Luftbetankung: Fliegende Tankstellen und ihre Geschichte

Luftbetankung im Wandel
Die fliegenden Tankstellen

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Veröffentlicht am 16.11.2023

Wie schnell die Ansprüche steigen können: Kamen die ersten Hüpfer der Gebrüder Wright den meisten Zeitgenossen noch wie riesige Meilensteine vor, wuchsen die möglichen Flugstrecken aufgrund der rasanten Fortschritte im Flugzeugbau immer weiter. Flugpioniere überboten sich auf der ganzen Welt mit stetig neuen Bestmarken. Doch trotz all der Rekorde kam bald der Wunsch auf, bei Langstreckenflügen auf die lästigen Tankstopps verzichten zu können. Schnell war die Idee geboren, Flugzeuge in der Luft zu betanken. Doch bis zu den heutigen fliegenden Tankstellen sollte es noch ein langer Weg sein. Die Anfänge erwiesen sich als recht abenteuerlich und waren eher waghalsige Stunts. So kletterte der Wingwalker Wesley May am 21. November 1921 hoch über Long Beach, Kalifornien, vom Flügel eines Doppeldeckers Standard-J-1 auf eine über ihm fliegende Curtiss Jenny. Auf seinem Rücken trug er einen Kanister mit knapp 19 Litern Sprit, die er dann in der Luft in den Tank der JN-4 kippte.

Aerial Gas Station
Archiv Hoeveler

Erste Anfänge

Als Geburtsstunde der echten Luftbetankung gilt der 27. Juni 1923, denn hier kam erstmals ein Schlauch zum Einsatz, mit dem Treibstoff per Schwerkraft übertragen wurde. Dazu hatte der US Army Air Service zwei de Havilland DH-4B (in Amerika gebaute Exemplare trugen einen Bindestrich in der Bezeichnung) mit entsprechenden Vorrichtungen ausgestattet. Den Tanker steuerte First Lieutenant Virgil Hine, während First Lieutenant Frank W. Seifert vom hinteren Sitz aus den Schlauch in rund 150 Metern Höhe über Rockwell Field bei San Diego abließ. An Bord des von Captain Lowell H. Smith pilotierten Empfängers griff First Lieutenant John Paul Richter hinter ihm den 15 Meter langen Gummischlauch und führte ihn zur Tanköffnung. An beiden Enden der Verbindung befanden sich manuell bediente Abschlussventile, über die knapp 280 Liter Sprit flossen, bis Motorprobleme den Flug vorzeitig beendeten.

USAF

Erste Erfolge und herbe Rückschläge

An diesem Tag blieb die Empfänger-DH-4 für sechs Stunden und 38 Minuten in der Luft. Am 27. und 28. August 1923 folgte ein 37-stündiger Einsatz mit 16 Betankungen auf einer Flugstrecke von 5260 Kilometern, bei dem eine zweite DH-4 als weiterer Tanker zum Einsatz kam. Doch damit nicht genug: Am 25. Oktober fand ein spektakulärer Flug von Grenze zu Grenze der USA statt: von Suma im US-Bundesstaat Washington ging es über Tijuana in Mexiko nach North Island. Es gab aber auch Rückschläge. So verunglückte noch im selben Jahr am 18. November ein Pilot der US Navy tödlich, als sich der Schlauch in der Tragfläche seines Tankflugzeuges verhedderte und es zum Absturz brachte. Daraufhin stellte das Militär derartige Versuche ein; die schlechte Wirtschaftslage tat ihr Übriges. Erst der Rekordflug der Junkers W 33 "Bremen" sollte gemäß den Erinnerungen von Lieutenant Elwood Quesada indirekt für eine zwischenzeitliche Wiederbelebung der Idee sorgen. Auf der Suche nach der Maschine in der unwirtlichen Gegend vor Labrador schlugen sich die amerikanischen Piloten Captain Ira Eaker und Quesada mit schlechtem Wetter herum und wünschten sich beim Überfliegen des starken Nebels sehnlichst eine Art Tankstelle in der Luft herbei. Der Gedanke sollte Quesada nicht mehr loslassen; knapp zwei Monate später stellten zwei DH 4 der belgischen Luftstreitkräfte mit 60 Stunden und sieben Minuten in der Luft dank mehrerer Betankungen einen neuen Rekord auf. Das brachte Quesada auf die Idee zu einem ähnlichen Vorhaben. Seine Vorgesetzten genehmigten schließlich die Demonstration mit einer "Question Mark" getauften Fokker C-2 des US Army Air Corps. Der Name stammte von den großen Fragezeichen an den Seiten des Rumpfes als Zeichen der Ungewissheit, wie lange der Flug dauern könnte.

Celebrating 80 years of air refueling
USAF

Meilensteine

Am 1. Januar 1929 war es so weit: Das dreimotorige Flugzeug startete auf dem damals neuen Metropolitan Airport in Van Nuys. An Bord befanden sich fünf Personen: Major Carl Spatz (der seinen Nachnamen noch nicht in Spaatz geändert hatte), Eaker und Quesada sowie Lieutenant Harry A. Halverson und Sergeant Roy W. Hooe. Erst 150 Stunden und 40 Minuten später landete die "Question Mark" wieder in Van Nuys. In einem Rundkurs über Südkalifornien waren 43 Betankungen in der Luft erfolgt, davon zehn bei Nacht. Als Tanker diente ein Flotte von Douglas C-1. Diese einmotorigen Doppeldecker verfügten über zwei jeweils 568 Liter fassende Tanks und einen Schlauch, den die Besatzung durch eine in den Boden geschnittene Luke ablassen konnte. Über ein Seil erhielt die Crew der C-2 auch Öl und Proviant. Die Kommunikation erfolgte über Handzeichen, Flaggen, Lichtsignale und sogar über große, beschriebene Tücher am Boden; eine Funkverbindung gab es nicht. Dazu waren die damaligen Geräte einfach zu schwer und unzuverlässig, so dass man darauf verzichtete. Insgesamt flossen 21 425 Liter Kraftstoff. Nach dem Flug waren die Motoren allerdings fast schrottreif, da sich einige Stellen im Flug nicht schmieren ließen.

Rekord: 27 Tage in der Luft

Das Air Corps zeigte sich von der Leistung beeindruckt und plante noch im selben Jahr eine weitere Demonstration, diesmal mit einem eher strategischen Einsatzzweck: Ein Keystone-Bomber B-3A flog von Dayton, Ohio, aus einen simulierten Angriff auf den Hafen von New York City. Auf dem Weg sollte ihn die begleitende Douglas C-1 mit Kraftstoff versorgen. Gewitter trennten jedoch die Flugzeuge voneinander – der Tanker musste wegen Vereisung notlanden und blieb im schlammigen Boden stecken. Das Experiment schien gescheitert, und das Militär nahm wieder Abstand von der eigentlich wegweisenden Idee. Stattdessen überboten sich Privatpersonen mit immer neuen Rekorden. Bis heute hält die Bestmarke die "Ole Miss", eine Curtiss Robin, mit der die Brüder Alan und Fred Key 653 Stunden und 34 Minuten ununterbrochen in der Luft waren – unglaubliche 27 Tage. 432 mal wurden ihre Tanks in der Luft aufgefüllt. Erst der Zweite Weltkrieg sorgte Jahre später für ein Umdenken der amerikanischen Generäle. In der Zwischenzeit taten sich andere Nationen auf diesem Gebiet hervor.

Betankungs-System

In Großbritannien begannen Anfang der 1930er Jahre entsprechende Forschungen, die wieder eng mit dem persönlichen Engagement einzelner Personen zusammenhingen. So hatte Flight Lieutenant Richard Atcherley von der Royal Air Force bei Besuchen in den USA während der National Air Races 1929 und 1930 die riskanten Betankungsvorführungen einiger Barnstormer miterlebt und erdachte sich ein eigenes, etwas sicheres System. Dabei zogen die beiden Flugzeuge jeweils ein Kabel mit Enterhaken am Ende hinter sich her. Der Tanker kreuzte dann die Flugbahn des Empfängers, bis sich die beiden Seile verhakten. Dann zog eine Winde an Bord des Empfängers das Kabel ein, an dessen Ende der Tankschlauch befestigt war. Atcherley ließ sich das System patentieren und verfolgte es nach seiner Versetzung zum britischen Versuchszentrum RAE (Royal Aircraft Establishment) in Farnborough weiter. Ein ähnliches Vorgehen hatte sich auch Sir Alan Cobham ausgedacht, der in den 1920er Jahren aufgrund seiner rekordträchtigen Langstreckenflüge bekannt geworden war. Hier ließ der Tanker eine Leine mit einem Gewicht an ihrem Ende zu dem etwas unterhalb fliegenden Empfänger ab. Dort fing ein Beobachter das Seil mit einer Art Spazierstock ein. Nach dem Herstellen der Verbindung zwischen den beiden Flugzeugen zog er mit der Leine den daran befestigten Tankschlauch heran. Erste Versuche, bei denen im Jahr 1934 eine Handley-Page W 10 eine Airspeed Courier betankte, verliefen erfolgreich. Überzeugt von seiner Idee gründete Cobham daraufhin noch im selben Jahr sein Unternehmen Flight Refuelling Ltd. (FRL). Zunächst arbeitete der Luftbetankungspionier an einem System, um die Reichweite von Short-Flugbooten von Imperial Airways unter anderem auf den Transatlantik-Routen zu verlängern. Als Tanker für die Short C-Class kam die Handley-Page Harrow zum Einsatz. Der Betrieb lief jedoch nur zwei Monate, als ihn der Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 jäh beendete.

AJ Savage und Fury

Erneute Rückschläge

Zwar war schon Ende 1938 die Luftbetankung von Bombern in den Mittelpunkt des britischen Interesses gerückt, und Flight Refuelling führte verschiedene Studien und Versuche durch, doch letzten Endes blieben konkrete Anwendungen aus. Die militärische Führung betrachtete die Luftbetankung immer noch als gefährliches Unternehmen, das die Leistungsfähigkeit der Flugzeuge aufgrund der zusätzlichen Ausrüstung einschränkte und den Einsatz verkomplizierte. Erst kurz vor Kriegsende plante die Royal Air Force Bomben- angriffe auf Japan und suchte nach einer Möglichkeit, die Reichweite ihrer Lancaster-Bomber zu erhöhen. Im November 1944 flogen schließlich entsprechende Prototypen des Avro-Musters, sowohl als Tanker als auch als Empfänger. Ursprünglich sollten 600 Flugzeuge zu Tankern umgerüstet werden. Doch es sollte wieder zu keinem Einsatz kommen, da sich die Führung auf die neue Avro Lincoln mit ihren besseren Leistungen konzentrierte und das Projekt aufgab.

USAF

Angriff auf Tokio

Auf der anderen Seite des Atlantiks wurde es nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor hektisch. Für den Vergeltungsangriff auf Tokio erwog die Führung auch die Luftbetankung und erteilte im Januar 1942 den Auftrag, eine Boeing B-17E und eine Consolidated B-24D als Tanker entsprechend umzurüsten. Mangels eigener Ausstattung griffen die Amerikaner auf Material von Flight Refuelling zurück. Im Bombenschacht der Liberator brachten die Techniker zusätzliche Tanks und eine Trommel mit dem aufgewickelten Übertragungsschlauch an. Die Verbindungskupplung an der Flying Fortress befand sich an der rechten Seite des Heckkonus. Obwohl die Mission dann mit dem berühmten "Doolittle-Raid" mit vom Flugzeugträger USS "Hornet" aus gestarteten B-25 Mitchell erfolgte, ging das Betankungsprojekt weiter und mündete in ersten Flugversuchen im April 1943 in Eglin, Florida. Trotz vielversprechender Ergebnisse gaben die US Army Air Forces das Vorhaben zugunsten der neuen Boeing B-29 Superfortress mit ihrer größeren Reichweite auf.