und Northrop Vorschläge einsandten. Am 18. Dezember 1970 gab die USAF schließlich mit der Northrop YA-9A und der Fairchild YA-10A die beiden Finalisten bekannt. Von jedem Typ sollten zwei Prototypen gebaut werden und in einem Vergleichsfliegen gegeneinander antreten. Dieses „fly-before-buy“-Verfahren sollte massive Kostenüberschreitungen wie bei der F-111 oder C-5 vermeiden. Der Vertragswert belief sich auf 28,9 Millionen Dollar für Northrop und 41,2 Millionen für Fairchild, da hier die Ausrüstung näher am möglichen Serienstandard lag.
Beide AX-Typen hatten hohe Anforderungen für den flexiblen Einsatz zu erfüllen. So sollte die YA-9A mit voller Startmasse von mehr als 18 Tonnen von einer unvorbereiteten und nur 300 Meter langen Piste abheben können. Ebenfalls nur 300 Meter durfte der Wenderadius mit voller Zuladung bei einer Geschwindigkeit von 240 bis 315 km/h betragen. Die Verweildauer über dem Zielgebiet musste bis zu fünf Stunden betragen, wobei ein großer Geschwindigkeitsbereich bis rund 800 km/h abzudecken war. Das alles durfte nicht mehr als 1,4 Millionen Dollar pro Serienflugzeug kosten.
Beide Konkurrenten setzten zum Erreichen dieser ehrgeizigen Ziele auf einen ungepfeilten Flügel – bei der A-9 mit zehn Positionen für Außenlasten – und Mantelstromtriebwerke. Als Antrieb des Northrop-Musters dienten zwei Avco Lycoming F102-LD-100. Dabei handelte es sich schon um Getriebefans, wie sie heute im zivilen Bereich wieder aktuell sind. Ein Untersetzungsgetriebe verband das Basistriebwerk des Hubschrauberantriebs T55 mit einem Frontbläser mit hohem Nebenstromverhältnis. Aufgrund der kürzeren Baulänge und des niedrigen Preises von nur 140000 Dollar wählte Northrop das F102, obwohl zunächst das in der A-10 und Lockheed S-3 verwendete TF34 von General Electric erwogen wurde. Ähnlich wie bei GE mit dem CF34 entstand auch bei Avco Lycoming (heute Honeywell) mit dem ALF 502 eine Ableitung für den zivilen Markt (Canadair Challenger und BAe 146).
Northrop legte die A-9 als Schulterdecker mit Triebwerken in den Flügelwurzeln aus, der ungewöhnlich große Höhen- und Seitenleitwerke sowie das Höhenleitwerk in V-Stellung besaß. Im Mittelpunkt der Konstruktion stand wie bei der A-10 die sechs-läufige 30-mm-Gatling-Kanone GAU-8/A. Hier konkurrierten Philco-Ford und General Electric um den Auftrag. Da die Waffe noch nicht verfügbar war, kam bei den AX-Prototypen noch eine 20-mm-M61 zum Einsatz. Die Unterbringung der enormen Kanone bedingte bei der A-9 einen relativ großen Rumpfquerschnitt. Das Bugfahrwerk mussten die Designer wie bei der A-10 aufgrund der Kanone seitlich versetzen.
Entscheidung gegen die YA-9A

Um die nötige Wendigkeit zu erreichen, tüftelten die Ingenieure ein System der Seitenkraftsteuerung (Side Force Control) aus. Es kombinierte den Ausschlag des aus zwei Hälften bestehenden Querruders, das gleichzeitig auch die Sturzflugbremse darstellte, mit einem Gegenausschlag des Seitenruders. Die geforderte Überlebensfähigkeit erforderte unter anderem eine Panzerung des Cockpits mit einer fünf Zentimeter dicken Schicht aus Leichtmetall (Prototypen: Aluminium, Serie: Titan). Die drei Treibstofftanks in der Tragfläche, zwei davon selbst-abdichtend, besaßen eine Gesamtkapazität von 4080 Kilogramm. Die Zwischenräume wurden mit Schaumstoff ausgekleidet. Das redundante Steuerungssystem wies einzeln ummantelte und getrennt voneinander verlegte Steuerzüge auf. Laut Herstellerangaben ließ die berechnete Überlebensfähigkeit der A-9 im Vergleich zu Erfahrungen aus Vietnam einen Rückgang der Verluste aufgrund Feindbeschusses um 90 Prozent erwarten.
Nach ihrer Fertigstellung in Hawthorne bei Los Angeles wurde die erste Maschine mit der Kennung 71-1367 nach Edwards transportiert, wo sie am 30. Mai 1972 mit Lew Nelson am Steuer ihren Erstflug absolvierte – 20 Tage nach dem der YA-10A. Die 71-1368 folgte am 23. August. Testpilot Nelson sagte später über die A-9, dass sie wie ein großes Flugzeug aussehe, sich aber wie ein Jäger fliege. Dabei erwies sich das Muster von den Abmessungen her sogar als etwas größer als der Prototyp der A-10, war dafür jedoch rund zwei Tonnen leichter.
Vom 10. Oktober 1972 bis zum 9. Dezember fand dann das Fly-off in Edwards satt. Die mit Spannung erwartete Entscheidung gab das Testkomitee am 18. Januar 1973 bekannt: Die A-10 hatte gewonnen. Bei den fliegerischen Eigenschaften traten keine großen Unterschiede zutage. In einigen Bereichen verhielt sich die YA-9A etwas besser. Dafür hatte die YA-10A leichte Vorteile bei der Wartung. Als ausschlaggebend für die Auswahl der späteren Thunderbolt galten die vom Systemkommando der USAF errechneten besseren Überlebenschancen unter anderem aufgrund ihrer ungewöhnlichen Auslegung sowie der Tatsache, dass sie näher am Serienstandard war. Außerdem existierte politischer Druck, da Fairchild Republic nach dem Auslaufen der F-105-Produktion im Gegensatz zu Northrop mit F-5 und YF-17 über kein militärisches Flug-zeugprogramm mehr verfügte.
Die YA-9A wurden im April 1973 aus dem Air-Force-Inventar gestrichen und gingen zu Versuchen an die NASA, die sie jedoch nicht einsetzte. Beide Prototypen kamen bald in Museen. Die zweite Maschine ist im March Field Air Museum ausgestellt, während die erste A-9 in Edwards eingelagert ist.
FLUG REVUE Ausgabe 02/2009