Das Ende der Luftwaffe – April und Mai 1945

Kriegsende
Das Ende der Luftwaffe – April und Mai 1945

Inhalt von
Zuletzt aktualisiert am 08.05.2018

Die militärische Situation der deutschen Streitkräfte verschlechterte sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs quasi stündlich. Die alliierten Streitkräfte drückten von Westen und Süden in das restliche von den deutschen Truppen gehaltene Gebiet, während sich die sowjetischen Truppen von Osten unaufhaltsam und mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Berlin vorkämpften.

Als sich Teile der Roten Armee und Einheiten der US Army am 25. April 1945 in Torgau an der Elbe die Hände reichten, waren die deutschen Truppen in drei Regionen aufgeteilt: Teile Tschechiens, Bayerns, Österreichs, Südtirols und Norditaliens, die nach dem Willen Hitlers eine „Alpenfestung“ bilden sollten, sowie Norddeutschland mit Berlin und als dritte Region das Baltikum, damals Kurland genannt. Die Luftwaffe hatte nach dem „Unternehmen Bodenplatte“ am Neujahrstag 1945 keine eigene groß angelegten Offensivoperationen mehr durchführen können. Das „Unternehmen Bodenplatte“, bei dem zwar mehrere Hundert alliierte Flugzeuge  zerstört wurden, traf die Luftwaffe härter als ihre Gegner, denn sie verlor an diesem Tag 290 Flugzeuge und über 240 Piloten. Diese waren in der Folge nicht zu ersetzen, sodass diese Operation den Niedergang der deutschen Luftwaffe beschleunigte.

Zwar wurde gerade 1945 noch mit Hochdruck an verschiedenen neuen Flugzeugtypen gearbeitet, wie Bachem Natter, Messerschmitt P.1101, Heinkel He 162 oder Focke-Wulf Ta 152, aber einige dieser Flugzeuge wurden nicht mehr vor Kriegsende geflogen beziehungsweise kamen nicht über das Erprobungstadium hinaus oder wurden nicht mehr regulär eingesetzt. Die industriellen Ressourcen des untergehenden Deutschen Reiches wurden durch den Vormarsch der Alliierten immer geringer.

Am 9. April 1945 meldete die Luftwaffe einen Bestand von 3331 einsatzfähigen Flugzeugen, darunter 1310 Jäger, 480 Nachtjäger, 917 Schlachtflieger und 37 Bomber. Aber Munition und Treibstoff waren knapp, zudem war die Luftüberlegenheit der gegnerischen Luftstreitkräfte erdrückend. Alliierte Flugzeuge beherrschten nach Belieben den Himmel über Deutschland, Tiefflieger warteten in der Nähe der verbliebenen Flugplätze auf startende oder landende deutsche Flugzeuge, die zur leichten Beute wurden. Transportflugzeuge konnten nur noch im Schutz der Dunkelheit fliegen, ansonsten wären sie sofort abgeschossen worden.  Trotzdem flog die Luftwaffe im wahrsten Sinne des Wortes bis zum letzten Tag des Krieges in Europa noch Einsätze. Wir haben Berichte von Augenzeugen aus diesen Tagen gesammelt, die das Ende der Luftwaffe aus eigenem Erleben beschreiben.

Siegfried Radtke, der beim Kampfgeschwader 54 diente, schrieb in einem Buch über die letzten Tage des Krieges, die er in Prag erlebte: „Zum 1. Mai sind noch sieben Me 262 (Jabo) der 2./KG51 über Hörsching nach Prag gelangt. Vom 1. bis zum 5. Mai werden mit allen einsatzklaren Me 262 Tiefangriffe auf die vorstoßenden Kolonnen der Amerikaner und Sowjets geflogen. Es geht längst nicht mehr um Sieg oder Niederlage, sondern nur noch um das Überleben und um die Rettung von möglichst vielen Flüchtlingen und Soldaten.“

Im Osten versucht die Luftwaffe zwischen März und April 1945 noch, die Oderbrücken zu zerstören, um die Nachschubverbindungen der Roten Armee für ihren Sturm auf Berlin zu unterbrechen. Dabei kommt es zu mehreren Angriffen mit Mistelgespannen. Am 27. April greift beispielsweise ein Verband mit sieben Mistelgespannen des KG200 die Oderbrücke bei Küstrin an, die den Sowjets unzerstört in  die Hände gefallen ist. Sie erhalten Jagdschutz von mehreren Fw 190. Unter der Führung von Leutnant Eckard Dittmann erreichen sie die Oder, aber können aufgrund der Wolken ihr Ziel nicht genau ausmachen. Zwei Mistelflugzeuge werden auf das Ziel abgeworfen, verfehlen aber die Brücke. Fünf Mistelgespanne gelten nach dem Einsatz als vermisst. Allerdings wird vermutet, dass sie sich nach Dänemark abgesetzt haben, da wenig später in Tirstrup britische Truppen einige Mistelgespanne unversehrt vorfinden.

In Leck in Schleswig-Holstein bereiten die Angehörigen des Jagdgeschwaders 4 (JG4) die Übergabe ihrer Flugzeuge an die Briten vor. Im Kriegstagebuch des JG4 steht dazu: „Wir bauen die Flugzeuge, Kraftfahrzeuge und alles Gerät parademäßig auf. Der Engländer wird staunen über das imposante Bild am Platz. Uns erfüllt der Anblick von mehr als 100 Maschinen mit einer stolzen Wehmut. Neueste Muster, die Me 262 und He 162, kaum im Einsatz gewesen, stehen zwischen den alten braven ‚Beulen‘ Bf 109 G und den Stürmern Fw 190, die in tausenden von Luftschlachten siegreich waren und warten auf die Übergabe an den Feind.“ Unter dem 7.5.45 steht im Tagebuch: „Wir haben die Luftschrauben und ein Leitwerksruder von den Flugzeugen abzunehmen und die Munition herauszunehmen. Das Bild auf dem Horst ist für uns Flugzeugführer ein unsagbar trauriges und schmerzvolles. Unser Stolz, unsere Waffe, unsere Welt so nackt dastehen zu müssen! Wohl 30 bis 40 Me 262, die schnellsten Jagdflugzeuge der Welt, stehen dicht nebeneinandergesetzt zur Abgabe vor einer Halle!“

Letzter Luftsieg am 8. Mai 1945

Woanders wird zu diesem Zeitpunkt noch gekämpft und Menschen sterben. Am 8. Mai 1945 flog Oberleutnant Gerhard Thyben von der 7./JG54 aus dem Kurland-Kessel noch mit seiner Focke-Wulf Fw 190 über der Ostsee. Er war früh am Morgen gestartet und sah kurz vor acht Uhr eine russische Petljakow Pe-2. Er nahm an, dass sie nach Schiffen suchte, die Flüchtlinge aus dem Kurland-Kessel nach Schleswig-Holstein bringen wollten. Er griff die Pe-2 an und schoss sie ab. Das Flugzeug versank in der Ostsee, mit ihm die dreiköpfige Besatzung, bestehend aus den Helden der Sowjetunion, Alexeji Gratschew, Gregori Davidenko und Michail Muraschko. Thyben flog dann nach Westen und landete in britisch besetztem Gebiet.

Unteroffizier Bernhard Ellwanger, Schlachtflieger bei der III/SG77, flog am 8. Mai noch einen Einsatz. Er war in Pardubice stationiert. Er berichtete nach dem Krieg: „Am 8. Mai waren alle Flugzeuge bis auf vier enttankt worden. Warum meine 190 zu den vier Flugzeugen gehörte, die noch über Treibstoff verfügten, kann ich heute nicht sagen. Geführt von Hauptmann Günther Ludigkeit, dem Staffelkapitän der 7. Staffel, sind wir in Pardubice gestartet und haben direkt Kurs auf Prag genommen. Unser Einsatzbefehl lautete, einen Sender der tschechischen Partisanen zu zerstören. Als wir über der Stadt ankamen, so ungefähr in 4000 Metern Höhe, habe ich aus Westen kommend Hunderte von amerikanischen Jagdflugzeugen gesehen, die wie zu einer Luftparade aufgereiht flogen. Sie blinkten in der Sonne. Wir waren von diesem Schauspiel so fasziniert, dass wir beinahe unseren Auftrag vergaßen. Unser Schwarm kippte nach links ab und startete seinen Angriff. Als das Ziel in meinem Revi auftauchte, warf ich die Bombe, so ungefähr aus 1500 Meter Höhe. Sie war ein Volltreffer. Dann sind wir in Richtung Osten zu unserem Platz zurückgeflogen und gelandet. Dies war mein letzter Flug und auch meine letzte Chance, mich in den Westen zu den Amerikanern abzusetzen.“

Auch Major Erich Hartmann, der erfolgreichste Jagdflieger aller Zeiten, war am letzten Tag des Kriegs in Europa noch in einen Luftkampf verwickelt. An diesem Tag flog er eine Bf 109 K-4. In einem Interview nach dem Krieg erzählte er: „Am 8. Mai 1945 bin ich gegen acht Uhr vom Flugplatz Brod in Ostböhmen in Richtung Brünn gestartet.  Mein Kaczmarek und ich haben kurz nach dem Start acht Jaks gesehen. Sie flogen völlig unbedacht Kunstflug unter uns, über der brennenden Stadt. Wir haben angegriffen, und ich habe eine abgeschossen, die gerade einen Looping drehte. Dies war mein letzter Luftsieg. Ich habe mich entschlossen, die anderen Jaks nicht zu attackieren, denn über uns tauchten zwölf Mustangs auf. Mit meinem Flügelmann sind wir sofort abgetaucht.  Im Tiefflug konnten wir in den Rauchwolken der Bodenkämpfe entkommen. Zurück am Platz sind wir gelandet, und man hat uns gesagt, der Krieg sei zu Ende. Während des gesamten Krieges habe ich nie einen Befehl verweigert, aber als General Seidemann mir und Hermann Graf befohlen hat, nach Dortmund in den britischen Sektor zu fliegen, damit wir uns dort ergeben und nicht in die Hände der Russen fallen, habe ich mir gesagt, ich kann doch nicht meine Einheit im Stich lassen und allein in sowjetische Gefangenschaft gehen lassen.

Also haben wir die restliche Munition und die verbliebenen Flugzeuge vernichtet, alles.  Das muss man sich einmal vorstellen: Wir haben 25 Jagdflugzeuge, die in einem relativ guten Zustand waren, einfach angezündet. Es wäre schön, wenn man sie heute in einem Museum sehen könnte. Ich bin dann mit meiner Einheit nach Westen marschiert, wo wir uns den Amerikanern der 90. Infanterie-Division ergeben haben.“

Manfred Böhme schreibt in der Chronik des Jagdgeschwaders 7, das mit Me 262 ausgerüstet in Prag stationiert war, über das Ende des Krieges: „Die am 6. Mai einsetzende Beschießung des Flugplatzes Rusin durch Artillerie und Granatwerfer hatte die ohnehin schon geschrumpfte Zahl flugfähiger Düsenjäger noch weiter dezimiert. Als um die Mittagsstunden des 7. Mai die Gefahr des Überrollens durch die Wlassow-Armee drohte, wurden diese Maschinen gesprengt und die noch flugklaren Turbos nach Saaz beordert. Dort waren am Morgen des 8. Mai 1945 die Reste der eingesetzten Düsenflugzeuge, etwa 15 bis 20 Me 262, zusammengezogen. Mangels anderslautender Befehle wurde den Flugzeugführern in den Stunden unmittelbar vor Inkrafttreten der Gesamtkapitulation freigestellt, mit ihren Maschinen Zielorte ihrer Wahl anzufliegen. So kam es im Laufe des Tages zur völligen Auflösung des Geschwaders. Manche Piloten entschieden sich für ihre Heimatorte im anglo-amerikanisch besetzten Gebiet.“

Böhme führt aber auch aus, dass ein Pilot,  der Staffelkapitän Oberleutnant Fritz Stehle, noch am späten Nachmittag mit seiner Me 262 und einem Rottenflieger zu einem Einsatz startet, auf dem er den wohl letzten Abschuss eines Jagdflugzeugs der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg erzielt. Gegen 15.20 Uhr treffen Stehle und sein Rottenflieger über Freiberg im Erzgebirge auf eine Jak-9, die keine Chance gegen die schnellen Me 262 hat. Sie schießen sie ab und setzen ihren Flug fort in Richtung britisch besetzter Zone. Sein Rottenflieger und er trennen sich, Stehle landet unbehelligt in Fassberg und übergibt sein Jagdflugzeug den Briten. 

Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 01/2016